Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.07.2016, Az. 2 StR 486/15

2. Strafsenat | REWIS RS 2016, 8293

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[X.]:[X.]:BGH:2016:130716B2STR486.15.0

BUN[X.]SG[X.]RICHTSHOF

B[X.]SCHLUSS
2 StR 486/15
vom
13. Juli
2016
in der Strafsache
gegen

wegen versuchten Mordes u.a.

-
2
-
Der 2. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des Generalbun-desanwalts
und des Beschwerdeführers
am 13.
Juli 2016
gemäß §
349 Abs.
4
StPO beschlossen:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 28.
Mai 2015 mit den Feststellungen aufgeho-ben.
2. [X.] wird zu neuer Verhandlung und [X.]ntscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkam-mer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in [X.], gefährlicher Körperverlet-zung, Urkundenfälschung, Fahren ohne Fahrerlaubnis und einem Verstoß ge-gen das Pflichtversicherungsgesetz zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt, die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet und eine [X.]ntscheidung nach §
69a StGB getroffen. Die auf die [X.] förmlichen und sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge [X.]rfolg.
1. Nach den Feststellungen des [X.] flüchtete der Angeklagte, der ohne gültige Fahrerlaubnis mit einem mit gestohlenen Kennzeichen verse-henen, nicht zugelassenen Kraftfahrzeug unterwegs war, am 17.
August 2014 1
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mit weit überhöhter Geschwindigkeit vor einem ihn verfolgenden Streifenwagen der Polizei durch [X.].

. [X.]r bog schließlich in eine private Hofzufahrt ein, die
nach 40-50 Metern in einem Innenhof endete und sich

da dieser nur über
die-selbe Zufahrt wieder verlassen werden konnte

als Sackgasse erwies. Im vor-deren Bereich verjüngte
sich die Zufahrt, die auf der einen Seite durch eine Mauer und auf der anderen Seite durch eine Mülltonnenbox begrenzt war. Der Angeklagte fuhr durch die Zufahrt in Richtung des Innenhofs, bis er erkannte, dass es von
dort
kein Wegkommen gab. Das Polizeifahrzeug mit den
Beamten
R.

und B.

hatte zwischenzeitlich ebenfalls die [X.]infahrt erreicht
und
ihren Pkw
im verjüngten Bereich der Zufahrt so abgestellt, dass zwischen des-sen Fahrerseite und der Mauer lediglich ein 1,80
Meter breiter Bereich verblieb und der
Abstand zwischen Beifahrerseite und Mülltonnenbox knapp einen [X.] betrug. Der Zeuge R.

als Fahrer ging dabei davon aus, dass der An-
geklagte mit seinem Fahrzeug nicht an ihrem Fahrzeug würde vorbeifahren können.
Daraufhin fuhr der Angeklagte sein Fahrzeug schräg zurück und hielt [X.] fünf bis zehn Meter vom [X.] entfernt an. [X.]s bestand kurzzei-tig Blickkontakt mit dem Zeugen R.

. Dieser und der Zeuge B.

gingen
davon aus, dass der Angeklagte nun aussteigen und sich ergeben oder zu Fuß weiterflüchten würde. Daher stiegen beide Beamte aus dem Fahrzeug aus, wo-bei
sich der Zeuge R.

von der Fahrerseite aus

dicht an der Mauer ent-
langgehend

zum Pkw des Angeklagten hin bewegte. Als er nach wenigen Schritten etwa auf der Höhe der vorderen Stoßstange des [X.] war, fuhr der Angeklagte unvermittelt mit Vollgas rückwärts gezielt auf die Lücke zu, die zwischen der Mauer und der Fahrerseite des [X.] bestand. [X.] hatte er

ebenso wie die in seinem Fahrzeug sitzende Zeugin Bo.

sei-
nen Kopf zur Fahrzeugmitte hin umgedreht und den Zeugen
R.

gese-
hen. [X.]r sah, dass dieser sich genau vor dieser Lücke befand und keine [X.]
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-
lichkeit hatte, dem herannahenden Fahrzeug auszuweichen. Gleichwohl setzte er seine Fahrt unvermindert mit Vollgas fort, um der Polizeikontrolle zu ent-kommen. [X.]r nahm dabei billigend in Kauf, dass der Zeuge durch die Kollision mit dem Fahrzeug getötet werden würde. Unmittelbar bevor der Zeuge R.

von dem Fahrzeug des Angeklagten, einem [X.], erfasst werden
konnte, machte er geistesgegenwärtig einen großen Sprung in die Höhe, so dass lediglich seine Beine von dem Golf getroffen wurden. [X.]r wurde

während der Angeklagte unbeirrt weiterfuhr

auf den Pkw des Angeklagten über das Fahrzeugdach nach vorne auf die Motorhaube geschleudert. [X.]r kam schließlich vor der Motorhaube auf dem Boden zu liegen, während es dem Angeklagten gelang, das Fahrzeug mit den rechten Rädern auf dem Boden und den linken Rädern an der Wand in Schrägstellung fahrend durch die Lücke zu fahren. [X.]r fuhr anschließend weiter und flüchtete in die Richtung, aus der er gekommen war. Zwei Tage später wurde er festgenommen.
2. Das [X.] hat den Angeklagten unter anderem wegen versuch-ten Mordes verurteilt. [X.]s ist dabei davon ausgegangen, dieser habe den [X.] R.

gesehen, als er rückwärts fuhr, und habe insoweit mit bedingtem
Tötungsvorsatz gehandelt. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Beweiswürdigung der [X.], mit der sie sich davon überzeugt hat, dass der Angeklagte den Zeugen R.

bei seinem Fahrmanöver gesehen hat,
begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Sie ist lückenhaft, weil sie sich mit Umständen, die gegen diese Annahme sprechen könnten, nicht hinrei-chend auseinandergesetzt hat.
a) Das [X.] hat sich bei seiner Überzeugungsbildung zum einen auf die Angaben der Zeugin Bo.

gestützt, die angegeben hat, sie sei sicher,
dass auch der
Angeklagte beide Beamten gesehen habe, da er sich ebenso wie sie umgedreht und auch in den Außenspiegel geschaut habe. Soweit das 4
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-
5
-
[X.] der Zeugin insoweit im Hinblick auf deren eigene Wahrnehmung gefolgt ist (UA
S.
43), lässt es unberücksichtigt, dass die auf der
Beifahrerseite
sitzende Zeugin einen andern Blickwinkel als der Angeklagte hatte. Wenn auch dadurch nicht ausgeschlossen ist, dass die Zeugin Wahrnehmungen zur Sicht des Angeklagten machen kann, hätte doch das [X.] zu erkennen geben müssen, ob dies auch unter Berücksichtigung unterschiedler Sichtwinkel ange-nommen werden kann. Zudem bleibt offen, auf welchen Zeitpunkt sich die Aus-sage der Zeugin bezieht. Dass der Angeklagte zurückschaute, als er feststellte, dass es nach vorne kein [X.]ntweichen mehr gab, liegt auf der Hand. Dass es [X.] zu einem kurzen Blickkontakt mit dem Zeugen R.

kam, hat dieser
bestätigt. Dies war allerdings zu einem Zeitpunkt, als beide Beamten noch im Auto saßen. Ob der Angeklagte im weiteren Fortgang bemerkte, dass der [X.] R.

ausgestiegen war und vor der Lücke stand, auf die er zufuhr, ist
den im Urteil mitgeteilten Angaben der Zeugin nicht zu entnehmen.

b) [X.] hat sich zum anderen auch auf die Angaben des Sachverständigen Re.

berufen, der

nachdem die Stellung der Fahrzeuge
und der Positionen der Polizeibeamten vor Ort rekonstruiert worden waren

angegeben hat, es sei feststellbar gewesen dass sowohl im Innen-
als auch im rechten Außenspiegel im Bereich zwischen der Mauer und dem Polizeifahrzeug stehende Personen sichtbar gewesen seien. Dies gelte auch bei einer [X.], je nachdem wie weit der Fahrer seinen Kopf nach hinten gedreht habe. Soweit der Sachverständige darüber hinaus die Möglichkeit in den Raum ge-stellt habe, die Sicht auf den Zeugen R.

habe durch die C-Säule in ei-
nem bestimmten Winkel verdeckt sein können, hat das [X.] mit Blick auf die Angaben der Zeugin Bo.

und den Umstand, dass der Zeuge in Bewegung
gewesen sei, dies nicht angenommen. Auch diese Würdigung erweist sich als lückenhaft. Dies gilt zunächst ohne Weiteres, soweit sich die [X.] auch an dieser Stelle auf die Angaben der Zeugin Bo.

gestützt hat (s. oben 2.
a). [X.]s
6
-
6
-
gilt aber auch mit Blick auf die festgestellte Bewegung des Zeugen R.

,
der nur wenige Schritte von der Fahrertür bis zur Höhe der vorderen Stoßstan-ge gegangen war. Dass hierdurch der Blick des Angeklagten auf den Zeugen n-geklagte in den Seitenspiegel geschaut hat, ist nicht festgestellt. Soweit aber nach den Angaben der Zeugen Bo.

und R.

feststeht,
dass er sich nach
hinten über die Schulter umgeschaut hat, ist weder festgestellt, wie weit der Angeklagte den Kopf nach hinten umgedreht hatte, noch, dass sich durch die Vorwärtsbewegung des dicht an der Mauer gehenden Zeugen und das gleich-zeitige Rückwärtsfahren die Sicht für den Angeklagten auf den Zeugen verbes-sert hätte. Dies gilt insbesondere, wenn man von der jedenfalls nicht fernlie-genden Möglichkeit ausgeht, dass die Sicht des zurückfahrenden Angeklagten auf den inzwischen ausgestiegenen Zeugen

nachdem er mit ihm zuvor noch Blickkontakt gehabt hatte

zunächst verdeckt war. Vielmehr hätte gerade die Annäherung dafür gesorgt, dass die C-Säule des Golfs den Blick auf den [X.] R.

(weiter) versperrt hätte. Dass der Angeklagte ihn schon zuvor,
etwa beim Aussteigen aus dem Polizeifahrzeug, gesehen hätte, hat das [X.] nicht dargetan.
c) [X.]in weiterer Umstand für die Annahme, der Angeklagte habe den Zeugen gesehen, als er zurückfuhr, ist aus Sicht des [X.] die Reaktion auf die Kollision mit dem Nebenkläger. Hätte der Angeklagte den Zeugen ver-sehentlich erfasst, hätte es nahe gelegen, dass er nach dem Aufprall darauf überrascht oder erschrocken reagiert hätte. Dies sie jedoch nicht der Fall gewe-sen; vielmehr habe der Zeuge R.

bekundet, er habe, während er über
den [X.] des Fahrers bemerkt, der ruhig gewesen sei und keinen ge-hetzten oder getriebenen [X.]indruck gemacht habe. Auch diese Würdigung greift zu kurz, weil sie sich mit insoweit bedeutsamen Umständen nicht auseinander 7
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7
-
setzt. Zum einen ist das [X.] davon ausgegangen, dass eine alkohol-
und drogenbedingte [X.]nthemmung des Angeklagten nicht auszuschließen sei. Dies ist ein Umstand, der sich nicht nur bei der Tatbegehung, sondern auch bei der Reaktion auf ein plötzliches Geschehen auswirken kann. Das [X.] hätte deshalb erörtern müssen, ob angesichts dessen dem Gesichtsausdruck irgendeine Bedeutung für einen möglichen Rückschluss auf das Wissen eines bevorstehenden Zusammenpralls zukommt. Zum anderen wäre auch zu [X.] gewesen, dass bei dem Angeklagten eine dissoziale Persönlichkeitsstö-
ch ein
[X.]rörterung bedurft, ob und inwieweit den [X.]rinnerungen des Zeugen R.

an Beobachtungen während eines in Sekundenbruchteilen stattfindenden Flugs über das Fahrzeug überhaupt Beweiswert zukommen kann.
d) Die Zeugin N.

hatte den Angeklagten nach seiner Flucht auf
dessen Bitte hin aus [X.].

abgeholt und ihn wieder nach Hause gebracht. Ihr
gScheiße

passiert sei. [X.]r sei mit dem Auto gefah-en

erzählen, was passiert sei. Mit dieser Äußerung des Angeklagten gegenüber
der Zeugin N.

setzt sich das [X.] bei seiner Annahme, der Ange-
klagte habe den Zeugen gesehen, nicht auseinander. Dies aber wäre [X.] gewesen; dabei hätte die [X.] in den Blick nehmen müssen, dass der Angeklagte insoweit von sich aus eine [X.]inschätzung der Tat abgegeben hat, die mit ihrer Annahme, er habe den Polizeibeamten, den er angefahren habe, gesehen, nicht in Übereinstimmung zu bringen ist. Dabei wäre, etwa un-ter näherer Darlegung, wie es im [X.]inzelnen zu dieser Angabe des Angeklagten gekommen ist und auf welchen Zeitpunkt sie sich bezog, zu erörtern gewesen, 8
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ob und gegebenenfalls in welcher Weise sich dies auf die Beweiswürdigung der Kammer auswirkt.
e) Das Urteil beruht auf diesen Würdigungsfehlern. Der [X.] kann nicht ausschließen, dass sich die [X.] bei einer rechtsfehlerfreien umfas-senden Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände nicht die Überzeugung verschafft hätte, der Angeklagte habe den Zeugen gesehen, und insoweit von einer Verurteilung wegen versuchten Mordes abgesehen hätte.
3. a) Für die neue Hauptverhandlung weist der [X.] darauf hin, dass auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen auch die Frage weite-rer Vertiefung bedarf, ob die Kollision für den Zeugen R.

unausweichlich
gewesen ist. Geht man von den Angaben des Sachverständigen aus, sind zwi-schen Anfahrbeginn durch den Angeklagten und der Kollision im für den Ange-klagten günstigsten Fall 2,8 Sekunden vergangen. Warum bei einer Reaktions-zeit von ein bis zwei Sekunden keine Ausweichmöglichkeit bestanden haben soll, auf die der Angeklagte gegebenenfalls hätte vertrauen können, erschließt sich aus den Urteilsgründen bisher nicht.
b) Hinsichtlich eines möglichen Rücktritts des Angeklagten nach §
24 StGB verweist der [X.] auf BGHSt 39, 221, 230 ff..
Im Übrigen erscheint es zweifelhaft, ob mit einem möglichen erneuten Zufahren des Angeklagten auf den Zeugen R.

tatsächlich eine neue Handlungs-
und Kausalkette in
Gang gesetzt worden wäre.
c) Soweit der neue Tatrichter wiederum die Anordnung von Sicherungs-verwahrung in Betracht ziehen sollte, ist im Hinblick auf die formellen Voraus-setzungen nach §
66 Abs.
1 Nr.
2 StGB zu bedenken, dass die Verhängung einer [X.]inheitsjugendstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten für eine weitere Tat unter [X.]inbeziehung einer Jugendstrafe von einem Jahr und zwei Monaten 9
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nicht ohne Weiteres die Annahme rechtfertigt, für diese Tat sei

wie [X.]

eine Freiheitsstrafe von einem Jahr verhängt worden. Maßgeblich ist, ob der Täter wegen der zugrunde liegenden Tat eine [X.]inzelstrafe von mindestens einem Jahr wegen der vorsätzlichen Straftat verwirkt hätte, sofern sie als [X.]in-zeltat gesondert abgeurteilt worden wäre. Daran bestehen

zumal [X.] Feststellungen des ursprünglichen Tatrichters fehlen

Zweifel, zumal sich die Jugendstrafe nicht am Tatunrecht, sondern am [X.]rziehungsbedarf ausrichtet.
[X.] [X.][X.]schelbach

Ott RiBGH [X.] ist wegen

Urlaubs an der Unterschrift

gehindert.

[X.]

Meta

2 StR 486/15

13.07.2016

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.07.2016, Az. 2 StR 486/15 (REWIS RS 2016, 8293)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 8293

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