Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.06.2015, Az. 1 StR 606/14

1. Strafsenat | REWIS RS 2015, 10167

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
1
StR
606/14

vom
9. Juni
2015
[X.]St:
ja
[X.]R:
ja
Nachschlagewerk:
ja
Veröffentlichung:
ja
___________________________

StGB § 32

Zur Rechtswidrigkeit des Angriffs im Sinne von § 32 Abs. 2 StGB bei hoheitlichem Handeln.

[X.], Urteil vom 9. Juni 2015 -
1 [X.] -
LG Stuttgart

in der Strafsache
gegen

alias:

-
2
-

wegen versuchten Totschlags

-
3
-
Der 1.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 9. Juni 2015, an der teilgenommen haben:
[X.] am [X.]
Dr. Raum

und [X.] am [X.]
Rothfuß,
Prof. Dr. [X.],
Prof. Dr. [X.],
Prof. Dr. [X.],

Richterin am [X.]

als Vertreterin
der [X.],

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

-
4
-
1.
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.]s Stuttgart vom 6. August 2014 wird verwor-fen.

2.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt.
Seine dagegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision bleibt ohne Erfolg.

A.
I.
1.
Nach den Feststellungen des [X.]s reiste der aus dem [X.] stammende Angeklagte 2002 in die [X.] ein. Sein un-ter Falschpersonalien gestellter Asylantrag wurde 2005 rechtskräftig abgelehnt. Seitdem wurden ihm immer wieder jeweils zeitlich befristete Duldungen erteilt, weil die Ausländerbehörden wegen (vermeintlich) fehlender Ausweisdokumente 1
2
3
-
5
-
von einem tatsächlichen Abschiebehindernis ausgingen. Ende November
2008 wurde der Angeklagte aus der [X.] ausgewiesen; die zuständige Ausländerbehörde setzte jedoch die Abschiebung wegen nach ihrem [X.] weiterhin bestehender Abschiebehindernisse aus und sprach eine weite-re Duldung aus.
Nachdem der Angeklagte seine wahre Identität offenbart und der [X.] Ausweispapiere vorgelegt hatte, ordnete diese seine Abschiebung für den 4.
Februar 2014 an. Allerdings gewährte dieselbe Behörde dem Angeklagten am 13.
Januar 2014 eine weitere, bis zum 14.
April 2014 befristete Duldung. Eine Woche nach Ergehen dieser [X.] beauftragte die Ausländerbehörde dennoch die zuständige Polizeidirektion L.

damit, die angeordnete Abschiebung am 4.
Februar 2014 durch Verbringung des Angeklagten zum Flughafen in [X.] zu vollziehen. Von dort aus sollte er nach [X.] ([X.]) abgeschoben werden. In dem an die [X.] gerichteten Schreiben teilte die Ausländerbehörde mit, die Ab-schiebung sei gegenüber dem Angeklagten schriftlich angekündigt und diesem aufgetragen worden, sich am festgesetzten Tag für die Durchführung der Ab-schiebung bereitzuhalten. Tatsächlich war eine entsprechende Ankündigung gegenüber dem Angeklagten jedoch versehentlich nicht erfolgt.
2.
Da die zuständige Polizeidirektion von einer Information des Ange-klagten über die Abschiebung ausging und dieser nicht als gewaltbereit galt, wurden zwei uniformierte Beamte mit üblicher Ausrüstung und Kleidung, ohne Schutzkleidung, mit der Durchführung der Abschiebung beauftragt. Als die [X.] am frühen Morgen des 4.
Februar 2014 an der Wohnungstür des Ange-klagten klingelten und ihn von der Abschiebung informierten, war dieser völlig überrascht. Auf die Aufforderung hin,
sich auszuweisen, händigte der Ange-4
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6
-
klagte dnicht freiwillig mitkommen und wolle das Land nicht verlassen.
Der Aufforderung der inzwischen in die Wohnung gelangten Beamten, sich anzukleiden, kam der Angeklagte nicht nach. Vielmehr konnte er, von den Polizeibeamten unbemerkt, ein Küchenmesser mit einer Klingenlänge von ca. 20 cm ergreifen. Dieses Messer setzte er sich an den Hals. Durch die von den Polizeibeamten [X.] genommene Suiziddrohung, veranlasste er diese, ihm die Ausfertigung der [X.] zurückzugeben und seine Wohnung [X.] zu verlassen.
3.
Während die Beamten Verstärkung anforderten, begab sich der An-geklagte unter Mitnahme des Küchenmessers auf den Balkon seiner Wohnung und gelangte durch Überklettern einer Trennwand auf den Balkon der Nach-barwohnung. Dort versteckte er sich in einem Geräteschuppen. Dabei hoffte er darauf, dort nicht gefunden zu werden und so der Abschiebung zu entgehen. Für den Fall der als möglich erwarteten Entdeckung wollte er sein Entkommen mittels seines Messers erzwingen (UA S.
9).
4.
Etwa 30 Minuten nach der Alarmierung trafen die polizeilichen [X.] ein. Drei der hinzugekommenen Beamten suchten auf dem Balkon der Nachbarwohnung nach dem Angeklagten. Unter ihnen war [X.] E.

, der u.a. mit einem Kettenhemd geschützt war. Ein zweiter der den [X.] absuchenden Beamten war mit einer Maschinenpistole bewaffnet.
Im Rahmen der Suche versuchte [X.] E.

, die Schiebetür des dem Angeklagten als Versteck dienenden
Geräteschuppens aufzuziehen. Dies misslang jedoch zunächst, weil der Angeklagte die Tür von innen zuhielt. Als der Polizeibeamte E.

daraufhin den Krafteinsatz verstärkte, konnte er die Tür so weit öffnen, dass der hinter ihm stehende Kollege den Angeklagten 6
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-
in dem Schuppen entdeckte und diesen sofort aufforderte, sich auf den Boden zu legen. [X.] E.

zog nunmehr die Tür vollständig auf. Der Angeklag-te hatte dieses erwartet und war entschlossen, das Messer einzusetzen, um sich so den Weg freizukämpfen und der beabsichtigten Abschiebung zu entge-hen. Mit dem in der rechten Hand gehaltenen Messer stach er daher sofort schnell hintereinander mit horizontalen, bogenartigen Bewegungen [X.] in Richtung der linken Schulter und
des Oberkörpers von [X.] E.

. Einer der wuchtig geführten Stiche traf den metallenen Türrahmen der Hütte und führte dort eine Beschädigung herbei. Der Angeklagte, dem die Schutzbekleidung des Beamten nicht bekannt war, rechnete damit, dass [X.] E.

durch die Stiche getötet werden könnte. Dies kümmerte ihn jedoch nicht (UA S.

S.
21). Der Beamte konnte jedoch reflexartig zurückweichen, so dass er durch die Stiche nicht verletzt wurde. Sofort nach der Ausweichbewegung trat [X.] E.

wieder nach vorn und konnte dem nunmehr aus der Hütte hinaus-tretenden Angeklagten mit dem Einsatzstock das Messer aus der [X.]. Anschließend gelang es den drei auf dem Balkon eingesetzten Beamten, den sich wehrenden Angeklagten zu Boden zu bringen und ihm Handfesseln anzulegen.
Ob zumindest einer der Stiche [X.] E.

getroffen hatte und ei-ne Verletzung lediglich durch das getragene Kettenhemd verhindert worden war,
hat das [X.] nicht aufzuklären vermocht.

II.
Es hat eine Rechtfertigung des Angeklagten auf der Grundlage von §
32 StGB ausgeschlossen. Im Zeitpunkt der Ausführung der Stiche habe kein ge-10
11
-
8
-
genwärtiger rechtswidriger Angriff gegen ihn vorgelegen. Zudem habe er nicht mit Verteidigungs-, sondern mit Angriffswillen gehandelt, weil es ihm darum ging, seine Flucht zu ermöglichen (UA S.
24). Einen freiwilligen Rücktritt vom [X.] hat es verneint.

B.
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
I.
Das [X.] hat auf der Grundlage einer [X.] Beweis-würdigung ebenfalls ohne Rechtsfehler einen bedingten Tötungsvorsatz bei dem Angeklagten festgestellt.
1.
Nach der Rechtsprechung des [X.] hat bedingten [X.], wer den Eintritt des Todes als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und billigend in Kauf nimmt (Willenselement). Beide Elemente müssen getrennt voneinander geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Ihre Bejahung oder Vernei-nung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände erfolgen (vgl. [X.], Urteile vom
14.
August 2014 -
4 StR 163/14 Rn.
15, [X.], 3382, 3383; vom 5.
Juni 2014 -
4
StR
439/13 Rn.
7; vom 23.
Februar 2012 -
4
StR
608/11, [X.], 443, 444; vom 27.
Januar 2011 -
4
StR
502/10, [X.], 699, 701 Rn.
34
f. [X.]). In die Prüfung sind dabei neben der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung und der konkreten Angriffsweise des [X.] auch seine psychische Verfassung bei Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen ([X.], Urteile vom 14.
August 2014
-
4 StR 163/14 Rn.
15, [X.], 3382,
3383; vom
5.
Juni 2014
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-
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-
4
StR
439/13 Rn.
7; vom 16.
Mai 2013 -
3
StR 45/13, [X.], 581, 582 [X.]).
2.
Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil gerecht.
a)
Das [X.] hat das Wissenselement des bedingten [X.] ohne Rechtsfehler auf die von dem Angeklagten angenommene erhebli-che objektive Gefährlichkeit seines Vorgehens gegen den Polizeibeamten
E.

gestützt. Diese ist durch die Beschaffenheit des Messers mit einer Klingenlänge von 20
cm, die auch in der Beschädigung des metallenen Tür-rahmens zum Ausdruck kommende Wucht der Stiche sowie ihrer Ausführung in Richtung des Oberkörpers des Beamten ausreichend mit tatsächlichen Um-ständen belegt.
Die von dem Polizeibeamten E.

getragene Schutzkleidung in Gestalt eines [X.] war nicht als gegen die [X.] des bedingten Tötungsvorsatzes sprechender Aspekt zu berücksichtigen. Der Tatrichter hat mit [X.] Erwägungen ausgeschlossen, dass dem Angeklagten das Vorhandensein derartiger Schutzbekleidung durch die [X.] eingesetzten Polizisten bekannt war. Soweit das [X.] dies auch darauf gestützt hat, dass die beiden zunächst mit dem Vollzug der Abschiebung beauftragten Polizeibeamten dem Angeklagten ohne Schutzkleidung gegen-über getreten sind, handelt es sich um einen möglichen Schluss, der revisions-rechtlich hinzunehmen ist.
b)
Die Billigung des als möglich erkannten Todeseintritts, dem der Ange-klagte gleichgültig gegenüberstand, hat das [X.] mit dem von diesem selbst angegebenen unbedingten Fluchtwillen gleichfalls ohne Rechtsfehler begründet. Sonstige Umstände in seiner Person und der Tatausführung stehen dem Willenselement nicht entgegen.
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18
-
10
-
Zwar kann bei einer -
hier aus der Sicht des Angeklagten -
generell le-bensgefährlichen Gewalttat, die spontan, unüberlegt und in affektiver Erregung begangen wird,
aus
dem Wissen um den möglichen Eintritt des Todes nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des [X.] ergebenden Besonderheiten auf eine billigende Inkaufnahme des Erfolgsein-tritts geschlossen werden (siehe [X.], Urteile vom 14.
August 2014 -
4 StR 163/14 Rn.
18, [X.], 3382, 3383
[X.]; vom
17.
Juli
2013 -
2
StR 139/13, [X.], 343; vom 16.
August 2012 -
3
StR
237/12, [X.], 369, 370; vom 25.
November 2010 -
3
StR
364/10, [X.], 338
f.). Das Vorlie-gen solcher Besonderheiten hat das [X.] jedoch verneint. Insbesondere konnte es sachverständig beraten einen Affekt bei dem Angeklagten aus-schließen (UA S.
22 f.). Auch eine spontane Ausführung lag erkennbar nicht vor. Der Angeklagte hat vielmehr planvoll sein Verlassen der Wohnung und das [X.] in der Gartenhütte auf dem [X.] durchgeführt. Zudem hatte er während des wenigstens halbstündigen Versteckens in der [X.], sein weiteres Vorgehen zu überdenken (UA S.
23 f.). Insgesamt hat das [X.] damit auch hinsichtlich der Willenskomponente des be-dingten Tötungsvorsatzes eine ausreichende Gesamtbewertung der maßgebli-chen objektiven und subjektiven Umstände vorgenommen.

II.
Im Ergebnis ist die Annahme eines rechtwidrigen Handelns des Ange-klagten rechtlich nicht zu beanstanden. Die gegen den Polizeibeamten E.

geführten drei Messerstiche waren weder durch Notwehr gemäß §
32 StGB noch durch einen sonstigen Erlaubnissatz gerechtfertigt.
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-
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-
1.
Der Angeklagte sah sich zwar im Zeitpunkt der Messerstiche einem unmittelbar bevorstehenden und damit gegenwärtigen Angriff auf seine durch Art.
2 Abs.
2 Satz
2 GG gewährleistete Fortbewegungsfreiheit seitens des Poli-zeibeamten ausgesetzt. Dieser Angriff war jedoch nicht im Sinne von §
32 Abs.
2 StGB rechtswidrig.
a)
Der -
in dem vorgenannten Sinn -
Rechtmäßigkeit des bevorstehen-den Zugriffs durch den Polizeibeamten E.

stand nicht entgegen, dass der Vollzug der durch die zuständige Ausländerbehörde materiell rechtmäßig angeordneten Abschiebung am 4.
Februar 2014 (noch) nicht erfolgen durfte, weil dem Angeklagten eine über diesen Termin hinausreichende, bis zum 14.
April 2014 befristete Duldung (§
60a [X.]) erteilt worden war. Eine Duldung setzt den Vollzug der Abschiebung
zeitweilig aus (vgl. [X.],
Beschluss vom 2.
Februar 2015 -
11 [X.]/15 Rn.
2; [X.] in [X.]/
[X.]/Dienelt, Ausländerrecht, 10.
Aufl., [X.] §
60a Rn.
16).
Die am 20.
Januar 2014 erfolgte Beauftragung der Polizeidirektion L.

mit dem Vollzug der Abschiebung seitens der zuständigen [X.] stellt sich weder als gemäß §
60a Abs.
5 Satz
2 [X.] möglicher wirksamer Widerruf der am 13.
Januar 2014 dem Angeklagten erteilten [X.] noch als deren wirksame Rücknahme dar. Denn Rücknahme oder Wider-ruf wären jedenfalls dem Angeklagten nicht bekannt gegeben (§
41 Abs.
1 Satz
1 [X.] Baden-Württemberg) worden. Die Voraussetzungen, unter de-nen eine Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes durch Vermittlung einer ande-ren Behörde -
hier der Polizeidirektion
L.

-
erfolgen kann (zu diesen Voraussetzungen BVerwG, Beschlüsse vom 16.
November 2010 -
6 [X.]/10, [X.] 402.44 VersG Nr.
18; vom 5.
Mai 1997 -
1 [X.], [X.] 402.240 §
45 AuslG 1990 Nr.
11), lagen ersichtlich nicht vor. Für eine Beauftra-gung der Polizeidirektion, einen Rücknahme-
oder Widerrufsbescheid bezüglich 21
22
23
-
12
-
der Duldung an den Angeklagten auszuhändigen, bestehen keine Anhaltspunk-te. Vielmehr spricht die seitens der zuständigen Ausländerbehörde der [X.] Polizeidirektion am 20.
Januar 2014 übermittelte (unzutreffende) Infor-mation, dem Angeklagten sei die Abschiebung angekündigt worden, gegen die Möglichkeit, die Ausländerbehörde habe die am 13.
Januar 2014 erteilte [X.] widerrufen oder zurückgenommen und mit der Bekanntgabe dieses [X.] die Vollzugspolizei beauftragt.
Ungeachtet der Aussetzung der Vollziehbarkeit der Abschiebung wegen der erneuten [X.] war aber das auf die Ingewahrsamnahme des Angeklagten zum Zwecke der Abschiebung gerichtete Verhalten von [X.]
E.

kein rechtswidriger Angriff im Sinne von §
32 Abs.
2 StGB.
b)
Nach der Rechtsprechung des [X.] bestimmt sich die Rechtmäßigkeit -
sowohl bezüglich §
32 Abs.
2 StGB als auch §
113 Abs.
3 StGB -
des Handelns von staatlichen Hoheitsträgern bei der Ausübung von Ho-heitsgewalt weder streng akzessorisch nach der materiellen Rechtmäßigkeit des dem Handeln zugrundeliegenden Rechtsgebiets (meist des materiellen Verwaltungsrechts) noch nach der Rechtmäßigkeit entsprechend dem [X.] (vgl. [X.], Urteile vom 31.
März 1953 -
1
[X.], [X.]St 4, 161, 164;
vom 10.
November 1967 -
4 [X.], [X.]St 21, 334, 363 sowie die Nachw. bei [X.]/[X.] in [X.] Kommentar zum StGB, 12.
Aufl., Band 2, §
32 Rn.
117; [X.] in [X.] Kommentar zum StGB,
2.
Aufl., Band
1, §
32 Rn.
75; siehe auch [X.] [1.
Kammer des [X.]], Beschluss vom 30.
April 2007 -
1 BvR 1090/06 Rn.
26 ff.
bzgl. der Rechtmäßigkeit bei §
113 Abs.
3 StGB). Die Rechtmäßigkeit des hoheitlichen Handelns in einem strafrechtlichen Sinne hängt vielmehr lediglich davon ab,
enen we-24
25
-
13
-
sentlichen Förmlichkeiten einhält und der Hoheitsträger sein -
ihm ggf. einge-räumtes -
Ermessen pflichtgemäß ausübt ([X.], Urteile vom 31.
März 1953
-
1 [X.], [X.]St 4, 161, 164; vom
10.
November 1967 -
4 [X.], [X.]St 21, 334, 365; weitere
umfassende Nachw. bei [X.]/[X.] aaO §
32 Rn.
117 Fn.
332; [X.] aaO §
32 Rn.
75 Fn.
159). Befindet sich allerdings der Hoheitsträger in einem schuldhaften Irrtum über die Erforderlichkeit der Amts-ausübung, handelt er willkürlich oder unter Missbrauch seines Amtes, so ist sein Handeln rechtswidrig ([X.], Urteil vom 10.
November 1967 -
4 [X.],
[X.]St 21, 334, 363; in der Sache ebenso bereits [X.], Urteil vom 31.
März 1953 -
1 [X.], [X.]St 4, 161, 164 f.; siehe auch [X.] [2. Kammer des [X.]], Beschluss vom 29. April 1991 -
1 BvR 7/90, NJW 1991, 3023 sowie [X.], Festschrift für [X.], 2002, S.
217, 230 f.).
c)
Diese Auslegung des einfachen Gesetzesrechts mit der teilweisen Ab-lösung des strafrechtlichen Rechtswidrigkeitsbegriffs im Sinne von §
32 Abs.
2 StGB (und §
113 Abs.
3 StGB) von der Rechtmäßigkeit des hoheitlichen Han-delns nach Maßgabe der jeweils einschlägigen außerstrafrechtlichen Rechts-vorschriften ist entgegen der von Teilen der Strafrechtswissenschaft (etwa [X.] in [X.] Kommentar zum StGB, 4.
Aufl., Band 2, §
113 Rn. 39 ff. [X.]) vorgetragenen Kritik verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ([X.], [1.
Kammer des [X.]], Beschluss vom 30.
April 2007 -
1 BvR 1090/06 Rn.
26 ff.
bzgl. der Rechtmäßigkeit bei §
113 Abs.
3
StGB).
d)
Der [X.] hält an der bisherigen Rechtsprechung (vgl. aber [X.], Ur-teil vom 2.
November 2011 -
2 StR 375/11, [X.], 272, 273 mit [X.]. [X.], 207, 209 f.) fest. Die gegen diese in der Strafrechtswissenschaft er-hobenen Einwände (siehe etwa [X.]/[X.] aaO Rn.
119; Kindhäuser in [X.] Kommentar zum StGB, 4.
Aufl., Band
1, §
32 Rn.
69) werden den für die Beurteilung der Voraussetzungen des §
32 Abs.
2 StGB maßgeblichen Be-26
27
-
14
-
sonderheiten der Situation nicht ausreichend gerecht, in der sich ein Bürger drohenden Rechtsgutsbeeinträchtigungen durch einen Hoheitsträger ausge-setzt sieht.
aa)
Der [X.] hat bereits in seiner bisherigen Rechtspre-chung im Zusammenhang mit der Rechtmäßigkeit (im Sinne von §
32 StGB und §
113 StGB) von hoheitlichem Handeln stets in den Blick genommen, in welcher Lage sich (Polizei)Vollzugsbeamte bei Ausübung hoheitlicher Tätigkeit befinden (vgl. [X.], Urteile vom 31.
März 1953
-
1 [X.], [X.]St 4, 161, 164; vom 10.
November 1967 -
4 [X.], [X.]St 21, 334, 365 f.; siehe auch [X.] [1.
Kammer des [X.]], Beschluss vom 30.
April 2007
-
1 BvR 1090/06 Rn.
29 und 36). Diese müssen sich in der konkreten Situation in der Regel unter einem gewissen zeitlichen Druck auf die Ermittlung eines äußeren Sachverhalts beschränken, ohne die Rechtmäßigkeit des eigenen Handelns auf der Grundlage des materiellen Rechts oder des (Verwal-tungs)Vollstreckungsrechts bis in alle Einzelheiten klären zu können (siehe [X.] und [X.] jeweils aaO). Das [X.] hat vor dem dargestellten Hintergrund bezüglich der Auslegung des Rechtmäßigkeitsbegriffs in §
113 Abs.
3 StGB verfassungsrechtlich akzeptiert, dass bei der [X.] umgehenden behördlichen Einschreitens eine Pflicht des betroffenen Bür-gers zur Befolgung einer wirksamen, wenn auch gegebenenfalls rechtswidrigen Diensthandlung besteht ([X.] aaO Rn.
29). Er muss die Amtshandlung grundsätzlich hinnehmen und kann erst nachträglich eine Feststellung der eventuellen Rechtmäßigkeit der Maßnahme erreichen ([X.] aaO [X.]).
bb)
Von diesen Grundsätzen geht auch das [X.] aus. Ihm liegt der Gedanke zugrunde, der betroffene Bürger habe eine Pflicht zur Duldung von Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung auch dann, wenn nicht sämtliche
Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen gegeben sind (vgl. [X.], 28
29
-
15
-
Festschrift für [X.], S.
217, 227 [X.]). Dies ergibt sich aus den ([X.])gesetzlichen Regelungen über den Ausschluss der aufschiebenden Wir-kung von Rechtsbehelfen gegen Vollstreckungsmaßnahmen in den [X.] (etwa §
12 Satz 1 Landesverwaltungsvollstre-ckungsgesetz Baden-Württemberg [[X.]]; siehe auch [X.] in
[X.]/App/Schlatmann, VwVG/[X.], 10. Aufl., §
18 VwVG Rn.
14;
Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 9.
Aufl.,
§
32 Rn.
13). Der Betroffene ist [X.] beschränkt, nachträglichen Rechtsschutz einzuholen. Es ist mit dem [X.] der aufschiebenden Rechtsbehelfe
gegen Verwaltungsvollstreckungs-maßnahmen [X.] nicht zu vereinbaren, gegen solche Maßnahmen dem Betroffenen im Fall ihrer Rechtswidrigkeit das [X.] aus §
32 StGB einzuräumen (zutreffend [X.] aaO).
cc)
Die spezifische Auslegung der Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit im Sinne von §
32 Abs.
2 StGB (und §
113 Abs.
3 StGB) bei hoheitlichem Han-deln trägt auch dem Umstand Rechnung, dass die eingesetzten Vollzugsbeam-ten
im Dienst der staatlichen Ordnung tätig werden, die wiederum die Siche-rung der Rechtsordnung insgesamt gewährleistet ([X.], Urteile vom 31.
März 1953 -
1 [X.], [X.]St 4, 161, 164; vom 10.
November 1967 -
4 [X.], [X.]St 21, 334, 365 f.). Die Entlastung des Vollzugsbeamten von dem Risiko, dass sich bei einer ex post erfolgenden Prüfung der Rechtmäßigkeit seines hoheitlichen Handelns am Maßstab meist des materiellen [X.] oder des Verwaltungsvollstreckungsrechts seine ex ante unter den [X.] Bedingungen seines Handelns vorgenommene Rechtmäßigkeitsbeurtei-lung als unzutreffend erweist und dem von der Maßnahme betroffenen Bürger dann eine ggf. gewaltsame Verteidigung gegen den Hoheitsträger offen stünde, dient gerade im [X.] Rechtsstaat der Sicherung der Entschlusskraft der eingesetzten Vollzugsbeamten (siehe insoweit bereits [X.], Urteil vom 10.
November 1967 -
4 [X.], [X.]St 21, 334, 366 und 367). Wird -
wie 30
-
16
-
hier -
der hoheitlich handelnde Beamte mit der Vollstreckung einer durch eine andere Behörde angeordneten Verwaltungsmaßnahme beauftragt, darf er sich grundsätzlich auf die Rechtmäßigkeit der ihm übertragenen Vollstreckung [X.]. Umgekehrt muss die beauftragende Behörde von dem Vollzug der Maßnahme durch die angewiesene Behörde und deren dort konkret betraute Beamte ausgehen können. Derartige Weisungsverhältnisse bilden im [X.] das notwendige Bindeglied, um die [X.] Legitimation
für die Ausübung von Staatsgewalt sowie die parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierung gewährleisten zu können (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.
November 2014 -
2 C 24/13 Rn.
30; siehe auch grundlegend [X.]E 93, 37, 66 ff. bzgl. der Weisungsgebundenheit der Verwaltung gegenüber der Regierung). Der von der angeordneten Verwaltungsvollstreckung Betroffene wird durch die ihm auf-erlegte Pflicht zur Duldung einer sich im Nachhinein als -
gemessen an den einschlägigen außerstrafrechtlichen Vorschriften -
rechtswidrig erweisenden hoheitlichen Maßnahme nicht rechtlos gestellt. Ihm steht die nachträgliche ge-richtliche Rechtmäßigkeitsprüfung (vgl. Art.
19 Abs.
4 GG) vollständig zur
Ver-fügung.
dd)
Darüber hinaus führte die Gewährung des [X.]s gegen ho-heitliches Handeln zu nicht akzeptablen Konsequenzen im Hinblick auf die Rechtsgüter des betroffenen Bürgers auf der einen Seite und derjenigen des ausführenden Beamten auf der anderen Seite. Der von einer -
nach dem maß-geblichen materiellen Recht oder Vollstreckungsrecht -
rechtswidrigen hoheitli-chen Maßnahme betroffene Bürger befindet sich in einer völlig anderen tat-sächlichen Lage als derjenige, der sich einem rechtswidrigen Angriff auf seine Rechtsgüter durch Private ausgesetzt sieht. Innerhalb der Grenzen seiner [X.]spflicht (siehe unten Rn.
34) ist die Eingriffsintensität der staatlichen Maß-nahme durch die für hoheitliches
Handeln bestehenden Schranken, vor allem den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (dazu im hier relevanten [X.]
-
17
-
hang [X.] [2.
Kammer des [X.]], Beschluss vom 29.
April 1991
-
1 BvR 7/90, NJW 1991, 3023) begrenzt. Es droht typischerweise kein endgül-tiger Verlust des beeinträchtigten Rechtsguts.
Auf der anderen Seite wäre der Vollzugsbeamte bei Gewährung des [X.]s gegen sein hoheitliches
Handeln der Gefahr erheblicher Rechtsgutsbeeinträchtigungen in einer Situation ausgesetzt, in der er ohne ihm vorwerfbaren Irrtum von der Rechtmäßigkeit der hoheitlichen Vollstreckungs-maßnahme ausgeht. Gerade bei Notwehrhandlungen
gegen bewaffnete Poli-zeibeamte im Rahmen des Vollzugs durch andere Behörden angeordneter
Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung wird eine zur endgültigen und siche-die Tötung der eingesetzten Beamten umfassen ([X.], Festschrift für [X.], S.

rechtmäßig wehren. Eine ihm zumutbare legale Verhaltensalternative bliebe ihm dann nicht. Entweder handelt er entgegen dem
ihm erteilten Vollstre-ckungsauftrag oder er macht sich durch eine Abwehr der dann nicht rechtswid-rigen Verteidigung des von seiner hoheitlichen Maßnahme betroffenen Bürgers strafbar.
ee)
Daher folgt der [X.] nicht einer in der Strafrechtswissenschaft
ver-tretenen Auffassung, die bei -
am materiellen Verwaltungsrecht oder dem [X.] gemessen -
rechtswidrigem Handeln des Hoheits-trägers auch strafrechtlich von einem rechtswidrigen Angriff i.S.v. §
32 Abs.
2 StGB ausgeht, dem vom hoheitlichen Handeln Betroffenen aber lediglich ein (eingeschränktes) [X.] gewährt (so etwa Amelung [X.], 329, 337; [X.]/[X.] aaO §
32 Rn.
134 [X.]; der Sache nach über eine Ein-ch [X.], 361 f. mit krit. [X.]. [X.]). Eine solche 32
33
-
18
-
Rechtsauffassung wird weder den beschriebenen (oben Rn.
27-31) tatsächli-chen noch den rechtlichen Besonderheiten des möglichen [X.]s des einzelnen Bürgers gegen das Handeln von staatlichen Hoheitsträgern gerecht. Insbesondere verkennt sie, dass bei dem Vorgehen gegen bewaffnete [X.] deren Tötung oder zumindest deren gravierende Verletzung meist die di-

32).
e)
Die Grenzen der Pflicht zur Duldung einer nach den
maßgeblichen außerstrafrechtlichen Rechtsvorschriften rechtswidrigen hoheitlichen [X.] sind dort erreicht, wo diese mit dem Grundsatz der Rechtsbindung der Ver-waltung (Art.
20 Abs.
3 GG) schlechthin unvereinbar sind ([X.] [2.
Kammer des [X.]], Beschluss vom 29.
April 1991 -
1 BvR 7/90, NJW 1991, 3023; in der Sache ebenso [X.], Urteil vom 31.
März 1953 -
1 [X.], [X.]St 4, 161, 164). Das ist jedenfalls bei Willkür und bei Nichtigkeit des [X.] der Fall ([X.] und [X.] jeweils aaO). Bei der Verwal-tungsvollstreckung endet die Duldungspflicht des Betroffenen auch bei der Nichtigkeit von Verwaltungsakten (§§
43, 44 [X.]) im Schweregrad ent-sprechenden Verletzungen der Voraussetzungen der Verwaltungsvollstreckung ([X.], Festschrift für [X.], S.
217, 230; ähnlich T.
Zimmermann JR 2010, 361, d-tets rechtswidrig im Sinne von §
32 Abs.
2 StGB.
f)
Bei Anwendung der vorstehenden rechtlichen Maßstäbe war der un-mittelbar bevorstehende Angriff durch [X.] E.

auf das Freiheitsrecht des Angeklagten nicht gemäß §
32 Abs.
2 StGB rechtswidrig.
34
35
36
-
19
-
aa)
Der Polizeibeamte E.

handelte, wie die übrigen mit dem Vollzug der Abschiebung beauftragten Polizeibeamten, nach den getroffenen Feststellungen innerhalb seiner örtlichen und sachlichen Zuständigkeit auf-grund des seitens der ihrerseits zuständigen Ausländerbehörden erteilten [X.] zur Verwaltungsvollstreckung. Hinsichtlich der Durchführung des Vollzugs der Abschiebung sind durch die beauftragte Polizei die wesentlichen Förmlich-keiten eingehalten worden. Das gilt auch für die Durchführung der [X.] (vgl. §
9 Abs.
2 [X.]). Gemäß §
9 Abs.
1 [X.] bedarf diese einer
Erlaubnis der Vollstreckungsbehörde. Wie sich aus dem Gesamt-zusammenhang des angefochtenen Urteils ergibt, hatte die Ausländerbehörde eine solche Erlaubnis erteilt. Denn sie hatte der unmittelbar beauftragten [X.] L.

mitgeteilt, dem Angeklagten als Abzuschiebenden sei die Abschiebung angekündigt und diesem aufgetragen,
sich ab 3.00 Uhr mor-gens unter seiner Wohnanschrift bereitzuhalten (UA S.
7/8).
bb)
Der bevorstehende Zugriff durch [X.] E.

erweist sich auch nicht aufgrund der Umstände des konkreten Einzelfalls als rechtswidrig im Sin-ne des strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffs. Weder befand er sich in einem schuldhaften Irrtum über die Erforderlichkeit der Amtsausübung noch handelt er willkürlich oder unter Missbrauch seines Amtes (Rn.
25). Das gilt selbst dann, wozu das [X.] allerdings keine Feststellungen getroffen hat, wenn ihm durch Information seitens der
zunächst eingesetzten Polizeibeamten B.

und K.

bekannt gewesen sein sollte, dass der Angeklagte diesen eine [X.]sverfügung gezeigt, anschließend aber wieder zurückverlangt hatte.
(1)
Das Fehlen eines schuldhaften Irrtums über die Erforderlichkeit der Ingewahrsamnahme des Angeklagten ergibt sich aus folgenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen:
37
38
-
20
-
Der Polizeidirektion L.

war durch das Regierungspräsidium Ka.

als zuständiger Ausländerbehörde der Auftrag zum Vollzug der Ab-schiebung für den 4.
Februar 2014 erteilt worden. Der Polizeidirektion war [X.] mitgeteilt worden, dass dem Angeklagten die Abschiebung für den [X.] angekündigt und ihm aufgegeben war, sich am fraglichen Tag ab 3.00 Uhr für den Transport
bereitzuhalten. Diese Informationen waren auch an den in der Tatnacht diensthabenden Einsatzleiter des mit dem Vollzug durch die Polizeidirektion beauftragten [X.] in S.

gelangt (UA S.
8). Die
am 13.
Januar 2014 dem Angeklagten erteilte Duldung als Vollzugshinder-nis war dem zuständigen Einsatzleiter daher zunächst ebenso wenig bekannt wie den zunächst mit dem Vollzug der Abschiebung beauftragten Polizeibeam-ten ([X.].

.

). Anhaltspunkte für das Bestehen des [X.] aus §
60a [X.] ergaben sich nach Beginn des Vollzugs lediglich aus dem Hinweis des Angeklagten auf die Duldung sowie dem kurzzei-tigen Zugriff (UA S.
8 und 9) von [X.].

.

auf die bei dem Angeklagten vorhandenen Ausfertigung der Duldung vom 13.
Januar 2014. Selbst wenn den zur Verstärkung herbeigerufenen Polizeibeamten, darunter [X.] E.

, das Vorhandensein der Ausfertigung einer über den [X.] hinausreichenden Duldung ebenfalls bekannt geworden sein sollte, führte dies für den Polizeibeamten nicht dazu, dass er in ihm vorwerfbarer
Wei-se die verwaltungsvollstreckungsrechtliche Rechtswidrigkeit der Durchführung verkannt hätte.
Den beauftragten Polizeibehörden lagen aufgrund Mitteilung der zustän-digen Ausländerbehörde Informationen vor, aus denen sich zunächst eindeutig die Rechtmäßigkeit des Vollzugs der Abschiebung ergab. Allein der Hinweis des Angeklagten auf die Duldung und das kurzzeitige bildliche In-den-Händen-Halten der Ausfertigung durch die beiden zunächst eingesetzten Polizeibeam-ten konnten keine solchen
Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Vollzugs hervor-39
40
-
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-
rufen, die zu einem schuldhaften Irrtum über den Vollzug der angeordneten Verwaltungsvollstreckung führen konnten. Eine nähere Prüfung des Inhalts und der Echtheit der Duldung hat der Angeklagte bereits gegenüber [X.].

und .

selbst vereitelt, indem er die Rückgabe der Ausfertigung durch seine Suiziddrohung erzwungen hat. Eine Klärung des Vorhandenseins einer wirksam erteilten, über den 4.
Februar 2014 hinausreichenden Duldung durch Rücksprache mit dem zuständigen Regierungspräsidium Ka.

war [X.] der Tageszeit (zwischen 4.00 und 4.30 Uhr) nicht möglich. Wegen der eindeutigen Informationen und der Beauftragung durch das [X.] war daher für [X.] E.

(wie auch die übrigen eingesetzten [X.]n) nicht ohne Weiteres erkennbar, dass die Abschiebung des Angeklag-ten wegen der erneut erteilten Duldung am fraglichen Tag verwaltungsvollstre-ckungsrechtlich nicht gestattet war.
(2)
Das hoheitliche Handeln der zur Vollstreckung der angeordneten Ab-schiebung eingesetzten Polizeivollzugsbeamten, damit auch des Polizeibeam-ten E.

, war angesichts des vorstehend Ausgeführten nicht willkürlich.
Ebenso wenig lagen Verletzungen des Verwaltungsvollstreckungsrechts vor, die in ihrem Schweregrad Nichtigkeitsgründen des Verwaltungsakts entspre-chen würden.
g)
Schließlich stehen auch die sonstigen Verhältnisse des konkreten Einzelfalls der Anwendung des strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffs bei hoheitlichem Handeln nicht entgegen. Die damit einhergehende Duldungspflicht
des von einer hoheitlichen Maßnahme Betroffenen darf diesem zumutbar aufer-legt werden, weil kein endgültiger [X.] droht, sondern eine nachträgli-che Überprüfung der Rechtmäßigkeit eröffnet ist (dazu oben Rn.
30). [X.] verfügte der Angeklagte über eine Ausfertigung der bis zum 14.
April 2014 befristeten [X.]. Zwischen dem polizeilichen Zugriff gegen 41
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-
22
-
4.30 Uhr
und dem Abflug des Flugzeugs nach [X.] ([X.]) vom [X.] um 10.10 Uhr verblieb genügend Zeit, um durch die [X.] mittels Nachfrage bei der zuständigen Ausländerbehörde nach Beginn deren regelmäßiger Dienstzeit klären zu
lassen, ob die Voraussetzungen für die Vollstreckung der Abschiebung vorlagen oder diese (noch) durch eine wirksam erteilte Duldung gehindert war. Es drohte daher im Hinblick auf das Recht zum Aufenthalt im Inland bis zum Ablauf der [X.] dem Angeklagten kein endgültiger [X.]. Die Freiheitsentziehung bis zu der Klärung der voll-streckungsrechtlichen Rechtslage durch Einschaltung der Ausländerbehörde musste der Angeklagte aus den für das Bestehen eines spezifischen strafrecht-lichen Rechtmäßigkeitsbegriffs bei hoheitlichem Handeln maßgeblichen Grün-den gerade dulden und durfte sich nicht mit erheblicher Gewaltanwendung da-gegen wehren.
2.
Auf der Grundlage der Feststellungen des [X.]s kommen an-dere Rechtfertigungsgründe zu seinen Gunsten ebenfalls nicht in Betracht.

III.
Anhaltspunkte für das Fehlen schuldhaften Verhaltens ergeben sich aus dem angefochtenen Urteil ebenfalls nicht.
1.
Die sachverständig beratene Strafkammer hat eine Aufhebung der Schuldfähigkeit des Angeklagten ohne Rechtsfehler verneint.
2.
Nach den ausreichend getroffenen Feststellungen befand sich der Angeklagte auch nicht in einem die Bestrafung aus einer vorsätzlichen Tat aus-schließenden Erlaubnistatbestandsirrtum (vgl. [X.], Beschluss vom 21.
August 2013 -
1 [X.], [X.], 30 f. [X.]). Der Angeklagte hatte bereits ge-43
44
45
46
-
23
-
genüber den zunächst eingesetzten Polizeibeamten B.

und K.

angekün-digt, nicht freiwillig mitzukommen und das Land nicht verlassen zu wollen (UA S.
8). Bei dem Einsatz des Messers kam es ihm darauf an, die von ihm erwar-tete Festnahme und daran anschließende Abschiebung zu verhindern (UA S.
9). Dass er sich über tatsächliche Umstände geirrt haben könnte, deren wirk-liches Vorliegen einen von der Rechtsordnung anerkannten Rechtfertigungs-grund begründen würde, der ihm die als möglicherweise tödlich erkannten Messerstiche gestattete, ist nicht ersichtlich.
3.
Ebenso wenig belegen die Feststellungen einen Erlaubnisirrtum als besondere Erscheinungsform des Verbotsirrtums (§
17 StGB). Weitere [X.] dazu waren nicht geboten. Dem Angeklagten kam es allein auf die Er-möglichung seiner Flucht an. Über die Rechtmäßigkeit des Messereinsatzes als Mittel zum Erreichen dieses Ziels hat er nicht erkennbar reflektiert.

IV.
Ein unmittelbar aus dem Verfassungsrecht resultierendes Verbot, den Angeklagten für die gegen den Polizeibeamten gerichteten Messerstiche zu bestrafen, besteht nicht. Selbst wenn die Vollstreckung der [X.] wegen des aus der Duldung folgenden [X.] [X.] nicht rechtmäßig gewesen sein sollte, schließt dies eine Bestrafung des Angeklagten wegen der durch die Messerstiche rechtswid-rig verwirklichten Straftat nicht aus (vgl. [X.] [1.
Kammer des Ersten
[X.]s], Beschluss vom 30.
April 2007

1 BvR 1090/06 Rn.
53 f.).
47
48
-
24
-
V.
Die Strafzumessung des Tatgerichts enthält ebenfalls keine revisiblen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.
1.
Die Strafzumessung, zu der auch die Frage gehört, ob ein minder schwerer Fall vorliegt ([X.], Urteile
vom 24.
März 2015 -
5 [X.] Rn. 7 [X.]; vom 26.
Februar 2015 -
1 StR 574/14 Rn.
15; Beschluss vom 18.
De-zember 2007 -
5 [X.], [X.], 310 f.), ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Es ist seine Aufgabe, auf Grundlage des umfassenden [X.], den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des [X.] gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Um-stände festzustellen und gegeneinander abzuwägen ([X.], Urteile vom 24.
März 2015 -
5 [X.] Rn.
7; vom 31.
Juli 2014 -
4 StR 216/14 Rn.
4). Welchen Umständen er bestimmendes Gewicht beimisst, ist im Wesentlichen seiner Beurteilung überlassen (st. Rspr.; siehe etwa [X.], Urteil vom 2.
August 2012 -
3 [X.]/12,
[X.], 336 f.; [X.], Beschluss vom 18.
Dezember 2007 -
5 [X.], [X.], 310 f.; [X.], StGB, 62.
Aufl., §
46 Rn.
146 [X.]).
Das Revisionsgericht darf die der Entscheidung des Tatrichters über das Vorliegen eines minder schweren Falls zugrunde liegende Wertung nicht selbst vornehmen, sondern lediglich daraufhin überprüfen, ob dem Tatrichter ein Rechtsfehler unterlaufen ist (siehe [X.], Urteil vom 26.
Februar 2015 -
1 StR 574/14 Rn.
16; Beschluss vom 18.
Dezember 2007
-
5 [X.], [X.], 310 f.).
2.
Derartige der Revision zugängliche Rechtsfehler bei der Anwendung von §
213 StGB weist das angefochtene Urteil nicht auf.
49
50
51
52
-
25
-
a)
Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen von §
213 Alt.
1 StGB (zu diesen ausführlich [X.], Urteil vom 26.
Februar 2015 -
1 StR 574/14 Rn.
18 ff.) bestehen nicht.
b)
Die Verneinung eines sonst minder schweren Falls gemäß §
213 Alt.
2 StGB hält ebenfalls sachlich-rechtlicher Prüfung stand.
Das [X.] ist von der gebotenen Gesamtbewertung aller relevan-ten Umstände ([X.] aaO §
213 Rn.
12; H.
Schneider in [X.] [X.] zum StGB, 2.
Aufl., Band 4, §
213 Rn.
49 jeweils [X.]) ausgegangen. In diese hat es zugunsten des Angeklagten eingestellt, dass er nicht über die bevorstehende Abschiebung informiert worden war und wegen der bis zum 14.
April 2014 befristeten Duldung auch nicht mit dieser rechnen konnte. [X.] hat das [X.] zugunsten des Angeklagten die Länge der Aufent-haltsdauer im Inland und seine besondere Lage wegen der Konfrontation mit der bevorstehenden Abschiebung in den frühen Morgenstunden berücksichtigt. Damit hat es, auch wenn es die Bedeutung der Duldung als Vollzugshindernis rechtlich nicht vollständig erfasst hat, inhaltlich die für die Entscheidung über das Vorliegen eines minder schweren Falls bestimmenden, aus der Verwal-tungsvollstreckung resultierenden Umstände gewürdigt. Dass es diese Aspekte auch im Zusammenhang mit der wegen der von [X.] E.

getragenen Schutzkleidung geringen objektiven Gefährlichkeit der Messerstiche nicht für die Annahme eines minder schweren Falls hat genügen lassen, ist nach dem vorgenannten Prüfungsmaßstab hinzunehmen.
Das Abstellen des [X.]s auf die aus Sicht des Angeklagten [X.] gefährliche Vorgehensweise angesichts der Art und Wucht der Stiche sowie der konkreten Beschaffenheit des Messers als bestimmende Gründe ge-gen einen minder
schweren Fall lässt Rechtsfehler ebenfalls nicht erkennen. 53
54
55
56
-
26
-
Gleiches gilt, soweit es aus den nämlichen Gründen den Strafrahmen des §
213 StGB auch unter Berücksichtigung des vertypten [X.] aus §
23 Abs.
2 StGB nicht herangezogen, sondern den Strafrahmen des §
212 Abs.
1 StGB nach §
23 Abs.
2, §
49 Abs.
1 StGB gemildert hat. Auch innerhalb des gewählten Strafrahmens sind keine Rechtsfehler zum Nachteil des Ange-klagten zu erkennen.
Raum Rothfuß [X.]

[X.] [X.]

Meta

1 StR 606/14

09.06.2015

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.06.2015, Az. 1 StR 606/14 (REWIS RS 2015, 10167)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 10167

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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