Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 21.02.2013, Az. 5 C 9/12

5. Senat | REWIS RS 2013, 8011

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Gegenstand

Einbürgerung eines Minderjährigen; Entlassung aus fremder Staatsangehörigkeit; Volljährigkeitserfordernis


Leitsatz

1. Bei der Einbürgerung in den deutschen Staatsverband wird Mehrstaatigkeit nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StAG (juris: RuStAG) nur dann hingenommen, wenn das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit generell nicht vorsieht.

2. Macht das ausländische Recht die Entlassung aus der fremden Staatsangehörigkeit vom Erreichen der Volljährigkeit abhängig, stellt dies grundsätzlich eine zumutbare Bedingung im Sinne von § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 StAG dar.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Hinnahme von [X.] bei der Einbürgerung eines [X.] Kindes.

2

Die Klägerin wurde am 13. Januar 1998 als Kind [X.] Eltern in S. geboren. Sie ist ebenfalls [X.] Staatsangehörige und verfügt seit ihrer Geburt über [X.]. Ihr Vater ist als Asylberechtigter anerkannt und seit dem [X.] im Besitz der [X.] Staatsangehörigkeit. Am 29. Mai 2006 beantragte sie ihre Einbürgerung unter Hinnahme der [X.]. Dies lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 10. Januar 2007 ab.

3

Das Verwaltungsgericht gab der Klage statt. Auf die Berufung des Beklagten änderte das Oberverwaltungsgericht die Entscheidung und wies die Klage ab. Die Klägerin habe keinen Einbürgerungsanspruch, weil sie ihre bisherige Staatsangehörigkeit nicht aufgegeben habe. Von dieser Voraussetzung werde nur abgesehen, wenn der Ausländer seine bisherige Staatsangehörigkeit nicht oder nur unter besonders schwierigen Bedingungen aufgeben könne. Davon sei nur auszugehen, wenn das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit generell nicht vorsehe. Es sei zwar Voraussetzung für die Entlassung aus der [X.] Staatsangehörigkeit, dass die betreffende Person volljährig und urteilsfähig sei. Minderjährige könnten jedoch gemeinsam mit ihren Eltern oder einem Elternteil aus der [X.] Staatsangehörigkeit entlassen werden, weswegen eine Entlassung minderjähriger Personen grundsätzlich möglich sei. Bei nach dem Recht des ausländischen Staates grundsätzlich gegebener Entlassungsmöglichkeit stelle der Gesetzeswortlaut nicht darauf ab, an welche sachlichen Voraussetzungen das Recht des Herkunftsstaates die Aufgabe oder den Verlust der Staatsangehörigkeit knüpfe. Ein Anspruch auf Einbürgerung unter Hinnahme der [X.] ergebe sich auch nicht daraus, dass der [X.] Staat die Entlassung aus seiner Staatsangehörigkeit von unzumutbaren Bedingungen abhängig gemacht habe.

4

Mit ihrer Revision macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, bei einer Einbürgerung sei [X.] nicht nur in den Fällen genereller, sondern auch in den Fällen individueller Unmöglichkeit hinzunehmen. Daher erfülle auch die bei Minderjährigen bestehende Unmöglichkeit der isolierten Entlassung aus der [X.] Staatsangehörigkeit diesen Ausnahmetatbestand. Die gegenteilige Auffassung lasse sich nicht mit dem Wortlaut und der Systematik des Gesetzes begründen. Für ein weites Verständnis spreche insbesondere die Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Aus dem Vergleich mit der Vorläuferregelung und aus den Materialien zum [X.] ergebe sich, dass der Gesetzgeber bei der hier einschlägigen Minderjährigenproblematik eine Einbürgerung unter Hinnahme von [X.] angestrebt habe. Nur dieses Verständnis der Norm entspreche dem Europäischen Staatsangehörigkeitsübereinkommen und der [X.]. Auch sei es für die Klägerin eine unzumutbare Bedingung, die [X.] Staatsangehörigkeit bis zur Volljährigkeit beibehalten zu müssen.

5

Der Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Das Berufungsgericht hat im Einklang mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) entschieden, dass der Klägerin kein Anspruch auf Einbürgerung unter Hinnahme der [X.] zusteht.

7

1. Für die Beurteilung des von der Klägerin geltend gemachten Anspruchs ist gemäß § 40c des Staatsangehörigkeitsgesetzes ([X.]) vom 22. Juli 1913 ([X.]), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 1. Juni 2012 ([X.]), die vor dem 28. August 2007 geltende Fassung der §§ 8 bis 14 [X.] anzuwenden, soweit sie im Vergleich zur gegenwärtigen Regelung günstigere Bestimmungen enthält. Denn die Klägerin hat ihren Einbürgerungsantrag bereits im Mai 2006 und damit vor Inkrafttreten der Gesetzesnovelle 2007 gestellt. Hinsichtlich der umstrittenen Frage der Hinnahme der [X.] nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und § 12 Abs. 1 [X.] enthält das vor dem 28. August 2007 geltende Recht aber keine für die Revision der Klägerin entscheidungserheblichen Besserstellungen. Daher ist insoweit die aktuelle Fassung des Staatsangehörigkeitsgesetzes anzuwenden.

8

2. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Klägerin die Voraussetzungen für eine Einbürgerung in den [X.] Staatsverband mit Ausnahme des Merkmals des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 [X.] erfüllt. Daher hat der Beklagte der Klägerin während des Verwaltungsprozesses eine Einbürgerungszusicherung erteilt und damit seine Bereitschaft zu erkennen gegeben, die Klägerin nach Entlassung aus der [X.] Staatsangehörigkeit in den [X.] Staatsverband aufzunehmen. Aus den unstreitigen und im Revisionsverfahren bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts (vgl. Urteil vom 20. April 2004 - BVerwG 1 [X.] 13.03 - BVerwGE 120, 298 <302> = [X.] 402.240 § 87 [X.] Nr. 2 S. 4) folgt, dass die minderjährige Klägerin nach [X.] Recht bis zum Eintritt der Volljährigkeit im Alter von 18 Jahren nicht allein aus der Staatsangehörigkeit entlassen werden kann. Nach Art. 25 Abs. 1 Buchst. a des [X.] (Gesetz Nr. 5901 vom 29. Mai 2009 - Resmi Gazete Nr. 27256 vom 12. Juni 2009 - [X.] Übersetzung durch [X.]/[X.] in [X.] 2009, 346 - im Folgenden: T[X.]) - ist Voraussetzung für die Entlassung aus der [X.] Staatsangehörigkeit, dass die betreffende Person volljährig und urteilsfähig ist. Eine Entlassung Minderjähriger aus der [X.] Staatsangehörigkeit ist lediglich im Zusammenhang mit der Entlassung ihrer Eltern oder eines Elternteils nach Art. 27 Abs. 2 Satz 2 T[X.] möglich.

9

3. Die Klägerin kann keine Einbürgerung unter Hinnahme der [X.] beanspruchen. Denn § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 [X.] billigt einem Ausländer grundsätzlich nur dann einen Rechtsanspruch auf Einbürgerung zu, wenn er seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert.

a) § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 [X.] gebietet von diesem Grundsatz zwar eine Ausnahme, wenn das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit nicht vorsieht. Dieses Merkmal ist aber nur erfüllt, wenn das jeweilige nationale Staatsangehörigkeitsrecht das Ausscheiden aus der Staatsangehörigkeit generell ausschließt (vgl. [X.], in: [X.], Stand Juli 2012, § 12 [X.] Rn. 35 ff.; [X.], in: [X.]/[X.], HK-AuslR, 1. Aufl. 2008 § 12 [X.] Rn. 10 f.; [X.], in: [X.]/[X.]/[X.], [X.], 5. Aufl. 2010, § 12 [X.] Rn. 13; a.[X.], Kommentar zum Staatsangehörigkeitsrecht, 1997, § 87 [X.] Rn. 26).

In diese Richtung weist bereits der Wortlaut der Bestimmung. Die Wendung, dass "das Recht" ein Ausscheiden aus der Staatsangehörigkeit "nicht vorsieht" deutet darauf hin, dass es allein auf das Vorliegen einer objektiven Voraussetzung ankommt. Bei einem solchen Verständnis liegt es aber fern, den Anwendungsbereich der Bestimmung auch in den Fällen als eröffnet anzusehen, in denen das Recht des ausländischen Staates zwar die Möglichkeit des Ausscheidens vorsieht, im Einzelfall hingegen - wie hier - die subjektiven Voraussetzungen für ein Ausscheiden nicht vorliegen.

Aus der Systematik des Gesetzes ergibt sich deutlich, dass § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 [X.] die Hinnahme von [X.] nur unter der Voraussetzung zulässt, dass das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit generell ausschließt. Dies folgt insbesondere aus dem systematischen Zusammenhang mit § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 [X.]. Diese Bestimmung gebietet die Hinnahme von [X.], wenn der ausländische Staat die Entlassung aus der Staatsangehörigkeit von unzumutbaren Bedingungen abhängig macht. Sie setzt mithin voraus, dass der ausländische Staat das Ausscheiden aus der Staatsangehörigkeit grundsätzlich zulässt und dass er daran Bedingungen knüpft. Die insoweit in Betracht kommenden Entlassungserfordernisse beziehen sich auf alle Fälle, in denen der ausländische Staat das Ausscheiden aus seinem Staatsverband grundsätzlich zulässt, aber von einem bestimmten Verhalten oder von der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen abhängig macht (vgl. zur Bedingung der Volljährigkeit [X.], a.a.[X.] Rn. 166). Dies schließt es aus systematischen Gründen aus, auch diese Fallgestaltungen als von § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 [X.] erfasst anzusehen und gebietet zugleich die Annahme, dass die Bestimmung auf die Fälle beschränkt ist, in denen das Ausscheiden aus der Staatsangehörigkeit ausnahmslos nicht vorgesehen ist.

Dieser Befund steht mit Sinn und Zweck des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 [X.] im Einklang. Die Bestimmung verfolgt das Ziel, dass in dem in ihr geregelten Fall der rechtlichen Unmöglichkeit des Ausscheidens aus der ausländischen Staatsangehörigkeit die [X.] hingenommen wird. Dies lässt es zu, den Anwendungsbereich auf diejenigen Fälle zu beschränken, in denen das Ausscheiden generell ausgeschlossen ist.

Die historische Auslegung der Bestimmung rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Allerdings sind der Entstehungsgeschichte Hinweise darauf zu entnehmen, dass der Gesetzgeber die Vorstellung gehabt haben könnte, die Fälle der [X.] der Volljährigkeit unterfielen § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 [X.]. Die Bestimmung entspricht § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 des Gesetzes über die Einreise und den Aufenthalt von [X.] im [X.] (Ausländergesetz - [X.]) vom 9. Juli 1990 ([X.] 1354) in der bis einschließlich 31. Dezember 2004 gültigen Fassung. § 87 Abs. 5 [X.] in jener Fassung sah vor, dass der Ausländer "abweichend von Absatz 1" eine Einbürgerungszusicherung erhält, wenn seine Entlassung aus der ausländischen Staatsangehörigkeit seine Volljährigkeit erfordert, er nach dem Recht seines Heimatstaates noch minderjährig ist und weitere näher bezeichnete Voraussetzungen vorliegen.

Die Gesetzesmaterialien wiesen vor dem Hintergrund des systematischen Zusammenhangs der genannten Bestimmungen deutlich in die Richtung, dass § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 [X.] auch den Fall erfasste, dass der Ausländer seine bisherige Staatsangehörigkeit wegen Minderjährigkeit nicht aufgeben konnte. Ein Anspruch auf Hinnahme der [X.] bestand (nur) deshalb nicht, weil für den in Rede stehenden Personenkreis § 87 Abs. 5 [X.] "abweichend" von der zuvor genannten Bestimmung die Erteilung einer Einbürgerungszusicherung vorsah. Dieses Verständnis entsprach wohl auch dem Willen des Gesetzgebers (vgl. [X.] 188/99 S. 24 f. und [X.]). Im Zuge der Eingliederung der einbürgerungsrechtlichen Bestimmungen des Ausländergesetzes in das Staatsangehörigkeitsgesetz durch Art. 5 des Gesetzes vom 30. Juli 2004 ([X.] 1950) wurde zwar mit § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 [X.] der Sache nach § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 [X.] übernommen, nicht hingegen § 87 Abs. 5 [X.]. [X.] [X.] entsprechende Bestimmung wurde u.a. damit begründet, dass die Erteilung einer Einbürgerungszusicherung sich nicht bewährt habe (BTDrucks 15/420 S. 116).

Dem Umstand, dass der Gesetzgeber zwar mit § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 [X.] den Inhalt des § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 [X.] übernommen hat, es jedoch an einer dem § 87 Abs. 5 [X.] entsprechenden Bestimmung fehlt, könnte mit Blick auf die zitierten Gesetzesmaterialien der gesetzgeberische Wille zu entnehmen sein, dass die Unmöglichkeit der Aufgabe der ausländischen Staatsangehörigkeit wegen Minderjährigkeit von § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 [X.] erfasst sein soll (vgl. auch BTDrucks 15/955 S. 41). Dies kann hingegen dahinstehen. Jedenfalls hat ein solcher Wille keinen erkennbaren Ausdruck im Gesetzestext gefunden. Die Gesetzesmaterialien können bei der Auslegung von Normen nur unterstützend und insgesamt nur insofern herangezogen werden, als sie auf einen "objektiven" Gesetzesinhalt schließen lassen. Der sogenannte Wille des Gesetzgebers bzw. der am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten kann hiernach bei der Interpretation nur insoweit berücksichtigt werden, als er auch im Text seinen Niederschlag gefunden hat. Die Materialien dürfen nicht dazu verleiten, den subjektiven Vorstellungen der gesetzgebenden Instanzen dem objektiven Gesetzesinhalt gleichzusetzen (vgl. [X.], Urteil vom 16. Februar 1983 - 2 [X.], 2, 3, 4/83 - [X.]E 62, 1 <45> m.w.N.). Erkenntnisse zum Willen des Gesetzgebers können sich nicht gegenüber widerstreitenden gewichtigen Befunden durchsetzen, die aus der Anwendung der anderen [X.] gewonnen werden. So liegt es hier. Der Gesetzessystematik ist - wie aufgezeigt - deutlich zu entnehmen, dass der Anwendungsbereich des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 [X.] nur eröffnet ist, wenn das ausländische Recht das Ausscheiden aus der Staatsangehörigkeit generell ausschließt. Bereits der Wortlaut weist in diese Richtung.

b) Die Klägerin kann aber auch nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 [X.] keine Einbürgerung unter Hinnahme der [X.] verlangen. Eine vom ausländischen Staat gestellte Bedingung ist im Sinne dieser Vorschrift unzumutbar, wenn sie schon abstrakt-generell betrachtet nach den Wertungen der [X.] Rechtsordnung nicht hinnehmbar ist. Nach verbreiteter Ansicht ist sie darüber hinaus unzumutbar, wenn sie sich [X.] betrachtet für den Einbürgerungsbewerber in nicht hinnehmbarer Weise auswirkt (vgl. [X.], a.a.[X.] Rn. 108 bis 110; [X.], a.a.[X.] Rn. 18; [X.], a.a.[X.] Rn. 24). Der Wortlaut der Norm lässt eher auf das Erfordernis einer abstrakt-generellen Prüfung schließen. Ob die darüber hinaus erforderliche individuelle Prüfung des Vorliegens besonders schwieriger Bedingungen ebenfalls von § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 [X.] gefordert wird oder als gesonderter Prüfungsschritt im Rahmen des § 12 Abs. 1 Satz 1 [X.] zu erfolgen hat, kann der Senat auch im vorliegenden Fall offenlassen (vgl. Urteil vom 30. Juni 2010 - BVerwG 5 [X.] 9.10 - BVerwGE 137, 237 Rn. 37 = [X.] 130 § 12 [X.] Nr. 2 Rn. 37).

Denn es kann jedenfalls nicht festgestellt werden, dass das nach [X.] Recht bestehende Volljährigkeitserfordernis abstrakt oder konkret betrachtet unzumutbar wäre. Bei einer generalisierenden Betrachtungsweise ist zunächst festzustellen, dass auch verschiedene andere [X.] (z.B. [X.] und die [X.]) Minderjährige nur gemeinsam mit ihren Eltern ausbürgern und ansonsten die Entlassung aus ihrer Staatsangehörigkeit vom Erreichen des Volljährigkeitsalters abhängig machen ([X.], a.a.[X.] Rn. 10 [X.]. 37). Für eine solche Regelung können auch sachliche Gründe angeführt werden, insbesondere die mangelnde Reife Minderjähriger und die im familiären Umfeld nicht völlig abgeschlossene Loslösung von der nationalen Identität des Herkunftslandes. Auch wirkt sich das mit der Altersbeschränkung verbundene Entlassungshindernis im Regelfall nur vorübergehend und nicht dauerhaft und gravierend aus, wenn den Betroffenen nach Erreichen der [X.] die staatsangehörigkeitsrechtliche Entscheidungsfreiheit gewährt wird. Da auch das nationale Recht die Entscheidungsfreiheit Minderjähriger und ihrer Erziehungsberechtigten bei rechtsgeschäftlichen Fragen von besonderer Tragweite z.B. nach §§ 1641 und 1643 BGB eingrenzt, kann eine solche Einschränkung nicht nach den Maßstäben des nationalen Rechts als unzumutbar angesehen werden.

Schließlich sind vom Berufungsgericht auch keine Tatsachen festgestellt worden, die das Volljährigkeitserfordernis im konkreten Einzelfall als unzumutbare oder besonders schwierige Bedingung erscheinen ließen. Ist eine Entlassungsvoraussetzung generell betrachtet zumutbar, dann hat dies zur Folge, dass die betroffenen Ausländer in der Regel die Bedingung erfüllen müssen, um nach Entlassung aus der fremden Staatsangehörigkeit in den [X.] Staatsverband aufgenommen zu werden. Schon aus [X.] muss für die Annahme einer hiervon befreienden individuell-konkreten Unzumutbarkeit eine vom Regelfall abweichende atypische Belastungssituation vorliegen, die bei wertender Betrachtung nach nationalem Recht nicht hinzunehmen ist.

Dass die Klägerin wie andere Kinder, die schon in jungen Jahren einen Antrag stellen, vergleichsweise lange auf die Einbürgerung warten muss, stellt keine atypische Belastung dar. Auch können Umstände, die rechtspolitisch eine vorzeitige Einbürgerung erwägenswert erscheinen lassen, wie z.B. die vorangegangene Einbürgerung des [X.] und der volljährigen Geschwister der Klägerin, ihr Aufwachsen in [X.] und ihre weitgehende Integration ins [X.] Gesellschaftsleben, für die Annahme einer besonderen Belastungssituation nicht ausreichen. Diese Umstände können auch nicht deswegen eine die Hinnahme der [X.] rechtfertigende Sondersituation begründen, weil viele vergleichbare Kinder ausländischer Eltern, die wie die Klägerin in [X.] aufgewachsen und integriert sind, nach § 4 Abs. 3 [X.] kraft Gesetzes die [X.] Staatsangehörigkeit erwerben. Zum einen liegen die weiteren Voraussetzungen der Norm in der Person der Klägerin nicht vor. Zum anderen ist dieser Staatsangehörigkeitserwerb mit der Optionspflicht nach § 29 Abs. 1 [X.] belastet und führt daher anders als § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 [X.] nicht zur dauerhaften Hinnahme der [X.].

4. Die Versagung der Einbürgerung steht auch mit Völkerrecht im Einklang.

Etwas anders folgt nicht aus Art. 7 Abs. 1 des Übereinkommens über die Rechte der Kinder ([X.]) vom 20. November 1989 ([X.], 121). Das dort genannte Recht des Kindes, eine Staatsangehörigkeit zu erwerben, dient vorrangig dem Schutz staatenloser Kinder (vgl. BTDrucks 12/42 S. 37; [X.], [X.], 1. Aufl. 2012, Art. 8 Rn. 21). Es gewährt daher grundsätzlich keinen Anspruch auf Entlassung aus einer bestehenden Staatsangehörigkeit oder auf den Hinzuerwerb einer zweiten Staatsangehörigkeit.

Es mag zwar zutreffen, dass eine vorzeitige Einbürgerung unter Hinnahme dauerhafter [X.] - wie vorgetragen - dem Kindeswohl der Klägerin im Sinne des Art. 3 Abs. 1 [X.] dienen würde. Die in dieser Vorschrift enthaltene vorrangige Berücksichtigungspflicht führt jedoch nicht dazu, dass dem Kindeswohlaspekt in jedem Einzelfall gegenüber divergierenden öffentlichen Interessen ein absoluter Vorrang einzuräumen ist (BTDrucks 12/42 S. 35; [X.], a.a.[X.] Art. 3 Rn. 7). Vielmehr kann im Rahmen der einzelfallbezogenen Rechtsanwendung - d.h. bei der Prüfung der Zumutbarkeit nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 [X.] - dem staatlichen Interesse an der Vermeidung von [X.] der Vorrang gebühren, wenn die Wartefrist bis zum Erreichen der Volljährigkeit - wie hier - nicht zu einer Gefährdung des Kindeswohls und damit zu einer besonderen Belastung führt.

Die Klägerin vermag auch aus dem [X.] über die Staatsangehörigkeit ([X.]) vom 6. November 1997 ([X.]) nichts zu ihren Gunsten herzuleiten. Nach dessen Artikel 1 richtet sich das Übereinkommen an die Vertragsstaaten und erzeugt deshalb grundsätzlich keine subjektiven Rechte des Einzelnen. Bereits aus diesem Grund kann sich die Klägerin nicht auf die Verpflichtung der Vertragsstaaten berufen, den Erwerb der Staatsangehörigkeit von Kindern nach Art. 6 Abs. 4 Buchst. c [X.] und den Erwerb der Staatsangehörigkeit von im Hoheitsgebiet des Vertragsstaates geborenen Personen nach Art. 6 Abs. 4 Buchst. e [X.] zu erleichtern. Entsprechendes gilt für das Verbot, u.a. den Erwerb der Staatsangehörigkeit von der Aufgabe oder dem Verlust einer anderen Staatsangehörigkeit abhängig zu machen, wenn die Aufgabe oder der Verlust unmöglich oder unzumutbar ist (Art. 16 [X.]). Davon abgesehen erkennt das Übereinkommen das Recht der Vertragsstaaten an, die Einbürgerung von der Aufgabe oder dem Verlust einer anderen Staatsangehörigkeit abhängig zu machen (vgl. Art. 15 Buchst. b [X.]). Dem [X.] hat der [X.] Gesetzgeber insbesondere mit dem Anspruch auf Miteinbürgerung nach § 10 Abs. 2 [X.] und der Möglichkeit der Ermessenseinbürgerung nach § 8 [X.] Rechnung getragen, dem Verbot des Art. 16 [X.] mit § 12 [X.].

5. Der Klägerin steht - wie vom Oberverwaltungsgericht zutreffend ausgeführt - auch kein Anspruch auf Einbürgerung nach § 8 Abs. 1 [X.] zu, da bei der Ermessenseinbürgerung für die Hinnahme der [X.] nach den einschlägigen ermessenslenkenden Verwaltungsvorschriften, die nicht zu beanstanden sind, die gleichen Maßstäbe gelten wie bei der [X.].

Meta

5 C 9/12

21.02.2013

Bundesverwaltungsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend OVG Lüneburg, 8. Februar 2012, Az: 13 LC 240/10, Urteil

§ 12 Abs 1 S 2 Nr 1 RuStAG, § 12 Abs 1 S 2 Nr 3 RuStAG, § 10 Abs 1 S 1 Nr 4 RuStAG, Art 3 Abs 1 UNKRÜbk, Art 7 Abs 1 UNKRÜbk

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 21.02.2013, Az. 5 C 9/12 (REWIS RS 2013, 8011)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 8011

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Referenzen
Wird zitiert von

W 7 K 14.1148

M 25 K 13.3143

B 6 KA 6/21 R

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