Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Beschluss vom 19.01.2021, Az. 20 K 3518/20

20. Kammer | REWIS RS 2021, 9406

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Tenor

Dem Antragsteller wird für das beabsichtigte erstinstanzliche Klageverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines noch von ihm zu benennenden Rechtsanwalts bewilligt, soweit er in diesem die Verpflichtung des Präsidenten des Oberlandesgerichts Hamm begehrt, ihm Einsichtnahme in die allgemeinen Geschäftsverteilungspläne der Landgerichte B.        , C.         , C1.      , E.       , E1.        , F.     , I.     , N.       , Q.         und T.      für die Jahre 2007 bis 2008 zu gewähren.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Gründe

1

Gründe:

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Gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

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Diese Voraussetzungen liegen hier teilweise vor. Der Antragsteller erfüllt die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung ratenfreier Prozesskostenhilfe. Auch bietet die Rechtsverfolgung im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang hinreichende Aussicht auf Erfolg.

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I. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung mit dem sinngemäßen Antrag,

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die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger Einsicht in die allgemeinen Geschäftsverteilungspläne der Landgerichte B.        , C.         , C1.      , E.       , E1.        , F.     , I.     , N.       , Q.         und T.      für die Jahre 2007 bis 2008 zu gewähren,

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bietet im für die Beurteilung der Erfolgsaussichten maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungs- und Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags, die regelmäßig nach Vorlage der vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen sowie Anhörung der Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme eintritt,

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vgl. zum maßgeblichen Zeitpunkt bereits OVG NRW, Beschluss vom 3. Februar 2016 – 9 E 73/16 –, und Beschluss vom 9. März 2012 – 9 E 58/12 –; Bayerischer VGH, Beschluss vom 3. Januar 2018 – 10 C 17.2195 –, juris, und Beschluss vom 7. April 2017 – 7 ZB 16.498 –, juris; Sächsisches OVG, Beschluss vom 26. September 2019 – 2 D 48/19.NC –, juris,

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hinreichende Aussicht auf Erfolg. Der für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderliche Grad der Erfolgsaussicht darf mit Blick auf Art. 3 Abs. 1, 19 Abs. 4 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) nicht in einer Weise überspannt werden, dass der Zweck der Prozesskostenhilfe deutlich verfehlt wird, Unbemittelten und Bemittelten weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen. Verweigert werden muss Prozesskostenhilfe aber dann, wenn die Erfolgschance in der Hauptsache nur eine entfernte oder bloß theoretische ist.

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So unter Verweis auf höchstrichterliche Rechtsprechung OVG NRW, Beschluss vom 13. Juli 2017 – 15 E 146/17 –, juris Rn. 10.

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Hinsichtlich des dargestellten sinngemäßen Klageantrags sind die Erfolgsaussichten einer beabsichtigten Klage im Zeitpunkt der Bewilligungsreife jedenfalls offen.

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Ein Anspruch des Antragstellers auf Einsicht in die allgemeinen Geschäftsverteilungspläne der Landgerichte B.        , C.         , C1.      , E.       , E1.        , F.     , I.     , N.       , Q.         und T.      für die Jahre 2007 bis 2008 könnte sich aus § 4 Abs. 1 des Informationsfreiheitsgesetzes Nordrhein-Westfalen (IFG NRW) ergeben. Der Anspruch aus § 4 Abs. 1 IFG NRW dürfte vorliegend – entgegen der Auffassung des Antragsgegners – jedenfalls nicht offensichtlich nach § 4 Abs. 2 IFG NRW durch die Regelung in § 21e Abs. 9 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) ausgeschlossen sein.

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Unter Rechtsvorschriften im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW sind bereichsspezifische Gesetze des Bundes oder des Landes zu verstehen, die einen Informationsanspruch regeln. Wie das Tatbestandsmerkmal „soweit“ zeigt, sind nur solche Vorschriften als vorrangig in Betracht zu ziehen, die denselben Sachverhalt abschließend – sei es identisch, sei es abweichend – regeln. Konkurrenzfragen sind in jedem konkreten Einzelfall durch eine systematische, an Sinn und Zweck des Gesetzes orientierte Auslegung der jeweiligen Informationszugangsrechte zu klären. Um die Bestimmung des Verhältnisses verschiedener Informationszugangsrechte untereinander vornehmen zu können, müssen vor allem deren jeweilige Regelungsmaterien berücksichtigt werden. Eine Vorrangigkeit im Sinne einer Ausschließlichkeit ist nur dort anzunehmen, wo die jeweiligen Rechte die gleichen Anliegen verfolgen und/oder identische Zielgruppen erfassen. Eine besondere Rechtsvorschrift im Sinne von § 4 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW liegt daher nur dann vor, wenn ihr Anwendungsbereich in sachlicher Hinsicht wegen spezifischer Anforderungen an die Informationen, die der Rechtsvorschrift unterfallen, und/oder in persönlicher Hinsicht wegen spezifischer Anforderungen an die Personen, auf welche die Rechtsvorschrift Anwendung findet, beschränkt ist. Wenn spezialgesetzliche Regelungen für einen gesonderten Sachbereich oder für bestimmte Personengruppen einen begrenzten Informationsanspruch vorsehen, ist deshalb im Einzelfall zu untersuchen, ob diese Grenzen auch für den Anspruch aus § 4 Abs. 1 IFG NRW bindend sind. Dies ist anzunehmen, wenn ein umfassender Informationsanspruch dem Schutzzweck des Spezialgesetzes zuwider laufen würde. Lässt sich derartiges nicht feststellen, gelangt der Anspruch aus § 4 Abs. 1 IFG NRW zur Anwendung.

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Vgl. hierzu OVG NRW, Urteile vom 17. November 2020 – 15 A 4409/18 –, juris Rn. 109, vom 14. September 2017 – 15 A 29/17 –, juris Rn. 51, vom 24. November 2015 – 8 A 1073/14 –, juris Rn. 32 ff., vom 2. Juni 2015 – 15 A 1997/12 –, juris Rn. 58 ff., und vom 15. Juni 2011 – 8 A 1150/10 –, juris Rn. 29 ff.

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Zwar geht die Kammer davon aus, dass die §§ 21e ff. GVG eine gegenüber den jeweiligen, nach dem Gerichtsverfassungsgesetz anspruchsverpflichteten Gerichten abschließende Regelung im Sinne des § 4 Abs. 2 IFG NRW zur Einsichtnahme in Geschäftsverteilungspläne darstellen.

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Vgl. Urteile der Kammer vom 17. Februar 2020 – 20 K 4063/18, 20 K 4062/18, 20 K 1034/19, 20 K 703/19 –, sowie Beschlüsse der Kammer vom 19. Februar 2020 – 20 K 4872/19, 20 K 5076/19, 20 K 5077/19, 20 K 5463/19, 20 K 5369/19 –, nicht veröffentlicht.

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Ob die Regelungen der §§ 21e ff. GVG gegenüber allen nach dem Informationsfreiheitsgesetz anspruchsverpflichteten Behörden, die sich – aus welchem Grund auch immer – im Besitz der streitgegenständlichen Informationen befinden, abschließend sind, bedarf jedoch einer Klärung in einem Hauptsacheverfahren.

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Wie die Kammer bereits in den zitierten Entscheidungen ausgeführt hat, würde die Anwendung des Informationsfreiheitsgesetzes Nordrhein-Westfalen in den dortigen Konstellationen, in denen der Anspruch nach dem Informationsfreiheitsgesetz gegen ein Gericht gerichtet ist, welches nach §§ 21e ff. GVG die Geschäftsverteilungspläne zur Einsichtnahme auszulegen hat, die Restriktionen bezüglich des Umfangs sowie der Art und Weise des Zugangs zu den Geschäftsverteilungsplänen, die dazu dienen, dass die Kapazitäten der Justiz nicht unnötig belastet werden, unterlaufen. Ob dieser Schutzzweck auch gegenüber solchen Behörden greift, die nach §§ 21e ff. GVG in Bezug auf die konkrete streitgegenständliche Information nicht Anspruchsverpflichtete sind, erscheint indes fraglich.

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Soweit der Antragsgegner dem Antragsteller rechtsmissbräuchliches Verhalten vorwirft, bedarf dieser Einwand ebenfalls einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren.

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Die Annahme eines Rechtsmissbrauchs ist im Zusammenhang mit der Geltendmachung des Rechtsanspruchs gemäß § 4 Abs. 1 IFG nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen gerechtfertigt. Es ist zu bedenken, dass der Gesetzgeber gerade darauf verzichtet hat, den Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen von besonderen, das Zugangsgesuch im konkreten Fall rechtfertigenden Gründen abhängig zu machen. Folglich sind die Motive des Antragstellers bei der Verfolgung des Anspruchs auf Informationserteilung nach dem Informationsfreiheitsgesetz für seine Anspruchsberechtigung in aller Regel unerheblich.

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Vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 27. August 2014 – 26 K 3308/14 –, juris Rn. 12.

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Ob vorliegend ein solcher, besonders gelagerter Ausnahmefall vorliegt, kann nach den oben dargelegten Maßstäben nicht im isolierten Prozesskostenhilfeverfahren entschieden werden. Die Kammer hatte auch in den geführten Parallelverfahren des Antragstellers bislang aus Rechtsgründen keine Veranlassung, diese Frage in einem Hauptsacheverfahren zu klären.

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II. Im Übrigen bietet die beabsichtigte Rechtsverfolgung mit dem sinngemäßen Antrag,

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              die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger Einsicht in die allgemeinen Geschäftsverteilungspläne der Landgerichte B.        , C.         , C1.      , E.       , E1.        , F.     , I.     , N.       , Q.         und T.      für das Jahr 2009 zu gewähren,

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gemessen an den oben dargelegten Maßstäben keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

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Der Anspruch ist voraussichtlich ausgeschlossen, da ein Anspruch auf Informationszugang gem. § 4 Abs. 1 IFG NRW nur gegeben ist, soweit die begehrten Informationen bei dem Antragsgegner tatsächlich vorhanden sind. Im Sinne des § 4 Abs. 1 IFG NRW „vorhanden“ sind Informationen, die tatsächlich Bestandteil der Verwaltungsunterlagen der informationspflichtigen Stelle sind. Die Behörde trifft keine Informationsbeschaffungspflicht. Sie ist nicht gehalten, die begehrte Information durch Untersuchungen erst zu generieren. Eine inhaltliche bzw. statistische Aufbereitung der Unterlagen durch die Behörde kann mit dem Informationsanspruch nicht verlangt werden. Lediglich soweit sie die Antworten auf gestellte Fragen aus den vorhandenen Unterlagen mittels einer bloßen Übertragungsleistung heraussuchen muss, ist dies vom Informationsanspruch umfasst.

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Vgl. m.w.N. OVG NRW, Beschluss vom 13. Juli 2017 – 15 E 146/17 –, juris Rn. 15; Franßen, in: Franßen/Seidel (Hrsg.), Das Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen, 2007, § 4 Rn. 396; Tege, in: Fluck/Fischer/Martini (Hrsg.), Informationsfreiheitsrecht, 2. Band, § 4 IFG NRW Rn. 16; zum IFG des Bundes Schoch, IFG, 2. Aufl. 2016, § 1 Rn. 36; Brink, in: Brink/Polenz/Blatt (Hrsg.), IFG, 2017, § 1 Rn. 114.

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Hinsichtlich der Geschäftsverteilungspläne der Landgerichte B.        , C.         , C1.      , E.       , E1.        , F.     , I.     , N.       , Q.         und T.      für das Jahr 2009 hat der Antragsgegner plausibel dargelegt, dass eine solche Information dort nicht vorhanden im Sinne des § 4 Abs. 1 IFG NRW ist. So führte er im vorliegenden Verfahren aus, dass beginnend mit dem Jahr 2007 die Geschäftsverteilungspläne als PDF-Dokumente gesammelt worden seien, wobei sie ab dem Jahr 2009 über einen Link im Management-Informationssystem des Oberlandesgerichts I1.    hinterlegt worden seien, der jedoch heute nicht mehr aufrufbar sei. Dass die Ausführungen des Antragsgegners dahingehend zu verstehen sind, dass Geschäftsverteilungspläne für das Jahr 2009 nicht mehr vorhanden sind und nicht etwa, dass die Geschäftsverteilungspläne für das Jahr 2009 noch im Jahr 2008 als PDF-Dokument übersandt wurden und noch vorhanden sind, ergibt sich aus Sicht der Kammer bereits deutlich aus der Formulierung des Ablehnungsbescheides vom 3. September 2020, in dem es unter Ziff. 3 heißt: „Wie Sie meinem Schreiben vom 19. August 2020 entnehmen können, sind die Geschäftsverteilungspläne für das Jahr 2009 nicht mehr aufrufbar.“ Dem Vortrag des Antragsgegners, dass die Geschäftsverteilungspläne für das Jahr 2009 nicht mehr vorhanden sind, ist der Antragsteller auch nicht weiter substantiiert entgegen getreten.

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Rechtsmittelbelehrung:

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Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist unanfechtbar (§ 127 Abs. 2 und 3 der Zivilprozessordnung).

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Gegen die Bewilligung der Prozesskostenhilfe findet die Beschwerde der Staatskasse statt, wenn weder Monatsraten noch aus dem Vermögen zu zahlende Beträge festgesetzt worden sind.

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Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe des Beschlusses schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder als elektronisches Dokument, letzteres nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV), bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Bahnhofsvorplatz 3, 45879 Gelsenkirchen, einzulegen und kann nur darauf gestützt werden, dass die Partei nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Zahlungen zu leisten hat. Nach Ablauf von drei Monaten seit der Verkündung der Entscheidung ist die Beschwerde unstatthaft. Wird die Entscheidung nicht verkündet, so tritt an die Stelle der Verkündung der Zeitpunkt, in dem die unterschriebene Entscheidung der Geschäftsstelle übergeben wird.

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Gegen die Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe steht den Beteiligten innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, zu.

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Die Beschwerde ist schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder als elektronisches Dokument, letzteres nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV), bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Bahnhofsvorplatz 3, 45879 Gelsenkirchen, einzulegen. Über sie entscheidet das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, falls das beschließende Gericht ihr nicht abhilft.

Meta

20 K 3518/20

19.01.2021

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen 20. Kammer

Beschluss

Sachgebiet: K

Zitier­vorschlag: Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Beschluss vom 19.01.2021, Az. 20 K 3518/20 (REWIS RS 2021, 9406)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 9406

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