Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.07.2017, Az. 3 StR 107/17

3. Strafsenat | REWIS RS 2017, 8307

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Gegenstand

Beweiswürdigung im Strafverfahren: Beurteilung einer erstmaligen Aussage eines familienangehörigen Zeugen nach Schweigen im Ermittlungsverfahren


Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 21. November 2016 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der [X.] keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Ergänzend bemerkt der Senat:

1. Im Hinblick auf die Beweiswürdigung stößt es auf rechtliche Bedenken, dass die [X.] im Zusammenhang mit der Würdigung der den Angeklagten entlastenden Angaben seiner Mutter, denen die [X.] nicht gefolgt ist, ausgeführt hat, es falle zunächst auf, dass die Mutter des Angeklagten diese Angaben erstmals bei ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung gemacht habe, während es nahe gelegen hätte, das betreffende "wichtige Detail, wenn es denn der Wahrheit entsprechen würde", bereits im Ermittlungsverfahren ungefragt bei der Polizei anzugeben. Diese Formulierung könnte darauf hindeuten, dass das [X.] gegen den vom [X.] in ständiger Rechtsprechung hervorgehobenen Grundsatz verstoßen hat, wonach die Unglaubwürdigkeit eines zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Zeugen aus Rechtsgründen nicht daraus hergeleitet werden darf, dass dieser im Ermittlungsverfahren geschwiegen bzw. von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht und sich erst in der Hauptverhandlung in einer den Angeklagten entlastenden Weise eingelassen hat (vgl. [X.], Beschluss vom 8. Dezember 2015 - 3 StR 298/15, [X.], 301 mwN).

Dies gefährdet den Bestand des Urteils indes nicht, weil nicht feststeht, dass der Rechtsfehler tatsächlich vorliegt. Denn den Urteilsgründen lässt sich nicht entnehmen, dass die Mutter des Angeklagten im Ermittlungsverfahren von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat, und eine diesbezügliche Verfahrensrüge ist nicht erhoben worden. Den Entscheidungsgründen zufolge ist es vielmehr möglich, dass die Mutter des Angeklagten bereits im Ermittlungsverfahren ausgesagt und lediglich das den Angeklagten entlastende "wichtige Detail" erstmals in der Hauptverhandlung mitgeteilt hat; in diesem Fall ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, ihr [X.] bei der Beweiswürdigung zu Ungunsten des Angeklagten zu werten (vgl. dazu [X.], Urteil vom 2. April 1987 - 4 StR 46/87, [X.]St 34, 324, 327 ff.).

2. Die Annahme des [X.]s, dass der Angeklagte die Vergewaltigung nicht nur mit Gewalt (§ 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB aF), sondern auch unter Ausnutzung einer Lage, in der die Geschädigte seiner Einwirkung schutzlos ausgeliefert war (§ 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF), begangen hat, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Denn diese Tatvariante setzt voraus, dass das Opfer gerade aus Furcht vor möglichen Gewalteinwirkungen des Täters von Widerstand absieht ([X.], Urteil vom 25. Januar 2006 - 2 StR 345/05, [X.]St 50, 359, 366 mwN); das wird hier durch die Urteilsgründe nicht belegt. Auf diesem Mangel beruht das Urteil jedoch nicht, weil die [X.] die von ihr angenommene Verwirklichung beider Tatbestandsalternativen im Rahmen der Strafzumessung nicht zu Ungunsten des Angeklagten gewertet hat.

3. Schließlich ist auch der Strafausspruch nicht bedenkenfrei.

a) Die Verhängung einer Jugendstrafe, auf die - wie hier - allein unter dem Gesichtspunkt der Schwere der Schuld (§ 17 Abs. 2 Alt. 2 [X.]) erkannt wird, kommt grundsätzlich nur in Betracht, wenn dies auch aus erzieherischen Gründen erforderlich ist ([X.], Urteile vom 11. November 1960 - 4 StR 387/60, [X.]St 15, 224, 225 ff.; vom 29. September 1961 - 4 StR 301/61, [X.]St 16, 261, 263); maßgeblich ist insoweit der Zeitpunkt der Entscheidung (vgl. [X.], Beschluss vom 8. Januar 2015 - 3 [X.], [X.], 154, 155 mwN). Belangen des [X.] kann eigenständige Bedeutung nur ausnahmsweise beigemessen werden, insbesondere im Bereich von Kapitaldelikten oder anderen besonders schweren Taten (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 7. Oktober 2004 - 3 [X.], [X.]R [X.] § 17 Abs. 2 Schwere der Schuld 3).

Auch die Bemessung der Jugendstrafe richtet sich gemäß § 18 Abs. 2 [X.] in erster Linie nach erzieherischen Gesichtspunkten ([X.], Beschluss vom 8. Januar 2015 - 3 [X.], [X.], 154, 155). Dies bedeutet indes nicht, dass die Erziehungswirkung insoweit als einziger Aspekt heranzuziehen ist. Vielmehr sind daneben andere Strafzwecke zu beachten, insbesondere bei Gewaltdelikten mit erheblichen Folgen für das Opfer auch das Erfordernis gerechten [X.]; [X.] und [X.] stehen dabei regelmäßig nicht im Widerspruch ([X.], Urteil vom 31. Juli 2013 - 2 StR 38/13, juris Rn. 10).

b) Hier hat die [X.] ihre Entscheidung, gegen den Angeklagten wegen der Schwere der Schuld (§ 17 Abs. 2 Alt. 2 [X.]) eine Jugendstrafe von einem Jahr zu verhängen und deren Vollstreckung zur Bewährung auszusetzen, im Wesentlichen mit erzieherischen Erwägungen begründet und dazu ausgeführt:

Auch der Vertreter der Jugendgerichtshilfe habe sich in der Hauptverhandlung für die Verhängung einer Jugendstrafe (mit Bewährung) ausgesprochen, alternativ dazu für die Auferlegung eines [X.] Trainingskurses von sechs Monaten. Ein solcher Trainingskurs sei aufgrund der inzwischen positiven [X.] Entwicklung des Angeklagten jedoch nicht mehr erforderlich und würde im Übrigen auch nicht ausreichen, um in der nötigen erzieherischen Weise auf ihn einzuwirken. Nach Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände sei eine Jugendstrafe von einem Jahr angemessen, um in der gebotenen Weise erzieherisch auf den Angeklagten einwirken zu können. Deren Vollstreckung sei zur Bewährung auszusetzen, weil dem Angeklagten wegen seiner guten Entwicklung seit der Tat eine positive Sozialprognose gestellt werden könne.

c) Diese Erwägungen tragen die Verhängung der Jugendstrafe von einem Jahr für sich genommen nicht. Denn es ist nicht nachvollziehbar, weshalb es in Anbetracht der positiven Entwicklung des Angeklagten seit der Tat aus erzieherischen Gründen einerseits nicht mehr erforderlich ist, ihm die Teilnahme an einem sechsmonatigen [X.] Trainingskurs aufzuerlegen, es andererseits aber der Verhängung einer einjährigen Jugendstrafe bedarf, um "in der nötigen erzieherischen Weise" auf ihn einzuwirken.

Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe lässt sich indes entnehmen, dass die [X.] bei der Rechtsfolgenentscheidung auch Belange des [X.] in den Blick genommen hat, die den Strafausspruch tragen. So hat sie ausgeführt, dass "die Art der Straftat" des Angeklagten und "die damit verbundene Schuld" aus erzieherischen Gründen die Verhängung einer Jugendstrafe erforderlich erscheinen ließen. Überdies hat sie sowohl bei der Entscheidung über die Verhängung einer Jugendstrafe als auch bei deren Bemessung maßgeblich darauf abgestellt, dass der Angeklagte nicht nur eine Vergewaltigung, sondern tateinheitlich damit auch eine Freiheitsberaubung und eine Körperverletzung begangen habe.

[X.]     

       

Schäfer     

       

Gericke

       

Tiemann     

       

Hoch     

       

Meta

3 StR 107/17

11.07.2017

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bückeburg, 21. November 2016, Az: 4 KLs 7/16

§ 52 StPO, § 261 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.07.2017, Az. 3 StR 107/17 (REWIS RS 2017, 8307)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 8307

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

5 StR 205/23

3 StR 107/17

1 StR 481/19

3 StR 38/21

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