Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.02.2010, Az. 4 StR 596/09

4. Strafsenat | REWIS RS 2010, 8917

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 4 StR 596/09 vom 25. Februar 2010 in der Strafsache gegen wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung u.a. - 2 - Der 4. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 25. Februar 2010, an der teilgenommen haben: Vorsitzende [X.]in am [X.] [X.], die [X.] am [X.] Maatz, [X.], [X.], [X.]als beisitzende [X.], Oberstaatsanwalt beim [X.] als Vertreter der [X.], Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt: - 3 - 1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 19. August 2009 mit den [X.] aufgehoben. 2. Das Verfahren wird eingestellt, soweit dem Angeklagten mit der Anklageschrift vom 26. Februar 2009 eine gefährliche Körper-verletzung ([X.] 2. der Urteilsgründe) zur Last gelegt wird. Im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der [X.] zur Last. 3. Im Übrigen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Ent-scheidung, auch über die weiteren Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.] des [X.]. Von Rechts wegen Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten von den Vorwürfen der gefährli-chen Körperverletzung in drei Fällen wegen nicht ausschließbarer Schuldunfä-higkeit zum [X.]punkt der Taten freigesprochen. Mit ihrer auf die Sachrüge ge-stützten Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen die [X.] der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Urteils und zur Einstellung des [X.] im [X.] 2. der Urteilsgründe. 1 - 4 - [X.] 1. Der Angeklagte leidet seit seinem 15. Lebensjahr an einer [X.] Psychose und hat sich seit mehr als zehn Jahren regelmäßig stationären psychiatrischen Behandlungen unterzogen. In dem [X.]raum von Juli 2007 bis zum November 2008 wurde der Angeklagte im Abstand von 14 Tagen mit Depotspritzen behandelt, die für einen stabilen Zustand sorgten. Als der Angeklagte diese Behandlung im Frühjahr 2008 vernachlässigte, kam es zu einem Selbstmordversuch und zu einer mehrere Wochen dauernden sta-tionären psychiatrischen Behandlung. In der [X.] von November 2008 bis [X.] wurde die Behandlung mit Depotspritzen erneut unterbrochen. Seit sei-nem letzten Klinikaufenthalt im Februar 2009 befindet sich der Angeklagte in regelmäßiger ambulanter Behandlung in einer psychiatrischen Klinik und erhält im Abstand von 14 Tagen Depotspritzen. 2 2. Zu den dem Angeklagten zur Last gelegten Taten hat das [X.] folgende Feststellungen getroffen: 3 [X.] 1. der Urteilsgründe (Anklageschrift vom 19. Februar 2008): 4 Bei dem Versuch, sich nach einer Fahrausweiskontrolle in der U-Bahn der Feststellung der Personalien zu entziehen, zog der Angeklagte ein Kü-chenmesser aus der Tasche und —fuchtelte damit wild herum.fi Dabei nahm er Verletzungen der ihn verfolgenden Fahrausweisprüfer billigend in Kauf. Er ver-letzte einen von ihnen an der Hand und einen anderen am [X.]. In den [X.] werden zum Tattag widersprüchliche Angaben gemacht. So wird zum einen das Datum 27. August 2007 und zum anderen das Datum 12. [X.] 2008 genannt. Im Rahmen der Feststellungen zur Person und zur Schuld-fähigkeit wird dagegen mitgeteilt, dass der Angeklagte die Tat in dem [X.]raum 5 - 5 - von November 2008 bis Februar 2009, in dem er nicht behandelt wurde, be-ging. [X.] 2. der Urteilsgründe (Anklageschrift vom 26. Februar 2009): 6 Während eines Aufenthalts in einer Spielhalle wurde der Angeklagte ge-genüber der Spielhallenaufsicht aggressiv und warf einen [X.] auf die Theke, an der der Zeuge [X.] stand. Der Zeuge wurde durch einen Glas-splitter an der Nase verletzt. Der Angeklagte hätte dies vorhersehen können und müssen. 7 3. Das [X.] hat den Angeklagten freigesprochen, weil "jedenfalls" nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Angeklagte aufgrund seiner zu den [X.]eiligen [X.] virulenten paranoiden Schizophrenie nicht in der Lage gewesen sei, das Unrecht der Taten einzusehen. Die Anordnung der Un-terbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB hat das [X.] abgelehnt, weil von dem Angeklagten "bei si-chergestellter Medikation keine Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht", und nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die Behandlung des Angeklagten derzeit sichergestellt sei. 8 I[X.] Das Urteil hat insgesamt keinen Bestand. 9 1. Soweit das [X.] den Angeklagten im [X.] 2. der Urteilsgrün-de freigesprochen hat, ist das Urteil aufzuheben und das Verfahren in entspre-chender Anwendung von § 206 a StPO einzustellen, weil es insoweit an einem wirksamen Eröffnungsbeschluss fehlt. Dieses Verfahrenshindernis ist - unbe-schadet der Frage, ob die Revision der Staatsanwaltschaft wirksam auf den 10 - 6 - Rechtsfolgenausspruch beschränkt ist, von Amts wegen zu berücksichtigen (vgl. [X.] 52. Aufl. [X.]. [X.]. 151 m.[X.]). Das [X.] hat die ihm im Hinblick auf die bei ihm bereits [X.] (Anklageschrift vom 19. Februar 2008) vorgelegte [X.] (Anklageschrift vom 26. Februar 2009) erst in der [X.] am 19. August 2009 "durch Kammerbeschluss" zur Hauptverhandlung zugelassen, das Hauptverfahren eröffnet und die Verbindung zu der bereits an-hängigen Sache beschlossen. Dies war rechtsfehlerhaft. 11 Entsprechend dem [X.] vom 9. Juni 2009, war die [X.] in der Hauptverhandlung gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG mit zwei Berufsrichtern besetzt. Wird eine zunächst unterbliebene Ent-scheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens in der Hauptverhandlung nachgeholt, so entscheidet darüber aber beim [X.] auch dann die Gro-ße [X.] in ihrer Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung mit drei Berufsrichtern ohne Mitwirkung der Schöffen, wenn die Kammer die [X.] in reduzierter Besetzung durchführt (Senat, Beschluss vom 2. No-vember 2005 - 4 [X.], [X.], 267). 12 2. Auch der Freispruch wegen der Vorwürfe der gefährlichen Körperver-letzung in zwei Fällen ([X.] der Urteilsgründe) hat keinen Bestand. Die Be-schränkung der Revision der Staatsanwaltschaft auf den [X.] ist unwirksam. Die Feststellungen bilden keine tragfähige Grundlage für die Beurteilung der Schuldfähigkeit. Sie ermöglichen dem Revisionsgericht des-halb nicht die isolierte Überprüfung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 63 StGB für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (vgl. [X.] Beschluss vom 10. Januar 2001 - 2 StR 500/00, [X.]St 46, 257, 259). Es ist nicht rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Angeklagte die Tat beging, als 13 - 7 - seine paranoide Schizophrenie virulent war,weil er nicht mit Depotspritzen be-handelt wurde. Sowohl der in den Urteilsgründen als Tattag genannte 27. [X.] 2007 als auch der 12. Februar 2008 fallen in den [X.]raum, in dem der An-geklagte nach den Feststellungen im Abstand von 14 Tagen mit Depotspritzen behandelt wurde. II[X.] Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat vorsorglich auf [X.] hin: 14 1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB setzt voraus, dass die Voraussetzungen des § 20 StGB oder die des § 21 StGB zweifelsfrei festgestellt sind (vgl. Senat, Urteil vom 6. März 1986 - 4 StR 40/86; [X.] Aufl. § 63 [X.]. 11 m.w.[X.]). Auf die Feststellung, dass eine Aufhebung der Einsichtsfähigkeit nicht auszuschließen sei, kann die [X.] nicht gestützt werden, weil damit weder die Vorausset-zungen des § 20 StGB noch die des § 21 StGB festgestellt sind, denn eine verminderte Einsichtsfähigkeit ist strafrechtlich erst dann von Bedeutung, wenn sie das Fehlen der Einsicht zur Folge hat (vgl. Senat, Beschluss vom 10. [X.] 2009 - 4 StR 437/09; [X.], [X.]. m.w.[X.]). Ist das nicht der Fall, wird der neue Tatrichter, sofern die paranoide Schizophrenie des Angeklagten zur Tatzeit virulent war, auch die Frage einer (sicheren) erheblichen Verminde-rung seiner Steuerungsfähigkeit zu prüfen haben. 15 2. Im Falle einer ohne Behandlung bestehenden Gefährlichkeit wird die Notwendigkeit einer Unterbringung gemäß § 63 StGB entgegen der Auffassung der [X.] in der Regel nicht durch minder einschneidende Maßnahmen außerhalb des Bereichs der strafrechtlichen Maßregeln aufgehoben. Vorrangig wird eine Minderung der Gefährlichkeit durch flankierende Maßnahmen bei der 16 - 8 - Frage der Vollstreckung, nicht aber bei der Frage der Anordnung einer frei-heitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung zu beachten sein (vgl. [X.], Urteil vom 11. Dezember 2008 - 3 [X.], [X.], 260 m.[X.]). Tepperwien Ri[X.] Maatz ist [X.] infolge Urlaubs gehindert

zu unterschreiben Tepperwien Ernemann Mutzbauer

Meta

4 StR 596/09

25.02.2010

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.02.2010, Az. 4 StR 596/09 (REWIS RS 2010, 8917)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 8917

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