Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.03.2014, Az. VI R 43/13

6. Senat | REWIS RS 2014, 6854

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Gegenstand

Haftung bei Lohnsteuerabzugspflicht Dritter


Leitsatz

1. Eine Haftung des Arbeitgebers in Fällen des § 38 Abs. 3a EStG kommt nach § 42d Abs. 9 Satz 4 EStG i.V.m. § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG nur in Betracht, wenn der Dritte die Lohnsteuer für den Arbeitgeber nicht vorschriftsmäßig vom Arbeitslohn einbehalten hat.

2. An einem derartigen Fehlverhalten fehlt es, wenn beim Lohnsteuerabzug entsprechend einer Lohnsteueranrufungsauskunft oder in Übereinstimmung mit den Vorgaben der zuständigen Finanzbehörden der Länder oder des Bundes verfahren wird.

Tatbestand

1

I. Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Lohnsteuerhaftungsbescheids zu Lasten des Arbeitgebers.

2

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist ein Unternehmen, das Leistungen des Maurer- und Betonhandwerks erbringt und ihren Sitz im [X.] hat. Seit dem 26. Juni 2003 betreibt sie eine im Handelsregister eingetragene Zweigniederlassung in der [X.]. Ihr Geschäftsführer hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt im [X.]. Zur Durchführung von Maurer- und Betonarbeiten entsandte sie ausländische Arbeitnehmer auf inländische Baustellen. Die Klägerin beteiligte sich am Urlaubskassenverfahren der Sozialkassen der Bauwirtschaft und zahlte den im Tarifvertrag für das Baugewerbe festgelegten Prozentsatz zur Absicherung der Urlaubsansprüche ihrer Arbeitnehmer ein.

3

In den Jahren 2005 bis 2008 erhielten Arbeitnehmer der Klägerin von der Urlaubs- und [X.] der Bauwirtschaft Abgeltungszahlungen für Urlaubsentschädigungen. Für Arbeitnehmer der Klägerin, die unter 183 Tage im Inland beschäftigt waren, führte die Urlaubs- und [X.] der Bauwirtschaft keine Lohnsteuer und keinen Solidaritätszuschlag ab.

4

Denn hierzu war ihr mit Schreiben vom 7. März 2005 von ihrem Betriebsstättenfinanzamt im Einvernehmen mit dem [X.] u.a. folgendes mitgeteilt worden:

5

"1. Abgeltungszahlungen im laufenden Zeitraum

Bei diesen Zahlungen ist lediglich zu prüfen, ob der 183-Tage-Zeitraum des jeweiligen [X.] zum Zeitpunkt der Auszahlung unterschritten ist, [X.] ist kein Steuerabzug vorzunehmen.

Von weiteren Zahlungen in diesem Zeitraum ist ein Steuerabzug vorzunehmen, wenn eine Überschreitung des 183-Tages-Zeitraums des maßgeblichen [X.] erfolgt ist."

6

Die Klägerin behielt für die von der Urlaubs- und [X.] der Bauwirtschaft an diesen [X.] geleisteten Abgeltungszahlungen ebenfalls keine Lohnsteuer und keinen Solidaritätszuschlag ein. Eine Anzeige nach § 38 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und § 41c EStG gegenüber dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --[X.]--) erfolgte insoweit nicht, obwohl ihr die Urlaubs- und [X.] der Bauwirtschaft regelmäßig Übersichten über die an die Arbeitnehmer ausbezahlten [X.] übersandte, aus denen sich auch ergab, ob bzw. in welcher Höhe für den jeweiligen Arbeitnehmer hieraus Steuern abgeführt wurden.

7

Im [X.] an eine Lohnsteuer-Außenprüfung bei der Klägerin vertrat das [X.] die Auffassung, dass die Urlaubsabgeltungsansprüche der Arbeitnehmer, die unter 183 Tage im Inland beschäftigt waren, von der Urlaubs- und [X.] der Bauwirtschaft der Lohnsteuer zu unterwerfen seien und erließ --ohne vorherige [X.] einen entsprechenden Haftungsbescheid über Lohnsteuer nebst Annexsteuern zu Lasten der Klägerin. In den Erläuterungen führt das [X.] aus, dass sich die Haftung aus § 42d Abs. 1 EStG ergebe. Ausführungen zu einer Inanspruchnahme der Urlaubs- und [X.] der Bauwirtschaft (anstelle der Klägerin) fehlen.

8

Das Finanzgericht ([X.]) gab der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage statt. Das beklagte [X.] sei für den Erlass des angefochtenen Haftungsbescheids nicht zuständig gewesen (Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 1524).

9

Mit der Revision rügt das [X.] die Verletzung von § 42d Abs. 9 EStG.

Es beantragt,
das Urteil des Sächsischen [X.] vom 23. Mai 2013  2 K 473/13 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision des [X.] ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat zu Recht entschieden, dass der angefochtene Lohnsteuerhaftungsbescheid sowie die dazugehörige Einspruchsentscheidung rechtswidrig sind und die Klägerin in ihren Rechten verletzen.

1. Nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG haftet der Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er nach § 38 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 EStG bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn für Rechnung des Arbeitnehmers einzubehalten und nach § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG abzuführen hat. Er haftet gemäß § 42d Abs. 9 EStG auch dann, wenn ein Dritter nach § 38 Abs. 3a EStG seine lohnsteuerlichen Pflichten trägt. In diesen Fällen haftet der Dritte neben dem Arbeitgeber. Soweit die Haftung des Dritten reicht, sind der Arbeitgeber, der Dritte und der Arbeitnehmer Gesamtschuldner. § 42d Abs. 3 Satz 2 bis 4 EStG ist anzuwenden; § 42d Abs. 4 EStG gilt auch für die Inanspruchnahme des Dritten.

2. Eine Haftung des Arbeitgebers in Fällen des § 38 Abs. 3a EStG kommt daher nach § 42d Abs. 9 Satz 4 EStG i.V.m. § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG nur in Betracht, wenn der Dritte die Lohnsteuer für den Arbeitgeber nicht vorschriftsmäßig vom Arbeitslohn einbehalten hat.

3. An einem derartigen Fehlverhalten des --die Lohnsteuerpflichten des Arbeitgebers erfüllenden-- Dritten --hier der Urlaubs- und [X.] der Bauwirtschaft-- fehlt es jedoch vorliegend. Der angefochtene Lohnsteuerhaftungsbescheid ist damit rechtswidrig.

a) Denn an einer vorschriftswidrigen Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer fehlt es, wenn der lohnsteuerliche [X.] wahrnehmende Dritte beim [X.] entsprechend einer Lohnsteueranrufungsauskunft gemäß § 42e EStG verfährt (Senatsurteil vom 17. Oktober 2013 VI R 44/12, [X.], 266) oder den [X.] nach den Vorgaben der zuständigen Finanzbehörden der Länder oder des [X.] vornimmt. In diesen Fällen ist es nicht gerechtfertigt, den Arbeitgeber oder den lohnsteuerliche Pflichten erfüllenden Dritten für einen unterbliebenen [X.] in Anspruch zu nehmen (vgl. Senatsurteile vom 6. Dezember 1996 VI R 18/96, [X.], 145, [X.] 1997, 413, und in [X.], 266).

b) Wenn die Urlaubs- und [X.] der Bauwirtschaft gemäß dem Schreiben des [X.] vom 7. März 2005, nach dem --im Einvernehmen mit dem (seinem) [X.] der [X.] für Arbeitnehmer, die unter 183 Tage im Inland beschäftigt sind, bei [X.] kein [X.] vorzunehmen ist, in derartigen Fällen keine Lohnsteuer einbehält und abführt, hat sie folglich den "Weisungen und Vorschriften" des Auftrag gebenden Finanzamts Rechnung getragen und damit die Lohnsteuer vorschriftsmäßig einbehalten. Der [X.] ist in einem solchen Fall nicht erfüllt (vgl. Senatsurteile in [X.], 145, [X.] 1997, 413, und in [X.], 229).

c) Im Übrigen führt die ordnungsgemäße Abführung der weisungsgemäß einbehaltenen Lohnsteuer zum Erlöschen des Lohnsteueranspruchs des [X.] (§ 47 der Abgabenordnung). Die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners ist dann wegen der Akzessorietät der Haftung (z.B. Urteil des [X.]finanzhofs vom 4. Dezember 2007 VII R 37/06, [X.], 526) nicht mehr möglich.

d) Dabei kann offenbleiben, ob das beklagte Betriebsstättenfinanzamt des Arbeitgebers oder --worauf die Vorinstanz erkannt [X.] das Betriebsstättenfinanzamt des Dritten --hier der Urlaubs- und [X.] der [X.] für den Erlass des angefochtenen Lohnsteuerhaftungsbescheids zu Lasten der Klägerin gemäß § 42d Abs. 9 Satz 8 EStG örtlich zuständig war.

Meta

VI R 43/13

20.03.2014

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend Sächsisches Finanzgericht, 23. Mai 2013, Az: 2 K 473/13, Urteil

§ 42e EStG 2002, § 42d Abs 9 S 4 EStG 2002, § 42d Abs 3 S 4 Nr 1 EStG 2002, § 38 Abs 3a EStG 2002

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.03.2014, Az. VI R 43/13 (REWIS RS 2014, 6854)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 6854

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