Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.11.2023, Az. 6 StR 495/23

6. Strafsenat | REWIS RS 2023, 8641

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Gegenstand

Adhäsionsverfahren: Geltendmachung eines fremden Anspruchs im eigenen Namen


Leitsatz

Antragsberechtigt im Adhäsionsverfahren ist auch, wer einen fremden Anspruch im eigenen Namen im Wege sogenannter gewillkürter Prozessstandschaft geltend macht.

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 12. Juli 2023 wird als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Betruges in 23 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt sowie eine Einziehungs- und zwei Adhäsionsentscheidungen getroffen. Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg (§ 349 Abs. 2 [X.]).

2

1. Die auf die Sachrüge hin veranlasste umfassende Überprüfung hat hinsichtlich des Schuld- und Strafausspruchs sowie der Einziehungsentscheidung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

3

2. Die Adhäsionsentscheidungen haben ebenfalls Bestand. Auch soweit der Angeklagte unter Ziffer 4 der Urteilsformel zur Zahlung von Schadensersatz an die [X.] verurteilt worden ist, liegt ein wirksamer Adhäsionsantrag und damit die für das Annexverfahren von Amts wegen zu prüfende notwendige Verfahrensvoraussetzung vor (vgl. [X.], Beschluss vom 3. Juni 1988 – 2 [X.], [X.], 470).

4

a) Zwar hat die geschädigte Gesellschaft den Anspruch nicht selbst geltend gemacht (§ 403 Satz 1 [X.]); es liegt allerdings ein näher begründeter Antrag von a.            GmbH vor, den Angeklagten zur Zahlung von Schadensersatz an ihre Tochtergesellschaft, die [X.], zu verurteilen.

5

b) Anlass zu näherer Erörterung gibt insoweit allein die hier an § 403 Satz 2 [X.] zu messende Antragsbefugnis.

6

aa) Nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut ist hiernach antragsbefugt, wer einen aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruch geltend macht. Diese Ergänzung des § 403 [X.] wurde eingefügt durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung anderer Vorschriften vom 25. Juni 2021 ([X.] I S. 2099, 2105); sie begründet – korrespondierend mit der bislang zum Entschädigungsrecht des Verletzten ergangenen Rechtsprechung (BT-Drucks. 19/27654, [X.] f.) – eine Antragsbefugnis auch für Personen, die nicht unmittelbare oder mittelbare Verletzte der Tat oder deren Erben sind (vgl. § 403 Satz 1 [X.]). Der Gesetzgeber hat die Antragsberechtigung insoweit von der – durch dasselbe Reformgesetz eingefügten – Legaldefinition des Verletztenbegriffs in § 373b [X.] entkoppelt (vgl. BT-Drucks. aaO), um den Kreis der Berechtigten nicht auf die Verletzten nach § 373b [X.] zu beschränken (vgl. [X.]/[X.], 118. Lfg., § 403 Rn. 1; [X.]/[X.], 27. Aufl., § 403 Rn. 2; [X.]/[X.]/[X.], 5. Aufl., § 403 Rn. 1).

7

Der Antragssteller nach § 403 Satz 2 [X.] kann deshalb etwa als Rechtsnachfolger des Verletzten, namentlich im Wege des vertraglichen (vgl. § 398 BGB) oder gesetzlichen Forderungsübergangs (vgl. § 116 Abs. 1 SGB X), einen eigenen Anspruch oder – nach Ermächtigung durch den Verletzten – einen fremden Anspruch im eigenen Namen geltend machen (sogenannter gewillkürte Prozessstandschaft).

8

Dieses Normverständnis wird über den Gesetzeswortlaut hinaus durch die Regelungssystematik des [X.] der Strafprozessordnung belegt (vgl. [X.]/[X.], aaO; aA [X.]/[X.], aaO, Rn. 3; [X.]/[X.], 66. Aufl., § 403 Rn. 4; [X.]/[X.]/[X.], aaO, Rn. 3). Hiernach bestehen für Adhäsionskläger, die nicht Verletzte der Tat und damit prozessual nicht in gleicher Weise wie diese schutzwürdig sind, eigene, allerdings stark begrenzte Verfahrensrechte. So sind insbesondere die §§ 406d ff. [X.] schon mangels Verletzteneigenschaft (§ 373b [X.]) grundsätzlich nicht anwendbar (vgl. BT-Drucks. aaO, [X.]). Allein das Akteneinsichtsrecht ist für die nach § 403 Satz 2 [X.] Antragsberechtigten zur Anspruchsdurchsetzung spezifisch geregelt (vgl. § 406e Abs. 4 [X.]; [X.]/[X.], aaO sowie § 406e Rn. 47). Dem steht auch die Gesetzesgenese nicht entgegen (aA BeckOK-[X.]/[X.], [X.]., § 403 Rn. 1). Der Gesetzgeber wollte mit § 403 Satz 2 [X.] eine Antragsberechtigung für Personen sicherstellen, die nur mittelbar durch die Tat geschädigt sind (vgl. BT-Drucks. aaO, [X.]). Hingegen ist den Gesetzesmaterialien – insbesondere im Lichte der vorgenannten gewichtigen normativen Gesichtspunkte – kein Anhalt dafür zu entnehmen, dass er sich ausdrücklich gegen eine erweiterte Antragsbefugnis ausgesprochen hat.

9

bb) Das Antragsrecht ergibt sich hier aus dem Gesichtspunkt der Prozessstandschaft.

(1) Eine gewillkürte Prozessstandschaft ist zulässig, wenn der Prozessführende vom Rechtsinhaber zu dieser Art der Prozessführung ermächtigt worden ist und er ein eigenes schutzwürdiges Interesse an ihr hat (vgl. [X.], Beschluss vom 10. Dezember 1951 – [X.], [X.]Z 4, 153, 164 ff.; Urteile vom 4. Juni 1959 – [X.], [X.]Z 30, 162, 166; vom 24. Oktober 1985 – [X.], [X.]Z 96, 151, 152; vom 10. Juni 2016 – [X.], [X.], 486). Das schutzwürdige Eigeninteresse ist gegeben, wenn die Entscheidung Einfluss auf die eigene Rechtslage des Prozessführungsbefugten hat (vgl. [X.], Urteile vom 2. Oktober 1987 – [X.], NJW-RR 1988, 126, 127; vom 5. Februar 2009 – [X.], [X.], 1213, 1215). Es kann auch durch ein wirtschaftliches Interesse begründet werden (vgl. [X.], Urteil vom 23. September 1992 – [X.], [X.]Z 119, 237, 242). Eine solche Prozessführungs-befugnis ist im Zivilprozess (vgl. [X.], Urteile vom 25. November 2004 – [X.], [X.]Z 161, 161, 165; vom 2. Oktober 1987 – [X.], NJW-RR 1988, 126, 127), aber auch im Adhäsionsverfahren von Amts wegen zu prüfen.

(2) Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der [X.] vermag der Antragsschrift noch tragfähige Ausführungen zum Verhältnis der Gesellschaften zueinander, insbesondere zum bestehenden wirtschaftlichen Interesse (vgl. [X.], Urteil vom 13. Oktober 1994 – [X.], NJW-RR 1995, 358, 361) und der erteilten Ermächtigung, zu entnehmen.

[X.]     

        

Ri[X.] Dr. [X.] ist     
urlaubsbedingt an der
Unterschrift gehindert.
[X.]

        

     [X.]

        

Fritsche     

        

Rin[X.] von Schmettau
ist urlaubsbedingt an der
Unterschrift gehindert.
[X.]

        

Meta

6 StR 495/23

14.11.2023

Bundesgerichtshof 6. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Stade, 12. Juli 2023, Az: 201 KLs 8/23

§ 403 S 2 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.11.2023, Az. 6 StR 495/23 (REWIS RS 2023, 8641)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 8641

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