Bundesfinanzhof, Urteil vom 13.07.2022, Az. I R 42/18

1. Senat | REWIS RS 2022, 7288

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Gegenstand

(Auslegung eines Gewinnabführungsvertrags - Zur Frage der steuerlichen Rückwirkung eines notariellen Nachtragsvermerks nach § 44a Abs. 2 Satz 1 BeurkG)


Leitsatz

1. Gewinnabführungsverträge sind nach objektiven Gesichtspunkten einheitlich aus sich heraus auszulegen. Umstände, für die sich keine ausreichenden Anhaltspunkte im Vertrag finden, können zur Auslegung grundsätzlich nicht herangezogen werden (Bestätigung der Rechtsprechung).

2. Die Korrektur einer Unstimmigkeit in einem Gewinnabführungsvertrag durch einen notariellen Nachtragsvermerk nach § 44a Abs. 2 Satz 1 BeurkG entfaltet jedenfalls dann keine steuerliche Rückwirkung, wenn sich der tatsächlich gewollte Vertragsinhalt nicht objektiv aus den Vertragsregelungen heraus ergibt und unklar ist, wie eine mögliche Lücke in der Vertragsurkunde zu füllen ist.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 15.06.2017 - 10 K 115/15, 10 K 116/15 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, wurde im Juni 1991 von der [X.] als alleiniger Gesellschafterin gegründet. Am ….12.1991 schlossen die Klägerin und die [X.] einen notariellen Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrag ([X.]).

2

In der Vertragsurkunde des mit der Klägerin abgeschlossenen Vertrags lautet § 4 [X.] ("Dauer des Vertrages") wie folgt:

"1. Dieser Vertrag wird bis zum 31.12.1996 abgeschlossen. Seine Wirksamkeit beginnt mit Errichtung der Organgesellschaft."

-Seitenumbruch-

"3. Das Organ ist zu einer ordentlichen Kündigung so lange nicht berechtigt, als der Organträger am Organ mit mehr als 50 % des Stammkapitals beteiligt ist.

4. Eine vorzeitige Kündigung ist nur aus wichtigem Grund zulässig."

3

Der [X.] wurde am ….06.1992 in das Handelsregister eingetragen. Im Zuge der Digitalisierung des [X.] im Jahre 2006 ist das Bestehen des [X.] nicht übernommen worden.

4

Unter dem ….09.2012 fertigte der Amtsnachfolger des den [X.] beurkundenden Notars einen [X.] gemäß § 44a Abs. 2 Satz 1 und 2 des Beurkundungsgesetzes ([X.]) und stellte darin "im Hinblick auf die in § 4 ... ([X.]) - Dauer des [X.] enthaltene offensichtliche Unrichtigkeit des Fehlens des Absatzes 2 dieses Paragraphen richtig, dass § 4 ... ([X.]) einen Absatz 2 enthält, der lautet:

2. Wird der Vertrag nicht 1 Jahr vor seinem Ablauf schriftlich gekündigt, verlängert er sich um jeweils 1 weiteres Jahr."

5

Nachdem der [X.] vorgelegt und mit dem [X.] beim Registergericht hinterlegt worden war, hat dieses das Bestehen des [X.] am ….09.2012 von Amts wegen in das Handelsregister nachgetragen.

6

Die Klägerin führte in den Jahren 2006 und 2009 (Streitjahre) auf der Grundlage des [X.] ihren Gewinn an die [X.] ab. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt --[X.]--) veranlagte sie zunächst unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erklärungsgemäß in der Weise, dass er ihr Einkommen von [X.] (2006) bzw. [X.] (2009) der [X.] als Organträgerin zurechnete und die Körperschaftsteuer auf 0 € festsetzte. Nach einer Außenprüfung erließ das [X.], in denen es u.a. dem [X.] die steuerrechtliche Anerkennung versagte und den Gewinn in Höhe der Gewinnabführungen (2006: [X.]; 2009: [X.]) [X.] als verdeckte Gewinnausschüttungen nach § 8 Abs. 3 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes in der in den Streitjahren geltenden Fassung ([X.]) hinzurechnete.

7

Im Klageverfahren erließ das [X.], nachdem über die weiteren streitigen Feststellungen Einvernehmen erzielt werden konnte, [X.] vom 23.03.2017. Das [X.] ([X.]) hat die Klage mit Urteil vom 15.06.2017 - 10 K 115/15 und 10 K 116/15 als unbegründet abgewiesen.

8

Gegen das [X.]-Urteil richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Klägerin.

9

Die Klägerin beantragt, das [X.]-Urteil aufzuheben und die [X.] 2006 und 2009 vom 23.03.2017 dahingehend abzuändern, dass die Körperschaftsteuer jeweils auf 0 € festgesetzt wird.

Das [X.] beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet und daher gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zurückzuweisen. Das [X.] ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass in den Streitjahren zwischen der Klägerin und der V-GmbH kein steuerrechtlich wirksamer [X.] und damit keine Organschaft gemäß §§ 14, 17 [X.] bestanden hat; der notarielle [X.] führt jedenfalls steuerrechtlich nicht zu einer rückwirkenden Heilung dieses Mangels.

1. Dem zwischen der Klägerin und der V-GmbH am ….12.1991 abgeschlossenen [X.] ist die steuerrechtliche Anerkennung für die Streitjahre mit der Folge zu versagen, dass der Gewinn der Klägerin nicht der V-GmbH als Organträgerin zuzurechnen ist. Das [X.] hat den Vertrag zutreffend dahingehend ausgelegt, dass die Vertragslaufzeit wegen fehlender Verlängerung abgelaufen war.

a) Sowohl nach § 14 Abs. 1 Satz 1 [X.]r. 3 Satz 1 [X.] ([X.]. § 17 Abs. 1 Satz 1 [X.]) in seiner aktuellen Fassung als auch in früheren Fassungen bis ins Jahr 1991 (z.B. § 14 [X.]r. 4 [X.] i.d.F. der [X.]eufassung des [X.] vom 11.03.1991, [X.] 1991, 638, [X.], 135) ist Voraussetzung für die Anerkennung einer körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft u.a. ein auf mindestens fünf Jahre abgeschlossener [X.], der auch zivilrechtlich wirksam ist (Senatsurteile vom 30.07.1997 - I R 7/97, [X.], 88, [X.] 1998, 33, zu §§ 17 Satz 1, 14 [X.]r. 4 Satz 1 [X.] 1984; vom 23.08.2017 - I R 80/15, [X.], 405, [X.] 2018, 141, m.w.[X.]., zu §§ 17 Satz 1, 14 Abs. 1 Satz 2 [X.] 2002). Hieran fehlt es im Streitfall, da das [X.] rechtsfehlerfrei davon ausgegangen ist, dass der [X.] am 31.12.1996 geendet hat und nicht verlängert worden ist.

b) Vereinbarungen der Gesellschafter mit korporationsrechtlichem Charakter --zu denen ein [X.] als gesellschaftsrechtlicher Organisationsvertrag gehört-- sind nach objektiven Gesichtspunkten einheitlich aus sich heraus auszulegen (z.B. Urteil des [X.] --[X.]-- vom 06.03.2018 - II ZR 1/17, Der Betrieb 2018, 1078, m.w.[X.]). Dem Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Regelung kommen dabei ebenso maßgebende Bedeutung zu wie dem systematischen Bezug einer Klausel zu anderen Vertragsregelungen. Umstände, für die sich keine ausreichenden Anhaltspunkte im Vertrag finden, können zur Auslegung grundsätzlich nicht herangezogen werden (Senatsurteil vom 28.11.2007 - I R 94/06, [X.], 51, m.w.[X.].; Beschluss des [X.] --BFH-- vom [X.], BFH/[X.]V 2009, 1840; Senatsbeschluss vom 23.01.2013 - I R 1/12, BFH/[X.]V 2013, 989). So sind z.B. außerhalb des [X.] bei einer [X.] eines [X.] auch dann nicht einzubeziehen, wenn deren Kenntnis bei den Mitgliedern und Organen allgemein vorausgesetzt werden kann (BFH-Urteil vom 03.09.2009 - IV R 38/07, [X.], 283, [X.] 2010, 60; Senatsbeschluss in BFH/[X.]V 2013, 989). Insbesondere gilt dies für nicht allgemein erkennbare Umstände außerhalb der zum Handelsregister eingereichten Unterlagen, wie beispielsweise der Entstehungsgeschichte sowie Vorstellungen und Äußerungen der am Vertragsschluss beteiligten Personen (Senatsurteil in [X.], 51; Senatsbeschlüsse vom 02.11.2010 - I B 71/10, BFH/[X.]V 2011, 849, und in BFH/[X.]V 2013, 989).

Der aus § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs abzuleitende und grundsätzlich auch auf formbedürftige Verträge anzuwendende Grundsatz "falsa demonstratio non nocet", nach dem ohne Rücksicht auf einen abweichenden Wortlaut das von den [X.] tatsächlich Gemeinte als Inhalt des Vertrags gilt, kann im Bereich der objektiven Auslegung korporationsrechtlicher Vereinbarungen nicht uneingeschränkt angewendet werden. Findet sich nämlich im Vertrag und in den allgemein zugänglichen Unterlagen kein eindeutiger Beleg für den dem Wortlaut entgegenstehenden subjektiven Willen der Vertragsparteien, ist kein Raum für dessen Berücksichtigung (Senatsurteil in [X.], 51; Senatsbeschluss in BFH/[X.]V 2013, 989).

c) An diesen strengen Auslegungskriterien ist ungeachtet der in der Literatur geäußerten Kritik ([X.]odoushani, [X.], 620, 622; Puls, Der Konzern 2008, 555, 558 f.; s. aus zivilrechtlicher Sicht Grunewald, [X.]schrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht 2009, 647, 650 ff.) weiterhin festzuhalten (s. bereits Senatsbeschluss in BFH/[X.]V 2013, 989; dem zustimmend z.B. [X.], [X.] Steuer-[X.]ung [X.], 491; [X.] in [X.]/[X.], [X.], § 14 Rz 636; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 14 [X.] Rz 66; [X.] in [X.]/Drüen, [X.]/[X.]/[X.], § 14 [X.] Rz 328; [X.] in Schnitger/[X.], [X.], 2. Aufl., § 14 Rz 257; [X.] in [X.], [X.], 4. Aufl., § 14 Rz 231; [X.]/[X.]mann/[X.], § 14 [X.] Rz 103). Denn sie begründen sich mit der [X.]otwendigkeit, den Finanzbehörden eine sichere Prüfungs- und Beurteilungsgrundlage zu geben, ob --durch die [X.] ausnahmsweise ein Steuersubjekt an die Stelle eines anderen Subjekts tritt (Senatsbeschluss in BFH/[X.]V 2013, 989, unter Verweis auf [X.], [X.], 350, 351). Es muss ausgeschlossen sein, dass den Vertragsparteien --je nach wirtschaftlicher und steuerlicher [X.] ein "faktisches Wahlrecht" eingeräumt wird, sich auf den konkreten Vertragstext oder auf ein Redaktionsversehen zu berufen (Senatsbeschluss in BFH/[X.]V 2013, 989, unter Verweis auf [X.], [X.], 177).

Soweit die Klägerin demgegenüber auf den durch §§ 298, 303 des Aktiengesetzes (AktG) [X.]. § 15 des Handelsgesetzbuchs gewährleisteten Schutz der Gläubiger der Organgesellschaft verweist, die sich bei unterbliebener Eintragung der Beendigung eines Unternehmensvertrags weiterhin auf diesen berufen könnten, wird dies den steuerrechtlichen Wirkungen der Organschaft nicht gerecht. Die [X.] vermögen nicht die Unsicherheit zu beseitigen, ob und in welchem Umfang sich eine Körperschaftsteuerforderung gegen den Organträger oder gegen die Organgesellschaft richtet. Würde die Körperschaftsteuer zunächst gegen das falsche Steuersubjekt festgesetzt und dies erst nachträglich erkannt und dort geändert (z.B. Absehen von der Zurechnung des Einkommens beim Organträger wegen tatsächlich nicht bestehender Organschaft), könnte dies wegen der Grundsätze der Bestandskraft nicht mehr ohne Weiteres bei dem anderen Steuersubjekt durch geänderte Bescheide berücksichtigt werden (z.B. Senatsurteil vom 28.01.2004 - I R 84/03, [X.], 1, [X.] 2004, 539; BFH-Urteil vom 06.03.2008 - IV R 74/05, [X.], 304, [X.] 2008, 663). In diesen Fällen würde eine mögliche Haftung nach § 303 AktG ins Leere gehen, wenn wegen verfahrensrechtlicher Vorschriften eine Körperschaftsteuer nicht mehr festgesetzt werden kann.

d) [X.]ach den vorstehenden Maßgaben hat das [X.] rechtsfehlerfrei festgestellt, dass in den Streitjahren 2006 und 2009 kein wirksamer [X.] mehr bestanden hat; dabei unterliegen nach der ständigen Rechtsprechung des Senats Vereinbarungen der Gesellschafter mit korporationsrechtlichem Charakter wegen des zuvor beschriebenen Gebots der objektivierten Auslegung der freien [X.]achprüfung durch das Revisionsgericht (z.B. Senatsurteile in [X.], 51, unter Verweis auf [X.] vom 11.10.1993 - II ZR 155/92, [X.], 347, und vom 21.01.2016 - I R 22/14, [X.], 82, [X.] 2017, 336).

aa) [X.]ach § 4 Abs. 1 [X.] wurde der Vertrag bis zum 31.12.1996 abgeschlossen. Damit endete der Vertrag mit Ablauf dieses Datums. Es bedarf daher keiner Entscheidung, welche Folgen es gehabt hat, dass der [X.] im Jahr 2006 nicht in das elektronische Handelsregister übernommen worden ist.

bb) Entgegen der Ansicht der Klägerin lässt sich der [X.] nicht in der Weise auslegen, dass er über den 31.12.1996 hinaus wirksam sein sollte.

aaa) Dies gilt ungeachtet des Umstandes, dass der Vertrag insofern unstimmig ist, als § 4 [X.] die Absätze 1, 3 und 4 enthält, jedoch keinen Absatz 2. Zwar mag der Schluss in Betracht kommen, dass eine weitere Regelung in § 4 [X.] und womöglich eine Verlängerungsmöglichkeit für den Vertrag gewollt war. Ebenso ist aber nicht ausgeschlossen, dass eine Verlängerung des Vertrags nicht beabsichtigt war und die Absätze 3 und 4 versehentlich in den Vertrag aufgenommen worden sind. Insoweit kann die Frage, ob § 4 [X.] einen Absatz 2 enthalten sollte und welchen Inhalt dieser hätte haben sollen, aus dem [X.] heraus nicht durch Auslegung ermittelt werden.

Selbst wenn man mit der Klägerin ungeachtet des Fehlens eines Absatzes 2 auf den Willen der Vertragsparteien zur Vereinbarung einer Vertragsverlängerung schließen wollte, ist anhand der Vertragsurkunde nicht zu ermitteln, für welchen [X.]raum und unter welchen Voraussetzungen die Verlängerung nach dem Willen der Vertragsparteien hat eintreten sollen. So enthält der beurkundete Vertragstext keinen Anhalt dafür, dass sich der Vertrag jeweils um ein weiteres Jahr verlängern sollte, wenn er nicht ein Jahr vor dessen Ablauf schriftlich gekündigt würde. Ebenso könnte der Wille der Vertragsparteien z.B. dahin gegangen sein, dass zur Vertragsverlängerung eine ausdrückliche Erklärung erforderlich sein oder dass sich der Vertrag nach Ablauf der fünfjährigen Mindestvertragslaufzeit auf unbestimmte [X.] fortsetzen sollte, mit der Möglichkeit der ordentlichen Kündigung durch eine der Vertragsparteien.

bbb) Der Klägerin ist auch nicht dahin zu folgen, dass für die Auslegung des [X.] Umstände herangezogen werden können, die außerhalb des [X.] liegen, insbesondere auch nicht die Regelungen der von den Schwestergesellschaften der Klägerin am selben Tag abgeschlossenen Gewinnabführungsverträge.

(1) Zwar hat der Senat in der Vergangenheit auf die Rechtsprechung des [X.] verwiesen, wonach außerhalb der Satzung liegende [X.] dann ausnahmsweise einzubeziehen seien, wenn deren Kenntnis bei den Mitgliedern und Organen allgemein vorausgesetzt werden könne (Senatsurteil in [X.], 51, unter Verweis auf [X.]e vom 02.12.1974 - II ZR 78/72, [X.]Z 63, 282, und in [X.], 347). Das gilt aber nur für Fälle, in denen keine Interessen Dritter beeinträchtigt werden (Senatsurteil in [X.], 51; s.a. [X.] in Aktiengesetz, 4. Aufl., § 23 Rz 1); dies wäre aber bei der [X.] eines [X.] der Fall (Senatsbeschluss in BFH/[X.]V 2013, 989; BFH-Urteil in [X.], 283, [X.] 2010, 60). Und dies gilt insbesondere für nicht allgemein erkennbare Umstände außerhalb der zum Handelsregister eingereichten Unterlagen, wie beispielsweise der Entstehungsgeschichte sowie Vorstellungen und Äußerungen der am Vertragsschluss beteiligten Personen (Senatsbeschluss in BFH/[X.]V 2013, 989, m.w.[X.].).

(2) Hiervon ausgehend können die hinsichtlich der Schwestergesellschaften existierenden Unterlagen, insbesondere die am gleichen Tag abgeschlossenen Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträge, nicht herangezogen werden. Diese mögen zwar für Dritte einsehbar sein. Jedoch handelt es sich dabei nicht um Unterlagen, die die Klägerin selbst betreffen. Insoweit drängt sich auch nicht auf, ob und wie Dritte ohne weiteres davon Kenntnis hätten erlangen können, dass die Klägerin Schwestergesellschaften gehabt hat, die tagesidentisch und ebenfalls bei diesem [X.]otar [X.] abgeschlossen haben, mit deren Hilfe ggf. eine eventuelle Lücke im [X.] geschlossen werden könnte.

(3) Aber selbst wenn man die Verträge der Schwestergesellschaften bei einer objektivierten Auslegung heranziehen wollte, ergäbe sich kein anderes Auslegungsergebnis. Denn es liegen keine hinreichend sicheren (objektiven) Anhaltspunkte dafür vor, dass der dort jeweils vereinbarte § 4 Abs. 2 der Verträge wortgleich auch in den [X.] habe übernommen werden sollen.

ccc) Aus dem Umstand, dass der [X.] von den Vertragsparteien tatsächlich über den 31.12.1996 hinaus durchgeführt worden ist und sich dies z.B. aus den testierten und im [X.] bzw. im Unternehmensregister veröffentlichten Jahresabschlüssen ergibt, folgt ebenfalls nichts anderes. Dabei handelt es sich um Vorgänge, die sich allesamt erst erhebliche [X.] nach dem Vertragsschluss am ….12.1991 zugetragen haben und die schon deshalb bei der Auslegung der Vertragserklärungen keine Berücksichtigung finden können.

2. Der am ….09.2012 --d.h. mehr als 20 Jahre nach [X.] vom Amtsnachfolger des beurkundenden [X.]otars gefertigte [X.] (§ 44a Abs. 2 Satz 1 [X.]) kann für die Streitjahre nicht zur steuerrechtlichen Anerkennung eines [X.] führen.

a) [X.]ach § 44a Abs. 2 Satz 1 [X.] kann der [X.]otar auch nach Abschluss der [X.]iederschrift durch einen von ihm zu unterschreibenden [X.] offensichtliche Unrichtigkeiten richtigstellen. Von einer "offensichtlichen Unrichtigkeit" werden über Schreibversehen hinaus auch Auslassungen und Unvollständigkeiten erfasst, wenn sie versehentlich erfolgt sind und sich dies aus dem Gesamtzusammenhang der Beurkundung ergibt, wobei die Umstände auch außerhalb der Urkunde liegen können ([X.] vom 10.10.2017 - II ZR 375/15, [X.]Z 216, 110; [X.], [X.], 19. Aufl., § 44a Rz 18; s.a. Senatsbeschluss in BFH/[X.]V 2013, 989).

b) Ob im vorliegenden Fall eine nach § 44a Abs. 2 Satz 1 [X.] berichtigungsfähige offensichtliche Unrichtigkeit vorliegt, ist indes zu bezweifeln. Denn "offensichtlich" ist hier allenfalls die beschriebene Unstimmigkeit des § 4 [X.] in der beurkundeten Fassung durch das Fehlen eines Absatzes 2, nicht aber auch der von den Vertragsparteien stattdessen tatsächlich gewollte Vertragsinhalt. Der an der [X.] selbst nicht beteiligte Amtsnachfolger des beurkundenden [X.]otars hat mit dem [X.] versucht, eine aus seiner Sicht bestehende [X.] zu füllen, ohne dass die Vertragsurkunde dahingehend zumindest andeutungsweise einen bestimmten Erklärungsinhalt hat erkennen lassen (vgl. zu diesem Erfordernis [X.] in [X.], [X.], Dienstordnung und Richtlinienempfehlung der B[X.]otK, 5. Aufl., § 44a [X.] Rz 9; Reithmann, [X.] [X.]otarzeitung 1999, 27, 33). Selbst wenn für einen [X.] nach § 44a Abs. 2 Satz 1 [X.] ggf. auch auf die Erinnerung des beurkundenden [X.]otars abgestellt werden könnte (vgl. Heckschen/[X.], [X.]eue [X.]schrift für Gesellschaftsrecht --[X.]ZG-- 2018, 401, 408), wäre hierfür in der vorliegenden Konstellation eines durch einen Amtsnachfolger gefertigten [X.]s kein Raum.

c) Im Übrigen würde der im September 2012 gefertigte [X.] jedenfalls steuerlich nicht in die Streitjahre zurückwirken können. Bereits in zivilrechtlicher Hinsicht wird unter Verweis auf Vertrauensschutzgesichtspunkte die Rückwirkung eines [X.]s nach § 44a Abs. 2 Satz 1 [X.] bezweifelt (vgl. [X.], a.a.[X.], § 44a Rz 44; Heckschen/[X.], [X.]ZG 2018, 401, 414; offengelassen durch [X.] in [X.]Z 216, 110, hinsichtlich eines berichtigten Hauptversammlungsprotokolls). Jedenfalls aber in steuerrechtlicher Hinsicht kann ein Jahre später gefertigter [X.] nicht dazu führen, dass ein zuvor nach den Kriterien der objektivierten Auslegung als nach dem Willen der Vertragsparteien als beendet anzusehender [X.] rückwirkend wieder "auflebt" und zur Grundlage für eine organschaftliche Einkommenszurechnung wird. Denn andernfalls wäre es in den Fällen, in denen sich der gewollte Inhalt nicht objektiv aus der ursprünglichen Vertragsurkunde ergibt, in das Belieben der Vertragsparteien gestellt, mit welchem Inhalt sie den [X.] in den jeweiligen [X.] steuerrechtlich behandelt wissen möchten. Die steuerliche Rückwirkung eines derartigen [X.]s würde dem Rechtsgedanken des § 38 der Abgabenordnung [X.]) widersprechen, dem zufolge die Ansprüche aus dem Steuerverhältnis entstehen, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft (vgl. zu dem auf § 38 AO gestützten Rückwirkungsverbot für ergänzende Vereinbarungen zu Unternehmensverträgen z.B. Senatsurteil in [X.], 51).

3. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

I R 42/18

13.07.2022

Bundesfinanzhof 1. Senat

Urteil

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 15. Juni 2017, Az: 10 K 115/15, 10 K 116/15, Urteil

§ 14 Abs 1 S 1 Nr 3 KStG 2002, § 17 Abs 1 S 1 KStG 2002, § 44a Abs 2 S 1 BeurkG, § 298 AktG, § 303 AktG, § 38 AO, KStG VZ 2006, KStG VZ 2009, § 15 HGB

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 13.07.2022, Az. I R 42/18 (REWIS RS 2022, 7288)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 7288

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