Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.11.2012, Az. VIII ZR 157/12

VIII. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 1254

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BUNDESGERI[X.]HTSHOF

BES[X.]HLUSS
VIII ZR
157/12
vom

20. November 2012

in dem Rechtsstreit

-
2
-
Der VIII.
Zivilsenat des [X.] hat am
20. November
2012
durch den Vorsitzenden [X.],
die Richterin Dr.
Milger, [X.]
Achilles und Dr. Schneider
sowie die Richterin Dr. Fetzer

beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der
Klägerin
wird das Urteil der 13. Zivilkammer des [X.] vom 17. April 2012
aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen
Verhandlung und
Entscheidung,
auch über die Kosten der Revisionsinstanz,
an
eine andere Kammer des Berufungsgerichts

zurückverwiesen.
Der Streitwert
für die Revisionsinstanz wird auf 9.600

e-setzt.
Gründe:
I.
Die Parteien streiten um die Räumung von Wohnraum, den die [X.] von der Klägerin angemietet hatten.
Der
Beklagte zu 2 erklärte
mit einem -
nicht unterzeichneten
-
Schreiben vom 1. Dezember 2010 für beide Beklagte die Kündigung des Mietverhältnisses
und ist inzwischen ausgezogen. Die Beklagten zahlten seit Januar 2011 keine Miete mehr; sie
berufen sich [X.], dass die
Miete wegen diverser
Mängel
um 60 % gemindert sei und
ihnen im Übrigen ein Zurückbehaltungsrecht zustehe.
Die von der Klägerin mit anwaltlichem Schreiben vom 13. April 2011 ge-genüber beiden Beklagten
erklärte
fristlose Kündigung des Mietverhältnisses 1
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-
wegen Zahlungsverzugs
wurde von der
Prozessbevollmächtigten
der Beklagten zu 1 mangels Beifügung einer Vollmacht mit Faxschreiben vom 17. April 2011
zurückgewiesen. Mit Schreiben vom 20. Oktober 2011
an die Prozessbevoll-mächtigte der Beklagten zu 1 kündigte die Klägerin [X.]. Nach [X.] durch das Amtsgericht hat
die Klägerin
mit einem an
beide Beklagte
gerichteten Schreiben vom 1. Februar 2012 das Mietverhält-nis
erneut
wegen Zahlungsverzugs
gekündigt. Das [X.] hat die Beru-fung der Klägerin zurückgewiesen.
II.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für die Revisionsinstanz von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:
Das Amtsgericht habe die Klage zu Recht abgewiesen. Das mit beiden Beklagten abgeschlossene Mietverhältnis habe nur von beiden oder beiden ge-genüber gekündigt werden können. Die Kündigung des Beklagten zu 2 vom 1.
Dezember 2010 sei schon mangels Bevollmächtigung durch die Beklagte zu
1
unwirksam. Die von der Prozessbevollmächtigten der Klägerin erklärte Kündigung vom 13. April 2011 sei unwirksam, weil ihr eine Vollmacht nicht bei-gelegen habe und die Kündigung aus diesem Grund von der [X.] der Beklagten unverzüglich zurückgewiesen worden sei. Die Kündi-gung vom 20. Oktober 2011
sei unwirksam, weil sie nicht gegenüber beiden Mietern erklärt worden sei. Sie sei nämlich ausschließlich an die Prozessbe-vollmächtigte der Beklagten zu 1 gerichtet gewesen, die den Beklagten zu 2 nicht vertreten habe.
Die Kündigung vom 1. Februar 2012 könne als neues Angriffsmittel nach §§ 529, 531 Abs. 2 ZPO nicht berücksichtigt werden, weil der Klägerin insoweit Nachlässigkeit zur Last falle. Es sei eine Selbstverständlichkeit gewesen, dass 3
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es auf diese einfachen formalen Gesichtspunkte der Kündigung gegenüber mehreren Mietern ankomme, so dass die Klägerin ohne weiteres eine formal ordnungsgemäße Kündigung während des erstinstanzlichen Verfahrens hätte aussprechen
können.
III.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig, insbesondere ist der Be-schwerdewert nach §
544 ZPO, §
26 Nr.
8 EGZPO erreicht. Sie hat auch in der Sache Erfolg und führt gemäß §
544 Abs.
7 ZPO zur Aufhebung des Beru-fungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache
an das Berufungsgericht, wobei der Senat von
der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch macht.

Die angefochtene Entscheidung verletzt in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art.
103 Abs.
1
GG), indem sie die Kündigung der Klägerin vom 1. Februar 2012 in of-fensichtlich verfahrensfehlerhafter Weise unberücksichtigt
lässt.
Das Berufungsgericht meint, dass es sich bei der Kündigung vom 1. [X.] 2012 um ein neues Angriffs-
und Verteidigungsmittel im Sinne des § 531 Abs. 2 ZPO handele. Damit verkennt es, dass die Klägerin mit dieser Kündi-gung
einen neuen Streitgegenstand in den Prozess eingeführt hat, nämlich ein [X.], das auf diese erneute Kündigung gestützt ist. Die darin liegende Klageänderung beurteilt sich nicht nach § 531 Abs. 2 ZPO,
sondern nach § 533 ZPO.

Die Voraussetzungen der letztgenannten
Vorschrift liegen
aber -
offen-sichtlich -
vor, weil die Klageänderung sachdienlich und auf Tatsachen gestützt 6
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ist, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin zugrunde zu legen hat.
Die Parteien haben in ihren Schriftsätzen
von Beginn des Rechtsstreits an um
die
(materielle)
Berechtigung der Klägerin zur Kündigung wegen Zah-lungsverzugs
gestritten, insbesondere darum, ob die Beklagten, die unstreitig seit Januar 2011 keine Miete mehr gezahlt haben, insoweit in Zahlungsverzug geraten sind oder ob die Miete wegen der von ihnen
gerügten
Mängel gemin-dert ist
und
ihnen im Übrigen
ein Zurückbehaltungsrecht zusteht; zu diesen Streitpunkten haben beide Parteien bereits erstinstanzlich
umfangreich vorge-tragen.
Zu den Tatsachen, auf die gemäß §
533 Nr.
2 ZPO eine Klageänderung gestützt werden kann, weil sie das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach §
529 ZPO zugrunde zu legen hat, gehören nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] auch solche, die bereits in erster Instanz vorgetragen waren, von dem erstinstanzli-chen Gericht aber als unerheblich beurteilt worden sind und deshalb im [X.] keine Erwähnung gefunden haben. Kommt es aus der allein maß-geblichen objektiven Sicht des Berufungsgerichts aufgrund der Klageänderung auf diese Tatsachen an, bestehen erhebliche Zweifel
an der Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen, die das Berufungsgericht nach §
529 Abs.
1 Nr.
1 Halbsatz
2 ZPO zu eigenen Feststellungen berechtigen und [X.] ([X.], Urteile
vom 19.
März 2004 -
V [X.], [X.]Z 158, 295, 309
f.; vom
27. September 2006 -
VIII ZR 19/04, NJW 2007, 2414 Rn. 16; vom 22. Mai 2012 -
II ZR 35/10,
WM 2012, 1692 Rn. 29;
vom 4. Juli 2012 -
VIII ZR 109/11, [X.], 2663
Rn. 16).
So liegt es hier bezüglich des Streits der [X.] über die miteinander zusammenhängenden Fragen der Mietminderung, des Zurückbehaltungsrechts und des Zahlungsverzuges. Jedenfalls mit der 10
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neuerlichen Kündigung vom 1.
Februar 2012 hat
die Klägerin gegenüber beiden Beklagten eine formell ordnungsgemäße Kündigung ausgesprochen, so dass es nunmehr auf die materiellen Kündigungsgründe und in diesem Zusammen-hang auf die von den Beklagten schon erstinstanzlich behaupteten [X.] ankommt.
Hieraus ergibt sich zugleich
die Sachdienlichkeit der Klageänderung, denn die Entscheidung über die
Wirksamkeit der Kündigung vom 1. Februar 2012 ist geeignet, den gesamten Streitstoff der Parteien zu erledigen.
[X.]
Dr. Milger
Dr. Achilles

Dr. Schneider
Dr. Fetzer
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 22.12.2011 -
23 [X.] 1522/11 -

LG [X.], Entscheidung vom 17.04.2012 -
13 S 27/12 -

Meta

VIII ZR 157/12

20.11.2012

Bundesgerichtshof VIII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.11.2012, Az. VIII ZR 157/12 (REWIS RS 2012, 1254)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 1254

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