Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.12.2004, Az. XII ZB 166/03

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2004, 198

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[X.][X.] 166/03
vom 15. Dezember 2004 in der Familiensache

Nachschlagewerk: ja [X.]: nein [X.]R: ja

[X.] § 1666; [X.]. 3, 8 Die Gefahr, daß bei einem Mädchen [X.]r Staatsangehörigkeit während eines Aufenthalts in [X.] eine Beschneidung vorgenommen wird, rechtfertigt es, der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht gem. § 1666 Abs. 1 [X.] insoweit zu ent-ziehen, als es um die Entscheidung geht, ob das Kind nach [X.] verbracht wird. Ob diese Maßnahme allein ausreicht, um einen effektiven Schutz des Kindes zu ge-währleisten, hat der Tatrichter im Rahmen seines Auswahlermessens zu entschei-den. [X.], Beschluß vom 15. Dezember 2004 - [X.] 166/03 - [X.]

- 2 - Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat am 15. Dezember 2004 durch die Vorsitzende Richterin [X.] und [X.], [X.], Prof. Dr. Wagenitz und [X.] beschlossen: Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1 gegen den Beschluß des 20. Zivilsenats - Familiensenat - des [X.] vom 15. Juli 2003 wird zurückgewiesen. Auf die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 2 wird der vorge-nannte Beschluß bezüglich der Entscheidung über die außerge-richtlichen Kosten und insoweit aufgehoben, als in Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts - Familiengericht - [X.] vom 8. Mai 2003 die Entziehung des Aufenthaltsbestimmungs-rechts für das Kind abgelehnt worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten [X.] und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des [X.], an das [X.] zu-rückverwiesen. Die Entscheidung über die Rechtsbeschwerden ergeht [X.]. [X.]: 3.000 •.

- 3 - Gründe: [X.] Die am 2. Juli 1998 geborene [X.]ist die Tochter der weite-ren Beteiligten zu 1. Sie besitzt, ebenso wie ihre nicht mit einander verheirate-ten Eltern, die [X.] Staatsangehörigkeit. Der Vater lebt in [X.]. Die Mutter heiratete am 24. November 2000 in [X.] einen [X.] Staatsan-gehörigen und folgte ihm zusammen mit ihrer Tochter im März 2001 nach [X.]. Da die Mutter hier eine Ausbildung zur Altenpflegerin absolviert und sich deshalb gehindert sah, das Kind zu betreuen, beabsichtigte sie, dieses am 8. Januar 2003 durch ihren Ehemann und dessen Vater nach [X.] verbringen zu lassen. [X.]sollte in [X.] von der Familie der Mutter betreut werden und eine Vorschule besuchen. Das Jugendamt [X.] (weiterer Beteiligter zu 3), das über die bevor-stehende Reise informiert worden war, veranlaßte am 6. Januar 2003 die Inob-hutnahme des Kindes gemäß § 42 [X.], weil es befürchtete, diesem drohe bei einem Aufenthalt in [X.] die Beschneidung. Auf Antrag des [X.] entzog das Amtsgericht der Mutter zunächst vorläufig das Aufenthaltsbe-stimmungsrecht und das Recht der Gesundheitssorge und bestellte insoweit das Jugendamt zum Pfleger. Mit Beschluß vom 8. Mai 2003 hat das Amtsge-richt auch in der Hauptsache entsprechend der vorläufigen Anordnung ent-schieden. Hiergegen hat die Mutter befristete Beschwerde eingelegt. Das [X.] hat eine "mündliche Verhandlung" durchgeführt und anschließend eine vorläufige Anordnung erlassen, nach der das Kind der Mutter unverzüglich herauszugeben ist, dieser aber untersagt wird, das Gebiet der Bundesrepublik [X.] mit dem Kind zu verlassen oder zu gestatten, daß ihre Tochter mit - 4 - Dritten das Land verläßt. Auf die Beschwerde der Mutter hat das Oberlandesge-richt den angefochtenen Beschluß teilweise abgeändert und dieser das Aufent-haltsbestimmungsrecht nur insoweit entzogen, als es um die Entscheidung geht, ob das Kind - zu Urlaubszwecken oder für einen längeren Aufenthalt - nach [X.] verbracht wird. Insoweit hat es Pflegschaft angeordnet und den weiteren Beteiligten zu 3) als Pfleger eingesetzt. Hiergegen richten sich die - zugelassenen - Rechtsbeschwerden der Mutter und der Landeshauptstadt [X.] - Ortsamt [X.] - (weiterer Beteiligter zu 2, im folgenden: Ortsamt). Die Mutter erstrebt die vollständige Abweisung des Antrags, während das Ort-samt die Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts insgesamt erreichen möchte. I[X.] [X.] ist unbegründet. Auf die Rechtsbe-schwerde des Ortsamtes ist der Beschluß im Umfang der Anfechtung aufzuhe-ben und die Sache insoweit an das [X.] zurückzuverweisen. A. Rechtsbeschwerde der Mutter 1. Das [X.], dessen Entscheidung in [X.], 1862 ff. veröffentlicht ist, hat seine internationale Zuständigkeit sowie die An-wendbarkeit [X.] Rechts ohne weitere Ausführungen bejaht. Das begeg-net im Ergebnis keinen rechtlichen Bedenken. Die - in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende - inter-nationale Zuständigkeit der [X.] Gerichte richtet sich nach den [X.] über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom - 5 - 5. Oktober 1961 ([X.] 1971 [X.]; im folgenden: [X.]). Nach Art. 1 [X.] sind die Gerichte des Staates, in dem der Minderjährige seinen gewöhnlichen Auf-enthalt hat, vorbehaltlich der [X.]. 3, 4 und 5 Abs. 3 [X.] dafür zuständig, [X.] zum Schutz der Person des Minderjährigen zu treffen. Nach Art. 13 Abs. 1 [X.] ist das Übereinkommen auf alle Minderjährigen anzuwenden, die - wie hier das Kind [X.] - ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem der [X.] haben, ohne daß der Minderjährige die Staatsangehörigkeit eines Vertragsstaates besitzen müßte ([X.]/[X.], 13. Bearb. - 1994 - Vorbemerkung zu Art. 19 EG[X.] Rdn. 525 m.w.N.). Einen einschrän-kenden Vorbehalt gegenüber Angehörigen von [X.] nach Art. 13 Abs. 3 [X.] hat die Bundesrepublik [X.] nicht erklärt. [X.] der von den inländischen Gerichten zu treffenden Schutzmaßnahmen, zu denen die im Streit stehende Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts nach § 1666 [X.] gehört ([X.]/[X.] aaO Rdn. 217), ist gemäß Art. 2 [X.] innerstaatliches, hier also [X.] Recht anzuwenden. Gemäß Art. 3 [X.] ist allerdings ein nach dem Recht des Heimatstaates des Kindes kraft Gesetzes bestehendes [X.] anzuerkennen. Ein Eingriff in ein solches [X.] liegt vor, wenn das ausländische [X.] des Minderjährigen eine derartige Maßnahme nicht zuläßt (Pa-landt/[X.] [X.] 63. Aufl. [X.]. zu Art. 24 EG[X.] Rdn. 25). Dies macht die Rechtsbeschwerde der Mutter in bezug auf das [X.] Recht geltend, ohne ihren Einwand zu konkretisieren. Dessen Richtigkeit entzieht sich infolgedessen einer Beurteilung. Feststellungen zu dem [X.]n Recht hat das [X.] nicht getroffen. Die Frage, ob der Einwand gerechtfertigt ist, bedarf indessen keiner Entscheidung. Ein eventuell bestehendes [X.] schließt es nämlich nach Art. 8 [X.] nicht aus, daß die Behörden des [X.], also auch die [X.] Gerichte, Maßnahmen zum Schutz des Minderjährigen treffen, soweit er in seiner Person oder seinem Vermögen ernstlich gefährdet ist. Mit - 6 - solchen Schutzmaßnahmen kann deshalb auch in ein grundsätzlich anzuerken-nendes [X.] eingegriffen werden. In den Fällen, in denen nach den §§ 1666 ff. [X.] Maßnahmen zu treffen sind, ist in der Regel auch das Vorlie-gen der Voraussetzungen des Art. 8 [X.] anzunehmen ([X.] 60, 68, 73 f.). 2. In der Sache hat das Beschwerdegericht ein Eingreifen nach § 1666 [X.] für erforderlich gehalten. Dazu hat es im wesentlichen ausgeführt: Die Durchführung der Beschneidung von Mädchen stelle eine erhebliche Beein-trächtigung des Kindeswohls dar. Es handele sich um Genitalverstümmelungen, in denen eine schwere Menschenrechtsverletzung zu sehen sei und die in ihrer Intensität den gravierendsten Erscheinungsformen asylerheblicher Verfol-gungsmaßnahmen, wie der Folter, nicht nachstehe. Die Gefahr, als Mädchen in [X.] beschnitten zu werden, sei groß. [X.] sei der UN-Kinderrechts-konvention nicht beigetreten. Aus den vom Jugendamt vorgelegten Unterlagen gehe hervor, daß nach [X.] lokal tätiger Nichtregierungsorganisationen in [X.] fast alle ethnischen Gruppen Genitalverstümmelungen praktizierten und zwischen 80 bis 90 % der weiblichen Bevölkerung beschnitten seien. Die Beschneidung könne Mädchen jeden Alters drohen, einer Dreijährigen ebenso wie einer 16-jährigen. Auch die Mutter habe bei ihrer [X.]örung bestätigt, daß es keine Altersgrenze gebe, von der an ein Kind selbst entscheiden könne, ob es beschnitten werde oder nicht. Die traditionell begründete Beschneidung dro-he dem Kind deshalb, sobald es sich in [X.] aufhalte. Insofern bestehe auch eine gegenwärtige, begründete Besorgnis der Schädigung. Die Mutter sei der-zeit nicht in der Lage, ihre Tochter vor einer solchen Körperverletzung ausrei-chend zu schützen. Soweit sie bei ihrer [X.]örung erklärt habe, sie wünsche nicht, daß ihrem Kind eine Beschneidung widerfahre, sei diese ablehnende Äu-ßerung unter dem Druck des vorliegenden Verfahrens zustande gekommen und beruhe (noch) nicht auf eigener Erkenntnis. Denn die mehrfach geäußerte [X.], das Kind könne mit 14 Jahren selbst entscheiden, ob es beschnitten - 7 - werde, mache deutlich, daß die Mutter die Genitalverstümmelung nicht in dem erforderlichen Maße als bedrohliche Gefahr für ihre Tochter erkannt habe. An-gesichts der Brutalität des Eingriffs und der möglichen physischen und psychi-schen Folgen hätte andererseits eine klare Ablehnung der Beschneidung in [X.] auf ihr Kind erfolgen müssen. Die eigene Erfahrung der - ihrerseits be-schnittenen - Mutter belege, daß selbst ein 13 Jahre altes Mädchen durch ge-zielte unrichtige Informationen dazu gebracht werden könne, sich die grausame Verstümmelung sogar selbst zu wünschen. Wenn die Mutter gleichwohl daran festhalte, die Entscheidung über die Beschneidung dem Kinde selbst zu über-lassen, habe sie den Fehler ihrer eigenen Mutter wiederholt und damit gezeigt, daß sie nicht fähig sei, die Gefahr von ihrem Kind abzuwenden. Dies sei indes-sen umsomehr notwendig, als nach den zu den Akten gelangten Informationen traditionell die Großfamilie mitentscheide, ob eine Beschneidung durchgeführt werde. Da die Mutter gleichwohl geplant habe, daß das Kind während der [X.] ihrer Ausbildung in [X.] leben solle und es damit der Gefahr einer Geni-talverstümmelung (schutzlos) ausgeliefert hätte, müsse ihr Verhalten als unver-schuldetes Versagen, aber auch als Form von Vernachlässigung im Sinne des § 1666 Abs. 1 [X.] angesehen werden. Richtig verstandenes elterliches Sorge-recht hätte von ihr nicht passives Verhalten, sondern [X.] verlangt. Die Gefährdung sei auch gegenwärtig. Die Mutter habe zwar erklärt, daß ihre [X.] sich nicht mehr ohne ihre Begleitung in [X.] aufhalten solle. Es sei [X.] zu besorgen, daß sie an diesem Entschluß nicht festhalte, sondern das Kind doch zu ihrer Familie nach [X.] bringe, wenn sie sich wegen der auf sie zukommenden Prüfungen zur Altenpflegerin außerstande sehe, neben ihrer Arbeit zu lernen und ihre Tochter ausreichend zu betreuen. Diese Gefahr werde durch die Bekanntschaft mit in der Nähe ihrer Wohnung lebenden [X.]n Familien nicht aufgehoben. Die danach vorzunehmende Abwägung zwischen dem Elternrecht der Mutter einerseits und dem Recht des Kindes auf Schutz - 8 - seiner Menschenwürde und seiner körperlichen Unversehrtheit andererseits führe zu der Notwendigkeit der Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts insoweit, als es um Reisen des Kindes nach [X.] oder um Aufenthalte dort gehe. Angesichts des Ausmaßes der drohenden Gefahr müsse auch das Recht des Kindes, seine Verwandtschaft in seinem Heimatstaat zu besuchen, zurück-treten. Auf andere Weise könne ein hinreichend sicherer Schutz nicht gewähr-leistet werden. Auch der Respekt vor einer anderen Kultur rechtfertige keine abweichende Entscheidung. Die mit der [X.] von Mutter und Kind verbundenen Vorstellungen von Kultur, Tradition, Religion und Erziehung, denen grundsätzlich Bedeutung beizumessen sei, müßten zurücktreten, wenn die drohende Schädigung entsprechend der [X.] des Art. 6 EG[X.] unter keinem Gesichtspunkt zu tolerieren sei. 3. Diese Ausführungen halten der im Verfahren der Rechtsbeschwerde allein möglichen rechtlichen Nachprüfung stand. a) Nach § 1666 Abs. 1 [X.] hat das Familiengericht, wenn das [X.], geistige oder seelische Wohl eines Kindes durch mißbräuchliche Aus-übung der elterlichen Sorge, durch Vernachlässigung des Kindes, durch unver-schuldetes Versagen der Eltern oder durch das Versagen eines [X.] ist und die Eltern nicht gewillt oder in der Lage sind, die Gefahr abzuwen-den, die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Als derartige Maßnahme kommt insbesondere auch die Entziehung des Rechts zur Aufenthaltsbestimmung als Teil des Personensorgerechts (§§ 1626 Abs. 1, 1631 Abs. 1 [X.]) in Betracht. Voraussetzung für ein Eingreifen des Familien-gerichts ist eine gegenwärtige, in einem solchen Maß vorhandene Gefahr, daß sich bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes mit ziemlicher Sicherheit vorausse-hen läßt ([X.] Beschluß vom 14. Juli 1956 - [X.] - FamRZ 1956, 350, - 9 - 351; BayObLG [X.] 1981, 897, 898 f.; [X.]/[X.] [X.] 13. Bearb. - 2004 - § 1666 Rdn. 79; [X.]/Olzen 4. Aufl. § 1666 [X.]). b) Daß die Beschneidung eines Mädchens als eine das Kindeswohl in ganz erheblicher Weise beeinträchtigende Behandlung zu beurteilen ist, hat das Berufungsgericht zu Recht angenommen. Nach Auffassung des Senats handelt es sich bei der Genitalverstümmelung um einen schweren Eingriff, der [X.] physische und psychische Schäden zur Folge hat. Dies gilt auch dann, wenn der Eingriff nicht - wie zumeist - unter unhaltbaren hygienischen Bedingungen, ohne Betäubung und mit grausamen Hilfsmitteln, wie Glasscherben oder [X.] als Schneidewerkzeug, durchgeführt wird, sondern selbst wenn er nach allen Regeln ärztlichen Könnens erfolgt. Es bleibt ein radikaler Eingriff in die körperliche Integrität und psychische Befindlichkeit der Frau. Dabei verbietet sich eine Unterscheidung nach der Art der Verstümmelung (Klitorisbeschnei-dung, Excision oder Infibulation), denn in allen Fällen liegt eine grausame, fol-genschwere und durch nichts zu rechtfertigende Mißhandlung vor (vgl. [X.] NVwZ 2002, 423, 426 m.w.N., sowie Beschlußempfehlung und Bericht des [X.], Frauen und Jugend zur Beschneidung von Mädchen und Frauen BT-Drucks. 13/10682 [X.] ff.). Auch die [X.] erhebt gegen die Beurteilung der Beschneidung durch das [X.] keine Einwendungen. c) Sie rügt aber, das Beschwerdegericht habe eine hieraus resultierende gegenwärtige Gefahr für das Kind zu Unrecht bejaht. Es habe nicht berücksich-tigt, daß die Mutter ihrem Vorbringen zufolge nicht gegen ihren Willen oder auf Druck ihrer Eltern, eines Elternteils oder naher Verwandter beschnitten worden sei, sondern aufgrund eigener Entscheidung, und zwar nach von dritter Seite erhaltener, heute als falsch und irreführend erkannter Informationen. In den Vorgang sei sie aber nicht als Kleinkind, sondern als Mädchen, das die Pubertät - 10 - durchlaufen habe, involviert gewesen. Daraus folge, daß niemand aus der Fa-milie der Mutter Anstalten getroffen habe, sie als Kind oder ohne ihre Einwilli-gung als herangereiftes Mädchen beschneiden zu lassen, auch nicht ihr eigener Vater, in dessen Stamm noch Beschneidungen vorgenommen würden und der dieses Ritual befürwortet habe. Auf diesen sei ohnehin nicht abzustellen, da die Großmutter sich vor 20 Jahren von ihm habe scheiden lassen und inzwischen wieder verheiratet sei. [X.]habe aber bei der Großmutter und nicht bei ihrem leiblichen Großvater leben sollen. Daneben habe sie, als sie noch in [X.] gelebt habe, engen Kontakt zu ihrem leiblichen Vater und dessen Familie un-terhalten, die nicht weit von der Großmutter entfernt lebten. Die Großmutter sei nicht beschnitten und lehne diesen Brauch ab. Sie habe auch ihrer Tochter ver-boten, sich dem Ritual zu unterziehen. Deshalb sei kein [X.]altspunkt dafür auszumachen, daß das Kind während eines Aufenthalts bei der Großmutter der Gefahr ausgesetzt wäre, diese könne eine Beschneidung veranlassen oder zu-lassen. Es sei auch nichts dafür ersichtlich, daß die Großmutter das Mädchen nicht vor Übergriffen Dritter schützen könne, denn sie habe ihre Tochter bis zu deren eigener Entscheidung vor einer zwangsweisen Beschneidung bewahrt. Auch von der Seite der Familie des leiblichen Vaters sei für [X.] nicht die Ge-fahr einer Beschneidung auszumachen. Zwar seien in dem Stamm, dem der Vater angehöre, Beschneidungen noch üblich. Der Vater und seine Familie lehnten, wie die Mutter bei ihrer [X.]örung ausgeführt habe, aber Beschneidun-gen ab, weshalb in dieser Familie niemand beschnitten sei. Warum [X.] in einer solchen Familie der Gefahr ausgesetzt sein solle, als Kind fremdbestimmt beschnitten zu werden, sei nicht ersichtlich. Damit vermag die Rechtsbeschwerde der Mutter nicht durchzudringen. Das Beschwerdegericht hat den betreffenden Sachvortrag nicht über-gangen, sondern in seine von Amts wegen (§ 12 [X.]) zu treffenden Feststel-- 11 - lungen einbezogen. Es hat seiner Entscheidung die Umstände der eigenen Be-schneidung der Mutter zugrunde gelegt, dem Gesichtspunkt, daß in der Familie des Vaters - entgegen den Gepflogenheiten ihres Stammes - Beschneidungen nicht üblich seien, aber ersichtlich keine Bedeutung beigemessen. Nach den von dem Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen entscheiden nämlich nicht die Eltern oder deren Familien allein über eine Beschneidung, sondern hierzu ist traditionell die Großfamilie mitberufen. Aus dieser Gestaltung ist letzt-lich auch zu erklären, daß die Großmutter die eigene Tochter nicht vor einer Beschneidung zu bewahren vermochte, obwohl letztere damals erst 13 Jahre alt war und ihr deshalb die Einsichtsfähigkeit und Reife für die von ihr zugun-sten einer Beschneidung getroffene Entscheidung fehlte und die Großmutter diese Verstümmelung selbst ablehnt. Die Annahme des [X.]s, die Großmutter könne in einer anderen Situation, nämlich bei Vorliegen anderer Umstände hinsichtlich der Beschneidung der Enkelin, bedingt durch äußere Einflüsse abermals versagen, stellt sich deshalb als vertretbare tatrichterliche Würdigung dar, gegen die aus Rechtsgründen nichts zu erinnern ist. Denn die hohe Beschneidungsquote von 80 - 90 % der weiblichen Bevölkerung [X.]s kann, wenn sich die Ablehnung der Genitalverstümmelungen wie von der Rechtsbeschwerde geltend gemacht, durchsetzen ließe, nicht erklärt werden. Von daher ist es rechtlich auch nicht zu beanstanden, daß das Oberlandesge-richt von einer hohen Wahrscheinlichkeit einer Beschneidung des Kindes bei einem Aufenthalt in [X.] ausgegangen ist. d) [X.] wendet sich schließlich gegen die Annahme, dem Kind drohe eine gegenwärtige Gefahr, weil zu besorgen sei, daß die Mutter es im Zusammenhang mit den im Rahmen ihrer Ausbildung [X.] Prüfungen entgegen den abgegebenen Erklärungen doch nach [X.] verbringen werde. Sie beruft sich insoweit auf den Vortrag der Mutter, - 12 - mit ihrem Arbeitgeber Arbeitszeiten vereinbart zu haben, die eine Betreuung des Kindes erlaubten. Auch das vermag die Entscheidung, soweit sie zum Nachteil der Mutter ergangen ist, nicht in Frage zu stellen. Das Berufungsgericht hat nicht bezweifelt, daß die Mutter in der Lage sein wird, den normalen Alltag mit der Betreuung des Kindes in Einklang zu bringen. Seine Annahme, es sei zu befürchten, daß sich die Einstellung der Mutter unter dem [X.] ändere, ist indessen eine von der Lebenser-fahrung getragene tatrichterliche Würdigung. Für deren Berechtigung sprechen zudem die Mitteilungen der beiden Pflegefamilien, in denen das Kind sich [X.] hat. Danach ist [X.]nicht oder kaum in der Lage, sich selbst zu [X.], sondern erheischt permanent Aufmerksamkeit. 4. Bei dieser Sachlage ist das Berufungsgericht zu Recht von einer ge-genwärtigen, in einem solchen Maße vorhandenen Gefahr ausgegangen, daß sich im weiteren Verlauf eine erhebliche Schädigung des Kindes in Form einer Beschneidung mit hinreichender Sicherheit voraussehen läßt. Denn die Mutter ist, wie das [X.] rechtsfehlerfrei festgestellt hat, derzeit jedenfalls noch nicht in der Lage, die Gefahr, die ihrem Kind in [X.] droht, realistisch einzuschätzen und dürfte deshalb bei zu erwartenden Betreuungsengpässen nicht davor zurückschrecken, ihr derzeit erklärtermaßen aufgegebenes Vorha-ben einer Verbringung des Kindes nach [X.] doch noch in die Tat umzuset-zen. Dem ist nach § 1666 Abs. 1 [X.] durch die erforderlichen Maßnahmen zu begegnen. Insoweit stellt sich die angeordnete teilweise Entziehung des [X.] jedenfalls als einerseits gebotener, andererseits aber auch verhältnismäßiger Eingriff in das Elternrecht dar, um das Kind vor einem irreparablen Schaden seiner psychischen und physischen Unversehrtheit - 13 - zu bewahren. Dessen Interesse, seine Verwandten in [X.] zu besuchen, oder das Bedürfnis, der heimatlichen Kultur und Tradition verbunden zu bleiben, müssen dahinter zurücktreten. B. Rechtsbeschwerde des Ortsamtes 1. Das Berufungsgericht hat es abgelehnt, weitere Maßnahmen zum Schutz des Kindes zu treffen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der vollstän-dige Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts und die Unterbringung des Kindes in einer [X.] Pflegefamilie seien unverhältnismäßig. 2. Demgegenüber bringt die Beschwerde des Ortsamtes vor: [X.] sei nicht ausreichend, um die Gefahr der Genitalverstümmelung weitgehend zu verhindern. Die angeordnete Pfleg-schaft könne praktisch nicht verhindern, daß die Mutter oder ein Dritter das Kind über einen Mitgliedsstaat der [X.] nach [X.] verbringe. Sie könne sich in der jeweiligen [X.]n Botschaft einen Ersatzpaß für [X.]anfertigen lassen, während das Original bei der Amtspflegerin hinterlegt bleibe. Die begründete Besorgnis ergebe sich daraus, daß die Mutter sowohl im Verfahren vor dem Amtsgericht als auch vor dem [X.] nicht habe erkennen lassen, daß sie aufgrund eigener Überzeugung ihre Tochter vor einer drohenden Geni-talverstümmelung schützen wolle bzw. könne. Diesem Einwand ist ein Erfolg nicht zu versagen. Es erscheint nicht fernliegend, daß die Mutter, von der nach Auffassung des [X.]s zu besorgen ist, sie werde im [X.] ihr Kind doch noch nach [X.] verbringen, sich über die bisher getroffenen Maßnah-men hinwegsetzt und von dem von der Rechtsbeschwerde aufgezeigten Weg Gebrauch macht. Ziel der Maßnahmen nach § 1666 [X.] muß aber die effekti-- 14 - ve Gefahrenabwehr für das Kind sein. Zwar steht jeder Eingriff in das [X.] und der Verhältnismäßigkeit. [X.] ist eine Trennung des Kindes von seinen Eltern nur dann zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, insbesondere durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann (§ 1666 a Abs. 1 Satz 1 [X.]). Damit, daß das [X.] als weitergehende Maßnahmen von vornherein aber nur die voll-ständige Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts in Verbindung mit der Unterbringung in einer Pflegefamilie erwogen hat, hat es sich den Blick dafür verstellt, die Geeignetheit anderer, weniger gravierender Maßnahmen in seine Beurteilung einzubeziehen und in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt auch die Möglichkeit öffentlicher Hilfen, etwa im Sinne einer beaufsichtigenden Pfleg-schaft, zu prüfen, um auf diesem Weg einen auch tatsächlich wirkungsvollen Schutz des Kindes zu gewährleisten. 3. Da das [X.] somit von seinem Auswahlermessen (vgl. hierzu [X.]/[X.] aaO § 1666 Rdn. 177) keinen fehlerfreien Gebrauch gemacht hat, kann die Entscheidung im Umfang der Anfechtung durch das Ortsamt keinen Bestand haben. Der Beschluß ist insoweit aufzuheben und die Sache an das [X.] zurückzuverweisen, damit es die unterlassene Prüfung, welche weitergehenden Maßnahmen zu ergreifen sind, in [X.] Verantwortung nachholen kann. Im weiteren Verfahren wird das Ortsamt - 15 - auch Gelegenheit haben, das Begehren zu wiederholen, der Mutter möge auf-gegeben werden, das Kind regelmäßig einem Kinderarzt vorzustellen (vgl. zu entsprechenden Auflagen etwa [X.] 1993 - [X.]). Hahne [X.] [X.]

Wagenitz [X.]

Meta

XII ZB 166/03

15.12.2004

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.12.2004, Az. XII ZB 166/03 (REWIS RS 2004, 198)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2004, 198

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