Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.03.2012, Az. 4 StR 561/11

4. Strafsenat | REWIS RS 2012, 7983

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 561/11

vom
20. März
2012
in der Strafsache
gegen

wegen Vergewaltigung u.a.

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung
des Generalbun-desanwalts und des Beschwerdeführers am 20.
März
2012
gemäß §
349 Abs.
2 und 4 StPO beschlossen:
1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 8.
Juli 2011 mit den zugehörigen [X.] aufgehoben,
a)
soweit der Angeklagte wegen sexueller Nötigung in zwei
Fällen (II.
4 und II.
5 der Urteilsgründe) verurteilt worden ist,
b)
soweit der Angeklagte wegen Misshandlung eines Schutzbe-fohlenen tateinheitlich in acht Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung (II.
1, II.
6
bis II.
12 der Urteilsgründe) verurteilt worden ist. Hiervon ausge-nommen bleiben die Feststellungen zum äußeren Sachver-halt,
c)
im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere Jugendschutzkammer des [X.] zurückverwiesen.
3.
Die weiter
gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
-
3
-
Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung (Ver-gewaltigung)

in zwei Fällen, Bedrohung,
gefährlicher Körperverletzung und wegen Misshandlung eines [X.] tateinheitlich in acht Fällen, da-von in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung,
zu einer Ge-samtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Mit seiner Revi-sion rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sein Rechtsmittel hat in dem tenorierten Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es offensicht-lich unbegründet im Sinne des §
349 Abs.
2 StPO.
I.
Die Verurteilung des Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen nach §
177 Abs.
1 Nr.
3, Abs.
2 Nr.
1 StGB in den Fällen II.
4 und II.
5
der
Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1.
Nach den Feststellungen lebten der aus dem [X.] stammende Ange-klagte und seine [X.] Ehefrau, die Zeugin A.

N.

, anfänglich in
einer harmonischen Beziehung. Dem Angeklagten gefiel, dass sich A.

N.

erfolgreich darum bemühte, die [X.] zu erlernen und
von ihrem alten Bekanntenkreis lossagte. Nach der Geburt des zweiten Kindes änderte der Angeklagte sein Verhalten. Er zeigte sich leicht reizbar und nahm alltägliche Belanglosigkeiten zum Anlass, A.

N.

zu beschimpfen
und zu beleidigen. Ab dem [X.] kam es auch zu tätlichen Übergriffen. Diese ereigneten sich insbesondere dann, wenn sich A.

N.

dem
Willen des Angeklagten widersetzte oder eine abweichende Meinung äußerte. 1
2
3
-
4
-
A.

N.

lebte seit dieser [X.] in ständiger Angst und in der Erwartung
neuerlicher Übergriffe.
a)
An einem Abend im [X.] 2009 äußerte der Angeklagte gegenüber A.

N.

in der gemeinsamen Ehewohnung den Wunsch, mit ihr den
Analverkehr auszuüben. Obwohl sie sein Ansinnen entschieden ablehnte, holte der Angeklagte eine Fettcreme aus dem Badezimmer und begab sich zu
A.

N.

, die sich bereits auf einer Schlafcouch im Wohnzimmer zum
Schlafen niedergelegt hatte. Als der Angeklagte erneut kundtat, jetzt den Anal-verkehr durchführen zu wollen, lehnte A.

N.

dies wiederum ab und
fügte hinzu, dass eine Ausübung des [X.] gegen ihren Willen eine Vergewaltigung sei. Der Angeklagte gab A.

N.

daraufhin zu verste-
hen, dass sie sich nicht so anstellen solle und zog ihr die [X.]. A.

N.

sah in dieser Situation keine Möglichkeit mehr, sich
dem Willen des Angeklagten zu widersetzen. Für den Fall einer Gegenwehr rechnete sie mit Schlägen. Außerdem befürchtete sie, dass dann die beiden gemeinsamen Kinder erwachen und ebenfalls Opfer von Tätlichkeiten des [X.] werden könnten. Der Angeklagte vollzog nun mit der weinenden und sich vor Schmerzen windenden A.

N.

den Analverkehr bis zum
Samenerguss. Dabei drückte er sie so an eine Wand, dass sie sich aus ihrer Position nicht befreien konnte. Bei alldem ging der Angeklagte davon aus, dass A.

N.

den Analverkehr nur deshalb ohne Gegenwehr erduldete,
weil sie unter dem Eindruck der regelmäßig stattfindenden Übergriffe keine Chance sah, sich seinem Willen zu widersetzen und Angst um ihre eigene [X.] Unversehrtheit und die ihrer Kinder hatte. Im Fall einer Gegenwehr wä-re der Angeklagte auch gewillt gewesen, sein Vorhaben mit Gewalt durchzuset-zen. A.

N.

hatte bis zum nächsten Tag Schmerzen beim Sitzen und
erlitt eine Blutung im Analbereich (Fall
II.
4 der Urteilsgründe).
4
-
5
-
Wenige Monate nach diesem Vorfall kehrte der Angeklagte mit A.

N.

von einem gemeinsamen Restaurantbesuch in die Ehewohnung zu-
rück. Während des gesamten [X.] herrschte eine harmonische und ausge-lassene Stimmung. Nachdem sich A.

N.

bereits schlafen gelegt
hatte, trat der Angeklagte zu ihr an die Schlafcouch und kündigte an, [X.] den Analverkehr mit ihr ausüben zu wollen. A.

N.

begann
zu weinen und lehnte die Durchführung des [X.] unter Hinweis auf die damit für sie verbundenen Schmerzen ab. Der Angeklagte erwiderte, dass [X.] müsse, zog A.

N.

die Schlafanzughose aus und vollzog mit
ihr den Analverkehr. A.

N.

verzichtete auf eine Gegenwehr, weil sie
auch diesmal -
trotz des harmonischen [X.]
-
mit Gewalttätigkeiten des Ange-klagten rechnete. Dem Angeklagten war bewusst, dass er nur deshalb keinen Widerstand zu erwarten hatte, weil ihn A.

N.

als einen Menschen
kennengelernt hatte, der seine Wünsche notfalls unter Zuhilfenahme von Ge-walt durchsetzt. Da sich A.

N.

vor Schmerzen hin und her wandte,
glitt der Angeklagte mit seinem Penis aus ihrem After heraus. Obgleich er hier-über sehr erzürnt war, ließ er entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten von ihr ab und sprach in der
Folgezeit kein Wort mehr (Fall
II.
5 der Urteilsgründe).
b)
Das [X.] hat angenommen, dass sich A.

N.

in
beiden Fällen in einer schutzlosen Lage im Sinne des §
177 Abs.
1 Nr.
3 StGB befand, weil sie auf
Grund äußerer und in ihrer Person liegender Faktoren keine effektive Möglichkeit hatte, sich der Einwirkung des Angeklagten zu entziehen oder erfolgversprechend Widerstand zu leisten. In der ehelichen Wohnung hiel-ten sich neben A.

N.

und dem Angeklagten jeweils nur die gemein-
samen neun und zehn Jahre alten Kinder auf. Der Angeklagte war ihr und den Kindern körperlich überlegen. Auf
Grund ihrer Gewalterfahrungen lebte
A.

N.

in ständiger Furcht vor neuen Übergriffen und verfügte nur über ein
5
6
-
6
-
geringes Selbstbewusstsein. Es fiel ihr deshalb schwer, dem Willen des Ange-klagten etwas entgegen zu setzen. Diese Lage wurde von dem Angeklagten bewusst ausgenutzt.
Eine Gewaltanwendung (§
177 Abs.
1 Nr.
1 StGB) oder eine Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§
177 Abs.
1 Nr.
2 StGB) hat das [X.] nicht feststellen können. Soweit A.

N.

von dem Angeklagten bei der Ausführung des [X.] gegen eine Wand gedrückt wurde, ist das [X.] davon ausgegangen, dass dadurch nicht der sexuelle Kontakt erzwungen werden sollte
(UA
S.
42).
2.
Die Feststellungen belegen in beiden Fällen nicht, dass die tatbe-standlichen Voraussetzungen des §
177 Abs.
1 Nr.
3 StGB gegeben sind.
a)
Der objektive Tatbestand des §
177 Abs.
1 Nr.
3 StGB setzt voraus, dass sich das Opfer in einer Lage befindet, in der es über keine effektiven Schutz-
oder Verteidigungsmöglichkeiten mehr verfügt und deshalb nötigender Gewalt des [X.] ausgeliefert ist (vgl. [X.],
Beschluss vom 4.
April 2007

4
StR
345/06, NJW 2007, 2341, 2343; Urteil vom 3. November 1998

1
StR
521/98, [X.]St 44, 228, 231
f.;
MüKoStGB/[X.], 2.
Aufl.,
§
177 Rn.
43; LK/Hörnle,
12.
Aufl.,
§
177
Rn.
98; [X.]/[X.] §
177 Rn.
18 mwN). Hiervon ist auszugehen, wenn das Opfer bei objektiver ex-ante-Betrachtung keine Aussicht hat, sich den als mögliche Nötigungsmittel in [X.] zu ziehenden Gewalthandlungen des [X.] zu widersetzen,
sich seinem Zugriff durch Flucht zu entziehen oder fremde Hilfe zu erlangen. Dazu ist eine Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände vorzunehmen, bei der
neben den äußeren Gegebenheiten (Beschaffenheit des Tatortes, Vorhandensein von Fluchtmöglichkeiten, Erreichbarkeit fremder Hilfe etc.) auch das
individuelle Vermögen des Tatopfers zu
wirksamem
Widerstand oder erfolgreicher Flucht und die Fähigkeit des [X.] zur Anwendung von nötigender Gewalt
in den 7
8
-
7
-
Blick zu nehmen sind
(vgl. [X.],
Beschluss vom 17.
November 2011

3
StR
359/11 Rn.
5 und 7;
Urteil vom 25.
Januar 2006

2
StR
345/05, [X.]St
50, 359, 362
f.; Urteil vom 10.
Oktober 2002

2
StR
153/02, [X.], 42, 44).
b)
Den sich hieraus ergebenden Anforderungen hat das [X.] nicht
hinreichend Rechnung getragen. Bei der von ihm vorgenommenen Ge-samtbewertung sind wichtige Gesichtspunkte außer Ansatz geblieben.
So hat sich das [X.] in beiden Fällen nicht mit eventuell gegebe-nen Fluchtmöglichkeiten von A.

N.

auseinandergesetzt. Die Tatsa-
che, dass sich A.

N.

jeweils allein mit dem Angeklagten im Wohn-
zimmer der Familienwohnung befand und von den schlafenden Kindern keine Hilfe erwarten konnte, belegt für sich genommen noch nicht, dass es
ihr nicht möglich war, sich dem Angeklagten durch Flucht zu entziehen (vgl. [X.],
[X.] vom 1.
Juli 2004

4
StR
229/04, [X.], 267 Rn.
2; Urteil vom 10.
Oktober 2002

2
StR
153/02, [X.], 42, 44; MüKoStGB/
[X.], 2.
Aufl.,
§
177 Rn.
44; [X.],
in: [X.]/[X.] 28.
Aufl.,
§
177 Rn.
9). Konkrete Feststellungen zu den räumlichen Gegeben-heiten
in der Wohnung und zum Schließzustand der Türen
hat das [X.] nicht getroffen. Die mitgeteilten Begleitumstände legen es in beiden Fällen nicht nahe, dass der Angeklagte vorab darauf bedacht gewesen sein könnte, eventu-elle Fluchtwege
durch entsprechende Vorkehrungen zu versperren. Im Fall II.
4 der Urteilsgründe ließ er A.

N.

zunächst
allein im Wohnzimmer zu-
rück, nachdem er bereits angekündigt hatte, den Analverkehr durchführen zu wollen und auch ihren entgegenstehenden Willen
kannte (UA
S.
10). Im Fall II.
5 der Urteilsgründe herrschte zwischen den Eheleuten bis zur Tatsituation 9
10
-
8
-
eine ausgelassene und harmonische Stimmung, die A.

N.

an den
Beginn ihrer Beziehung erinnerte (UA
S.
11).
Zudem
hätte sich das [X.]
auch eingehend mit der Frage [X.] müssen, ob es A.

N.

in zumutbarer Weise möglich war, durch
Schreie
oder andere Geräusche fremde Hilfe zu erlangen. Die Feststellung, dass sie bei einer Gegenwehr mit Schlägen des Angeklagten rechnete und
alles unterließ, was ihre Kinder wecken konnte, damit nicht auch sie Opfer be-fürchteter Übergriffe des Angeklagten werden
(UA
S.
10), belegt nur, dass
sich A.

N.

schutzlos fühlte, weil sie
keinen Weg sah, Dritte ohne Risiko
für sich selbst und ihre Kinder auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Ob und inwieweit ihre Befürchtungen tatsächlich berechtigt waren und sie deshalb

worauf es hier maßgeblich ankommt

auch bei objektiver Betrachtung (vgl. [X.],
Beschluss vom 17.
November 2011

3
StR
359/11, Rn.
7; Urteil vom 25.
Januar 2006

2
StR
345/05, [X.]St 50, 359, 362
f.; a.A.
MüKoStGB/
[X.], 2.
Aufl.,
§
177 Rn.
44 mwN) keine Möglichkeit hatte,
fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen, hat das [X.] nicht geprüft, obgleich hierzu [X.] bestand. Die Eheleute wohnten in einem Mehrfamilienhaus. Der Nachbarin Ar.

war auf
Grund von Gesprächen schon seit 2007/2008 bekannt, dass
A.

N.

unter gewalttätigen Übergriffen des Angeklagten litt
(UA
S.
13). Auch die Nachbarin P.

wusste um die bestehen-
den Eheschwierigkeiten (UA
S.
13). Wie sich aus den zu Fall II.
11 getroffenen Feststellungen ergibt, haben beide
bei anderer Gelegenheit sofort an der [X.] geklingelt, als sie aus der Wohnung Schreie des von dem Angeklag-ten misshandelten [X.] R.

hörten. Anschließend verständigten sie die
Polizei. Als der Angeklagte durch A.

N.

hiervon erfuhr, ließ er sofort
von R.

ab und bemühte sich stattdessen um eine Verheimlichung des Vorge-
fallenen (UA
S.
16). Danach versteht es sich nicht von selbst, dass Hilferufe 11
-
9
-
ohne Resonanz geblieben wären und der Angeklagte hierauf tatsächlich mit Schlägen reagiert hätte. Sein Verhalten im Fall II.
11 der Urteilsgründe lässt auch die Möglichkeit offen, dass er aus Angst vor einer durch die Rufe erzeug-ten Aufmerksamkeit der Nachbarn und einer möglichen Verständigung der [X.] von seinem Vorhaben Abstand genommen und ohne tätlich zu werden [X.] hätte, den Vorfall nicht bekannt werden zu lassen. Schließlich findet sich auch für die Annahme, der Angeklagte könnte die durch Geräusche geweckten Kinder schlagen, im Urteil keine ausreichende Tatsachengrundlage. Nach den Feststellungen wurde von dem Angeklagten nur der gemeinsame [X.] R.

vielfach misshandelt, wobei er dies für eine Form der Erziehung hielt und damit jeweils auf vorheriges Fehlverhalten reagierte. Übergriffe zum Nachteil der Tochter B.

werden im Urteil an keiner Stelle geschildert. Stattdessen ist
davon die Rede, dass B.

N.

von dem Angeklagten verwöhnt und
bevorzugt wurde (UA
S.
13).
Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.
3.
Für die neue Verhandlung weist der Senat auf das Folgende hin:
Eine sexuelle Nötigung durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§
177 Abs.
1 Nr.
2 StGB) begeht auch, wer eine sexuelle Handlung erzwingt, indem er durch ein schlüssiges Verhalten auf frühere Gewaltanwen-dungen hinweist oder frühere Drohungen konkludent bekräftigt (Nachweise bei [X.],
in: [X.]/[X.] 28.
Aufl.,
§
177 Rn.
7). Dabei kann auch Gewalt, die der Täter zuvor aus anderen Gründen angewendet hat, als gegen-wärtige Drohung mit nötigendem körperlichem Zwang fortwirken. Der objektive Tatbestand des §
177 Abs.
1 Nr.
2 StGB ist deshalb auch dann verwirklicht, wenn eine Gesamtschau aller maßgeblichen Umstände ergibt, dass der Täter 12
13
14
-
10
-
gegenüber dem Opfer durch häufige Schläge ein
Klima der Angst und
Einschüchterung geschaffen hat ([X.],
Beschluss vom 1.
Juli 2004

4
StR
229/04, NStZ
2005, 267, 268; Urteil vom 6.
Juli 1999

1
StR
216/99, [X.], 505; Urteil vom 31.
August 1993

1
StR
418/93, [X.]R
StGB §
177 Abs.
1 Drohung
8;
vgl. Beschluss vom 5.
April 1989

2
StR
557/88, [X.]R
StGB §
177 Abs.
1 Drohung
5) und
das Opfer die ihm abverlangten
sexuellen Handlungen nur deshalb duldet, weil es auf
Grund seiner Gewalter-fahrungen mit dem Täter befürchtet, von ihm erneut körperlich misshandelt zu werden, falls es sich seinem Willen nicht beugt ([X.],
Urteil vom 10.
Oktober 2002

2
StR
153/02, NStZ-RR
2003, 42, 43; Beschluss vom 5.
April 1989

2
StR
557/88, [X.]R
StGB §
177 Abs.
1 Drohung
5; Beschluss vom 15.
März 1984

1
StR
72/84,
[X.], 330, 331). In subjektiver Hinsicht setzt §
177 Abs.
1 Nr.
2 StGB in diesen Fällen voraus, dass der Täter die von seinem
Vorverhalten ausgehende latente Androhung weiterer Misshandlungen in ihrer aktuellen Bedeutung für das Opfer erkennt und als
Mittel zur Erzwingung
der sexuellen Handlungen einsetzt ([X.], Beschluss vom 1.
Juli 2004

4
StR
229/04, [X.], 267, 268; Urteil vom 10.
Oktober 2002

2
StR
153/02, [X.], 42, 43; Beschluss vom 26.
Februar 1986

2
StR
76/86, [X.], 409; Beschluss vom 15.
März 1984

1
StR
72/84, [X.], 330, 331).
II.
Auch die Verurteilung des Angeklagten wegen Misshandlung eines [X.] tateinheitlich in acht Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung gemäß den §
223 Abs.
1, §
225 Abs.
1 Nr.
2 Alt.
1, §
52 StGB begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
15
-
11
-
1.
Nach den Feststellungen schlug der Angeklagte seinen am 18.
Dezember 1998 geborenen [X.] R.

schon im Kleinkindalter mit der fla-
chen Hand. Nach der Einschulung im Jahr 2005 begann er damit, seinen [X.] auch mit einem Pantoffel oder einem Gürtel zu schlagen. Der Angeklagte ver-stand diese Misshandlungen als körperliche Züchtigung und glaubte auf diese Weise,
seine Erziehungsziele (Gehorsam,
Disziplin
und schulischer Erfolg) durchsetzen zu können. Durchschnittlich kam es einmal in der Woche zu einem Übergriff. Außerdem belegte der Angeklagte seinen [X.] R.

vielfach mit
herabsetzenden Äußerungen, die sich insbesondere auf seine Leibesfülle und
seine schulischen Leistungen bezogen. R.

N.

litt unter den Misshand-
lungen und dem erniedrigenden Verhalten des Angeklagten so sehr, dass er Mitte des Jahres 2009 von seiner Mutter die Trennung von dem Angeklagten forderte und seine Selbsttötung androhte.
Im Einzelnen hat das [X.] der Verurteilung folgende Übergriffe zugrunde gelegt:
(1)
An einem nicht mehr näher bestimmbaren Tag zwischen [X.] 2005 und [X.] 2007 warf der Angeklagte seinen [X.] R.

auf den Boden
des Kinderzimmers, weil er sich über eine Belanglosigkeit im Zusammenhang mit dem Schulbesuch geärgert hatte. Anschließend schleifte er ihn an den Bei-nen durch den Raum, wobei das Gesicht von
R.

N.

über den Teppich
gezogen wurde. Dieser erlitt dadurch eine Schürfwunde am Auge (Fall II.
7 der Urteilsgründe).
(2)
An einem nicht mehr näher bestimmbaren Tag im [X.] 2005 stieß der Angeklagte seinen [X.] R.

zu Boden und zog ihn anschließend an
einem Ohr nach oben, weil er in der Schule sein Pausenbrot mit einem farbigen Mitschüler getauscht hatte (Fall II.
8 der Urteilsgründe).
16
17
18
-
12
-
(3)
Im Februar 2008 schlug der Angeklagte seinem [X.] R.

mehr-
fach mit den bloßen Händen auf den Oberkörper, nachdem
eine Mathematik-

Als sich A.

N.

zwi-
schen den Angeklagten und den gemeinsamen [X.] stellte, verdrehte ihr der Angeklagte zur Strafe die linke Hand. A.

N.

erlitt dadurch eine
Bänderdehnung, die ärztlich behandelt werden musste (Fall II.
1 der Urteils-gründe).
(4)
Am Morgen des 28.
November 2009 würgte der Angeklagte seine Ehefrau A.

N.

aus Wut über den am Vortag nicht zu Ende geführ-
ten Analverkehr bis zur Luftnot. Als R.

N.

den Versuch unternahm,
den Angeklagten von seiner Mutter wegzuziehen, verdrehte ihm der Angeklagte den Arm und stieß ihn in schmerzhafter Art und Weise weg (Fall II.
6 der Ur-teilsgründe).
(5)
Im Dezember 2009 drückte der Angeklagte seinem [X.] R.

beim
Schneiden der Haare die Spitze der Friseurschere in die Kopfhaut, weil sich R.

zuvor über einen unabsichtlichen Schnitt in das Ohr beklagt hatte. R.

N.

erlitt starke Schmerzen und begann zu weinen (Fall II.
9 der Urteils-
gründe).
(6)
Am 19.
Januar 2010 stellte sich der Angeklagte mit einem Fuß auf den Brustkorb des am Boden liegenden R.

und trat ihm zweimal in das Ge-
sicht. Der Angeklagte reagierte damit auf die Weigerung seines [X.],
weiter Sport zu treiben. Bei den Tritten trug der Angeklagte Badeschuhe (Fall II.
10 der Urteilsgründe).

19
20
21
22
-
13
-
(7)
Am 25.
Januar 2010 versetzte der Angeklagte seinem [X.] R.

mindestens fünf Schläge mit einem Hosengürtel auf die Beine und den Ober-körper, weil er bei dem Fertigen der Hausaufgaben Strichmännchen mit [X.] gezeichnet hatte. Als R.

laut zu schreien begann, klin-
gelten die Nachbarinnen Ar.

und P.

gemeinsam an der
Wohnungstür der Familie N.

und verständigten die Polizei. Als der An-
geklagte hiervon durch A.

N.

erfuhr, ließ er von seinem [X.] R.

ab und drohte ihm an, dass er in ein Heim komme, wenn er von den Schlägen berichte (Fall II.
11 der Urteilsgründe).
(8)
Am 30.
Januar 2010 schlug der Angeklagte mehrfach mit der flachen Hand auf seinen [X.] ein, weil er aus seiner Sicht unnötige Telefonkosten [X.] hatte. Als A.

N.

intervenierte und den Angeklagten fragte,
ob der vorangegangene Vorfall mit der Polizei nicht genug gewesen sei, ließ er von R.

ab (Fall II.
12 der Urteilsgründe).
Das [X.] hat angenommen, dass der Angeklagte durch die in den Fällen II.
1 und II.
6 bis II.
12 der Urteilsgründe festgestellten [X.] zum Nachteil seines [X.] R.

das Tatbestandsmerkmal
des Quälens im Sinne von §
225 Abs.
1 Nr.
1 Alt.
1 StGB verwirklicht hat. Dabei der Geschehnisse im Sinne einer tatbestand(UA
S.
45) ausgegangen. Zur Begründung hat es auf die Identität des Geschä-digten, die Kontinuität der Tatsituationen und die ohne Zäsur vorhandene ge-fühllose, das Leiden von R.

missachtende [X.] des Ange-
klagten abgestellt. Danach lag bei dem Angeklagten ein den gesamten Tatzeit-raum überspannender Vorsatz vor,
seinen [X.] R.

bei gegebenem Anlass
körperlich zu züchtigen, um das eigene Wertesystem durchzusetzen. Die in den 23
24
25
-
14
-
Fällen II.
1 und 6 der Urteilsgründe begangenen Körperverletzungen zum Nach-teil von A.

N.

stünden
hierzu in Tateinheit.
2.
Hiergegen bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken.
a)
Quälen im Sinne des §
225 Abs.
1 StGB bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender Schmerzen oder Leiden ([X.],
Ur-teil vom 17.
Juli 2007

5
StR
92/07, [X.], 304, 306; Urteil vom 6.
Dezember 1995

2
StR
465/95, [X.], 197; Urteil vom 30.
März 1995

4
StR
768/94, [X.]St 41, 113, 115), die über die typischen Auswirkun-gen der festgestellten einzelnen [X.]en hinausgehen ([X.],
Beschluss vom 7.
Dezember 2006

2
StR
470/06). Mehrere Körperver-letzungshandlungen, die für sich genommen noch nicht den Tatbestand des §
225 Abs.
1 StGB erfüllen, können als ein Quälen im Sinne dieser Vorschrift zu beurteilen sein, wenn erst die ständige Wiederholung den
gegenüber §
223 StGB gesteigerten Unrechtsgehalt ausmacht. In diesem Fall werden die [X.] zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit und damit einer den Tatbestand des §
225 Abs.
1 StGB verwirklichenden Tat zusammengefasst ([X.],
Urteil vom 17.
Juli 2007

5 StR
92/07,
[X.], 304, 306; vgl. Urteil vom 30.
März 1995

4
StR
768/94, [X.]St 41, 113, 115; [X.] in [X.], 1999, S.
391, 395
f., 400; Wolfslast/[X.] 1996, 338). Ob sich mehrere Körperverletzungen zu einer als Quälen zu bezeichnenden Tathandlung zusammenfügen, ist auf
Grund einer Gesamtbetrachtung zu [X.]. Regelmäßig wird es dabei erforderlich sein, dass sich die festgestell-ten einzelnen Gewalthandlungen als ein äußerlich und innerlich geschlossenes
Geschehen darstellen. Dabei sind räumliche und situative Zusammenhänge, zeitliche Dichte oder eine sämtliche Einzelakte prägende Gesinnung mögliche Indikatoren (vgl. [X.],
Urteil vom 17.
Juli 2007

5
StR
92/07,
[X.], 26
27
-
15
-
304, 306; [X.] in Festschrift
[X.], 1999, S.
391, 395
f., 406
ff.). In [X.] ist es erforderlich, dass der Täter bei jeder Einzelhandlung den Vorsatz hat, dem Opfer sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zuzufügen, die über die typischen Verletzungsfolgen
hinausgehen, die mit der aktuellen [X.] verbunden sind (vgl. [X.],
Urteil vom 17.
Juli 2007

5
StR
92/07,
[X.], 304, 306; MüKoStGB/[X.] §
225 Rn.
14; [X.] NStZ 1996, 37; Wolfslast/[X.] 1996, 338, 339).
b)
Ausgehend hiervon wird der Schuldspruch wegen acht Fällen der Misshandlung von [X.] im Sinne von §
225 Abs.
1 Nr.
1 StGB von den Feststellungen nicht getragen. Keine der geschilderten Gewalthandlungen hat zu länger andauernden oder sich wiederholenden Schmerzen geführt, die über die typischen Auswirkungen der festgestellten Körperverletzung hinausge-gangen sind. Soweit das [X.]

wie seine Ausführungen in der recht-lichen Würdigung nahelegen

davon ausgegangen ist, dass erst durch die Vielzahl der körperlichen Übergriffe ein Quälen im Sinne von §
225 Abs.
1 Nr.
1 StGB bewirkt worden ist, vermag dies nur eine Verurteilung wegen einer Miss-handlung von [X.], nicht aber einen Schuldspruch wegen Miss-handlung von [X.] in acht

lediglich zu Gunsten des Angeklagten zu einer Tateinheit zusammengeführten
(UA
S.
45)

Fällen zu rechtfertigen.
Dessen ungeachtet begegnet auch eine Zusammenfassung aller festge-stellten acht [X.] zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit [X.] rechtlichen Bedenken. Die unter II.
7 der Urteilsgründe dargestellte erste konkretisierte [X.] wurde zwischen [X.] 2005 und [X.] 2007 begangen. Tatzeit der unter II.
8 der Urteilsgründe festgestellten Körperverletzung ist
der [X.] 2005. Der unter II.
1 der Urteilsgründe
28
29
-
16
-
geschilderte körperliche Übergriff fand im Februar 2008 statt. Ab dem 28.
November 2009 schlossen sich dann bis zum 30.
Januar 2010 die unter II.
6 und II.
9 bis II.
12 festgestellten Körperverletzungen an. Der Begriff des [X.] in §
225 Abs.
1 StGB setzt zwar nicht notwendig voraus, dass zwischen den einzelnen Teilakten ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht. Intervalle von mehreren Tagen, bis hin zu einigen Wochen, können daher unschädlich sein, wenn das Gesamtgeschehen auf
Grund anderer Umstände innerlich und äußerlich geschlossen bleibt (vgl. MüKoStGB/[X.] §
225 Rn.
14; [X.] in Festschrift [X.], 1999, S.
391, 395
f., 406
f.). Mehrere Monate oder sogar Jahre auseinander
liegende [X.]en werden in der Regel aber nicht mehr als eine einzige dem Opfer bereitete Qual verstanden werden können. Die allgemein gehaltene Feststellung des [X.]s (UA
S.
14), wonach der Angeklagte ab dem Jahr 2005 durchschnittlich einmal in
der Woche seinen [X.] geschlagen hat, ist nicht hinreichend bestimmt, um die Annahme einer sich über mehr als vier Jahre hinziehenden tatbestandlichen [X.] zu rechtfertigen.
Schließlich sind auch die Erwägungen des [X.]s zum inneren Tatbestand nicht tragfähig. Nach den Feststellungen ging es dem Angeklagten bei den einzelnen Taten stets darum, seinen [X.] R.

für ein

aus seiner
Sicht gegebenes

vorangegangenes Fehlverhalten körperlich zu züchtigen, um die von ihm angestrebten Erziehungsziele
durchzusetzen (UA
S.
7 und 13
f.). Dies spricht dafür, dass jeder Einzeltat ein anlassbezogener neuer Tatent-schluss des Angeklagten zu
Grunde lag (vgl. [X.] NStZ 1996, 37). Ein über-greifender Vorsatz, der auf die Zufügung sich wiederholender und über die kon-kreten Tatfolgen hinausgehender erheblicher Schmerzen oder Leiden gerichtet ist, wird dadurch nicht belegt.
30
-
17
-
c)
Die Aufhebung erfasst auch die an sich rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung (§
223 Abs.
1 StGB) in zwei Fällen zum Nachteil von A.

N.

. Das [X.] hat jeweils Tateinheit ange-
nommen und damit einen eine Teilaufhebung hindernden Zusammenhang her-gestellt.
Die Feststellungen zum äußeren [X.]chehen bleiben aufrechterhalten, weil sie auf einer sorgfältigen und rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruhen und von der Gesetzesverletzung nicht berührt werden (§
353 Abs.
2 StPO). Soweit der Angeklagte eine Verletzung der Aufklärungspflicht nach §
244 Abs.
2 StPO geltend macht, weil die Akten eines früheren,
die Zeugin A.

N.

betreffenden Scheidungsverfahrens nicht beigezogen worden sind,
entspricht sein Vorbringen nicht den Erfordernissen des §
344 Abs.
2 Satz
2 StPO. Eine zulässige Aufklärungsrüge setzt voraus, dass ein bestimmtes Be-weismittel und ein bestimmtes zu erwartendes Beweisergebnis benannt werden ([X.],
Beschluss vom 23.
November 2004

KRB
23/04, NJW 2005, 1381, 1382; KK-StPO/[X.], 6.
Aufl.,
§ 244 Rn. 216). Die bloße Bezeichnung
einer Akte und die Angabe, dass sich aus dieser Akte die Unwahrheit einzelner An-gaben der Zeugin A.

N.

(vgl. [X.], Urteil vom 29.
August 1990

3
StR
184/90, NStZ 1990, 602).
31
32
-
18
-
Durch die Aufhebungen wird auch dem [X.] die Grundlage entzogen.
Ernemann
Roggenbuck
Franke

Mutzbauer
Quentin
33

Meta

4 StR 561/11

20.03.2012

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.03.2012, Az. 4 StR 561/11 (REWIS RS 2012, 7983)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 7983

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