Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.11.2015, Az. 5 StR 259/15

5. Strafsenat | REWIS RS 2015, 2544

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen


BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
5 StR 259/15

vom
11. November 2015
in der Strafsache
gegen

wegen Totschlags

-
2
-
Der 5.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 11. Novem-ber
2015, an der teilgenommen haben:
[X.] Dr. Sander

als Vorsitzender,

[X.],
[X.] Dr. König,
[X.] [X.],
[X.] Bellay

als beisitzende [X.],

Oberstaatsanwältin beim [X.]

als Vertreterin
der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt V.

,
Rechtsanwalt B.

als Verteidiger,

Rechtsanwältin He.

als Vertreterin der
Nebenklägerin

K.

,
-
3
-
Rechtsanwalt Bö.

als Vertreter des [X.] C.

W.

,

Rechtsanwalt

N.

,
Rechtsanwalt R.

als Vertreter des [X.] U.

W.

,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

-
4
-
für Recht erkannt:

Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Ne-benklägers U.

W.

wird das Urteil des [X.] vom 29. Dezember 2014

unter Aufrechterhaltung der Feststellungen zur Vorgeschichte, zum Mietverhältnis, zum Nachtatgeschehen und zu den [X.] bei der Zeugin Hä.

aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an ei-ne andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Land-gerichts zurückverwiesen.
Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

-
Von Rechts wegen
-

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Totschlags
zu einer Frei-heitsstrafe von acht Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychi-atrischen Krankenhaus angeordnet. Die hiergegen gerichteten Revisionen der Staatsanwaltschaft und des [X.] U.

W.

haben mit der [X.] weitgehend Erfolg.
1
-
5
-
1. Das [X.] hat im Wesentlichen Folgendes festgestellt:
Der Angeklagte ist Eigentümer eines Mehrfamilienhauses in [X.], in dem er zur Tatzeit auch selbst wohnte. Der später Getötete J.

W.

war Mieter einer im [X.] des Hauses gelegenen Wohnung. Seit einem von Herrn W.

nicht akzeptierten Mieterhöhungsverlangen des Angeklagten lebten die beiden in Streit. Dessen Grund lag hauptsächlich in der Persönlich-keit des Angeklagten, die durch zwanghafte, von hoher Kränkbarkeit geprägte impulsiv-aggressive Züge bestimmt ist. Bei Begegnungen mit Herrn W.

ge-riet der Angeklagte oftmals in hochgradige Wut, beschimpfte ihn und forderte ihn zum Auszug auf. Darüber hinaus entwickelte er seit [X.] 2011 ein wahnhaftes Ideengebäude, das sich in einer paranoid gesteigerten Überzeich-nung und Umdeutung alltäglicher Situationen auswirkte. Er glaubte sich von Herrn W.

beschattet. Schließlich sah er ihn als Kopf
einer konspirativen Bande an, der ihm nach dem Haus und weiteren Vermögenswerten trachte.
Im [X.] 2012 stellte er

mit einer Axt bewaffnet

Herrn W.

wegen eingebildeter negativer Äußerungen zur Rede. Dieser konnte flüchten. Jedoch gelang es dem Angeklagten, ihn zu stellen und mit der Faust bewusstlos zu schlagen. Hierfür wurde der Angeklagte unter Strafaussetzung zur Bewährung zu acht Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Jedoch entspannte sich die Lage nicht.
Am Morgen des 12. Februar 2014 begab sich Herr W.

ins Treppen-haus, um die Tageszeitung zu holen. Wie stets, wenn er sich dort befand, trug er eine Dose Pfefferspray und ein für einen sofortigen Notruf vorbereitetes [X.] bei sich. Der Angeklagte hörte Herrn W.

und wollte ihn wegen ei-nes kurz zuvor eingegangenen anwaltlichen Schreibens zur Rede stellen. Er 2
3
4
5
-
6
-
betrat das Treppenhaus und sprach ihn in barschem Ton an. Aufgrund seiner wahnhaften Beziehungsverarbeitung deutete er die

durch das [X.] nicht festgestellte

Reaktion Herrn W.

s als herabsetzend und glaubte sich kräftigen Faustschlag ins Gesicht. Herr W.

ging zu Boden und blieb mit schmerzverzerrtem Gesicht liegen. In wahnbedingter Verkennung der Situation meinte der Angeklagte, dass Herr W.

raptusartig derart in Wut geraten, dass infolge eines aggressiven [X.] die letzten Schranken brachen und er sich spontan entschloss, dieses ihn vermeintlich angrinsende Gesicht seines ihn verhöhnenden Feindes endgül-

Aus einer Abstellkammer holte er einen Zimmermannshammer und schlug damit mehrfach auf das Gesicht und den Kopf seines Opfers ein, um es zu töten. Hierdurch verursachte er schwerste, möglicherweise schon tödliche Verletzungen. Nach wie vor rasend vor Wut stach er anschließend mit einem Messer mehrfach und mit großer Wucht in den Hals-
und Brustbereich. [X.]

2. Das sachverständig beratene [X.] ist davon ausgegangen, dass der Angeklagte aufgrund eines durch die Wahnstörung verursachten und sein Verhalten intendierenden aggressiven [X.]s im Zustand ver-minderter Steuerungsfähigkeit nach § 21 StGB gehandelt habe. Eine [X.] Aufhebung der Steuerungsfähigkeit habe hingegen nicht vorgelegen. Das Mordmerkmal der Heimtücke ist nach Auffassung der Schwurgerichtskammer mangels Arglosigkeit des Opfers nicht verwirklicht. Wie die Mitnahme des Pfef-fersprays und des Mobiltelefons zeige, habe Herr W.

ständig mit erhebli-chen Angriffen des Angeklagten auf seine körperliche Integrität gerechnet.
6
7
-
7
-
3. Das Urteil hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Gegen die Schuld-fähigkeitsprüfung der Schwurgerichtskammer bestehen durchgreifende [X.].
a) Der [X.] hat in seiner Antragsschrift insoweit [X.] ausgeführt:

Die Diagnose der isolierten Wahnstörung im Sinne eines Be-ziehungswahns wird im Urteil nicht näher klassifiziert. Die ge-wählte Formulierung lässt auch offen, welches Eingangskriteri-um des § 20 StGB erfasst sein soll. Zwar ist die krankhafte see-lische Störung ausdrücklich benannt; jedoch ist wegen der sich daran anschließenden Formulierungen unklar, ob die [X.] tatsächlich (begründet) von diesem Eingangskriterium ausgeht.
Dem Kontext des Urteils lässt sich allenfalls entnehmen, dass eine exogene Psychose als Unterfall der krankhaften seeli-schen Störung wohl nicht in Betracht kommt, ebenso wenig wie eine akute Intoxikationspsychose. Von Relevanz wäre mithin [X.] eine endogene Psychose als Unterfall der krankhaften seelischen Störung. Diese könnte aus dem Formenkreis der Schizophrenie stammen, aber auch aus einer bipolaren Störung mit Wahnsymptomen oder affektiven Psychosen resultieren. [X.] seelische Abartigkeit

im Sinne des § 20 StGB in Betracht, wobei der [X.] dann allein auf wahnhaftem Erleben und wohl nicht auf der Persönlichkeitsstörung beruhen würde. In einem derartigen Fall wäre jedoch zwingend die Frage nach dem [X.] und der [X.] zu diskutieren gewesen. Daran fehlt es hier.
Das dargelegte Störungsbild, vor allem die Betonung des wahnhaften Erlebens, aber
auch die Beschreibung des Zu-standsbildes des Angeklagten in der Untersuchungshaft (UA S.
32 ff.) hätten Anlass zu der Erörterung geboten, ob die Diag-nose den geistig-seelischen Zustand des Angeklagten [X.] zutreffend beschreibt. So tritt ein Beziehungs-
und Be-8
9
-
8
-
einträchtigungswahn häufig als Begleitsymptom einer anderen psychiatrischen Störung, wie der Schizophrenie oder anderen Formen des paranoiden, wahnhaften Erlebens auf. Hier bleibt allerdings völlig im Dunkeln, ob es sich bei dem diagnostizierten isolier

um eine eigenständige (paranoide) Persönlichkeitsstörung ([X.] 60.0) handelt oder um einen Ausschnitt einer paranoiden Psychose ([X.] 22.0) oder [X.] (paranoiden) Schizophrenie ([X.] 20.0), Diagnosen, die sich zum
Teil gegenseitig ausschließen. Das lässt insge-samt besorgen, dass die Art der Störung und damit auch der Schweregrad und ihr Einfluss auf die Schuldfähigkeit unzutref-fend beurteilt worden sind.

Wahnsysteme

festgestellt sind, steht
der Beeinträchtigung oder gar Aufhebung der Einsichts-
oder Steuerun, zielgerichtetes

Verhal-ten regelmäßig indiziell nicht entgegen, weil die Aufhebung der inneren Sinnstruktur nicht regelmäßiges Kennzeichen wahnhaf-ten Erlebens ist. Insgesamt erfassen diese Störungen eine gro-ße Bandbreite von Ausprägungen und Schweregraden. Daher ist die bloße Feststellung einer Diagnose ohne weitere nach-vollziehbare Darlegungen zur Einordnung der Störung in den Kreis psychischer Störungen
mit unterschiedlichen Auswirkun-gen auf die Einsichts-
und Steuerungsfähigkeit für die Beurtei-lung der Schuldfähigkeit nicht aussagekräftig.
Besonders deutlich wird dies angesichts der weiteren Beschrei-bungen des psychischen Zustandsbilds des Angeklagten bei der Tat: Der Angeklagte
wollte J.

W.

durch seine Störung bedingten aggressiven [X.]

ver-nichtraptusartig durch die Wahnstörung ausgelöst

war ([X.]). In den Feststellungen ist der Angeklagte insoweit als rasend vor wahnhaft bedingter

beschrieben (UA S.
15). Angesichts dieser [X.] genügt es nicht, schlicht zu behaupten, die Steu-erungsfähigkeit des Angeklagten sei nicht aufgehoben gewesen ([X.]). Die Frage nach der Einsichtsfähigkeit des Ange-klagten wird gar nicht gestellt, geschweige denn erörtert. Das Urteil ist auch insoweit lückenhaft und nicht nachvollziehbar.

-
9
-
b) Der Senat tritt dem bei. Allerdings wird der Schwerpunkt der [X.] unter anderem wegen Äußerungen des Angeklagten nach der Tat, die auf eine erhaltene [X.] hindeuten, bei der [X.] liegen. Die Sache bedarf wegen der rechtsfehlerhaften Erörterung der Schuldfähigkeit auch hinsichtlich des Maßregelausspruchs neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Zuziehung eines anderen psychiatrischen Sachverstän-digen liegt nahe.
c) Hingegen sind die im Tenor bezeichneten Feststellungen rechtsfehler-frei getroffen und können bestehen bleiben. Der nicht revidierende Angeklagte hat von der Möglichkeit, seine Verurteilung und damit auch die Feststellungen anzugreifen, keinen Gebrauch gemacht. Ergänzende Feststellungen sind mög-lich, sofern sie den bestehenden nicht widersprechen.
4. Für den Fall, dass die neue Hauptverhandlung abermals eine grund-sätzlich aufrechterhaltene Schuldfähigkeit des Angeklagten ergeben sollte, wird Folgendes zu beachten sein:
Die Revisionsführer weisen zu Recht darauf hin, dass das [X.] seiner Prüfung des [X.] der Heimtücke unzutreffende rechtliche Maßstäbe zugrunde gelegt hat. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] steht eine auf früheren Aggressionen und einer feindseligen Atmo-sphäre beruhende latente Angst des Opfers der Annahme von Arglosigkeit nicht entgegen; es kommt vielmehr darauf an, ob das Opfer gerade im Tatzeitpunkt mit Angriffen auf sein Leben gerechnet hat (vgl. etwa [X.], Urteile vom [X.] 1993

5 StR 473/93, [X.]St 39, 353, 368 f.; vom 23. August 2000

3 [X.], [X.], 14; vom 9. September 2003

5 [X.], [X.], 14, 15 f.;
vom 30. August 2012

4 StR 84/12, [X.], 337, 338). Ferner kann bei einem zunächst in [X.] geführten 10
11
12
13
-
10
-
Angriff Arglosigkeit bejaht werden, wenn der ursprüngliche Verletzungswille des [X.] so schnell in einen Tötungsvorsatz umschlägt, dass der Überraschungs-effekt bei Beginn der eigentlichen Tötungshandlung noch andauert (st. Rspr., vgl. etwa [X.], Urteil vom 27. Juni 2006

1 [X.], [X.], 502, 503 mwN).
Nach den im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen erscheint danach eine Arglosigkeit des keine Abwehrverletzungen aufweisenden Opfers nicht ausgeschlossen. Im Blick auf die Wahnstörung des Angeklagten und den durch die Schwurgerichtskammer angenommenen [X.] wäre ge-gebenenfalls jedoch eingehend zu erörtern, ob der Angeklagte mit [X.] gehandelt hat (hierzu LK-StGB/Jähnke, 11. Aufl., § 211 Rn.
45 mwN).

Sander [X.]

König

[X.] Bellay

14

Meta

5 StR 259/15

11.11.2015

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.11.2015, Az. 5 StR 259/15 (REWIS RS 2015, 2544)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 2544

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

5 StR 259/15 (Bundesgerichtshof)

Heimtückemord: Beurteilung der Schuldfähigkeit bei Feststellung eines krankhaften Beziehungswahns; Heimtücke trotz offener Feindseligkeit und bekannter …


5 StR 513/07 (Bundesgerichtshof)


5 StR 580/17 (Bundesgerichtshof)

Keine verminderte Schuldfähigkeit allein aufgrund Diagnose einer wahnhaften Störung


2 StR 17/22 (Bundesgerichtshof)

Tatrichterliche Feststellungen zur Unterbringungsanordnung bei Angeklagter mir paranoider Schizophrenie


6 StR 470/21 (Bundesgerichtshof)

Anforderungen an die Schuldfähigkeitsprüfung im Zusammenhang mit einem „akuten Eifersuchtswahn“


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

5 StR 259/15

4 StR 84/12

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.