Bundesfinanzhof, Urteil vom 03.07.2014, Az. III R 30/11

3. Senat | REWIS RS 2014, 4313

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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

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Gegenstand

Überschreitung der KMU-Schwelle durch verbundene Unternehmen


Leitsatz

1. Die in § 2 Abs. 7 Satz 1 InvZulG 2005 zugrunde liegende Definition der KMU ist europarechtlich zu interpretieren .

2. Eine gemeinsam handelnde Gruppe natürlicher Personen i.S. von Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 4 des Anhangs zur KMU-Empfehlung setzt weder eine vertragliche Beziehung noch eine Umgehungsabsicht voraus.

Ob eine tatsächlich gemeinsam handelnde Gruppe vorliegt, ist anhand einer wirtschaftlichen Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung der im Einzelfall vorliegenden rechtlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zu prüfen .

3. Die bei der Gewährung von Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" getroffene Entscheidung der Behandlung als KMU ist für die Entscheidung über die erhöhte Investitionszulage nach § 2 Abs. 7 InvZulG 2005 nicht bindend .

Tatbestand

1

I. Im Revisionsverfahren ist die Frage streitig, ob die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) zusammen mit der [X.] als "verbundene Unternehmen" im Sinne der KMU-Empfehlung eine wirtschaftliche Einheit bildet und die Schwellenwerte wegen der dann vorzunehmenden Zusammenrechnung überschritten sind, mit der Folge, dass nur ein [X.]nspruch auf eine Investitionszulage in Höhe der Grundzulage von 12,5 % nach § 2 [X.]bs. 6 Satz 1 Nr. 1 des [X.] 2005 ([X.]) besteht.

2

[X.]ie Klägerin, eine GmbH, stellt Platten, Folien, Schläuche und Profile aus Kunststoff her. Gesellschafter sind [X.] mit einem Gesellschaftsanteil in Höhe von 24,8 %, seine Ehefrau [X.] mit 62,8 % sowie [X.] mit 12,4 %. Geschäftsführer der Klägerin mit Einzelvertretungsberechtigung sind [X.] und [X.]. [X.] ist zusammen mit seiner Mutter zudem zu gleichen Teilen Gesellschafter der [X.]. Einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführer der [X.] sind wiederum [X.] und [X.].

3

In ihrer [X.]nfangsphase wurde die Klägerin durch [X.]ürgschaften der [X.] unterstützt. [X.]es Weiteren schloss die Klägerin bei ihrer Gründung für die [X.]auer der Finanzierungen, mindestens aber für fünf Jahre mit Verlängerungsoption, einen "Geschäftsbesorgungsvertrag" mit der [X.]. [X.]uf dessen Grundlage erhält die Klägerin --jedenfalls bis zur Entscheidung durch das Finanzgericht ([X.])-- sämtliche [X.]ufträge von der [X.]. Im Gegenzug übernimmt die [X.] das gesamte Produktionsvolumen zu einem marktüblichen Preis und vertreibt es. [X.]m Markt --insbesondere im [X.] tritt nur die [X.] in Erscheinung. [X.]er Vertrag sieht weiter vor, dass ein Vertreter der [X.] die [X.]etriebsleitung der Klägerin laufend fachlich anleitet. [X.]ie Klägerin hat zudem den kompletten Einkauf sowie E[X.]V und Forschung auf die [X.] ausgelagert und nutzt eine von mehreren [X.]ankverbindungen der [X.] für ihre Zwecke.

4

Für sich betrachtet überschreitet die Klägerin weder mit ihrer Mitarbeiterzahl noch mit ihren Umsatz- oder [X.]ilanzzahlen die Schwellenwerte im Sinne der Empfehlung der [X.] 2003/361/[X.] vom 6. Mai 2003 betreffend die [X.]efinition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen --KMU-Empfehlung-- ([X.]mtsblatt der Europäischen Union --[X.][X.]lEU-- 2003 Nr. L 124, S. 36). [X.]ie [X.] überschreitet die Schwellenwerte in den Jahren 2004 und 2005 sowohl mit der Mitarbeiterzahl als auch mit ihrem Jahresumsatz.

5

[X.]ie Investitionsbank Sachsen-[X.]nhalt vertrat die [X.]uffassung, bei der Klägerin handele es sich um ein KMU im Sinne der KMU-Empfehlung und bewilligte ihr deshalb erhöhte Zuschüsse im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" (G[X.]-Förderung).

6

[X.]er [X.]eklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --F[X.]--) ging aufgrund der Verflechtungen mit der [X.] davon aus, dass die Klägerin ein mit der [X.] verbundenes Unternehmen im Sinne der KMU-Empfehlung bilde und demzufolge die [X.] überschritten seien. Er gewährte der Klägerin für das Streitjahr 2006 deshalb nur die Grundzulage ([X.] 12,5 %) für das verarbeitende Gewerbe gemäß § 2 [X.]bs. 6 Satz 1 Nr. 1 [X.] und nicht die mit einem [X.] von 25 % beantragte erhöhte Investitionszulage für KMU nach § 2 [X.]bs. 7 Satz 1 Nr. 1 [X.]. [X.]er Einspruch blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 22. November 2007).

7

[X.]as [X.] wies die Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (E[X.]) 2011, 1921 veröffentlichten Urteil vom 24. März 2011  1 K 1725/07 ab.

8

Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend, das [X.] habe zunächst für die Frage, ob [X.], [X.] und [X.] als Gesellschafter der Klägerin bzw. der [X.] eine "gemeinsam handelnde Gruppe natürlicher Personen" i.S. von [X.]rt. 3 [X.]bs. 3 Unterabs. 4 des [X.]nhangs der KMU-Empfehlung darstellen und der dabei vorzunehmenden [X.]uslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs zu Unrecht auf über den Wortlaut der KMU-[X.]efinition der KMU-Empfehlung hinausgehende europarechtliche Rechtsgrundlagen oder Entscheidungen zurückgegriffen. Insoweit sei vielmehr allein auf [X.] Recht bzw. die Rechtsprechung [X.] Gerichte abzustellen, wonach aber gerade keine "gemeinsam handelnde Gruppe natürlicher Personen" vorliege. Insbesondere seien die in [X.]rt. 3 [X.]bs. 3 Unterabs. 1 des [X.]nhangs der KMU-Empfehlung aufgezählten Kriterien nicht durch zusätzliche Kriterien zu erweitern, sondern vielmehr abschließend. Weiterhin habe sich das Gericht bei seiner [X.]egründung der Vermutung gleichgerichteter Interessen allein auf Indizien gestützt, ohne dass der [X.]eklagte einen konkreten [X.]eweis für die Gleichrichtung der Interessen innerhalb des [X.] erbracht hätte. Sie, die Klägerin, könne jedoch nachweisen, dass zwischen den Mitgliedern der Familie teilweise erhebliche Interessengegensätze vorliegen würden.

9

Zudem habe das Gericht die [X.]indungswirkung der Einstufung der Klägerin als KMU durch die Investitionsbank des Landes Sachsen-[X.]nhalt für Zwecke der G[X.]-Förderung nicht beachtet. [X.]ngesichts der in der Gesetzesbegründung formulierten [X.]bsicht, eine regelmäßige [X.]indung der Finanzverwaltung anzunehmen, sollten divergierende Verwaltungsentscheidungen auf Fälle offensichtlicher Fehlerhaftigkeit beschränkt bleiben. Eine offensichtlich fehlerhafte Einstufung durch die G[X.]-[X.]ehörde habe aber nicht vorgelegen.

[X.]er Senat hat mit [X.]eschluss vom 20. [X.]ezember 2012 III R 30/11 ([X.]FHE 239, 560, [X.]St[X.]l II 2013, 335) das Revisionsverfahren ausgesetzt und dem [X.] ([X.]) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

"1. a) Welche [X.]nforderungen sind an die [X.]nnahme eines gemeinsamen Handelns i.S. des [X.]rt. 3 [X.]bs. 3 Unterabs. 4 des [X.]nhangs der Empfehlung der [X.] 2003/361/[X.] vom 6. Mai 2003 betreffend die [X.]efinition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU-Empfehlung) zu stellen: Genügt insoweit bereits jegliche unternehmensbezogene Kooperation der an beiden Unternehmen beteiligten natürlichen Personen, die ohne Streitigkeiten oder zu Tage tretende Interessengegensätze stattfindet, oder ist vielmehr ein erkennbar abgestimmtes Verhalten dieser Personen erforderlich?

b) Falls ein abgestimmtes Verhalten erforderlich ist: Folgt dieses bereits aus einer rein tatsächlichen Kooperation?

2. Ist, wenn kein Fall der Verpflichtung zu einem konsolidierten [X.]bschluss besteht, bei der Frage, ob ein Unternehmen mit einem anderen Unternehmen über eine Person oder eine gemeinsam handelnde Gruppe natürlicher Personen verbunden ist, über die in [X.]rt. 3 [X.]bs. 3 Unterabs. 1 des [X.]nhangs der KMU-Empfehlung aufgeführten "[X.]eziehungen" hinaus weiterhin eine wirtschaftliche Gesamtbetrachtung vorzunehmen, bei der [X.]spekte wie die Eigentumsverhältnisse --hierbei insbesondere die Zugehörigkeit der [X.]nteilseigner zu einer Familie--, die [X.]eteiligungsstruktur und die wirtschaftliche Integration --insbesondere auch die Identität der [X.] der betroffenen Unternehmen zu untersuchen sind?

3. Für den Fall, dass auch unter der Geltung der KMU-Empfehlung eine über die formale [X.]etrachtung hinausgehende wirtschaftliche Gesamtbetrachtung möglich ist: Setzt dies die [X.]bsicht oder zumindest das Risiko der Umgehung der KMU-[X.]efinition voraus?"

[X.]er [X.] hat diese Fragen mit Urteil vom 27. Februar 2014 [X.]-110/13 ([X.][X.]lEU 2014, Nr. [X.] 112, S. 15) wie folgt beantwortet:

"[X.]rt. 3 [X.]bs. 3 Unterabs. 4 des [X.]nhangs der Empfehlung 2003/361/[X.] der [X.] vom 6. Mai 2003 betreffend die [X.]efinition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen ist dahin auszulegen, dass Unternehmen als "verbunden" im Sinne dieses [X.]rtikels angesehen werden können, wenn die Prüfung der zwischen ihnen bestehenden rechtlichen und wirtschaftlichen [X.]eziehungen ergibt, dass sie, vermittels einer natürlichen Person oder einer gemeinsam handelnden Gruppe natürlicher Personen, eine einzige wirtschaftliche Einheit bilden, auch wenn sie formal nicht in einer der in [X.]rt. 3 [X.]bs. 3 Unterabs. 1 des [X.]nhangs aufgeführten [X.]eziehungen zueinander stehen.

[X.]ls gemeinsam handelnd im Sinne von [X.]rt. 3 [X.]bs. 3 Unterabs. 4 des [X.]nhangs sind natürliche Personen anzusehen, wenn sie sich abstimmen, um Einfluss auf die geschäftlichen Entscheidungen der betreffenden Unternehmen auszuüben, so dass diese Unternehmen nicht als wirtschaftlich voneinander unabhängig angesehen werden können. [X.]abei kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an, und es ist nicht zwingend erforderlich, dass zwischen den fraglichen Personen vertragliche [X.]eziehungen bestehen oder dass sie auch nur die [X.]bsicht haben, die [X.]efinition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen im Sinne der genannten Empfehlung zu umgehen."

[X.]ie [X.]eteiligten haben sich zu dem [X.]-Urteil nicht mehr geäußert.

[X.]ie Klägerin beantragt, unter [X.]ufhebung der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidung vom 22. November 2007 den Investitionszulagenbescheid 2006 vom 6. [X.]ugust 2007 dahingehend zu ändern, dass die Investitionszulage auf 10.694,26 € heraufgesetzt wird.

[X.]as F[X.] beantragt, die Revision zurückzuweisen.

[X.]ie [X.]eteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 90 [X.]bs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O-- [X.]. § 121 [X.]O).

Entscheidungsgründe

II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 [X.]O). Das [X.] hat rechtsfehlerfrei entschieden, dass die Klägerin lediglich einen Anspruch auf Investitionszulage in Höhe der vom [X.] im angefochtenen Investitionszulagenbescheid festgesetzten Grundzulage von 12,5 % nach § 2 Abs. 6 Satz 1 Nr. [X.] 2005 hat.

1. Der Klägerin steht kein Anspruch auf eine erhöhte Investitionszulage nach § 2 Abs. 7 Satz 1 Nr. [X.] 2005 zu.

a) Nach § 2 Abs. 7 Satz 1 Nr. [X.] 2005 erhöht sich die Investitionszulage für den Teil der Bemessungsgrundlage, der auf Investitionen i.S. des § 2 Abs. [X.] 2005 entfällt, wenn die beweglichen Wirtschaftsgüter während des [X.] in einem begünstigten Betrieb verbleiben, der zusätzlich die Begriffsdefinition für kleine und mittlere Unternehmen im Sinne der Empfehlung 96/280/EG der [X.] vom 3. April 1996 betreffend die Definition der kleinen und mittleren Unternehmen --Empfehlung 96/280/EG-- ([X.] 1996 Nr. L 107, S. 4, ersetzt durch die [X.] 2003 Nr. L 124, S. 36), erfüllt, auf 25 % der Bemessungsgrundlage bei Investitionen in Betriebsstätten, die --wie im [X.] im übrigen Fördergebiet belegen sind. Bei dem [X.] handelt es sich um eine von der [X.] genehmigte Beihilfe ([X.] 2005 Nr. [X.] 235, S. 3, 4) i.S. des Art. 87 Abs. 3 Buchst. a und [X.] zur Gründung der [X.] - jetzt Art. 107 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union.

b) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die § 2 Abs. 7 Satz [X.] 2005 zugrunde liegende Definition der KMU europarechtlich zu interpretieren. Dies ergibt sich bereits aus dem gesetzlich verankerten Verweis auf die KMU-Empfehlung der [X.] und entspricht dem Willen des Gesetzgebers, im Unterschied zu der Vorgängerregelung des § 2 Abs. [X.] den europarechtlichen [X.] zu übernehmen (BTDrucks 15/2249, S. 15, 16). Zwar ist die Verwendung der [X.] für die Mitgliedstaaten freiwillig (Benutzerhandbuch der [X.] zur neuen [X.] --Benutzerhandbuch--, 2006, S. 6, abrufbar auf der Webseite der [X.] unter [X.]/ enterprise/policies/sme). Entscheidet sich ein Mitgliedstaat --wie vorliegend die [X.] ([X.] jedoch für die Übernahme, ist für eine Interpretation anhand nationaler Rechtsprechung --beispielsweise durch Übertragung der Kriterien für das Vorliegen einer personellen Verflechtung bei der [X.] kein Raum mehr. Eine Lösung von Interpretationsproblemen anhand nationaler Rechtsprechung --wie von der Klägerin geltend gemacht-- würde insoweit dem mit der KMU-Empfehlung einhergehenden Zweck zuwiderlaufen, die Vielzahl der auf [X.]sebene verwendeten Definitionen von KMU und damit einhergehende Inkohärenzen zu reduzieren und eine einheitliche Ausrichtung von KMU-Maßnahmen auf [X.] der [X.] und der Mitgliedstaaten zu gewährleisten und damit die Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden (vgl. 1. Erwägungsgrund der KMU-Empfehlung). Dadurch, dass [X.] dieser Empfehlung durch die explizite und unmittelbare Bezugnahme in § 2 Abs. 7 Satz 1 Nr. [X.] 2005 nachgekommen ist, wird eine unionsrechtliche Auslegung somit auch dann erforderlich, wenn es sich um einen rein innerstaatlichen Sachverhalt handelt (vgl. [X.]-Urteile vom 21. Dezember 2011 [X.]/10, Slg. 2011, [X.] Rz 19, m.w.N.; vom 18. Oktober 2012 [X.]/10, [X.] 2012, Nr. [X.] 379, S. 5, [X.], 235 Rz 47, m.w.N.).

2. Die KMU-Schwelle ist im Streitfall nach Art. 2 des Anhangs der KMU-Empfehlung sowohl mit der Mitarbeiterzahl als auch mit dem Jahresumsatz überschritten, weil die Klägerin und die [X.] als "verbundene Unternehmen" i.S. des Art. 3 Abs. 3 des Anhangs der KMU-Empfehlung der [X.] anzusehen sind.

a) Die KMU-Empfehlung unterscheidet bei der Berechnung der Mitarbeiterzahlen und der finanziellen Schwellenwerte drei maßgebliche Unternehmenstypen, die das vormalige sog. Unabhängigkeitskriterium ersetzen, das formal auf die Einhaltung einer Beteiligungsschwelle von bis zu 25 % abstellte. Maßgeblich ist, ob ein Unternehmen eigenständig ist oder ob es mit anderen Unternehmen --als verbundene Unternehmen oder [X.] eine wirtschaftliche Gruppe bildet.

Nach Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 des Anhangs der KMU-Empfehlung sind Unternehmen dann verbunden, wenn ein Unternehmen am anderen Unternehmen die Mehrheit der Stimmrechte hält, die Befugnis zur Bestellung und Abberufung der Mehrheit der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsgremiums des anderen Unternehmens hat, aufgrund eines Vertrags oder einer Satzungsklausel einen beherrschenden Einfluss auf das andere Unternehmen hat oder [X.] die alleinige Kontrolle über die Mehrheit der Stimmrechte in dem anderen Unternehmen ausüben kann. Unternehmen, die durch eine gemeinsam handelnde Gruppe natürlicher Personen miteinander in einer der vorstehend aufgeführten Beziehungen stehen, gelten nach Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 4 des Anhangs der KMU-Empfehlung als verbundene Unternehmen, sofern sie ganz oder teilweise in demselben Markt oder in benachbarten Märkten tätig sind.

b) Vorliegend ist keiner der in Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 des Anhangs genannten Fälle gegeben. Die Klägerin gilt aber nach Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 4 des Anhangs der [X.] "gemeinsam handelnde Gruppe natürlicher Personen" als ein mit der [X.] verbundenes Unternehmen.

aa) Nach dem Urteil des [X.] im Vorabentscheidungsverfahren (in [X.] 2014, Nr. [X.] 112, S. 15) können auch Unternehmen, die zueinander in keiner der in Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 des Anhangs der KMU-Empfehlung genannten Beziehungen stehen, aber wegen der Rolle, die eine natürliche Person oder eine gemeinsam handelnde Gruppe natürlicher Personen spielt, eine einzige wirtschaftliche Einheit darstellen und damit als verbundene Unternehmen im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden, sofern sie ganz oder teilweise in demselben Markt oder in benachbarten Märkten tätig sind (Rz 34). Da als KMU-Unternehmen nur tatsächlich unabhängige Unternehmen erfasst werden sollen, ist die Struktur von KMU zu untersuchen, die eine wirtschaftliche Gruppe bilden, deren Bedeutung über die eines solchen Unternehmens hinausgeht, und es ist darauf zu achten, dass die Definition der KMU nicht durch eine rein formale Erfüllung der Kriterien umgangen wird (Rz 33).

bb) An dieses [X.]-Urteil im Vorabentscheidungsverfahren ist das nationale Gericht bei seiner Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits gebunden (vgl. Urteil des [X.] --[X.]-- vom 28. Mai 2013 XI R 11/09, [X.], 84, m.w.N.). Der erkennende Senat ist daher nicht befugt, die Auslegung des [X.]s abweichend vom [X.] zu entscheiden.

cc) Das [X.] hat die vom [X.] vorgegebenen Grundsätze bereits im ersten Rechtsgang zutreffend angewandt. Es hat zu Recht nicht allein auf die rein formale Erfüllung des Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 des Anhangs der KMU-Empfehlung abgestellt, sondern im Rahmen einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise das Vorliegen einer [X.] der Klägerin verneint. Hinsichtlich der wirtschaftlichen und finanziellen Beziehungen zwischen der Klägerin und der [X.] hat es dabei "die mehrheitliche Beteiligung der Familie, ... die identische Geschäftsführung in beiden Unternehmen, ... den Geschäftsbesorgungsvertrag als auch die komplette Auslagerung von Einkauf, EDV und Forschung" sowie die "gemeinsame Bankverbindung und nicht zuletzt ... die Mitverpflichtung der ... ([X.]) bei [X.]" berücksichtigt. In der Gesamtschau dieser tatsächlichen Umstände hat das [X.], da weder ein erkennbar abgestimmtes Verhalten bezüglich einzelner Geschäfte noch eine über die tatsächliche Kooperation hinausgehende vertragliche Bindung erforderlich ist, auf ein als wirtschaftliche Einheit zu betrachtendes verbundenes Unternehmen zwischen der Klägerin und der [X.] geschlossen und damit zu Recht eine Überschreitung der Schwellenwerte angenommen.

dd) Diese vom [X.] aufgrund der Gesamtwürdigung vorgenommene Schlussfolgerung, die verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen ist und nicht durch Denkfehler oder die Verletzung von [X.] beeinflusst ist, ist für das Revisionsgericht bindend, auch wenn sie nicht zwingend, sondern nur möglich ist (§ 118 Abs. 2 [X.]O; vgl. [X.]-Urteile vom 1. April 1971 IV R 195/69, [X.], 85, [X.] 1971, 522; vom 6. März 2007 IX R 38/05, [X.], 1281). Zu den der Bindung unterliegenden Feststellungen gehören auch die Schlussfolgerungen tatsächlicher Art ([X.]-Urteil vom 28. Februar 2008 V R 44/06, [X.], 415, [X.] 2008, 586; Lange in [X.]/[X.]/[X.] --[X.]--, § 118 [X.]O Rz 140 ff.).

ee) Es ist revisionsrechtlich auch nicht zu beanstanden, dass das [X.] bei seiner Gesamtwürdigung dem pauschalen Bestreiten von gleichgerichteten Interessen innerhalb der Familie keine besondere Bedeutung beigemessen hat. Soweit die Klägerin vorträgt, dass sie die teilweise zwischen den Familienmitgliedern bestehenden erheblichen Interessengegensätze anhand von einzeln aufgeführten Streitfällen nachweisen könne, kann der Senat offenlassen, ob die erstmals im Revisionsverfahren dargestellten Differenzen zwischen den Familienangehörigen und der [X.] das [X.] zu einer anderen Gesamtbetrachtung veranlasst hätte. Denn der [X.] muss seiner Entscheidung die im angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen zugrunde legen (§ 118 Abs. 2 [X.]O) und darf deshalb Tatsachen, die von den Beteiligten erstmals im Revisionsverfahren vorgetragen werden, grundsätzlich nicht berücksichtigen ([X.]-Urteile vom 17. Dezember 1997 [X.], [X.]E 185, 40, [X.] 1998, 343; vom 18. November 1998 [X.], [X.]/NV 1999, 915), es sei denn, es wären dagegen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht oder Gegenrügen des [X.] erhoben worden ([X.]-Urteil vom 13. August 2002 VIII R 54/00, [X.]E 200, 204, [X.] 2002, 869). Das ist hier nicht der Fall.

3. Soweit die Klägerin für Zwecke der Förderung nach der [X.]saufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" von der Investitionsbank des [X.] ([X.]) als KMU-Unternehmen behandelt worden ist, hat diese Entscheidung keine Bindungswirkung.

a) Der Einordnung der [X.] kommt keine bindende Grundlagenfunktion zu. (Bindende) Grundlagenbescheide (§ 171 Abs. 10 der Abgabenordnung --AO--) liegen grundsätzlich nur vor, wenn die Bindungswirkung gesetzlich angeordnet ist (Beschluss des Großen Senats des [X.] vom 11. April 2005 GrS 2/02, [X.]E 209, 399, [X.] 2005, 679; [X.]-Urteil vom 26. Oktober 2011 VII R 64/10, [X.]/NV 2012, 712, m.w.N.; Banniza in [X.], § 171 AO Rz 207). Im vorliegenden Fall fehlt es an einer gesetzgeberischen Verfahrensentscheidung.

b) Selbst wenn man eine Tatbestandswirkung ressortfremder Behördenentscheidungen auch ohne gesetzlich angeordnete Bindungswirkung für möglich halten würde, "wo Sachverhalte zu beurteilen sind, die die Finanzbehörde mangels eigener Sachkunde nicht selbst nachzuprüfen vermag" (so der erkennende Senat in den Urteilen vom 13. Dezember 1985 III R 204/81, [X.]E 145, 545, [X.] 1986, 245; vom 10. Juni 1988 III R 232/84, [X.]E 154, 68, [X.] 1988, 981; [X.]-Beschlüsse vom 13. April 2005 VI B 197/04, [X.]/NV 2005, 1231; vom 26. Oktober 2011 VII R 64/10, [X.]/NV 2012, 712; zweifelnd der Große Senat des [X.] in [X.]E 209, 399, [X.] 2005, 679), tritt eine solche im vorliegenden Fall nicht ein. Die Einordnung eines Unternehmens als groß oder klein, verbunden oder unverbunden kann die Finanzbehörde kraft eigener Sachkunde vornehmen.

c) Soweit nach dem Willen des Gesetzgebers (BTDrucks 15/2249, S. 16) die Finanzämter die Einstufung der Wirtschaftsbehörde übernehmen sollen, wenn diese nicht offensichtlich unzutreffend ist, reicht dies für eine Bindungswirkung nicht aus. Die gebotene und unverzichtbare Rechtsgrundlage kann nicht durch allgemeine Zweckmäßigkeitserwägungen oder vergleichbare Überlegungen --auch nicht durch [X.] ersetzt werden (Beschluss des Großen Senats des [X.] in [X.]E 209, 399, [X.] 2005, 679; vgl. [X.]-Urteil in [X.]E 154, 68, [X.] 1988, 981). Durch die Gesetzesbegründung (BTDrucks 15/2249, S. 16) hat der Gesetzgeber der [X.] hinsichtlich der rechtlichen Einordnung eines Unternehmens auch kein nur eingeschränkt überprüfbares administratives Letztentscheidungsrecht eingeräumt. Der Gesetzgeber hat trotz seiner Gesetzesbegründung eine verfahrensrechtliche oder materiell-rechtliche Bindung gerade nicht in das [X.] übernommen. Vielmehr hat er die Entscheidung über den Anspruch auf Investitionszulage ausdrücklich dem für die Besteuerung des Anspruchsberechtigten nach dem Einkommen zuständigen Finanzamt gemäß § 3 Abs. 1 Satz [X.] 2005 zugeordnet. § 3 Abs. 1 Satz [X.] 2005 ist eine Bestimmung sowohl für die örtliche als auch die sachliche Zuständigkeit i.S. des § 17 Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes über die Finanzverwaltung [X.]. § 16 AO. Selbst wenn sich aus der Gesetzesbegründung eine Bindung der Finanzbehörde an die Einordnung durch die [X.] ergeben sollte, ändert dies nichts am Umfang der gerichtlichen Kontrolle. Die Interpretation der generell-abstrakten Rechtsnorm und der in ihr enthaltenen (unbestimmten) Rechtsbegriffe ist eine originäre Funktion der rechtsprechenden Gewalt, keine genuine Verwaltungsfunktion, so dass die Beurteilung der rechtlichen Maßstäbe, das heißt deren Auslegung und deren Rechtmäßigkeit, den Gerichten obliegt (Beschluss des [X.] vom 10. Dezember 2009  1 BvR 3151/07, [X.], 250). Darüber hinaus kann der erkennende Senat auch keinen tragfähigen Sachgrund (vgl. BVerfG-Beschluss vom 31. Mai 2011  1 BvR 857/07, [X.] 129, 1) für ein Letztentscheidungsrecht der [X.] erkennen. Jedenfalls gelangen weder die Finanzbehörden noch die Gerichte bei der Überprüfung der Einstufung eines Unternehmens als KMU-Unternehmen an die Grenzen ihrer Funktionsfähigkeit.

Meta

III R 30/11

03.07.2014

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 24. März 2011, Az: 1 K 1725/07, Urteil

§ 2 Abs 7 S 1 InvZulG 2005, Anh 1 Art 3 Abs 3 UAbs 1 EGEmpf 361/2003, Anh 1 Art 3 Abs 3 UAbs 4 EGEmpf 361/2003, § 2 Abs 6 S 1 Nr 1 InvZulG 2005, § 3 Abs 1 InvZulG 2005

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 03.07.2014, Az. III R 30/11 (REWIS RS 2014, 4313)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 4313

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 K 1466/14 (FG Nürnberg)


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1 K 1466/14

7 K 327/21

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