Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.02.2013, Az. VI ZR 220/12

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 8082

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
VI ZR 220/12

Verkündet am:

19. Februar 2013

Böhringer-Mangold

Justizamtsinspektorin

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

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Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom
19. Februar 2013
durch den
Vorsitzenden Richter
Galke und
die Richter Zoll, [X.],
die Richterin Diederichsen
und
den Richter
Stöhr
für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil der 11. Zivilkammer des [X.] vom 3.
April 2012 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:
Der Kläger verlangt von dem beklagten Haftpflichtversicherer restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 20.
April 2011, bei dem sein Kraftfahrzeug beschädigt worden ist. Die volle Haftung der Beklagten dem Grunde
nach
steht zwischen den Parteien außer Streit. Der Kläger hat die Re-paraturkosten (fiktiv) auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens gel-tend gemacht, das zu Reparaturkosten von
5.184,93

Arbeitslohn in Höhe von 1.884,90

. Hiervon hat die Beklagte im Rahmen der außergerichtlichen Schadensregulierung
pauschal Sozialabgaben und Lohnnebenkosten in Höhe von 617

der fiktiven Schadensabrechnung nicht für erstattungsfähig hält. Dieser Diffe-renzbetrag ist Gegenstand der vorliegenden Klage.
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Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung hat das [X.] zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung ausgeführt, der Geschädigte könne gemäß §
249 Abs.
2 Satz
1 [X.] den zur Wiederherstellung in
einer Fachwerkstatt erforderlichen Geldbetrag verlangen. Darin sei naturgemäß [X.] einschließlich Lohnnebenkosten und Sozialabgaben enthalten. Nur hinsichtlich der Mehrwertsteuer habe der Gesetzgeber mit dem [X.] in
§
249 Abs.
2 Satz
2 [X.] bestimmt, dass der bei der Beschädigung einer Sache erforderliche Geldbetrag die Umsatzsteuer nur mit einschließt, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist. Auf eine Erstre-ckung dieser Vorschrift auf Lohnnebenkosten bzw. Sozialabgaben habe der Gesetzgeber dabei bewusst verzichtet. Deshalb fehle es an einer für eine ana-loge Anwendung der Vorschrift erforderlichen planwidrigen Gesetzeslücke. Die Gefahr einer Überkompensation bei fiktiver Schadensabrechnung werde von der höchstrichterlichen Rechtsprechung bewusst hingenommen.

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II.
Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand. [X.] der Auffassung der Revision sind Sozialabgaben und Lohnnebenkosten Bestandteile des im Rahmen einer "fiktiven" Schadensabrechnung im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 [X.] nach einem Verkehrsunfall zu erstattenden Scha-dens.
1. Nach §
249 Abs.
2 Satz
1 [X.] kann der Gläubiger, wenn wegen Be-schädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten ist, statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats darf der Geschädigte dabei seiner (fiktiven) Schadensbe-rechnung grundsätzlich die üblichen Stundenverrechnungssätze einer marken-gebundenen Fachwerkstatt zugrunde legen, die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (vgl. Se-natsurteile vom 29.
April 2003 -
VI
ZR 398/02, [X.], 1
ff.; vom 20.
Okto-ber 2009 -
VI
ZR 53/09, [X.], 21 Rn. 8; vom 22.
Juni 2010 -
VI
ZR 302/08, [X.], 1096, 1097; vom 22.
Juni 2010 -
VI
ZR 337/09, [X.], 1097 f.; vom 13.
Juli 2010 -
VI
ZR 259/09, [X.], 1380 f.).
2. Entgegen der Auffassung der Revision widerspricht die Berücksichti-gung fiktiver Sozialabgaben und Lohnnebenkosten bei
der Berechnung der [X.] weder dem Wirtschaftlichkeitsgebot noch dem Bereicherungsverbot. Denn das Vermögen des durch einen Verkehrsunfall Geschädigten ist um denjenigen Betrag gemindert, der aufgewendet werden muss, um die beschädigte Sache fachgerecht zu reparieren. Zu den erforderli-chen Wiederherstellungskosten gehören, wie sich aus dem von der Revision selbst in Bezug genommenen Senatsurteil vom 19.
Juni 1973 -
VI
ZR 46/72 ([X.], 56, 58
f.) ergibt, grundsätzlich auch allgemeine Kostenfaktoren wie 4
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Umsatzsteuer, Sozialabgaben und Lohnnebenkosten. Deshalb hat der Senat in der vorgenannten Entscheidung vor dem Inkrafttreten des [X.] bei einer "fiktiven" Schadensabrechnung die [X.] beim nicht vorsteuerabzugsberechtigten Geschädigten als echten Schadensposten anerkannt und ausgeführt, der steuertechnisch bedingte ge-trennte Ausweis der Mehrwertsteuer ändere nichts daran, dass sie als objekt-
bzw. leistungsbezogene allgemeine Abgabe auf
den Verbrauch nicht weniger ein allgemeiner Kostenfaktor sei als andere öffentliche Abgaben, welche direkt oder indirekt in die Kosten und damit in den Preis einer Ware oder Leistung Eingang gefunden haben.
3. Soweit der Gesetzgeber nunmehr durch das Zweite Schadensrechts-änderungsgesetz in §
249 Abs.
2 Satz
2 [X.] die Erstattung nicht angefallener Umsatzsteuer bei fiktiver Schadensabrechnung ausdrücklich vom [X.] ausgenommen hat, hat er hiermit lediglich einen -
systemwidri-gen
-
Ausnahmetatbestand geschaffen, der nicht analogiefähig ist (vgl. [X.]/
[X.], [X.], 72. Aufl., § 249 Rn. 14; Prütting/Wegen/Weinreich/Medicus, [X.], 7. Aufl., § 249 Rn. 29; MünchKomm-[X.]/[X.], 6. Aufl., § 249 Rn. 459; Beck-OK-[X.]/[X.], Stand: 03/2011, §
249 Rn. 226 f.; [X.], Urteil vom 5. Januar 2012 -
2 C 399/11; [X.], Urteil vom 2. Mai 2012 -
2 C 79/12; [X.], Urteil vom 29. Mai 2012 -
402 [X.]; [X.], Urteil vom 16. September 2011 -
33 [X.], juris Rn.
9; [X.], r+s 2011, 277 ff. mwN).
a) Die Revision weist selbst darauf hin, dass sich aus den Gesetzesma-terialien (vgl. insbesondere [X.]. 14/7752, S.
13) ergibt, dass der Entwurf eines [X.] Schadensrechtsänderungsgesetzes aus der 13. [X.] zunächst vorsah, bei einer fiktiven Abrechnung von Sachschäden die öffent-lichen Abgaben außer Ansatz zu lassen. Dieser Vorschlag ist indes auf vielfälti-7
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ge Kritik gestoßen. Dieser Kritik hat der Gesetzgeber im Rahmen des weiteren Gesetzgebungsverfahrens Rechnung getragen und auf einen Abzug sämtlicher öffentlicher Abgaben bewusst verzichtet und sich auf die Umsatzsteuer als größten Faktor unter den "durchlaufenden Posten" beschränkt. Fehlt es mithin an einer Regelungslücke, kommt eine entsprechende Anwendung des §
249 Abs.
2 Satz
2 [X.] auf andere "öffentliche Abgaben" nicht in Betracht.
b) Soweit es nach den Gesetzesmaterialien der Rechtsprechung über-lassen werden sollte, das Sachschadensrecht "zu konkretisieren und zu [X.]", vermag dies dem Senat nicht den Weg zu einer Abweichung vom gel-tenden Recht und zu einer von der Revision erwünschten, aber vom [X.] nicht vorgesehenen Gleichstellung von Umsatzsteuer und anderen "öffentli-chen Abgaben" zu eröffnen.
c) Entgegen der Auffassung der Revision führt eine Erstattung des zur Herstellung erforderlichen Geldbetrags gemäß §
249 Abs.
2 Satz
1 [X.] ohne Abzug von Sozialabgaben und Lohnnebenkosten nicht zwangsläufig zu einer Überkompensation des Geschädigten. Sie ist vielmehr lediglich die rechtliche
Folge der gesetzlichen Regelung des §
249 Abs.
2 Satz
1 [X.], wonach der Geschädigte bei der Beschädigung einer Sache statt der Naturalrestitution im Sinne des §
249 Abs.
1 [X.] Geldersatz verlangen kann (sogenannte Erset-zungsbefugnis). Zu ersetzen ist dabei das Integritätsinteresse, d.h. der [X.], der zur Herstellung des Zustands erforderlich ist, der ohne das [X.] Ereignis bestehen würde. Daneben ist der Geschädigte, der auf diese Weise die Beseitigung der erlittenen Vermögenseinbuße verlangt,
in der Verwendung des
Schadensersatzbetrags frei, d.h. er muss den ihm zustehenden Geldbetrag nicht oder nicht vollständig für eine ordnungsgemäße Reparatur in einer (mar-kengebundenen) Fachwerkstatt einsetzen (sog. Dispositionsbefugnis). Die [X.]serwiderung weist mit Recht darauf hin, dass die Sichtweise der Revision 9
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zur Beseitigung dieser Dispositionsbefugnis führen würde, die mit einer miss-bräuchlichen Bereicherung des Geschädigten nichts zu tun hat. Verzichtet der Geschädigte auf eine Reparatur des unfallbeschädigten Fahrzeugs, so bleibt der entsprechende Wertverlust des Fahrzeugs bestehen. Wählt er eine Eigen-, Teil-
oder Billigreparatur außerhalb einer Fachwerkstatt, kann damit ebenfalls ein Wertverlust des Fahrzeugs einhergehen. Entgegen der Auffassung der [X.] kann nicht unterstellt werden, dass der Wert des Fahrzeugs nicht dadurch beeinflusst wird, ob bei der Reparatur Sozialabgaben, Lohnnebenkos-ten und Umsatzsteuer angefallen sind. Vielmehr spielt es beim Verkauf eines Fahrzeugs mit einem früheren Unfallschaden nach allgemeiner [X.] durchaus eine Rolle, ob der Unfallschaden vollständig und fachgerecht in einer markengebundenen oder sonstigen Fachwerkstatt behoben worden ist.
d) Schließlich kann der Auffassung der Revision nicht beigetreten wer-den, ein Abzug der Lohnnebenkosten und Sozialabgaben bei fiktiver [X.] führe zu einer Harmonisierung des Schadenser-satzrechts im Hinblick auf die Rechtslage bei der Abrechnung eines Haushalts-führungsschadens bei Personenschäden. Die von der Revision angeführten Senatsentscheidungen betreffen andere Fallgestaltungen (vgl. Senatsurteile vom 16. September 1986 -
VI [X.], [X.], 70 Rn. 21; vom 8. Juni 1982 -
VI [X.], [X.], 951
Rn. 16 ff. und vom 10. November 1998
-
VI [X.], [X.], 39,
44).
Die im Sinne des §
249 Abs.
2 Satz
1 [X.] erforderlichen (Gesamt-) Reparaturkosten eines Kraftfahrzeugs nach einem Verkehrsunfall setzen sich aus vielen einzelnen Kostenfaktoren zusammen und lassen sich schadensrechtlich nicht aufspalten in einen "angefallenen" und ei-nen "nicht angefallenen" Teil. Dies wäre in der Rechtspraxis nicht handhabbar

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und würde dem Geschädigten sowohl die Ersetzungsbefugnis als auch die [X.] im Sinne des §
249 Abs.
2 Satz
1 [X.] nehmen.
Galke

Zoll
[X.]

Diederichsen

Stöhr
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 09.11.2011 -
18 [X.]/11 -

LG [X.], Entscheidung vom 03.04.2012 -
I-11 S 226/11 -

Meta

VI ZR 220/12

19.02.2013

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.02.2013, Az. VI ZR 220/12 (REWIS RS 2013, 8082)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 8082

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