Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.12.2016, Az. 3 StR 230/16

3. Strafsenat | REWIS RS 2016, 1534

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:011216B3STR230.16.0

BUN[X.]SGERIC[X.]TS[X.]OF

BESC[X.]LUSS
3
[X.]

vom
1. Dezember
2016
Nachschlagewerk:
ja
[X.]St:
nein
Veröffentlichung:
ja

-

[X.] §§
136a, 211

1.
Ob die Klage im Sinne des §
211 [X.] auf Grund neuer Tatsachen oder Beweismittel (sog. [X.]) wieder aufgenommen werden durfte, überprüft das Revisionsgericht als besondere Prozessvoraussetzung auf der [X.] des zum [X.]punkt der Eröffnung des [X.]auptverfahrens vorliegenden Akteninhalts.

2.
Bestand bei Eröffnung hiernach bezüglich der [X.] ein Beweisverwer-tungsverbot, so ist dies im Revisionsverfahren ebenso wie im Eröffnungs-
und [X.]auptverfahren von Amts wegen zu berücksichtigen; eines [X.] des Angeklagten bedarf es nicht.

3.
Allein die Entgegennahme von belastenden Informationen durch die [X.], die ein Zeuge durch Täuschung des Beschuldigten erlangt hat, führt nicht zu einem Beweisverwertungsverbot. Eine Pflicht, dies zu un-terbinden, trifft die Ermittlungsbehörden grundsätzlich nicht.

[X.], Beschluss vom
1.
Dezember 2016 -
3 [X.] -
LG [X.]annover
-
2
-

in der Strafsache
gegen

wegen Mordes

-
3
-
Der 3.
Strafsenat des [X.] hat auf Antrag des Generalbundes-anwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 1.
Dezember 2016 gemäß §
349 Abs.
2 [X.] einstimmig beschlossen:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 15.
Oktober 2015 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Mordes unter Einbeziehung einer Strafe aus einer früheren Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. [X.]iergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die [X.] der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten [X.]. Das Rechtsmittel hat aus den in der Antragsschrift des [X.] genannten Gründen keinen Erfolg.
I.
Der Erörterung bedarf lediglich die besondere Prozessvoraussetzung des Vorliegens neuer Tatsachen oder Beweismittel gemäß §
211 [X.] als Grundlage der Eröffnung des [X.]auptverfahrens bei vorausgegangener rechts-kräftiger Nichteröffnung.
1
2
-
4
-
1.
Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:
Das [X.] hatte ursprünglich die vormals gegen den Angeklagten wegen der verfahrensgegenständlichen Tat (§
264 [X.]) erhobene Anklage mangels hinreichenden Tatverdachts nicht zur [X.]auptverhandlung zugelassen und die Eröffnung des [X.]auptverfahrens abgelehnt. Diese Entscheidung war mit der Verwerfung der dagegen gerichteten sofortigen Beschwerde
der Nebenklä-ger durch das [X.] rechtskräftig geworden.
Nachdem der Angeklagte in anderer Sache Anfang April 2014 in [X.] genommen worden war, gestand er die verfahrensgegenständ-liche Tat den in derselben Justizvollzugsanstalt inhaftierten Zeugen K.

und [X.].

. Sie hatten den Angeklagten während gemeinsamer [X.]zei-ten unter Vorspiegelung des Angebots, ihm bei der Beseitigung der bis dahin nicht aufgefundenen Leiche behilflich zu sein, gezielt zur hiesigen Tat
befragt. Nachdem die beiden Zeugen ihr Wissen über die Äußerungen des Angeklagten den Ermittlungsbehörden weitergegeben hatten, nahm die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen wieder auf, die zum Auffinden der Leiche und schließlich zur Erhebung einer neuen Anklage führten. Diese ist mit Beschluss des [X.]s vom 26.
Juni 2015 zur [X.]auptverhandlung zugelassen worden.
2.
Die Revision ist der Ansicht, für die Aussagen der Zeugen K.

und [X.].

habe ein Beweisverwertungsverbot bestanden, so dass sie keine tauglichen neuen Beweismittel im Sinne des §
211 [X.] gewesen seien.
3.
Das [X.] ist bei seiner Entscheidung über die Eröffnung des [X.]auptverfahrens rechtsfehlerfrei vom Vorliegen neuer Tatsachen und Beweis-mittel nach §
211 [X.] (sogenannter [X.]) ausgegangen.
3
4
5
6
7
-
5
-
a)
Aus §
210 Abs.
1 und 2 [X.], wonach ein Eröffnungsbeschluss für den Angeklagten nicht, für die Staatsanwaltschaft mit der sofortigen [X.] nur ausnahmsweise -
im Fall der Verweisung an ein Gericht niederer Ord-nung
-
anfechtbar ist, ergeben sich für den Senat bei der Überprüfung des [X.] des [X.]s vom 26.
Juni 2015 im [X.]inblick auf die Voraussetzungen des §
211 [X.] keine Einschränkungen. §
336 Satz 2 [X.], der ausdrücklich für unanfechtbar erklärte und mit der sofortigen Beschwerde anfechtbare Entscheidungen der revisionsgerichtlichen Kontrolle entzieht, steht dem nicht entgegen.
Vor Einführung des §
336 Satz
2 [X.] durch das [X.] 1979 vom 5.
Oktober 1978 (BGBl.
I S.
1645) ging
die höchstrich-terliche Rechtsprechung davon aus, dass es sich bei dem Vorliegen von [X.] im Sinne des §
211 [X.] um eine besondere Prozessvoraussetzung handelt, die vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen ist (vgl. RG, Urteile vom 16.
April 1912
-
V
1263/11, [X.], 67, 71
f.; vom 10.
Mai 1921 -
IV
20/21, [X.], 91
f.; vom 1.
Dezember 1922 -
IV
457/22, [X.], 158; vom 18.
Februar 1926
-
II
11/26, [X.], 99
f.; [X.], Urteil vom 18.
Januar 1963
-
4
StR 385/62, NJW 1963, 1019, 1020 [insoweit in [X.]St 18, 225 nicht abge-druckt]). Dies ist in späteren Entscheidungen und in der Kommentarliteratur übernommen worden, ohne dass die neu geschaffene Vorschrift des §
336 Satz
2 [X.] problematisiert worden ist (vgl. [X.], Beschlüsse vom 21.
Dezem-ber 1988 -
3
StR
460/88, [X.]R [X.] §
211 neue Tatsachen
1; vom 18.
August 1993 -
5
StR
469/93, [X.]R [X.] §
211 neue Tatsachen
2; [X.]K-[X.]-Julius, 5.
Aufl., §
211 Rn.
12; [X.]/[X.], 5.
Aufl., §
211 Rn.
13; [X.]/[X.]oh-mann/[X.], [X.], §
211 Rn.
6; [X.]/Ritscher, [X.], 2.
Aufl., §
211 Rn.
4; [X.], [X.], 7.
Aufl., §
211 Rn.
13; [X.]/[X.], 63.
EL, §
211 Rn.
24; 8
9
-
6
-
[X.]/[X.], [X.], 26.
Aufl., §
211 Rn.
29; MüKo[X.]/[X.], §
211 Rn.
56).
In jüngerer [X.] hat das [X.] entschieden, dass Art.
103 Abs.
3 GG eine einschränkende Auslegung des §
210 Abs.
1 [X.] dahin gebietet, dass in dessen Anwendungsbereich der Fall der Eröffnung des [X.]auptverfahrens bei vorausgegangener rechtskräftiger Nichteröffnung nach §
211 [X.] nicht einbezogen ist (Beschluss vom 3.
September 2004 -
2
BvR 2001/02, [X.], 196
f.); Art.
103 Abs.
3 GG verbiete nicht nur jede Doppel-bestrafung, sondern gewährleiste auch den Schutz vor doppelter Strafverfol-gung. Das [X.] hat darauf erkannt, dass der [X.] in dem Zweitverfahren mit der (einfachen) Beschwerde -
im dortigen Ausgangsverfahren war diese sieben Monate nach der Eröffnungsentscheidung eingelegt worden
-
anfechtbar ist, und dies mit der verfassungsrechtlichen [X.] einer zeitnahen justizförmigen Überprüfung der [X.] begründet. Mit der [X.] der sofortigen Beschwerde gemäß §
311 [X.] in analoger Anwendung des §
210 Abs.
2 [X.] hat es sich nicht -
jedenfalls nicht ausdrück-lich
-
auseinandergesetzt. Dies wäre deshalb
in Betracht gekommen, weil die sofortige Beschwerde das einzig statthafte Rechtsmittel ist, welches das Gesetz in Bezug auf einen Eröffnungsbeschluss kennt, und sie weit eher eine zeitnahe Überprüfung der Eröffnungsentscheidung gewährleisten würde.
Weil diese verfassungsgerichtliche Rechtsprechung den Senat freilich bindet, hat er von der [X.] der (einfachen) Beschwerde auszugehen, mit der Folge, dass schon deshalb die Vorschrift des §
336 Satz
2 [X.] der revisionsgerichtlichen Kontrolle eines nach §
211 [X.] gefassten [X.]es nicht entgegensteht.
10
11
-
7
-
b)
Die Überprüfung des [X.] in dem Zweitverfahren
ist auf der Grundlage des zum [X.]punkt der Eröffnung vorliegenden Akten-inhalts vorzunehmen. Bei der Eröffnungsentscheidung handelt es sich auch im Fall des §
211 [X.] um eine vorläufige Tatbewertung anhand der dem Gericht vorliegenden Akten, die nicht im Nachhinein deshalb unrichtig wird, weil sich das Wahrscheinlichkeitsurteil nach dem Ergebnis der [X.]auptverhandlung
nicht bestätigt. [X.]at das Eröffnungsgericht dieses Wahrscheinlichkeitsurteil ohne Rechtsverstoß getroffen, bleibt die besondere Prozessvoraussetzung für das neue Verfahren daher bestehen (vgl. [X.]/[X.] aaO, Rn.
25, 29; ferner [X.] aaO; MüKo[X.]/[X.] aaO, Rn.
31, 51
f.).
c)
Prüfungsmaßstab für das Revisionsgericht ist die Frage, ob die [X.] oder Beweismittel für das eröffnende Gericht im Sinne des §
211 [X.] neu und erheblich gewesen sind. Als neu sind sie zu bewerten, wenn sie dem Gericht, das die Eröffnung zuvor abgelehnt hatte, aus den Akten nicht ersicht-lich waren (vgl. MüKo[X.]/[X.] aaO, Rn.
20; [X.]/[X.] aaO, Rn.
11; [X.] aaO, Rn.
4). Sie sind dann erheblich, wenn sie vom Standpunkt des eröffnenden Gerichts aus geeignet gewesen sind, allein oder im Zusam-menwirken mit den übrigen, dem Erstgericht schon bekannt gewesenen [X.] und Beweismitteln die Frage nach dem Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts im Sinne des §
203 [X.] nunmehr anders zu beurteilen als bisher (vgl. [X.], Urteil vom 18.
Januar 1963 -
4
StR 385/62, NJW 1963, 1019, 1020; [X.], Beschluss vom 23.
November 2001 -
3
Ws 662/01, [X.], 78; [X.] aaO, Rn.
5; [X.]/[X.] aaO, Rn.
12; MüKo-[X.]/[X.] aaO, Rn.
23).
aa)
Bei dieser Prüfung hat ein mögliches Beweisverwertungsverbot nicht schon deswegen außer Betracht zu bleiben, weil -
so Formulierungen in einigen 12
13
14
-
8
-
Entscheidungen des [X.] (vgl. Urteile vom 28.
Oktober 1986
-
1
StR
507/86, [X.], 132, 133; vom 12.
Januar 1996 -
5
StR
756/94, [X.]St
42, 15, 22; vom 19.
März 1996 -
1
StR 497/95, NJW 1996, 2239, 2241 [insoweit in [X.]St
42, 86 nicht abgedruckt]; ähnlich Beschluss vom 11.
Juli 2008 -
5
StR
202/08, [X.], 643; s. andererseits -
"Rügepräklusion" infolge Nichtausübung eines "prozessualen Gestaltungsrechts"
-
Beschlüsse vom 9.
November 2005 -
1
StR
447/05, [X.], 707; vom 20.
Oktober 2014
-
5
StR 176/14, [X.]St
60, 38, 43
f.; vom 27.
September 2016 -
4
StR 263/16, juris)
-
bereits dessen Entstehung von einem hierauf bezogenen rechtzeitigen Widerspruch des Angeklagten in der [X.]auptverhandlung abhängig wäre. Strenggenommen bedeutete dies, dass das Verwertungsverbot zum [X.]punkt der Eröffnungsentscheidung noch gar nicht bestanden haben könnte (zur Un-beachtlichkeit des vor der [X.]auptverhandlung erklärten Widerspruchs s. [X.], Beschluss vom 17.
Juni 1997 -
4
StR
243/97, [X.], 502
f.). Eine solche Schlussfolgerung ist indes ersichtlich noch nicht gezogen worden. Vielmehr wird allgemein davon ausgegangen, dass bei der Prüfung des hinreichenden Tatverdachts im Rahmen der Eröffnungsentscheidung mögliche Beweisverwer-tungsverbote zu berücksichtigen sind, weil für die [X.] nicht nur der materielle Verdachtsgrad, sondern auch die tatsächliche Be-weisbarkeitsprognose gegeben sein muss (auf das Problem eingehend -
soweit ersichtlich
-
nur MüKo[X.]/[X.], §
203 Rn.
30
f.; vgl. auch [X.]/[X.] aaO, §
203 Rn.
15; [X.] aaO, §
203 Rn.
7). Es kann nicht zweifelhaft sein, dass Verwertungsverbote bereits durch den [X.]eiligen Gesetzesverstoß, nicht erst durch ein Untätigbleiben in der [X.]auptverhandlung begründet werden und bei der Eröffnungsentscheidung unabhängig von einer Beanstandung durch den Angeschuldigten von Amts wegen zu beachten sind (vgl. [X.], Urteil vom 3.
März 2004 -
1
BvR
2378/98, 1
BvR
1084/99, NJW 2004, 999, 1007; [X.], Beschlüsse vom 4.
April 1990 -
StB
5/90, [X.]St
36, 396; vom -
9
-
15.
Mai 2008 -
StB
4 und 5/08, [X.], 643; [X.], Referat zum 67.
DJT, 2008, S.
L 45, 55
f. [X.]; [X.]/[X.], [X.], 59.
Aufl., §
203 Rn.
2).
bb)
Zum [X.]punkt der Eröffnungsentscheidung bestanden nach der vom Senat vorgenommenen Auswertung des Inhalts der Sachakten ebenso wie nach den Urteilsfeststellungen keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die [X.] das Vorgehen der Zeugen K.

und [X.].

zurechnen [X.] müssten und damit ein Beweisverwertungsverbot wegen einer möglichen Verletzung der [X.] des sich auf sein Schweigerecht beru-fenden
Angeklagten in Betracht kommen könnte. Somit kann dahingestellt blei-ben, ob das Revisionsgericht bei der Prüfung der besonderen Prozessvoraus-setzung auch hinsichtlich nicht doppelrelevanter Tatsachen an die vom [X.] rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen gebunden ist (so [X.]/[X.], [X.], 26.
Aufl., §
244 Rn.
32; SSW-[X.]/[X.], 2.
Aufl., §
244 Rn.
19;
die "beachtlichen Argumente" anerkennend MüKo[X.]/[X.]/[X.]abetha, §
244 Rn.
42, Fn.
211) oder -
trotz der höheren Richtigkeitsgewähr der Feststellungen des sachnäheren Tatgerichts
-
eigene Feststellungen im Wege des Freibewei-ses zu treffen hat (so die [X.], vgl. etwa [X.], Urteile vom 3.
Februar 1960
-
2
StR 576/58, [X.]St
14, 137, 139; vom 10.
Juli 2014 -
3
StR
140/14,
NStZ-RR 2014, 318, 319; [X.]/[X.], [X.], 26.
Aufl., §
337 Rn.
29; [X.]/[X.] aaO, §
337 Rn.
6, [X.]. [X.]; explizit für §
211 [X.] [X.], Ur-teil vom 18.
Januar 1963 -
4
StR
385/62, NJW 1963, 1019, 1020; inzident auch RG, Urteil vom 18.
Februar 1926 -
II
11/26, [X.], 99
f.).
Den Akten lassen sich keine [X.]inweise darauf entnehmen, dass die [X.] die genannten Zeugen in irgendeiner Weise zu deren [X.] veranlasst, sie dabei gefördert, unterstützt, bestärkt oder sonst [X.] hätten (s. zu den rechtlichen Maßstäben im Einzelnen [X.], Urteile vom 15
16
-
10
-
28.
April 1987 -
5
StR
666/86, [X.]St
34, 362; vom 27.
September 1988 -
1
StR 187/88, [X.]R [X.] §
136a Abs.
1 Zwang
2; vom 8.
Oktober 1993 -
2
StR 400/93, [X.]St
39, 335; vom 21.
Juli 1998 -
5
StR
302/97, [X.]St
44, 129; vom 26.
Juli 2007 -
3
StR
104/07, [X.]St
52, 11; Beschlüsse vom 13.
Mai 1996
-
GSSt
1/96, [X.]St
42, 139; vom 31.
März 2011 -
3
StR
400/10, [X.], 596; [X.],
Urteile vom 5.
November 2002 -
48539/99, JR
2004, 127; vom 10.
März
2009 -
4378/02, NJW 2010, 213). Die Verteidigung hat erstmals mit Schriftsatz vom 21.
September 2015, mithin einen Tag vor Beginn der [X.]aupt-verhandlung behauptet, dass die Angaben der Zeugen K.

und [X.].

durch unzulässige Vorfeldermittlungen gewonnen worden und beide durch das [X.] von Vergünstigungen zu "Werkzeugen der Ermittlungsbe-hörden" geworden seien.
Angesichts des eigeninitiativen [X.]andelns der Zeugen, die für sich eine vorzeitige [X.]aftentlassung oder [X.]afterleichterungen erhofften und ihr Wissen den Ermittlungsbehörden nur stückweise und nicht in vollem Umfang freiwillig mitteilten, liegt nach Aktenlage keine den Ermittlungsbehörden zurechenbare, den Nemo-tenetur-Grundsatz verletzende Informationsgewinnung vor.
(1)
Der zeitliche Ablauf des Geschehens um die geständigen Angaben des Angeklagten stellt sich wie folgt dar:
Der Angeklagte wurde am 3.
April 2014 unter dem dringenden Tatver-dacht eines weiteren Mordes festgenommen und befand sich seitdem in [X.] in der [X.]. Nachdem am 15.
April 2014 ein ehemaliger [X.] gegenüber der Polizei bekundet hatte, ihm gegenüber habe der Angeklagte geständige Andeutungen zur verfah-rensgegenständlichen Tat gemacht, erhielt sie am 22.
April 2014 von einem 17
18
19
-
11
-
[X.]ungsredakteur einen [X.]inweis darauf, dass der Angeklagte gegenüber einem anderen, mittlerweile entlassenen [X.] diese Tat gestanden habe. Am 24.
April 2014 nahm die Polizei, um dem [X.]inweis nachzugehen, telefonisch Kontakt mit der Justizvollzugsanstalt auf und erfuhr bei dieser Gelegenheit, dass sich der Angeklagte sehr unauffällig und zurückgezogen verhalte, [X.] bei einem Besuch der Sanitätsabteilung mit dem inhaftierten Zeugen K.

-
dessen Angaben zufolge am 23.
April 2014
-
in Kontakt getreten sei. Am 28.
April 2014 wurde der Zeuge erstmals von einem von der zuständigen Polizeibehörde im Wege der Amtshilfe ersuchten Polizeibeamten aufgesucht; diesem berichtete er, er wolle die Tat aufklären und habe den Angeklagten fast "geknackt". Er bat
um gemeinsame Zellenumschlüsse mit dem Angeklagten, die es in der Folgezeit allerdings nicht gab. Bei diesem ersten Gespräch offen-barte der Zeuge, dass er eine [X.]aftverkürzung erstrebe und die anderen Gefan-genen in sein Vorhaben eingeweiht habe, damit er das Vertrauen des Ange-klagten gewinnen könne.
Am 5.
Mai 2014 teilte die Justizvollzugsanstalt der Polizei mit, der An-geklagte habe die verfahrensgegenständliche Tat gegenüber dem Zeugen K.

gestanden. Daraufhin suchten am 7.
Mai 2014 zwei Polizeibeamte den Zeugen im Beisein seines Rechtsanwalts auf; der Zeuge bestätigte das Geständnis des Angeklagten, erklärte allerdings, er beabsichtige erst dann [X.] auszusagen, wenn mit der für ihn zuständigen Staatsanwaltschaft [X.] sei, inwieweit sich seine Angaben positiv auf die anstehende Entscheidung über die Aussetzung des restlichen Drittels seiner [X.]aftstrafe zur Bewährung auswirkten. Der für das Ermittlungsverfahren zuständige Staatsanwalt wies am 8.
Mai 2014 den Rechtsanwalt des Zeugen K.

telefonisch darauf hin, dass er mangels Zuständigkeit diesem und auch dem Zeugen [X.].

keine Zusagen erteilen könne.
20
-
12
-
Etwa einen Monat später, am 5.
Juni 2014, fand die erste polizeiliche Vernehmung der beiden Zeugen statt, wobei der Zeuge K.

das -
zuvor zurückgehaltene
-
erste "schriftliche Geständnis" des Angeklagten vom 1.
Mai 2014 übergab. Dass er zu diesem [X.]punkt im Besitz einer handschriftlichen Skizze vom Ablageort der Leiche und eines zweiten "schriftlichen [X.]" war, das der Angeklagte in der [X.] vom 16.
bis 20.
Mai 2014 unterzeichnet hatte, offenbarte der Zeuge indes nicht. Die Skizze wurde am 30.
Juni 2014 von seinem Rechtsanwalt der Polizei übergeben, nachdem am 22.
Juni 2014 ein Brief der Zeugen K.

und
[X.].

angehalten worden war, mit dem sie sich bezüglich ihrer Aufklärungsarbeit an die Presse wandten. Ebenfalls über die Presse wurde Anfang September 2014 bekannt, dass noch das zweite "schrift-liche Geständnis" des Angeklagten existierte, woraufhin ein Durchsuchungs-beschluss für die Zelle des Zeugen K.

erwirkt und vollzogen wurde. Im Rahmen der diesbezüglich geführten weiteren Vernehmung des Zeugen vom 18.
September 2014 händigte er das zweite "schriftliche Geständnis" des Ange-klagten aus und
räumte ein, dieses zurückbehalten zu haben, um durch eine Weitergabe an die Presse Druck wegen seiner eigenen vorzeitigen Entlassung aus der [X.]aft aufzubauen und etwas Geld zu verdienen.
(2)
Die Zeugen K.

und [X.].

sagten ausweislich der Protokolle über die polizeilichen und ermittlungsrichterlichen
Vernehmungen vom 5.
Juni, 22.
Juli, 30.
September und 10.
Dezember 2014 vor Erlass des Eröffnungsbe-schlusses wie folgt aus:
Beide Zeugen erklärten durchgehend und übereinstimmend, selbst auf die Idee gekommen zu sein, das Vertrauen des Angeklagten zu gewinnen und ihn so zu geständigen Angaben zu veranlassen. Beide Zeugen bekundeten die dem Angeklagten gegenüber verwendete "Legende" als Organhändler und die 21
22
23
-
13
-
ihm angebotene [X.]ilfe bei der Leichenbeseitigung. Sie gaben an, dass sie den regulären [X.] im überwachten Freizeitraum oder die Freistunde mit dem Angeklagten verbracht hätten, hingegen ein gemeinsamer Zellenumschluss oder ein gemeinsames Essen -
auch auf entsprechende Bitte
-
nicht stattgefun-den habe. Die Aussagen der Zeugen stimmen auch darin überein, dass sie von niemandem, auch nicht der Polizei, um Mithilfe bei der Aufklärung des Falles gebeten worden seien oder Informationen erhalten hätten. Ihr Wissen hätten sie ausschließlich aus den Medien gewonnen oder von dem Angeklagten erhalten. Auch den Rechtsanwalt hätten sie erst unterrichtet, nachdem der Angeklagte die verfahrensgegenständliche Tat eingestanden und das erste schriftliche Ge-ständnis vom 1.
Mai 2014 unterzeichnet gehabt habe.
Die Angaben der beiden Zeugen bei ihren polizeilichen und ermittlungs-richterlichen Einvernahmen entsprechen auch denjenigen, die sie in der [X.]aupt-verhandlung gemacht haben, so wie sie in den Urteilsgründen dargestellt und rechtsfehlerfrei gewürdigt sind.
(3)
Nach alledem ist nicht ersichtlich, dass die Ermittlungsbehörden auf das Vorgehen der Zeugen K.

und [X.].

zur Erlangung der geständigen Angaben des Angeklagten Einfluss genommen hätten. Dies findet in den Akten keine Stütze, weder im [X.]inblick auf den Geschehensablauf noch im [X.]inblick auf die Angaben der Zeugen.
Insgesamt ergibt sich einerseits eine in der [X.] vorhandene Bereitschaft und Motivation der Inhaftierten, ge-ständige Angaben von Mitinhaftierten zu erlangen, um die Informationen um eigener Vorteile willen der Polizei oder der Presse anzudienen, andererseits eine zurückhaltende bis skeptische [X.]altung der Ermittlungsbehörden gegen-24
25
26
-
14
-
über derartigen Bemühungen. So hält etwa ein polizeilicher Vermerk vom 20.
Mai 2014 fest, "einige Inhaftierte" würden sich "wie 'geschwätzige Elstern' gerieren". Auch die kurze [X.]spanne vom in dieser Sache am 28.
April 2014 stattgehabten ersten Kontakt eines Polizeibeamten, der mit den Ermittlungen sonst nicht betraut
war, mit dem Zeugen K.

und dem vom Angeklagten am 1.
Mai 2014 unterzeichneten ersten "schriftlichen Geständnis" spricht gegen die Behauptung des Angeklagten, jener und der Zeuge [X.].

seien durch das [X.] von Vergünstigungen zu "Werkzeugen der Ermittlungsbe-hörden" geworden.
Allein die Entgegennahme von belastenden Informationen durch die [X.], die ein Zeuge durch Täuschung des Beschuldigten erlangt hat, führt indes nicht zu einem Beweisverwertungsverbot. Eine Pflicht, dies zu unterbinden, trifft die Ermittlungsbehörden grundsätzlich nicht. Soweit der Bun-desgerichtshof
mit Urteil vom 21.
Juli 1998 (5
StR
302/97, [X.]St 44, 129) da-von ausgegangen ist, dass ein Beweisverwertungsverbot auch bei einem be-hördlichen Nichteinschreiten in Betracht kommt, hat dem der Ausnahmefall zu-grunde gelegen, dass eine Mitinhaftierte, die nach eigenem Bekunden schon jahrelang mit der Polizei zusammengearbeitet hatte, die Angeklagte mittels abergläubischer Rachedrohungen, nicht ausschließbar unter Verabreichung von [X.] Betäubungsmitteln zu Angaben veranlasste (sog. "[X.]"). [X.]iermit ist der vorliegende Fall nicht zu vergleichen.
27
-
15
-
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
473 Abs.
1 Satz
1 [X.]. Eine Erstattung der notwendigen Auslagen der Nebenkläger im Revisionsverfahren findet wegen deren gleichfalls erfolglosen Revisionen nicht statt (vgl. [X.]/[X.], aaO, §
473 Rn.
10a).
[X.]
Gericke
Tiemann

Berg
[X.]och
28

Meta

3 StR 230/16

01.12.2016

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.12.2016, Az. 3 StR 230/16 (REWIS RS 2016, 1534)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 1534

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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