Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.02.2012, Az. VIII ZB 96/11

VIII. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 8751

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VIII ZB 96/11

vom

28. Februar 2012

in dem Rechtsstreit

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Der VIII.
Zivilsenat des [X.] hat am 28. Februar 2012
durch den Vorsitzenden [X.], die Richterin [X.] sowie die Richter Dr.
Achilles, [X.] und Dr. Bünger
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des
Beklagten wird der Beschluss der Zivilkammer
9
des [X.] vom 25. Oktober 2011
aufgehoben.
Die Sache wird zur Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsge-richt zurückgegeben.

Gründe:
I.
Die Klägerin begehrt von dem beklagten [X.] die Zahlung rest-lichen Entgelts für Gaslieferungen;
insoweit
streiten
die Parteien
über die Be-rechtigung von [X.]. Das Amtsgericht hat die Klage abgewie-sen. Das [X.] (Zivilkammer 9) hat das Berufungsverfahren analog §
148
ZPO bis zur Entscheidung der
beim [X.] anhängigen
Revisionsverfah-ren VIII ZR 93/11 und VIII ZR
94/11, die Parallelverfahren der Klägerin gegen andere Kunden betreffen, ausgesetzt. Hiergegen richtet sich die vom [X.] zugelassene Rechtsbeschwerde des Beklagten.
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II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1. Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung im [X.] ausgeführt:
Zwar sei eine Vorgreiflichkeit im Sinne des § 148 ZPO nicht gegeben. Das vorliegende Verfahren könne aber analog § 148 ZPO ausgesetzt werden, da es sich hierbei um einen Teil eines "Massenverfahrens"
handele und die Unmöglichkeit einer angemessenen Bewältigung der Gesamtheit der Verfahren das Gewicht verfahrenswirtschaftlicher Erwägungen so erhöhe, dass hierdurch ein qualitativ anderer [X.] als die "normale"
[X.] begründet werde. Bei
dem
[X.] [X.] seien gegenwärtig über 400 gleichgelagerte Berufungen anhängig, davon 127 bei der Zivilkammer 9. Die Kammer sei nicht in der Lage, diese Verfahren in absehbarer Zeit sämtlich zum Abschluss zu bringen. Nach Abschluss der beim [X.] an-hängigen Revisionsverfahren sei zu erwarten, dass entweder die Klägerin ihre Berufung zurücknehme oder die Beklagtenseite den [X.] anerkenne. Eine streitige Fortsetzung des vorliegenden Verfahrens zum gegenwärtigen Zeitpunkt würde daher zu einer erheblichen Mehrbelastung des Gerichts führen. Sie wäre insbesondere auch für die betroffenen Parteien in einem Maße unwirt-schaftlich, dass es gerechtfertigt erscheine, dem [X.] der Prozessökonomie das erforderliche Gewicht beizumessen.
2. Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Nach § 148 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits 2
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bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen [X.] auszusetzen ist. Die Aussetzung der Verhandlung setzt damit die [X.] in dem anderen Rechtsstreit zu treffenden Entscheidung im Sinne einer (zumindest teilweise) präjudiziellen Bedeutung voraus, also dass die Entscheidung in dem einen Rechtsstreit die Entscheidung des anderen rechtlich beeinflussen kann
([X.], Beschluss vom 30. März 2005 -
X
ZB 26/04, [X.]Z 162, 373, 375). Diese Voraussetzung ist -
wie das [X.] auch er-kannt hat
-
vorliegend nicht erfüllt, da die beim [X.] anhängigen Revisionsver-fahren VIII ZR 93/11 und [X.] im Hinblick auf das der Rechtsbe-schwerde zu Grunde liegende
Verfahren weder materielle Rechtskraft entfalten noch Gestaltungs-
oder Interventionswirkung haben (vgl. [X.], ZPO, 22. Aufl., §
148 Rn. 23 ff.). Es genügt nicht, dass die in den genannten Revisionsverfahren zu erwartenden
Entscheidungen lediglich geeignet sind, einen rein tatsächlichen Einfluss auf die im vorliegenden Fall zu treffende Ent-scheidung zu haben (vgl.
[X.], Beschlüsse vom 30. März 2005 -
X
ZB 26/04, aaO; vom 25. Januar 2006 -
IV
ZB 36/03, juris Rn. 2;
BAG, [X.] 2005, 2318, 2324).
b) Allein die Tatsache, dass in einem anderen Verfahren über einen gleich oder ähnlich gelagerten Fall nach Art eines Musterprozesses entschie-den werden soll, rechtfertigt für sich genommen ebenfalls
noch
keine Ausset-zung analog § 148 ZPO ([X.], Beschlüsse vom 30. März 2005 -
X
ZB 26/04, aaO S. 376,
und [X.], juris Rn. 11; vgl. auch [X.], Beschluss vom 25.
Januar
2006 -
IV
ZB 36/03, aaO; [X.]surteil vom 21. Februar 1983 -
VIII
ZR 4/82, NJW 1983, 2496 unter II 2 a; [X.], [X.], 134
f.). Insbesondere
enthält
§ 148 ZPO
keine allgemeine Ermächtigung, die Verhand-lung eines Rechtsstreits zur Abwendung einer vermeidbaren Mehrbelastung des Gerichts auszusetzen ([X.], Beschluss vom 30. März 2005 -
X
ZB 26/04, aaO). Denn die Vorschrift
stellt nicht auf sachliche oder tatsächliche
Zusam-7
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menhänge zwischen verschiedenen Verfahren, sondern auf die Abhängigkeit vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses ab. Allein die tat-sächliche Möglichkeit eines Einflusses genügt dieser gesetzlichen Vorausset-zung
nicht, so dass die bloße Übereinstimmung in einer entscheidungserhebli-chen Rechtsfrage die Aussetzung noch nicht erlaubt ([X.], Beschlüsse vom 30.
März 2005 -
X
ZB 26/04, aaO S. 377, und [X.], juris Rn. 15; [X.], [X.]/NV 2010, 1847).
Dem entsprechend hat auch der Gesetzgeber
mit §
7 KapMuG und §
93a VwGO eigens spezialgesetzliche
Grundlagen für eine von §
148 ZPO beziehungsweise der parallelen Vorschrift des § 94 VwGO an sich nicht mehr gedeckte Aussetzung von Musterverfahren geschaffen (vgl. BT-Drucks. 11/7030 S.
28; 15/5091
S. 14).
c) Die vom [X.] in diesem Zusammenhang bislang aus-drücklich offen gelassene Frage, ob bei "Massenverfahren"
die Unmöglichkeit der angemessenen Bewältigung der Gesamtheit der Verfahren das Gewicht verfahrenswirtschaftlicher Erwägungen so zu erhöhen vermag, dass hierin ein nicht nur quantitativ, sondern qualitativ anderer [X.] als die "normale"
Prozessökonomie hervortritt ([X.], Beschlüsse vom 30. März 2005 -
X
ZB 26/04, aaO S. 377,
und X
ZB 20/04, aaO Rn. 13; vgl. auch Stürner, JZ 1978, 499), bedarf auch vorliegend keiner Entscheidung. Voraussetzung für die Annahme eines derartigen "Massenverfahrens"
wäre jedenfalls, dass das [X.] mit einer schlechthin nicht zu bewältigenden Vielzahl von gleichgelagerten Verfahren befasst ist ([X.], Beschluss vom 30. März 2005 -
X
ZB 20/04, aaO Rn.
15). Dazu
hat das [X.] bislang
keine zureichenden Feststellungen getroffen.
Der Umstand, dass 127 gleichgelagerte Berufungsverfahren bei der Zi-vilkammer 9
anhängig sind, hat für sich allein keine Aussagekraft zur Beantwor-tung der Frage, ob dieser Spruchkörper mit einer schlechthin nicht zu bewälti-8
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genden Vielzahl von gleichgelagerten Verfahren befasst ist. Zur [X.] dieses Spruchkörpers durch sonstige Verfahren ist nichts
festgestellt. Insbesondere verhält sich
das Berufungsgericht nicht zu der Frage, ob und in-wieweit bei dem [X.] [X.] -
etwa durch Verteilung der eingehenden Sachen im Rotationssystem
-
ein Verfahren eingerichtet ist, um die [X.] möglichst gleichmäßig auf alle Spruchkörper zu verteilen. Im Übrigen
liegt es auch nicht auf der Hand, dass bei 127
gleichgelagerten Berufungsver-fahren innerhalb eines landgerichtlichen Spruchkörpers, dessen Mitglieder sich bereits in den Streitstoff eingearbeitet haben,
oder bei 400
gleichgelagerten Be-rufungsverfahren
innerhalb eines großen [X.]s
eine Verfahrenserledi-gung binnen
angemessener Zeit schlechthin nicht zu bewältigen ist.
Ebenso wenig wird eine solche Aussetzung durch die Überlegung des Berufungsgerichts gerechtfertigt, dass eine streitige Fortsetzung des vorliegen-den Verfahrens zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu einer erheblichen Mehrbelas-tung des Gerichts führen würde und auch für die betroffenen Parteien in beson-derer Weise unwirtschaftlich wäre. Auch zu
einer solchen Mehrbelastung ist nichts Näheres festgestellt. Zudem läge eine solche, unterhalb der Schwelle einer nicht mehr hinnehmbaren Erschöpfung gerichtlicher Kapazität liegende Mehrbelastung
genauso wie
der damit verbundene Hinweis auf die Unwirt-schaftlichkeit einer Verfahrensfortsetzung noch im Bereich "normaler"
Pro-zessökonomie, welche die vom Berufungsgericht vorgenommene Verfahrens-

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aussetzung nicht trägt (vgl. [X.], Beschlüsse vom 30. März 2005 -
X
ZB 26/04, und [X.]; jeweils aaO).
Ball
[X.]
Dr. Achilles

[X.]
Dr. Bünger
Vorinstanzen:
AG [X.], Entscheidung vom 16.04.2010 -
15A C 109/09 -

LG [X.], Entscheidung vom 25.10.2011 -
309 [X.]/10 -

Meta

VIII ZB 96/11

28.02.2012

Bundesgerichtshof VIII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.02.2012, Az. VIII ZB 96/11 (REWIS RS 2012, 8751)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 8751

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VIII ZR 93/11

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