Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.03.2020, Az. XII ZB 485/19

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2020, 11764

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[X.]:[X.]:BGH:2020:040320BXIIZB485.19.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 485/19
vom
4. März 2020
in der Betreuungssache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
FamFG §§ 278 Abs. 1 Satz 1, 280 Abs. 3
a)
Den Zweck, den Anspruch des Betroffenen eines Betreuungsverfahrens auf rechtliches Gehör
zu sichern, kann die persönliche Anhörung regelmäßig nur dann erfüllen, wenn das Sachverständigengutachten dem Betroffenen [X.] vor dem Anhörungstermin überlassen wurde. Dem wird eine Aushändi-gung des Gutachtens an den Betroffenen erst eingangs der
Anhörung nicht gerecht (Fortführung des Senatsbeschlusses vom 6.
April
2016
-
XII
ZB
397/15 -
FamRZ 2016, 1148).
b)
Zu den Anforderungen an den Inhalt eines Sachverständigengutachtens in einem Betreuungsverfahren (im [X.] an Senatsbeschlüsse vom 15.
Februar 2017 -
XII
ZB
510/16 -
FamRZ 2017, 648 und vom 19.
Januar 2011 -
XII
ZB
256/10 -
FamRZ 2011, 637).

BGH, Beschluss vom 4. März 2020 -
XII ZB 485/19 -
LG [X.]

[X.]

-
2 -

Der XII.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4.
März
2020
durch den

Vorsitzenden Richter Dose,
die Richter
Prof.
Dr.
[X.], Schilling
und Guhling
und die Richterin Dr.
Krüger
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu
3 wird der Beschluss der 1.
Zivilkammer des [X.] vom 24.
September 2019
aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Land-gericht zurückverwiesen.
Wert: 5.000

Gründe:
I.
Die im Jahr
1946
geborene
Betroffene wurde im Juni 2019 wegen einer Entzugssymptomatik bei [X.] in einer Klinik aufgenommen. Auf An-regung der Klinik hat das Amtsgericht ein Betreuungsverfahren eingeleitet und nach Durchführung von Ermittlungen eine Betreuung für die Betroffene mit dem Aufgabenkreis Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post, Vertretung gegenüber der Ein-richtung sowie Rechts-, Antrags-
und Behördenangelegenheiten eingerichtet. Zum Betreuer für den gesamten Aufgabenkreis hat es den [X.], den Beteiligten zu
1, sowie für den Bereich der Gesundheitssorge zum 1
-
3 -

weiteren alleinvertretungsberechtigten Betreuer den Lebensgefährten der Be-troffenen (Beteiligter zu
2) bestellt und eine Überprüfungsfrist von einem Jahr bestimmt.
Die dagegen von der in erster Instanz beteiligten Schwester der Be-troffenen, der Beteiligten
zu
3, eingelegte Beschwerde hat das [X.] zu-rückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde
der Beteiligten zu
3.

II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1. Das
Beschwerdegericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
Nach dem vom Amtsgericht eingeholten Sachverständigengutachten, das auch Ausführungen zu den Aufgabenbereichen enthalte, leide die Betroffe-ne unter einer Desorientiertheit bei äthyltoxischer Enzephalopathie und leberzir-rhotischem Umbau. Sie sei umfassend erkrankt, stationär pflegebedürftig und angesichts ihrer erheblichen Desorientiertheit zu Zeit und Ort nicht in der Lage, ihre Angelegenheiten zu überschauen oder gar zu regeln. Die Betroffene könne auch keinen freien Willen bilden. Dem schließe sich die Kammer nach eigener kritischer Würdigung an und halte eine Betreuung im eingerichteten Umfang für erforderlich.
Das Ergebnis des Gutachtens werde durch den persönlichen [X.] der Richterin am Amtsgericht
in den Anhörungen gestützt. Die [X.] folge der vom Sachverständigen empfohlenen Frist. Von einer er-neuten Anhörung seien keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten.
2
3
4
5
6
-
4 -

2. Wie die Rechtsbeschwerde zutreffend geltend macht,
ist die [X.] Entscheidung in mehrfacher Hinsicht verfahrensfehlerhaft und hält deshalb einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
a) Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass die Bestellung eines [X.] verfahrensfehlerhaft unterblieben ist.
Vorliegend war ein Regel-fall im Sinne des §
276 Abs.
1 Satz
2 Nr. 2 FamFG gegeben, in dem dem Be-troffenen ein Verfahrenspfleger zu bestellen ist.
Das ergibt sich bereits aus dem von der Betreuung erfassten umfangreichen Aufgabenkreis, aufgrund dessen die Betreuer in allen wesentlichen Lebensbereichen maßgeblichen Einfluss auf die Lebensgestaltung der
Betroffenen haben. Ob einer der Ausnahmefälle vor-liegt, in
denen abweichend von diesem Regelfall für die -
nicht durch einen Ver-fahrensbevollmächtigten vertretene (vgl. §
276 Abs.
4 FamFG) -
Betroffene ge-mäß §
276 Abs.
2 Satz
1 FamFG von der Bestellung eines
Verfahrenspflegers abgesehen werden kann, lässt sich nicht feststellen. Denn weder die [X.] Beschwerdeentscheidung noch der Beschluss des Amtsgerichts enthalten die nach §
276 Abs.
2 Satz
2 FamFG erforderliche Begründung (vgl. Senatsbe-schluss vom 30.
Oktober 2019 -
XII
ZB
144/19 -
NJW-RR 2020, 65 Rn.
7
ff.
mwN).
b) Zutreffend ist auch die Rüge der Rechtsbeschwerde, dass das Be-schwerdegericht
nicht gemäß §
68 Abs.
3 Satz
2 FamFG von einer erneuten Anhörung der Betroffenen absehen durfte, weil die im ersten Rechtszug erfolg-ten [X.] waren (vgl. etwa Senatsbeschluss vom 27.
Februar 2019 -
XII
ZB
444/18 -
MDR 2019, 626 Rn.
8 mwN). Einer der [X.] der persönlichen Anhörung nach §
278 Abs.
1 Satz
1 FamFG besteht darin, den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör aus Art.
103
Abs.
1 GG
zu sichern.
Diesen Zweck kann die Anhörung regelmäßig nur dann erfüllen, wenn das Sachverständigengutachten dem Betroffenen rechtzeitig vor dem Anhö-7
8
-
5 -

rungstermin überlassen wurde, um ihm Gelegenheit zu geben, sich zu diesem und den sich hieraus ergebenden Umständen zu äußern (vgl. Senatsbeschluss vom 3.
Juli 2019 -
XII
ZB
62/19 -
FamRZ 2019, 1648 Rn.
13 mwN). Dem ist das Amtsgericht nicht gerecht geworden, weil es das Sachverständigengutachten ausweislich des Anhörungsprotokolls der Betroffenen erst eingangs der letzten, einen Tag vor [X.] stattfindenden
Anhörung in Kopie
übergeben hat
(vgl. Senatsbeschluss vom 6.
April 2016 -
XII
ZB
397/15 -
FamRZ 2016, 1148 Rn.
12
f.). Schon aus diesem Grund hätte das Beschwerdegericht die Anhörung gemäß §§
278 Abs.
1 Satz
1, 68 Abs.
3 Satz
1 FamFG wiederholen müssen.
c) Darüber hinaus ist die angefochtene Entscheidung -
wie die Rechts-beschwerde zu Recht rügt -
auch deshalb rechtsfehlerhaft, weil das Sachver-ständigengutachten den Anforderungen des §
280 Abs.
3 FamFG nicht genügt und das Beschwerdegericht daher unter Verstoß gegen §
26 FamFG die Vo-raussetzungen des §
1896 [X.] für die Einrichtung einer Betreuung als [X.] erachtet hat.
Nach §
280 Abs.
3 FamFG hat sich das Gutachten auf das [X.] einschließlich der Krankheitsentwicklung (Nr.
1), die durchgeführten [X.] und die diesen zugrunde gelegten Forschungserkenntnisse (Nr.
2), den körperlichen und psychiatrischen Zustand des Betroffenen (Nr.
3), den Um-fang des [X.] (Nr.
4) und die voraussichtliche Dauer der [X.] (Nr.
5) zu erstrecken. Diese Anforderungen an den Inhalt des Sachverstän-digengutachtens sollen gewährleisten, dass das Gericht seiner Pflicht, das [X.] auf seine wissenschaftliche Begründung, seine innere Logik und seine Schlüssigkeit hin zu überprüfen, nachkommen kann. Das Gutachten muss [X.] Art und Ausmaß der Erkrankung im Einzelnen anhand der Vorgeschichte, der durchgeführten Untersuchungen und der sonstigen Erkenntnisse darstellen und wissenschaftlich begründen. Nur dann ist das Gericht in der Lage, das 9
10
-
6 -

Gutachten zu überprüfen und sich eine eigene Meinung von der Richtigkeit der vom Sachverständigen gezogenen Schlussfolgerungen zu bilden ([X.] vom 15.
Februar 2017 -
XII
ZB
510/16 -
FamRZ 2017, 648 Rn.
15 und vom 19.
Januar 2011 -
XII
ZB
256/10 -
FamRZ 2011, 637 Rn.
12).
Diesen Anforderungen wird das vom Amtsgericht eingeholte Gutachten nicht gerecht. Wie der Sachverständige zu seiner Diagnose gelangt
ist, lässt sich aus dem Gutachten nicht nachvollziehen. Außer einer sehr kurz gehalte-nen Darstellung des mit der Betroffenen geführten Gesprächs und des augen-scheinlichen körperlichen Zustands der Betroffenen sowie einiger
weniger
An-gaben einer Pflegerin sind keine Tests oder Untersuchungen mitgeteilt. Welche Befunde die gestellte Diagnose zur seelischen Behinderung tragen, ist nicht ausgeführt.
3. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben
und die Sache ist an
das [X.] zurückzuverweisen. Dieses wird nun die erforderlichen Feststellungen in verfahrensordnungsgemäßer Weise zu treffen und sich bei Vorliegen der Voraussetzungen im Sinne des §
1896 Abs.
1 und 1a [X.] auch im Einzelnen mit der Frage auseinanderzusetzen -
und dies in seiner Entschei-dung darzulegen -
haben, für welche Bereiche eine Betreuung gemäß §
1896 Abs.
2 [X.] erforderlich ist.
11
12
-
7 -

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeu-tung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Recht-sprechung beizutragen (§
74 Abs.
7 FamFG).
Dose
[X.]
Schilling

Guhling
Krüger
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 15.08.2019 -
4 XVII 306/19 -

LG [X.], Entscheidung vom 24.09.2019 -
1 T 162/19 -

13

Meta

XII ZB 485/19

04.03.2020

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.03.2020, Az. XII ZB 485/19 (REWIS RS 2020, 11764)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 11764

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XII ZB 485/19

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