Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.11.2015, Az. 4 StR 410/15

4. Strafsenat | REWIS RS 2015, 2169

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 410/15

vom
18. November
2015
in der Strafsache
gegen

wegen Vergewaltigung u.a.

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 18.
November 2015 gemäß §
349 Abs.
4 StPO beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 11.
Mai 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fäl-len, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Hilfs-bedürftigen in einer Einrichtung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs
Monaten verurteilt und ihm für immer verboten, den Beruf des [X.] auszuüben. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Re-vision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
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3
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I.
Das [X.] hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und [X.] getroffen:
Der Angeklagte ist ausgebildeter Altenpfleger. Ab dem 1.
November 2005 arbeitete er im [X.] in W.

. Die zur Tatzeit 50jährige

Z.

litt unter einer leichten Intelligenzminderung und einer katato-
nen Schizophrenie. Wegen eines akuten Schubs ihrer Krankheit, der zu einem katatonen Stupor geführt hatte, befand sie sich bis zum 25.
April 2006 stationär in einem Fachkrankenhaus. Nach ihrer Entlassung aus dem [X.] Frau Z.

auf der Station
5 für psychisch erkrankte Bewohner des Alten-
pflegeheims in W.

untergebracht. Frau Z.

litt unter Antriebsdefizi-
ten und affektiver Verflachung; sie erhielt eine erhebliche Menge an Psycho-pharmaka, Beruhigungsmittel und eine Schlafmedikation. Sie war in ihrer [X.] eingeschränkt, ihre Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, war herabgesetzt und ihre Widerstandskraft gegen Forderungen Dritter war deutlich vermindert. Der Angeklagte, dem das Krankheitsbild bekannt war, suchte Frau
Z.

etwa eine Woche lang allabendlich auf und berührte sie an der unbe-
deckten Brust und am unbedeckten Geschlechtsteil. An einem Tag zwischen April und Anfang Juli 2006 forderte er Frau Z.

auf, ihm in ein unbelegtes
Zimmer zu folgen. Frau Z.

tat dies aufgrund ihres psychischen Zustands;
auch glaubte sie, der Angeklagte habe ein ehrliches

nicht nur sexuelles

In-teresse an ihr. In [X.] führte der Angeklagte den Geschlechtsverkehr mit Frau Z.

aus
(Fall
1). Frau Z.

äußerte während des Geschlechts-
akts, dass sie das nicht wolle, leistete jedoch aufgrund ihrer psychischen Ver-fassung keinen aktiven körperlichen Widerstand. Dem Angeklagten war be-2
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4
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wusst, dass sie wegen ihrer Erkrankung und ihrer Medikation ihren [X.] Willen nicht betätigen konnte.
Ab dem 1.
Dezember 2011 arbeitete der Angeklagte im [X.] .

.

. An einem Tag zwischen Anfang November

2012 und Mitte Dezember 2012 begab sich
der Angeklagte gegen 22.00
Uhr in [X.] der schlafenden 84jährigen

S.

, die zur
Tatzeit noch geistig rüstig, aber nahezu erblindet war. Er forderte sie in [X.] Befehlston auf,
aufzustehen und sich mit dem Gesicht zur Wand zu stel-len.
Frau S.

fühlte sich an Vorgänge im [X.] erinnert und
war zutiefst verängstigt, so dass sie den Forderungen des Angeklagten nach-kam. Sie hielt ihr Nachthemd vor der Brust zusammen, der Angeklagte zog im rückwärtigen Bereich daran. Dann kniff er von hinten in ihre bedeckte Brust, was ihr Schmerzen bereitete. Der Angeklagte griff ihr an das Geschlechtsteil und führte mehrere Finger in die Vagina ein, wobei er sehr grob vorging und
ihr erhebliche Schmerzen zufügte. Dann führte er mehrere Finger in den Anus ein und berührte sodann erneut den Vaginalbereich
(Fall
2). Er forderte Frau
S.

auf, sich wieder in ihr Bett zu legen, was sie aus Angst vor ihm
auch tat. Der Angeklagte legte ihr eine zusammengerollte Decke auf den Bauch oder auf die Beine und warf sich mit Wucht auf sie. Sodann ging er in das [X.], nahm einige Unterhosen aus dem Wäschekorb und roch daran, um sich zu erregen. Aufgrund der Progredienz seiner Uro-
und Koprophilie, seiner fetischistischen Devianz, seiner dissozialen Persönlichkeitsakzentuierung und einer sadistischen Tendenz war die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei dieser Tat erheblich vermindert.
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II.
Das angefochtene Urteil hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Verurteilung wegen Vergewaltigung unter Ausnutzung einer schutzlosen Lage im Sinne des §
177 Abs.
1 Nr.
3 StGB begegnet in beiden Fällen durchgreifen-den rechtlichen Bedenken.
1.
Nach der neueren Rechtsprechung des [X.] erfordert die Verwirklichung des Tatbestandes des §
177 Abs.
1 Nr.
3 StGB unter ande-rem, dass sich das Opfer in einer Lage befindet, in der es möglichen nötigen-den Gewalteinwirkungen des [X.] schutzlos ausgeliefert ist. Diese Schutz-losigkeit
muss eine Zwangswirkung auf das Opfer in der Weise entfalten, dass es aus Angst vor einer Gewalteinwirkung des [X.] in Gestalt von Körperver-letzungs-
oder gar Tötungshandlungen einen

ihm grundsätzlich möglichen

Widerstand unterlässt und entgegen seinem eigenen Willen sexuelle Handlun-gen vornimmt oder duldet; auf diese Umstände muss sich der

zumindest be-dingte

Vorsatz des [X.] erstrecken (vgl. dazu [X.], Urteile vom 27.
März 2003

3
StR
446/02, [X.], 533, 534; vom 25.
Januar 2006

2
StR
345/05, [X.]St 50, 359, 366; Beschlüsse vom 4.
April 2007

4
StR
345/06, [X.]St 51, 280, 284; vom 11.
Juni 2008

5
StR
193/08, [X.], 263; vom 10.
Mai 2011

3
StR
78/11, [X.], 311, 312; vom 20.
Oktober 2011

4
StR
396/11, [X.], 209; vom 21.
Dezember 2011

4
StR
404/11, [X.], 570, 571, jeweils mwN; anders noch [X.], Urteil vom 20.
Oktober 1999

2
StR
248/99, [X.]St 45, 253, 255
ff.).
2. Gemessen daran hat das [X.] die Voraussetzungen von §
177 Abs.
1 Nr.
3 StGB in beiden [X.] nicht ausreichend festgestellt.
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6
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a)
Das [X.] hat im Fall
1 zwar Feststellungen dazu getroffen, dass sich die Geschädigte Z.

zum Tatzeitpunkt aus psychischen Gründen
objektiv in einer schutzlosen Lage befand. Dass sie die sexuellen Handlungen des Angeklagten gerade aus Angst vor Körperverletzungs-
oder gar [X.] hingenommen hat und der Angeklagte dies erkannte und zumin-dest billigend in Kauf nahm, ergeben die Urteilsfeststellungen jedoch nicht. Die Geschädigte Z.

wurde danach vielmehr auch durch den Glauben, der An-

dazu veranlasst, ihm zu folgen.
b)
Im Fall 2 kann der Schuldspruch nicht bestehen bleiben, weil sich das Urteil nicht zum Vorsatz des Angeklagten verhält. Das [X.] hat keine Feststellungen dazu getroffen, welche Vorstellung der Angeklagte hatte, [X.] sich die Geschädigte S.

nicht gegen seine Handlungen zur
Wehr setzte und ob er es jedenfalls billigend in Kauf nahm, dass die

wie
es an anderer [X.] heißt

vor Angst zitternde Frau gerade im Hinblick auf ihre Schutzlosigkeit auf möglichen Widerstand verzichtet hat.
3.
Die Sache bedarf daher insgesamt der Aufhebung.
a)
Nach den getroffenen Urteilsfeststellungen liegt es zwar nahe, dass der Angeklagte im Fall
1 die [X.] der Geschädigten Z.

im Sinne des §
179 StGB ausgenutzt hat, wie es der [X.] in seiner Zuschrift vom 16.
September 2015 zutreffend ausgeführt hat. Einer Schuldspruchänderung durch den Senat, wie vom [X.] bean-tragt, steht aber §
265 StPO entgegen, da nicht auszuschließen ist, dass sich der Angeklagte gegen diesen Tatvorwurf anders als geschehen hätte verteidi-gen können.
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11
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7
-
b)
Im Fall
2 wird der neue Tatrichter zu prüfen haben, ob möglicherweise (auch) die Tatbestandsvariante des §
177 Abs.
1 Nr.
1 StGB durch das Kneifen in die Brust oder das Ziehen am Nachthemd erfüllt ist oder eine konkludente Drohung (§
177 Abs.
1 Nr.
2 StGB) vorlag.
c)
Im Fall
2 führt die Aufhebung der Verurteilung wegen Vergewaltigung auch zur Aufhebung der tateinheitlichen Verurteilung wegen sexuellen [X.] einer Hilfsbedürftigen in einer Anstalt. Zum Tatbestandsmerkmal des [X.] weist
der
Senat vorsorglich auf SSW-StGB/[X.], 2.
Aufl., §
174a Rn.
15 hin.
d)
Die Aufhebung des Schuldspruchs entzieht dem [X.] die Grundlage. Bezüglich der Verhängung eines lebenslangen Berufs-verbots weist der Senat hinsichtlich der Anforderungen an dessen Begründung vorsorglich auf [X.], Beschluss vom 12.
September 1994

5
StR
487/94, [X.], 124 und LK/Hanack, 12.
Aufl., §
70 Rn.
63
f.
mwN hin.
Sost-Scheible
Roggenbuck
Cierniak

Mutzbauer
Bender
12
13
14

Meta

4 StR 410/15

18.11.2015

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.11.2015, Az. 4 StR 410/15 (REWIS RS 2015, 2169)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 2169

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