Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 18.06.1997, Az. 3 U 173/96

3. Zivilsenat | REWIS RS 1997, 500

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 13. Juni 1996 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß der Feststellungsausspruch des Urteils wie folgt neu gefaßt wird:

Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger allen materiellen und zukünftigen immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihm aus der stationären ärztlichen Heilbehandlung in dem Krankenhaus der Beklagten vom 26.01.1994 entstanden ist und noch entsteht, soweit die materiellen Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 70.000,00 DM abwenden, falls nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet, die er auch durch die unbedingte und unbefristete Bürgschaft einer deutschen Großbank, Genossenschaftsbank oder öffentlichen Sparkasse erbringen kann.

Entscheidungsgründe

Tatbestand

Der am 11. Februar 1963 geborene Kläger unterzog sich am 26. Januar 1994 einer intertrochantären valgisierenden Umstellungsosteotomie der linken Hüfte. Die Operation wurde nach Legen eines Periduralkatheters in Intubationsnarkose in Rückenlage mit ausgelagertem rechten Infusionsarm ausgeführt. Es war bekannt, daß der Kläger infolges eines Verkehrsunfalls am 25. Juli 1987, bei dem es zu einem Plexusausriß links gekommen war, an einer Plexusparese des linken Armes litt. Ausweislich der Krankenunterlagen klagte der Kläger postoperativ über Kribbelbeschwerden in Fingern der rechten Hand. Bei einem neurologischen Konsil am 31. Januar wurde der Verdacht auf eine Wurzelreizung C 8 rechts geäußert.

Der Kläger hat die Beklagte auf Zahlung eines Schmerzensgeldes - Vorstellung 50.000,00 DM - und Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz aller materiellen und künftigen immateriellen Schäden in Anspruch genommen und behauptet, er leide infolge fehlerhaft Lagerung und unzureichender Nachbehandlung unter einer weitgehenden dauerhaften Plexusparese nun auch des rechten Armes. Die Beklagte hat Fehler ihres Personals bei der Behandlung des Klägers in Abrede gestellt. Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivortrags wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils verwiesen.

Das Landgericht hat Gutachten des Neurologen ... und des Chirurgen und Orthopäden ... eingeholt und die Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung der Gutachten veranlaßt. Es hat sodann der Klage stattgegeben, wobei es bei der Formulierung des Feststellungsausspruchs vom Antrag abgewichen ist.

Mit der Berufung erstrebt die Beklagte die Abweisung der Klage. Sie behauptet eine grundsätzlich sachgerechte und im konkreten Fall fehlerfreie Lagerung und eine ordnungsgemäße Nachsorge.

Sie beantragt,

1.

abändernd die Klage abzuweisen;

2.

ihr zu gestatten, Sicherheit auch durch Bürgschaft einer deutschen Großbank, einer Sparkasse oder Genossenschaftsbank zu erbringen.

Der Kläger beantragt,

1.

die Berufung zurückzuweisen;

2.

es ihm zu gestatten, eine Sicherheitsleistung auch durch Bürgschaft einer deutschen Großbank, Genossenschaftsbank oder öffentlichen Sparkasse zu erbringen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil. Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens in der Berufungsinstanz wird auf die in dieser Instanz gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Der Senat hat den Kläger angehört und die Sachverständigen zur nochmaligen Erläuterung ihres Gutachtens veranlaßt. Insoweit wird auf den Vermerk des Berichterstatters zum Senatstermin vom 18. Juni 1997 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg. Dem Kläger stehen gegen die Beklagte die mit der Klage verfolgten Schadensersatzansprüche aus den §§ 847, 831, 823 und aus einer schuldhaften Verletzung von Sorgfaltspflichten aus dem Behandlungsvertrag zu.

Der Kläger hat bewiesen, daß er durch eine fehlerhafte Lagerung seines rechten Armes während der Operation eine inkomplette Plexusparese erlitten hat. Tritt zeitlich unmittelbar nach einer Operation eine Plexusparese des ausgelagerten Infusionsarmes auf und gibt es keine ernstlichen Anhaltspunkte für eine anderweitige Schadensursache, so spricht der Beweis des ersten Anscheines für eine Verursachung des Schadens durch die Lagerung. Nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen ..., die sich der Senat zu eigen macht, leidet der Kläger an einer inkompletten Plexusparese des bei der Operation ausgelagerten Infusionsarms, die nicht durch die im Krankenhaus nach der Operation erlittene Handverletzung verursacht worden sein kann. Erste Symptome sind spätestens zwei Tage nach der Operation aufgetreten; ihre Ursache war nicht, wie zunächst angenommen, eine Wurzelreizung. Anhaltspunkte für andere Schadensursachen sind nicht ersichtlich.

Der Beweis des ersten Anscheins spricht weiterhin für eine fehlerhafte Lagerung. Denn das Risiko einer Plexusschädigung ist für die Behandlerseite voll beherrschbar: Wird ein grundsätzlich geeignetes Lagerungsverfahren gewählt, wird der Arm zunächst sachgerecht ausgelagert, funktionieren die dabei verwandten Hilfsmittel einwandfrei und wirken der Anästhesist, der Operateur und ihre Hilfskräfte während der Operation nicht fehlerhaft auf den Arm ein, so kommt es mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht zu einer Plexusschädigung. Deshalb ist es Sache der Behandlerseite, eine andere Schadensursache unmittelbar zu beweisen, die Grundlage des Anscheinsbeweises durch den Nachweis einer Prädisposition des Patienten, die eine Schädigung auch bei sachgerechter Lagerung möglich erscheinen läßt, zu erschüttern oder aber nachzuweisen, daß alle zur Vermeidung von Plexusschäden zu fordernden Maßnahmen getroffen und während der Auslagerung eingehalten worden sind.

Beweis für eine andere Schadensursache oder eine Prädisposition des Klägers im angesprochenen Sinne hat die Beklagte nicht angeboten. Sie hat aber auch nicht nachgewiesen, daß alle zur Vermeidung von Plexusschäden zu fordernden Maßnahmen getroffen worden sind. Die gewählte Lagerungsmethode ist allerdings nach den Feststellungen des Sachverständigen ... als sachgerecht anzusehen. Andere Methoden, die eine größere Gewähr für eine Schonung des Plexus geboten hätten, wären mit anaesthesistischen oder chirurgischen Risiken von zumindest gleichem, teilweise höherem Gewicht verbunden gewesen. Auch läßt der Senat offen, ob durch die schriftlichen Angaben der Zeugin ... bewiesen ist, daß die ursprüngliche Lagerung des Klägers nach allgemeinen Maßstäben sachgerecht war und es weder zu einem Versagen von Hilfsmitteln noch Fehlern des Personals unter der Operation gekommen ist. Denn es läßt sich nicht feststellen, daß die ursprünglich gewählte Auslagerung des Infusionsarms den hier zu stellenden gesteigerten Sorgfaltsanforderungen entsprach. Beide Sachverständigen haben überzeugend festgestellt, daß die Wahl eines Abduktionswinkels unter 90 Grad eine gesteigerte Sicherheit gegen Schädigungen des Plexus bietet. Dies ist, mögen darüber auch keine Statistiken bestehen, aus medizinischer Sicht gesichert. Dann aber war es, wie der Sachverständige ... zur Überzeugung des Senats ausgeführt hat -. Er hat plastisch vom "Prinzip des letzten Auges" gesprochen - im Hinblick auf die Vorschädigung des linken Armes zwingend geboten, im Falle des Klägers den kleinstmöglichen Abduktionswinkel zu wählen, der dem zweiten Assistenten noch eine ordnungsgemäße Erfüllung seiner Aufgaben gestattete. Nach den Ausführungen des Sachverständigen ..., an deren Richtigkeit der Senat nicht zweifelt, hätte dazu zumindest ein Winkel von 70 oder 80 Grad ausgereicht. Daß ein solcher Winkel auch nur bewußt angestrebt, geschweige denn durchgängig gewahrt worden ist, kann der Senat, der im übrigen insoweit zur Annahme einer Dokumentationspflicht neigt, nicht feststellen. Ob bei Wahrung eines solchen Winkels die Schädigung mit Wahrscheinlichkeit vermieden worden wäre, ist nicht entscheidend; die Beklagte hätte angesichts der grundsätzlichen Eignung zur Schadensvermeidung das Gegenteil beweisen müssen.

Auf der Grundlage zutreffender Erwägungen, die sich der Senat zu eigen macht, hat die Kammer ein Schmerzensgeld von 50.000,00 DM für angemessen erachtet. Der Feststellungsausspruch war angesichts der eindeutigen und sachgerechten Antragsfassung, mit der in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht verhandelt worden ist, gegenüber der offensichtlich versehentlichen Formulierung des erstinstanzlichen Tenors neu zu fassen.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Das Urteil beschwert die Beklagte mit mehr als 60.000,00 DM.

Meta

3 U 173/96

18.06.1997

Oberlandesgericht Hamm 3. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: U

Zitier­vorschlag: Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 18.06.1997, Az. 3 U 173/96 (REWIS RS 1997, 500)

Papier­fundstellen: REWIS RS 1997, 500

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.