Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.09.2023, Az. VIa ZR 1501/22

6a. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 6755

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Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des 24. Zivilsenats des [X.] vom 18. Oktober 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht betreffend eine deliktische Schädigung des [X.] durch das Inverkehrbringen des vom Kläger erworbenen Fahrzeugs auf die Berufung der Beklagten das Urteil der 20. Zivilkammer des [X.] vom 13. Januar 2022 abgeändert, die Klage insgesamt abgewiesen und die Anschlussberufung des [X.] zurückgewiesen hat.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Der Kläger kaufte im Januar 2018 von der Beklagten einen von dieser hergestellten neuen [X.] d, der mit einem Dieselmotor der Baureihe [X.] (Schadstoffklasse Euro 6) ausgestattet ist. In dem Fahrzeug kommt eine sogenannte Abgasrückführung ([X.]) zur Anwendung, die sich mindernd auf die Stickoxidemissionen auswirkt, jedoch außerhalb eines bestimmten Außentemperaturbereichs reduziert wird (sogenanntes Thermofenster). Zudem verfügt das Fahrzeug über eine sogenannte [X.] ([X.]), durch die eine verzögerte Aufwärmung des Motoröls zu niedrigeren Stickoxid-Emissionen führt. Das Fahrzeug ist nicht von einem Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamts betroffen.

3

Das [X.] hat die Beklagte - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - unter Abzug des Werts der gezogenen Nutzungen zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von [X.] nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie zur Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 762,49 € nebst Zinsen verurteilt. Im Übrigen hat es die Klage einschließlich der begehrten Feststellung des Annahmeverzugs abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat der Kläger, der im Übrigen die Zurückweisung der Berufung der Beklagten begehrt hat, im Wege der Anschlussberufung die Feststellung des Annahmeverzugs beantragt. Er hat außerdem den Rechtsstreit unter Hinweis auf weitere zwischenzeitlich gezogene Nutzungen in Höhe von 671,88 € einseitig für erledigt erklärt. Das Berufungsgericht hat das erstinstanzliche Urteil abgeändert, die Klage insgesamt abgewiesen und die Anschlussberufung des [X.] zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.

Entscheidungsgründe

4

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Revision, die entsprechend der beschränkten Zulassung durch das Berufungsgericht ausschließlich Ansprüche unter dem Gesichtspunkt einer deliktischen Schädigung des [X.] zum Gegenstand hat, hat Erfolg. Sie führt im tenorierten Umfang zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

5

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:

6

Die Beklagte hafte nicht gemäß §§ 826, 31 BGB. Der Kläger habe die Voraussetzungen einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung - das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung unterstellt - nicht schlüssig behauptet. Es fehle insoweit an berücksichtigungsfähigem, auf tatsächliche Anhaltspunkte gestütztem Vortrag zu einem vorsätzlichen Verhalten von Repräsentanten der Beklagten. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV oder Vorschriften der Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007 oder der Durchführungsverordnung ([X.]) Nr. 692/2008 scheitere bereits daran, dass es sich bei diesen Normen nicht um Schutzgesetze handele.

II.

7

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht stand.

8

1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB mangels vorsätzlichen (und sittenwidrigen) Verhaltens der für sie handelnden Repräsentanten verneint hat. Das Berufungsgericht hat zu Recht erwogen, dass eine arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde und ein entsprechendes Unrechtsbewusstsein der für die Beklagte handelnden Repräsentanten indiziert wäre, wenn eine im Fahrzeug des [X.] verbaute Einrichtung ausschließlich im Prüfstand die Abgasreinigung verstärkt aktivierte (vgl. [X.], Beschluss vom 23. Februar 2022 - [X.], juris Rn. 15 und 25; Beschluss vom 20. April 2022 - [X.], juris Rn. 25; Beschluss vom 21. September 2022 - [X.], [X.], 1340 Rn. 10). Es hat jedoch greifbare Anhaltspunkte für eine solche vom Kläger behauptete Funktionsweise nicht festzustellen vermocht. Hieran ist der [X.] gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen hat der [X.] geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

9

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV wegen der Verwendung des Thermofensters oder der [X.] aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV nicht verneint werden.

Wie der [X.] nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des [X.] gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der [X.] zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur [X.] bestimmt in [X.]Z).

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des [X.] auf die Gewährung sogenannten "großen Schadensersatzes" verneint (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso [X.], Urteile vom 20. Juli 2023 - [X.], ZIP 2023, 1903 Rn. 21 ff.; - [X.], juris Rn. 16 f.). Die Einwände der Revisionserwiderung gegen die dogmatische Herleitung eines solchen Anspruchs geben dem [X.] weder Anlass, von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abzugehen, noch - wie von der Revisionserwiderung gefordert - ein Vorabentscheidungsersuchen an den [X.] zu richten (vgl. nur [X.], Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 27 ff.; anders [X.], Beschlüsse vom 21. Juli 2023 - 1 O 55/19, 1 [X.]/20 und 1 O 223/20, jeweils juris). Das Berufungsgericht hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines Differenzschadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

Das Berufungsurteil ist im tenorierten Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts kann eine deliktische Haftung der Beklagten wegen der jedenfalls fahrlässigen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht ausgeschlossen werden. Der [X.] kann daher nicht in der Sache selbst entscheiden, sondern verweist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO; vgl. auch [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.] 1031/22, juris Rn. 28).

[X.]    

        

Möhring    

        

Götz   

        

Rensen    

        

[X.]    

        

Meta

VIa ZR 1501/22

11.09.2023

Bundesgerichtshof 6a. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Stuttgart, 18. Oktober 2022, Az: 24 U 436/22

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.09.2023, Az. VIa ZR 1501/22 (REWIS RS 2023, 6755)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 6755

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Referenzen
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Zitiert

1 O 223/20

1 O 73/20

1 O 55/19

III ZR 303/20

III ZR 267/20

VII ZR 471/21

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