Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 12.04.2017, Az. 10 AZB 29/17

10. Senat | REWIS RS 2017, 12494

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Tenor

1. Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des [X.] vom 23. Januar 2017 - 9 [X.] 1171/16 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.

3. Der Streitwert wird auf 4.699,65 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Parteien streiten in der Hauptsache über die Verpflichtung des Beklagten zur Zahlung von Beiträgen zu den Sozialkassen des Baugewerbes.

2

Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes. Auf der Grundlage des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe ([X.]) vom 3. Mai 2013 idF der [X.] vom 3. Dezember 2013 und vom 10. Dezember 2014, der aufgrund Bekanntmachung vom 6. Juli 2015 ([X.] [X.] 2015, BAnz. [X.] 14. Juli 2015 [X.]) für allgemeinverbindlich erklärt wurde, begehrt er vom Beklagten Beiträge für den Zeitraum Februar bis Juni 2015 iHv. 4.699,65 Euro. Das [X.] hat durch Beschluss vom 21. Juli 2016 (- 14 [X.] 5007/15 -, - 14 [X.] 5003/16 -, - 14 [X.] 5004/16 -, - 14 [X.] 5005/16 -) festgestellt, dass die Allgemeinverbindlicherklärung ([X.]) vom 6. Juli 2015 wirksam ist. Hiergegen ist ein Rechtsbeschwerdeverfahren beim [X.] anhängig (- 10 ABR 62/16 -).

3

Das [X.] hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Nach den Feststellungen des Arbeitsgerichts, die nicht bestritten wurden, ist er nicht Mitglied der am Abschluss des [X.] beteiligten Tarifvertragsparteien. Das [X.] hat den Rechtsstreit bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Wirksamkeit der [X.] [X.] 2015 ausgesetzt. Mit der vom [X.] zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt der Kläger die Aufhebung des Aussetzungsbeschlusses und Fortführung des Rechtsstreits.

4

II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Die Entscheidung des [X.]s, den Rechtsstreit nach § 98 Abs. 6 Satz 1 ArbGG auszusetzen, ist [X.] nicht zu beanstanden.

5

1. Nach § 98 Abs. 6 Satz 1 ArbGG ist ein Rechtsstreit auszusetzen, wenn seine Entscheidung davon abhängt, ob eine [X.] nach § 5 [X.] oder eine Rechtsverordnung nach § 7 oder § 7a [X.] oder nach § 3a [X.] wirksam ist. Die Entscheidung über die Wirksamkeit einer solchen [X.] oder Rechtsverordnung darf ausschließlich im Rahmen eines gesonderten Beschlussverfahrens nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 ArbGG erfolgen (grundlegend [X.] 7. Januar 2015 - 10 [X.] - Rn. 16, [X.]E 150, 254; zuletzt zB 25. Januar 2017 - 10 [X.] - Rn. 8).

6

2. Das [X.] ist bei seiner Entscheidung zutreffend davon ausgegangen, dass eine Aussetzung nach § 98 Abs. 6 Satz 1 ArbGG nicht in Betracht kommt, wenn der Rechtsstreit ohne Klärung der Wirksamkeit der [X.] oder Rechtsverordnung entschieden werden kann (vgl. [X.] 7. Januar 2015 - 10 [X.] - Rn. 23 mwN, [X.]E 150, 254). Es hat insoweit festgestellt, dass die Parteien weder über die Frage streiten, ob der betriebliche Geltungsbereich des [X.] eröffnet ist, noch über die Höhe des geforderten Beitrags. Des Weiteren hat es ausgeführt, dass § 17 [X.] nach seiner Rechtsauffassung wirksam sei und es deshalb nur noch auf die Frage der Wirksamkeit der [X.] [X.] 2015 ankomme. Die Begründung des [X.]s genügt damit insoweit den an einen Aussetzungsbeschluss nach § 98 Abs. 6 Satz 1 ArbGG zu stellenden Anforderungen (vgl. dazu [X.] 7. Januar 2015 - 10 [X.] - Rn. 23, [X.]E 150, 254).

7

3. Das [X.] hat ferner berücksichtigt, dass bei der Überprüfung einer [X.] von Amts wegen der erste Anschein für deren Rechtmäßigkeit spricht, weil davon auszugehen ist, dass sie unter Beachtung der gesetzlichen Voraussetzungen ausgesprochen worden ist. Es hat demzufolge ernsthafte Zweifel am Vorliegen der Voraussetzungen nach § 5 Abs. 1 [X.] verlangt, um eine Aussetzung nach § 98 Abs. 6 Satz 1 ArbGG zu begründen. Dies entspricht der Rechtsprechung des Senats (vgl. [X.] 17. Februar 2016 - 10 [X.] - Rn. 12 mwN).

8

4. Bei der Beurteilung der Frage, ob „ernsthafte Zweifel“ an der Wirksamkeit einer [X.] bestehen, bleibt dem [X.] ein gewisser Spielraum. Das Rechtsbeschwerdegericht kann nur nachprüfen, ob das [X.] den Begriff selbst verkannt hat, die Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob die Beurteilung wegen des Übersehens wesentlicher Umstände offensichtlich fehlerhaft ist ([X.] 7. Januar 2015 - 10 [X.] - Rn. 22, [X.]E 150, 254). Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält der angegriffene Beschluss stand.

9

a) Das [X.] hat bei seiner Entscheidung das Erfordernis der „ernsthaften Zweifel“ zutreffend ausgelegt, den gesamten Sachverhalt gewürdigt und alle von den Parteien für und gegen die Wirksamkeit der [X.] [X.] 2015 vorgebrachten Argumente berücksichtigt, wobei es sich insoweit schwerpunktmäßig mit der Wirksamkeit des § 17 [X.] und den Folgen einer möglichen Unwirksamkeit dieser Norm für die [X.] als Ganzes beschäftigt hat. Den [X.] lässt sich im Einzelnen entnehmen, von welchen der vorgetragenen oder gerichtsbekannten Zweifeln das [X.] ausgegangen ist und welche Tatsachen es dieser Annahme zugrunde gelegt hat. Die in sich widerspruchsfreie und ohne Verstoß gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze erfolgte Würdigung, wonach im Hinblick auf § 17 [X.] ernsthafte Zweifel an der Wirksamkeit der [X.] [X.] 2015 bestehen, überschreitet nicht den dem [X.] insoweit zustehenden Beurteilungsspielraum.

aa) Das [X.] hält es für ernsthaft denkbar, dass in einem Beschlussverfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 ArbGG das Gericht zu dem Schluss käme, dass die [X.] [X.] 2015 wegen [X.] insgesamt nicht hätte erlassen werden dürfen, wenn § 17 [X.] rechtsunwirksam wäre. Dabei verweist es insbesondere darauf, dass diese Frage höchstrichterlich noch nicht entschieden ist und auch in der Wissenschaft umstritten sei, ob das [X.] eine [X.] nur teilweise erlassen dürfe oder ob der Tarifvertrag insoweit aufgespalten werden könne.

bb) Im Hinblick auf die Frage der Unwirksamkeit von § 17 [X.] benennt das [X.] die in der Rechtsprechung und im Schrifttum vertretenen Zweifel, ob die [X.] der Tarifvertragsparteien Betriebe ohne Beschäftigte umfasse. Es verweist in diesem Zusammenhang insbesondere auch auf ein anhängiges Revisionsverfahren (- 10 [X.] -), bei dem die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung dieser Rechtsfrage zugelassen worden war.

b) Schließlich geht das [X.] davon aus, dass es nicht selbst weitere Schritte zur Überprüfung der Wirksamkeit der [X.] [X.] 2015 unternehmen darf, weil diese gemäß § 98 ArbGG kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung dem dortigen Rechtsstreit vorbehalten ist (vgl. [X.] 7. Januar 2015 - 10 [X.] - Rn. 22, [X.]E 150, 254).

c) Abschließend hat das [X.] erwogen, ob das Interesse des [X.] an einer Beschleunigung des Verfahrens Vorrang vor dem Interesse des Beklagten an der Aussetzung des Rechtsstreits haben könnte.

5. Die in der Rechtsbeschwerde gegen die Aussetzung erhobenen Einwendungen greifen nicht durch. Zwar trifft es zu, dass das [X.] von der Wirksamkeit des § 17 [X.] ausgeht. Diese Prüfung des [X.]s betrifft jedoch nur die Frage, ob es entscheidungserheblich auf die Wirksamkeit der [X.] [X.] 2015 ankommt. Die Beschwerde übersieht aber, dass das [X.] die Auswirkungen einer möglichen Unwirksamkeit des § 17 [X.] auf die Wirksamkeit der [X.] [X.] 2015 weder im Verfahren über die Aussetzung des Rechtsstreits noch im Hauptsacheverfahren selbst abschließend entscheiden darf, sondern diese dem Verfahren nach § 98 ArbGG vorbehalten ist. Deshalb ist es aus Sicht des [X.]s konsequent, den Ausgangsrechtsstreit auszusetzen, wenn es selbst zwar von der Wirksamkeit des § 17 [X.] ausgeht, aber ernsthafte Zweifel hieran erkennt und benennt.

III. [X.] beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Streitwertfestsetzung auf § 63 Abs. 2 GKG.

        

    Linck    

        

    Schlünder    

        

    W. Reinfelder    

        

        

        

        

        

        

                 

Meta

10 AZB 29/17

12.04.2017

Bundesarbeitsgericht 10. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AZB

vorgehend ArbG Wiesbaden, 4. August 2016, Az: 4 Ca 1780/15, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 12.04.2017, Az. 10 AZB 29/17 (REWIS RS 2017, 12494)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 12494

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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