Bundesfinanzhof, Urteil vom 16.06.2015, Az. IX R 30/14

9. Senat | REWIS RS 2015, 9766

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Gegenstand

(Realisierung eines Veräußerungsverlusts - Änderung eines Steuerbescheids nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO)


Leitsatz

Der Änderung eines bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO wegen eines rückwirkenden Ereignisses steht nicht entgegen, dass der Sachverhalt, auf den sich das Ereignis auswirkt (hier: Veräußerung einer qualifizierten Beteiligung, Entstehung nachträglicher Anschaffungskosten) im Ausgangsbescheid nicht berücksichtigt war .

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 29. Juli 2014 3 [X.] aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.

Tatbestand

1

I. Die Beteiligten streiten um die Anwendung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung ([X.]) im Rahmen der steuerlichen Berücksichtigung von nachträglichen Anschaffungskosten nach § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

2

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erwarb am 11. Dezember 1998 sämtliche Anteile an der [X.] (GmbH) zu einem Preis von 30.000 DM. Im Juni 2002 schloss die GmbH einen Kaufvertrag über ein Grundstück mitsamt aufstehendem Gebäude für zunächst 455.000 €. In zeitlichem Zusammenhang mit dem Kaufvertrag gewährte die Klägerin der GmbH Darlehen über insgesamt 340.000 €. Die Gesamtsumme setzte sich aus drei, in gesonderten Verträgen gewährten Darlehen in Höhe von 20.000 €, 190.000 € und 130.000 € zusammen. Als Sicherheit war u.a. die Einräumung einer nachrangigen Grundschuld an dem Grundstück vereinbart. Der Klägerin wurde anschließend eine auf dem Grundstück lastende Grundschuld über 195.000 € bestellt und im Rang nach einer Grundschuld der [X.] (Sparkasse) in Höhe von 250.000 € im Grundbuch eingetragen.

3

Am 2. September 2003 veräußerte die Klägerin ihre Anteile an ihren Vater für 15.338,76 € (= 30.000 DM). In ihrer am 27. Februar 2004 eingereichten Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2003 erklärte die Klägerin keine Einkünfte aus § 17 EStG.

4

Da die GmbH bereits seit dem [X.] [X.] zu verzeichnen hatte, stellte sie Mitte 2004 den Geschäftsbetrieb ein und konnte ihre Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen. Ein im Juni 2004 gestellter Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wurde im November 2004 mangels Masse abgewiesen. Von den Darlehen der Klägerin waren zu diesem Zeitpunkt noch 298.351 € offen.

5

Die Klägerin betrieb in der Folgezeit aus der eingetragenen Grundschuld die Zwangsversteigerung des Grundstücks. Dabei wurde am 2. Dezember 2008 ein [X.] in Höhe von 206.000 € erzielt. Davon erhielt die Klägerin aufgrund der vorrangigen Besicherung durch die Sparkasse keinen Anteil.

6

Am 28. Dezember 2005 erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) einen erstmaligen Einkommensteuerbescheid 2003, in dem die Steuer auf 0 € festgesetzt wurde. Zugleich erließ das [X.] einen Bescheid auf den 31. Dezember 2003 über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer, in dem der verbleibende Verlustvortrag nach § 10d Abs. 4 EStG mit 4.064 € festgestellt wurde. Einkünfte i.S. des § 17 EStG wurden erklärungsgemäß nicht erfasst.

7

Die Klägerin beantragte am 30. September 2008, ihren Darlehensausfall sowie Kosten der Rechtsverfolgung in Bezug auf die Zwangsversteigerung in Höhe von insgesamt 314.207 € als nachträgliche Anschaffungskosten im Rahmen eines Veräußerungsverlusts bei § 17 EStG bei der Veranlagung 2003 zu berücksichtigen. Erst nach Abweisung des Insolvenzantrags habe der endgültige Ausfall des Darlehens festgestanden. Damit liege ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] vor.

8

Das [X.] lehnte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 10. September 2009 ab. Das gegen die Ablehnung angestrengte Einspruchsverfahren blieb ebenso wie die nachfolgende Klage erfolglos.

9

Mit seiner in Entscheidungen der Finanzgerichte ([X.]) 2015, 52 veröffentlichten Entscheidung führte das Finanzgericht ([X.]) aus: Zwar könnten --wenn es sich bei dem der GmbH gewährten Darlehen um ein kapitalersetzendes Darlehen handele-- aufgrund der [X.] nachträgliche Anschaffungskosten i.S. des § 17 EStG entstanden sein. Dies könne jedoch offenbleiben. Einer Berücksichtigung der Verluste stehe entgegen, dass der bestandskräftige Verlustfeststellungsbescheid 2003 vom 28. Dezember 2005 mangels einschlägiger Änderungsvorschriften nicht mehr geändert werden könne. Eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 [X.] scheide aus. Bei Erlass des Bescheids für 2003 sei der [X.] der Klägerin bereits insoweit realisiert, als das Darlehen nicht besichert gewesen sei. Denn zu diesem Zeitpunkt sei mit einer Rückzahlung des Darlehens nicht mehr zu rechnen gewesen. Nachträgliche Anschaffungskosten hätten daher zumindest in Höhe von (298.351 € ./. 195.000 € =) 103.351 € berücksichtigt werden können. Zu diesen bei [X.] berücksichtigungsfähigen nachträglichen Aufwendungen zählten zudem die Rechtsanwalts- und Prozesskosten hinsichtlich der Durchsetzung des Grundpfandrechts, soweit sie vor dem 28. Dezember 2005 entstanden seien. Einer Berücksichtigung dieser Tatsachen nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 [X.] stehe entgegen, dass die Klägerin ein grobes Verschulden daran treffe, dass diese Tatsachen erst nachträglich im Mai 2006 bekannt geworden seien. Denn die mit dem (ungesicherten) Darlehen verbundenen Aufwendungen seien erst ab Mai 2006 gegenüber dem [X.] geltend gemacht worden. Hinsichtlich des besicherten Darlehensteils und der sonstigen Kosten, soweit diese erst nach [X.] entstanden seien, komme eine Änderung nicht in Betracht, weil die Voraussetzungen des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] nicht vorlägen. Da die Anteilsveräußerung in der Steuererklärung für das [X.] nicht mitgeteilt worden sei, mangele es an einem rückwirkenden Ereignis. Denn die Veräußerung der wesentlichen Beteiligung sei dem [X.] bei Erlass der Bescheide nicht bekannt gewesen und habe damit der Besteuerung nicht zugrunde gelegt werden können. Sei der Sachverhalt in seiner ursprünglichen Gestalt steuerlich nicht erfasst, komme eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] nicht in Betracht.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.].

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen [X.] vom 29. Juli 2014  3 K 77/10 aufzuheben, der Klage stattzugeben und das [X.] zu verpflichten, unter Aufhebung der Ablehnungsentscheidung vom 10. September 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26. Mai 2010 den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer vom 28. Dezember 2005 dahingehend zu ändern, dass zusätzliche negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 314.208 € festgestellt werden.

Das [X.] beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Das [X.] trägt vor, für die Beurteilung der verfahrensrechtlichen Änderungsvoraussetzungen sei zu unterscheiden zwischen den Tatsachen, die vor dem Erlass des streitigen Verlustfeststellungsbescheids entstanden und dann nachträglich bekannt geworden seien und den Vorgängen, die erst nachträglich entstanden seien. Die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 [X.] lägen nicht vor. Im Zeitpunkt des [X.]es habe in Höhe des unbesicherten Teils des Darlehens ein Teil des [X.] schon vorgelegen und hätte einbezogen werden müssen. Insoweit seien der Klägerin lediglich Tatsachen nachträglich bekannt geworden. Allerdings treffe die Klägerin ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden. Auch die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] lägen nicht vor. Diese scheide aus, wenn der Sachverhalt in seiner ursprünglichen Gestalt steuerlich nicht erfasst gewesen sei. Da hier der Ausgangssachverhalt in Gestalt des bei [X.] feststehenden Veräußerungsverlusts nicht erfasst worden sei, könnten die 2008 infolge des endgültigen [X.] hinsichtlich des besicherten Teils entstandenen Aufwendungen nicht berücksichtigt werden. Dies sei nur möglich, wenn bereits in Höhe des bei [X.] feststehenden [X.] entsprechende Angaben der Klägerin erfolgt seien.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

Soweit das [X.] hinsichtlich des unbesicherten und bereits in 2003 ausgefallenen Darlehensanteils und der bis zum 28. Dezember 2005 angefallenen und der Klägerin bekannten Kosten der Rechtsverfolgung eine Änderung des Bescheids abgelehnt hat, ist seine Entscheidung revisionsrechtlich nicht zu beanstanden (1.). [X.] hat das [X.] allerdings die Voraussetzungen des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. [X.] verneint und damit diese Norm verletzt, soweit es hinsichtlich des in 2008 endgültig ausgefallenen [X.] sowie der nach dem 28. Dezember 2005 entstandenen Kosten der Rechtsverfolgung das Vorliegen eines rückwirkenden Ereignisses verneint hat (2.).

1. Soweit das [X.] auf der Grundlage der von ihm getroffenen tatsächlichen Feststellungen hinsichtlich des ausgefallenen unbesicherten [X.] und der bis zum 28. Dezember 2005 angefallenen Kosten der Rechtsverfolgung eine Änderung des Bescheids über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags auf den 31. Dezember 2003 abgelehnt hat, lässt seine Entscheidung im [X.]inblick auf die von der Klägerin gerügte Anwendung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. [X.] keine Rechtsfehler erkennen.

a) Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 181 Abs. 1 Satz 1 AO ist ein Feststellungsbescheid zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Das Ereignis muss nachträglich eintreten, weil nur in diesem Fall die Notwendigkeit besteht, die Bestandskraft zu durchbrechen. Konnte das Ereignis bei Erlass des betreffenden Bescheids bereits berücksichtigt werden, greift die Vorschrift nicht ein (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. Urteil des [X.] --[X.]-- vom 25. Februar 2009 IX R 95/07, [X.], 1393, m.w.N.). Ob dem Ereignis eine rückwirkende steuerliche Bedeutung zukommt, bestimmt sich nach dem einschlägigen materiellen Recht (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. [X.]-Urteile vom 28. Oktober 2009 IX R 17/09, [X.], 349, [X.], 539, unter [X.], und vom 20. November 2012 IX R 34/12, [X.], 8, [X.], 378, unter [X.], jeweils m.w.N.).

Nach § 17 Abs. 1 EStG gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der Verlust aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften, wenn der [X.]er innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der [X.] qualifiziert beteiligt war und er die Beteiligung in seinem Privatvermögen hielt. Veräußerungsgewinn [X.] von § 17 Abs. 1 EStG ist gemäß Abs. 2 Satz 1 der Vorschrift der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten die Anschaffungskosten übersteigt. Veräußerungspreis im Sinne der genannten Vorschrift ist der Wert der Gegenleistung, die der Veräußerer durch Abschluss des dinglichen [X.] am maßgebenden Stichtag erlangt. Anschaffungskosten sind nach § 255 Abs. 1 Satz 1 des [X.]andelsgesetzbuchs ([X.]GB) Aufwendungen, die geleistet werden, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben. Dazu gehören nach § 255 Abs. 1 Satz 2 [X.]GB auch die nachträglichen Anschaffungskosten. Zu den nachträglichen Anschaffungskosten einer Beteiligung zählen neben (verdeckten) Einlagen auch nachträgliche Aufwendungen auf die Beteiligung, wenn sie durch das [X.]sverhältnis veranlasst sind und weder Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen noch Veräußerungs- oder Auflösungskosten sind. Zu in diesem Sinne funktionalem Eigenkapital werden Finanzierungshilfen oder Finanzierungsmaßnahmen, wenn der [X.]er der [X.] in der Krise der [X.] ein Darlehen gewährt (§ 32a Abs. 1 des Gesetzes betreffend die [X.]en mit beschränkter [X.]aftung a.F.) und diese Finanzierungsmaßnahme eigenkapitalersetzenden Charakter hat (ständige Rechtsprechung, vgl. [X.]-Urteile vom 22. Juli 2008 IX R 79/06, [X.], 464, [X.], 227, unter [X.]b aa, und vom 7. Dezember 2010 IX R 16/10, [X.], 778, m.w.N., und vom 20. August 2013 IX R 43/12, [X.], 1783, unter [X.] und II.2.).

Wie der [X.] wiederholt entschieden hat, ist die Gewinnermittlung nach § 17 Abs. 2 EStG nicht nach dem Zuflussprinzip des § 11 EStG, sondern nach einer Stichtagsbewertung auf den Zeitpunkt der Entstehung des Gewinns oder Verlusts vorzunehmen (vgl. z.B. [X.]-Urteil vom 1. Juli 2003 VIII R 71/02, [X.]/NV 2003, 1398, unter 2.a; in [X.], 8, [X.], 378, unter [X.], und vom 1. Juli 2014 IX R 47/13, [X.]E 246, 188, [X.], 786, unter [X.]a). Daran ändert nichts, dass nach Veräußerung einer Beteiligung noch Aufwendungen anfallen können, die nachträgliche Anschaffungskosten der Beteiligung [X.] des § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG darstellen. Das kann, wie der [X.] bereits in seinem Urteil in [X.], 464, [X.], 227, unter [X.]a entschieden hat, insoweit der Fall sein, als ein Kapitalgesellschafter der [X.] ein eigenkapitalersetzendes Darlehen gegeben hat und mit diesem nach der Veräußerung oder Auflösung der [X.] ausfällt (vgl. auch [X.]-Urteil in [X.]/NV 2003, 1398). Solche nachträglichen Anschaffungskosten sind bei der Ermittlung des Gewinns nach § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG im Zeitpunkt der Veräußerung zu berücksichtigen. Es handelt sich dann um ein nachträgliches Ereignis, das die [X.]öhe des Veräußerungs- oder Auflösungsgewinns beeinflusst und auf den Zeitpunkt der Veräußerung oder Auflösung zurückzubeziehen ist. Das Ereignis beeinflusst die Steuerschuld des Jahres der Veräußerung oder Auflösung und ist nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. [X.] zu berücksichtigen (ständige Rechtsprechung, vgl. zuletzt [X.]-Urteil in [X.]E 246, 188, [X.], 786, unter [X.]c; vgl. auch [X.] 17 (5) "Rückbeziehung von Anschaffungskosten" des Amtlichen Einkommensteuer-[X.]andbuchs 2014; [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 175 AO Rz 34).

b) Daran gemessen mangelt es hinsichtlich des unbesicherten [X.] und der bis zum 28. Dezember 2005 angefallenen und der Klägerin bekannt gewordenen Rechtsverfolgungskosten an einem rückwirkenden Ereignis. Denn auf der Grundlage der vom [X.] getroffenen und nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen tatsächlichen Feststellungen war der Darlehensbetrag in [X.]öhe der nicht besicherten Summe bereits im Jahr 2003 und damit bereits vor Erlass des erstmaligen [X.] uneinbringlich geworden. Gleiches gilt für die bis zum Erlass des Bescheides am 28. Dezember 2005 angefallenen Rechtsanwalts- und Gerichtskosten. An einem rückwirkenden Ereignis fehlt es, wenn das [X.] erst nachträglich Kenntnis von einem bereits gegebenen Sachverhalt erlangt.

2. [X.] hat das [X.] die Voraussetzungen des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. [X.] verneint und damit diese Norm verletzt, soweit es hinsichtlich des in 2008 endgültig ausgefallenen [X.] sowie der nach [X.] angefallenen Rechtsanwalts- und Gerichtskosten das Vorliegen eines rückwirkenden Ereignisses verneint hat. Das [X.] war vielmehr berechtigt und auch verpflichtet, im angefochtenen Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags auf den 31. Dezember 2003 den erst nachträglich eingetretenen Darlehensausfall und die damit zusammenhängenden Aufwendungen als nachträgliche Anschaffungskosten zu berücksichtigen, sofern es sich um ein eigenkapitalersetzendes Darlehen gehandelt hat.

a) Soweit das [X.] auf der Grundlage der von ihm festgestellten Tatsachen die Anwendung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. [X.] ablehnt, weil die Veräußerung der Beteiligung im Veranlagungszeitraum 2003 zunächst nicht erklärt und damit auch nicht der Besteuerung unterworfen worden war (so auch [X.] Rheinland-Pfalz, Urteil vom 9. Juni 1999  1 K 1144/97, E[X.] 1999, 878), folgt der [X.] dem nicht. Eine Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. [X.] dahingehend, dass die Norm nur dann Anwendung finden soll, wenn der "Sachverhalt in seiner ursprünglichen Gestalt" bereits steuerlich erfasst ist und eine Änderung eines Veräußerungsgewinns oder -verlusts nach § 17 EStG auf der Grundlage dieser Vorschrift demnach nur erfolgen kann, wenn ein Gewinn oder Verlust bereits in der Einkommensteuererklärung enthalten und nachfolgend im zu ändernden Ausgangsbescheid erfasst ist, lässt sich dem Wortlaut des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. [X.] nicht entnehmen (vgl. von Groll in [X.]übschmann/[X.]epp/[X.], § 175 AO Rz 234).

b) Die Rechtsauffassung des [X.] deckt sich auch nicht mit der bisherigen Rechtsprechung des [X.], die das Vorliegen nachträglicher Anschaffungskosten und demzufolge die Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. [X.] gerade nicht von der Berücksichtigung des [X.] im Ausgangsbescheid abhängig gemacht hat (vgl. [X.]-Urteil in [X.], 464, [X.], 227, unter [X.]). Der Rechtsprechung des [X.] zu anderen Anwendungsfällen des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. [X.] lässt sich eine derartige Einschränkung ebenfalls nicht entnehmen (vgl. [X.]-Urteile vom 12. Juli 1989 [X.], [X.]E 157, 484, [X.] 1989, 957, und vom 28. Juli 2005 III R 48/03, [X.]E 210, 393, [X.] 2005, 865, unter [X.].; vgl. auch den Überblick bei [X.] in Tipke/[X.], a.a.[X.], § 175 AO Rz 33 ff.). Vielmehr findet § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. [X.] sogar dann Anwendung, wenn der Steuer- oder Feststellungsbescheid, in dem der Vorgang zu berücksichtigen ist, überhaupt noch nicht ergangen ist und das rückwirkende Ereignis beim erstmaligen Erlass des Steuer- oder Feststellungsbescheids zu berücksichtigen ist (vgl. [X.]-Urteil vom 19. August 2003 VIII R 67/02, [X.]E 203, 309, [X.] 2004, 107, unter 1.a, m.w.N.).

3. Das Urteil des [X.] ist daher aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das [X.] hat es --aus seiner Sicht folgerichtig-- unterlassen, Feststellungen zu treffen, ob es sich bei dem hingegebenen und erst 2008 endgültig ausgefallenen Darlehensteil um ein eigenkapitalersetzendes Darlehen gehandelt hat. Dies hat es nachzuholen. Dafür ist insbesondere zu prüfen, ob die Gmb[X.] im Zeitpunkt der Darlehenshingabe für den ausgereichten und über die Grundschuld zweitrangig abgesicherten Betrag noch vollständig oder nur teilweise kreditwürdig war oder ob die Klägerin im [X.]inblick auf die zumindest teilweise fehlende Kreditwürdigkeit von vornherein eine (Misch-)Finanzierung der [X.] aus Fremdkapital und [X.]erdarlehen beabsichtigt hat. [X.] das [X.] den eigenkapitalersetzenden Charakter des [X.] ausgefallenen Darlehensteils, reicht die Änderungsbefugnis nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. [X.] nach dem Wortlaut der Vorschrift nur soweit, als der nachträgliche Ausfall nebst den damit zusammenhängenden Kosten als rückwirkendes Ereignis zu berücksichtigen ist. Insoweit ist der Klage dann teilweise stattzugeben. [X.] das [X.] den eigenkapitalersetzenden Charakter dieses Darlehensteils, ist die Klage insgesamt abzuweisen.

4. [X.] beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

IX R 30/14

16.06.2015

Bundesfinanzhof 9. Senat

Urteil

vorgehend Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, 29. Juli 2014, Az: 3 K 77/10, Urteil

§ 173 Abs 1 Nr 2 AO, § 175 Abs 1 S 1 Nr 2 AO, § 17 Abs 1 EStG 2002, § 17 Abs 4 EStG 2002, § 32a GmbHG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 16.06.2015, Az. IX R 30/14 (REWIS RS 2015, 9766)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 9766

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