Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.06.2016, Az. IV ZR 431/14

IV. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 9503

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[X.]:[X.]:BGH:2016:220616UIVZR431.14.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
IV ZR 431/14
Verkündet am:

22. Juni 2016

Heinekamp

Amtsinspektor

als Urkundsbeamter

der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk: ja

BGHZ: nein

BGHR:

ja

[X.] § 5

Weicht der Inhalt des Versicherungsscheins zugunsten des Versicherungsnehmers vom Inhalt des zugrunde liegenden Antrags ab, so kommt der Versicherungsvertrag auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 [X.] mit dem Inhalt des Versicherungsscheins zustande, wenn der Versicherungsnehmer nicht binnen eines Monats widerspricht (Bestätigung des [X.] vom 22. Februar 1995 -
[X.], [X.], 648).

BGH, Urteil vom 22. Juni 2016 -
IV ZR 431/14 -
OLG [X.]

[X.]

-
2
-

Der IV.
Zivilsenat des [X.] hat durch die
Vorsitzende Richterin [X.], [X.], [X.], die Richterinnen
Dr.
[X.] und Dr.
Bußmann
auf die mündliche Verhandlung vom 22.
Juni 2016

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Klägerin
wird
das Urteil des 20. Zi-vilsenats des [X.] vom 7. Oktober 2014 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entschei-dung, auch über die Kosten
des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin macht Leistungsansprüche
aus einer Berufsunfähig-keitszusatzversicherung geltend, die sie im Jahre 2009 bei der [X.] abgeschlossen hat. Die Parteien streiten im Revisionsverfahren aus-schließlich darum, ob die Beklagte die Klägerin abstrakt auf einen
ande-ren
Ausbildungsberuf
verweisen kann.

Den Versicherungsantrag stellte die Klägerin am 5. August 2009. In dem Vorschlag [X.] der [X.] für einen Antrag war neben 1
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einem Verweis auf die Versicherungsbedingungen die folgende Klausel enthalten:

"Maßgebende Versicherungsbedingungen/Zusätzliche Ver-einbarungen

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Es gilt folgende Regelung: Ist die versicherte Person bei Eintritt des in § 1, Absatz 1, 2 oder 3 der Bedingungen für die [X.] beschriebenen Zustands Auszubildender, so kommt es bei der Anwen-dung von § 1, Absatz 1 bis 3 darauf an, dass die versi-cherte Person außer Stande ist, einer Tätigkeit als [X.] nachzugehen oder eine Tätigkeit auszuüben, zu der sie auf
Grund ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten in der Lage ist und die ihrer bisherigen Lebensstellung ent-spricht. Abweichend hiervon erbringen wir, sofern sich die versicherte Person beim
Eintritt des in § 1, Absatz 1, 2 oder 3 beschriebenen Zustands im letzten Ausbildungsjahr einer dreijährigen Ausbildung befindet und aus medizini-schen Gründen eine neue Ausbildung beginnt, Leistungen für die ersten zwei Jahre der neuen Ausbildung, sofern diese tatsächlich absolviert wird. Bei kürzeren [X.] gelten entsprechend anteilige Zeiträume.

Der Versicherungsantrag der Klägerin nahm auf diesen Vorschlag in der Weise Bezug, dass es dort heißt:

"Dieser Antrag gilt nur in Verbindung
mit dem zum [X.] gehörenden Vorschlag Nr. [X.]".

In dem am 14. August 2009 ausgestellten Versicherungsschein ist die
Klausel zu Ausbildungsverhältnissen
dagegen nicht wiederholt. Auf Seite 7 ist lediglich auf die Versicherungsbedingungen
verwiesen und zu den "Bedingungen für die [X.] 3
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([X.] 03.09)" heißt es dort: "Diese Bedingungen haben Sie bereits mit der [X.] erhalten."

In diesen Bedingungen lautet es in § 1 Abs. 1 unter anderem:

Eine Verweisung auf eine andere Tätigkeit kommt nur dann in Betracht, wenn diese im Sinne von Absatz 4 a) konkret ausgeübt wird (Verzicht auf abstrakte Verwei-sung)."

Die Klägerin absolvierte eine im August 2010 begonnene Ausbil-dung zur Einzelhandelskauffrau, als sie Ende Januar 2011 einen Band-scheibenvorfall erlitt. Danach suchte sie ihre Ausbildungsstelle nicht mehr auf. Seit dem 1. September 2013 befindet sie sich in einer Ausbil-dung zur Fachangestellten für Arbeitsmarktdienstleistungen.

Die Klägerin behauptet, aufgrund des erlittenen Bandscheibenvor-falls und dessen Folgen seither bedingungsgemäß berufsunfähig zu sein. Sie meint, eine Verweisung auf die ausgeübte Tätigkeit als Fachange-stellte für Arbeitsmarktdienstleistungen sei nicht zulässig. Die
in dem [X.] enthaltene [X.] zur Berufsunfähigkeit bei Auszubildenden sei nicht Vertragsinhalt geworden und die jetzt ausgeübte Tätigkeit sei auch nicht mit derjenigen einer Einzelhandelskauffrau vergleichbar.

In den Vorinstanzen ist die Klage erfolglos geblieben. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer
Revision.
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Entscheidungsgründe:

Die Revision hat Erfolg.
Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Dieses hat angenommen, dass die Beklagte die Klägerin [X.] wirksam auf den Ausbildungsberuf der Bürokauffrau verwiesen hat. Die [X.], die die Möglichkeit einer abstrakten Verweisung in den beiden ersten Ausbildungsjahren vorsieht, sei Vertragsbestandteil geworden. Die Beklagte habe den Antrag der Klägerin einschließlich die-ser Klausel angenommen. Die fehlende Wiederholung im [X.] ändere daran nichts. Zwar habe der Versicherungsschein grund-sätzlich die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit für sich; diese Vermutung sei hier aber durch das von der Klägerin unterzeichnete For-mular, das die fragliche Klausel enthielt, widerlegt. Ausgehend davon stünden der Klägerin keine Leistungen zu, weil eine abstrakte [X.] bestehe. Dass sie für den Ausbildungsberuf der Büro-kauffrau ungeeignet sei oder ihre gesundheitlichen Beeinträchtigungen dieser Ausbildung entgegenstünden, habe die Klägerin nicht aufgezeigt. Auf die Möglichkeit der konkreten Verweisung auf den aktuellen Ausbil-dungsberuf der Klägerin komme es nicht
an.

II.
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Nach §
5 Abs. 1 [X.] kommt
der Versicherungsvertrag mit dem Inhalt des Versicherungsscheins zustande, sofern dieser vom Inhalt des zugrunde liegenden Antrags abweicht
und
der Versicherungsnehmer 9
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dem nicht binnen eines Monats widerspricht; dies gilt nach der Recht-sprechung des Senats im Falle einer dem Versicherungsnehmer günsti-gen Abweichung auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des Absat-zes 2 der Vorschrift, weil dieser
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anders als Absatz 1 -
nur im Falle den Versicherungsnehmer benachteiligender Abweichungen anzuwenden ist (Senatsurteil vom 22. Februar 1995 -
[X.], [X.], 648 un-ter 1 a m.w.N.).

An dieser Auslegung
des §
5 [X.] hält der Senat
auch in [X.] der im Schrifttum nach der [X.]-Reform geführten Diskussion fest.

Soweit die Auffassung vertreten wird, dass sich der Inhalt des [X.] in diesen Fällen nicht nach §
5 Abs.
1 [X.], sondern nach den allgemeinen Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuchs richte ([X.] in [X.]/[X.], [X.] 29.
Aufl. §
5 Rn.
7; Knops in [X.], [X.] 9.
Aufl. §
5 Rn.
8; jeweils unter Verweis auf §
150 Abs.
2 BGB), ist dem entgegenzuhalten, dass der klare Wortlaut des §
5 Abs.
1 [X.] gegen eine Einschränkung auf dem Versicherungsnehmer ungünstige Abwei-chungen spricht und eine solche Einschränkung auch durch den Zweck der Norm nicht geboten wird (ebenso mit zutreffender Begründung Jo-hannsen in [X.]/Matusche-[X.], Versicherungsrechts-Hand-buch 3.
Aufl.
§
8 Rn.
59 und HK-[X.]/[X.], 3.
Aufl. § 5 Rn.
9).

Aber auch der Ansicht, dass im Falle für den Versicherungsnehmer günstiger Abweichungen §
5 [X.] insgesamt, also einschließlich der [X.] und 3, anzuwenden sei und deshalb auch in diesem Fall eine dem §
5 Abs.
2 [X.] entsprechende Belehrung erforderlich
sei, damit die Abweichung zum Vertragsinhalt wird (so [X.] in [X.]/Pohlmann, [X.] 2.
Aufl. §
5 Rn.
16),
ist nicht zu folgen.
Sie berücksich-13
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tigt nicht hinreichend, dass es sich bei Absatz 2 des §
5 [X.] um eine Schutzvorschrift für den Versicherungsnehmer handelt und deshalb kein Grund ersichtlich ist, weshalb ein Versicherer aus der Verletzung dieser Schutzvorschrift sollte Rechte herleiten können (Senatsurteil vom 21. Januar 1976 -
IV ZR 123/74, [X.], 477 unter [X.], juris Rn.
41); daran hat sich durch die Neufassung von §
5 Abs.
3 [X.]
im Zuge der [X.]-Reform nichts geändert (so auch [X.] in [X.]/Matusche-[X.], [X.] 3.
Aufl. §
8 Rn.
59).

Im Ergebnis zu keinem Unterschied führt schließlich die [X.], nach der zwar die Absätze 2 und 3 des §
5 [X.] auf alle [X.] vom Antrag anwendbar sein sollen, es dem Versicherer aber bei Abweichungen, die für den Versicherungs-nehmer günstig sind, nach §
242 BGB verwehrt sei, sich auf das Fehlen der Voraussetzungen für die Genehmigungsfiktion zu berufen
(so MünchKomm-[X.]/[X.], 2.
Aufl. §
5 Rn.
29
und FAKomm-VersR/Reusch, [X.]
§
5 Rn.
22
f.).

2. Eine Ausnahme von der Genehmigungsfiktion nach §
5 Abs.
1 [X.] ist nur dann zu machen, wenn der Erklärende

also der Versiche-rer

in Wahrheit etwas anderes wollte und der Erklärungsempfänger

also der Versicherungsnehmer -
dies erkannt hat, mithin der überein-stimmende Wille beider Parteien auf einen anderen [X.] war. In diesen Fällen ist unabhängig von der Regelung des § 5 [X.] der wahre Wille des Erklärenden maßgebend (Senatsurteil vom 22.
Februar 1995 -
[X.], [X.], 648 unter 2).
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3. Nach den vorgenannten Maßstäben hat das Berufungsgericht zu Unrecht angenommen, dass die im Vorschlag der [X.] enthaltene und im Antrag der Klägerin in Bezug genommene Zusatzvereinbarung Bestandteil
des Versicherungsvertrages geworden ist.

a) Der Versicherungsschein erwähnt diese Zusatzvereinbarung nicht, sondern nennt als für die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung
geltende Versicherungsbedingungen ausschließlich die [X.] 03.09, die die Klägerin mit der [X.] bereits erhalten habe. [X.] als die Revisionserwiderung meint, lässt sich diesem Hinweis auf deren Aushändigung nicht entnehmen, dass weitere -
an dieser Stelle nicht erwähnte -
Vereinbarungen oder Bedingungen für den [X.] sollen.

Damit liegt eine Abweichung des Versicherungsscheins vom [X.] vor, so dass der Anwendungsbereich des §
5 Abs. 1 [X.] eröffnet ist.
Von einer solchen Abweichung geht letztlich auch das Berufungsge-richt aus, wenn es seiner Entscheidung zugrunde legt, dass die Vermu-tung der Richtigkeit und Vollständigkeit des Versicherungsscheins durch den von der Klägerin unterzeichneten Antrag widerlegt sei. Diese Kon-struktion setzt voraus, dass Versicherungsschein und Versicherungsan-trag einen voneinander abweichenden Inhalt haben, weil anderenfalls ei-ne Widerlegung der genannten Vermutung nicht stattfinden kann.

b) Mit seiner Begründung verkennt das Berufungsgericht indes den Regelungsgehalt des § 5 Abs. 1 [X.]. Indem die Vorschrift anordnet, dass mangels Widerspruchs
des Versicherungsnehmers der Inhalt des Versicherungsscheins bei einem vom Versicherungsantrag abweichen-den Inhalt als genehmigt gilt, schließt die Norm gerade aus, dass in die-18
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sem Fall der vorherige Antrag den Vertragsinhalt bestimmt. Die [X.] hat insoweit konstitutive vertragsgestaltende Wirkung (MünchKomm-[X.]/[X.], [X.] 2.
Aufl. § 5 Rn. 54).
Mit ihr soll si-chergestellt werden, dass alle Bedingungen eines Versicherungsvertra-ges in einer einheitlichen Urkunde niedergelegt werden und damit im Streitfall leicht beweisbar sind (Senatsurteil vom 21. Januar 1976 -
IV ZR 123/74, [X.], 477 unter [X.], juris Rn.
41).

c) Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung liegt nach den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts kein Fall eines übereinstimmenden abweichenden Verständnisses im Sinne des Senats-urteils vom 22.
Februar 1995 ([X.], [X.], 648 unter 2) vor. Dies setzte voraus, dass der Versicherungsnehmer tatsächlich er-kannt hat, dass der Versicherer in Wahrheit etwas anderes erklären [X.]. Dies hat das Berufungsgericht jedoch nicht festgestellt, sondern le-diglich ausgeführt, die Klägerin habe nicht erwarten können und dürfen, dass die Beklagte ihren Antrag ohne die [X.] annehme. Positives Wissen um einen vom Inhalt des Versicherungsscheins abwei-chenden Willen des Versicherers bei Erhalt des Versicherungsscheins folgt daraus nicht.

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III. Die Sache ist nicht entscheidungsreif, weil auch Feststellungen zu einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit und zu einer konkreten Verweisungsmöglichkeit nach Maßgabe des §
1 Abs.
1 [X.] 03.09 bis-lang nicht getroffen sind. Das Berufungsgericht wird die genannten [X.] deshalb nunmehr nachzuholen haben.

[X.] [X.] [X.]

Dr. [X.] Dr. Bußmann

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 07.03.2014 -
9 [X.]/13 -

OLG [X.], Entscheidung vom 07.10.2014 -
20 [X.] -

23

Meta

IV ZR 431/14

22.06.2016

Bundesgerichtshof IV. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.06.2016, Az. IV ZR 431/14 (REWIS RS 2016, 9503)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 9503

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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IV ZR 431/14

20 U 62/14

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