Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.03.2011, Az. 2 StR 550/10

2. Strafsenat | REWIS RS 2011, 8957

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 550/10 vom 2. März 2011 in dem Sicherungsverfahren gegen - 2 - Der 2. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 2. März 2011, an der teilgenommen haben: [X.] Dr. Fischer als Vorsitzender und [X.] am [X.] [X.], Prof. Dr. [X.], Prof. Dr. [X.], Dr. [X.], Staatsanwalt (GL) als Vertreter der [X.], Rechtsanwältin als Verteidigerin, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt: - 3 - 1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 27. Juli 2010 mit den Feststellungen [X.]. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkam-mer des [X.] zurückverwiesen. Von Rechts wegen Gründe: Das [X.] hat gegen den Beschuldigten im Sicherungsverfahren die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und zwei Messer eingezogen. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revi-sion des Beschuldigten hat Erfolg. 1 1. Der zur Tatzeit 27 Jahre alte Beschuldigte steht seit dem Jahre 2005 unter Betreuung und war schon mehrfach aufgrund gerichtlicher Anordnung, erstmals im Jahre 2004, zuletzt in der [X.] von 6. Juli bis 12. August 2009, in einer geschlossenen Anstalt untergebracht. Dabei wurde eine weitgehend un-behandelte [X.] Psychose aus dem schizophrenen [X.] diagnostiziert. Der Beschuldigte ist wegen Verstoßes gegen das [X.], das Waffengesetz und wegen Sachbeschädigung vorbe-2 - 4 - straft. Eine Tätlichkeit gegenüber dem Vater im Jahr 2005 hat nicht zu straf-rechtlichen Konsequenzen geführt. 2. a) Nach den Feststellungen des [X.] beobachtete der gegen-über einer Schule wohnende Beschuldigte in der Nacht vom 9. auf den 10. Dezember 2009 nach seiner Vorstellung, dass in dem Schulgebäude die Lampen ausgegangen seien, eine "Knallerei" stattfinde und sich andere Lehrer als sonst dort aufhielten. Die von ihm verständigte Polizei ging der Sache nicht nach. Am Morgen sprach der Beschuldigte einen Schüler an, der vor dem [X.] seiner Wohnung seinen Roller geparkt hatte, und erklärte ihm, er solle nicht in die Schule gehen, weil dort gleich ein "Gemetzel" stattfinden werde. Über diesen Schüler und die Schulleitung wurde die Polizei gerufen, die sodann den Beschuldigten in seiner Wohnung aufsuchte. Der Aufforderung der [X.], seinen [X.] zu zeigen, kam der Beschuldigte, der einen verwirrten Eindruck machte und die Hände in seinen Hosentaschen hielt, nicht nach. Als er schließlich nach weiterer Aufforderung ein Messer aus der [X.] zog, wollten ihn die Polizeibeamten abtasten. Hiergegen sträubte sich der Beschuldigte, weshalb es zu einer Rangelei kam, in deren Verlauf die Betei-ligten zu Boden gingen. Dabei verletzte sich eine Polizeibeamtin an einem [X.], scharfkantigen Kühlschrankgriff an ihrem linken Handrücken. Bei dem Beschuldigten, der aufgrund des Vorfalls seit 28. Mai 2010 einstweilen [X.] ist, wurden zwei Messer sichergestellt. 3 Nach Ansicht der Kammer befand sich der Beschuldigte zum Tatzeit-punkt im Zustand einer akuten [X.]n Psychose, wodurch sowohl seine Steuerungs- als auch seine Einsichtsfähigkeit aufgehoben sein sollen. 4 - 5 - b) Das [X.] ist davon ausgegangen, dass der Beschuldigte [X.] Verstöße gegen das Waffengesetz begangen, zudem den objektiven Tat-bestand des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte erfüllt und im Übrigen im Zustand der Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB gehandelt hat. Es hat [X.] dessen die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Eine Gesamtwürdigung des Beschuldigten und sei-ner Tat ergebe, dass von ihm infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei. Bei dem Beschuldigten, der keinerlei Krankheitseinsicht zeige, liege das chronifi-zierte Vollbild einer schizophrenen Psychose vor, die durch langjährigen Dro-genkonsum verstärkt werde. Auch sei bei ihm eine latente [X.] festzustellen. Bei der Auswertung der Betreuungsakte durch die angehörte Sachverständige habe sich ergeben, dass der Beschuldigte schon früher [X.] habe, seine Angstzustände riefen bei ihm eine [X.] hervor, die auch den Einsatz von Waffen einschließe. Entsprechendes habe er gegenüber der Sachverständigen zur [X.] erklärt. Er habe angegeben, beabsichtigt zu haben, in die Schule hineinzugehen und nachzusehen. Weiter sei festzustellen, dass sich der Beschuldigte seit einiger [X.] bewaffne und be-reits Aggressivität gegenüber Sachen gezeigt habe. Daraus habe die Sachver-ständige auch für die Kammer nachvollziehbar abgeleitet, dass der Beschuldig-te wahrscheinlich zukünftig auch schwerwiegende Straftaten, insbesondere Körperverletzungsdelikte, begehen werde, wenn er sich aufgrund seines [X.] bedroht fühle. 5 Die Unterbringung, die nicht zur Bewährung ausgesetzt werden könne, sei anzuordnen, obwohl die [X.] selbst keine erhebliche rechtswidrige Tat sei. Dies sei auch nicht erforderlich. [X.] sei insoweit eine besonders sorgfältige Prüfung, die im Falle des Beschuldigten eine reale Gefahr ergebe, 6 - 6 - dass er zukünftig bei psychotischen Schüben auch Waffen gegen Personen einsetzen werde. 3. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Kranken-haus hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. 7 Eine derartige Maßregel beschwert den Betroffenen außerordentlich. Deshalb darf sie nur angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höhe-ren Grades und nicht nur die einfache Möglichkeit schwerer Störungen des Rechtsfriedens besteht. Geboten ist eine mit aller Sorgfalt vorzunehmende Ge-samtwürdigung von Täter und Tat unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB) und eine Prognose, dass von dem Täter infol-ge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist (vgl. [X.]R StGB § 63 Ablehnung 1, Gefährlichkeit 8, 26; [X.], 590; NStZ-RR 2009, 169). 8 Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus setzt zwar nicht grundsätzlich voraus, dass die [X.]en selbst erheblich sind. Sind diese wie die hier festgestellten Taten des Beschuldigten (vgl. für den Verstoß gegen § 113 StGB [X.], 571) ihrem Gewicht nach nicht dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen, bedarf die Gefährlichkeitsprog-nose aber besonders sorgfältiger Darlegung. Daran fehlt es vorliegend. Die zu knappen und oberflächlichen Erwägungen der Kammer, die eine eingehende Würdigung der Person des Beschuldigten, insbesondere seiner Krankheitsge-schichte sowie der [X.] vermissen lassen, tragen die Gefährlichkeitsprog-nose nicht. 9 [X.] stützt sich bei ihrer Annahme der Wahrscheinlichkeit auch schwerwiegender Straftaten neben einer insoweit wenig aussagekräftigen frü-heren einmaligen Gewalthandlung gegenüber einer Sache im Wesentlichen auf 10 - 7 - den festgestellten Besitz von Messern und auf die Selbsteinschätzung des Be-schuldigten, die bei ihm auftretenden Angstzustände lösten eine Verteidigungs-bereitschaft aus, die auch den Einsatz von Waffen einschließe. Dies allein lässt im konkreten Fall den Schluss auf die Wahrscheinlichkeit der Begehung von Gewaltdelikten gegenüber Personen nicht zu. Das [X.] spricht insoweit von einer "latenten" [X.]. Eine lediglich latente Gefahr reicht aber für die Annahme einer Wahrscheinlichkeit (höheren Grades) nicht aus (vgl. [X.], Beschluss vom 11. Januar 2011 - 5 StR 547/10). a) Zwar kann schon der Besitz von Waffen an sich die Besorgnis be-gründen, dass der Beschuldigte bereit sein könnte, diese auch einzusetzen; dies vor allem dann, wenn er den möglichen Einsatz dritten Personen gegen-über selbst einräumt. Das allein rechtfertigte eine Gefährlichkeitsprognose aber nur nach intensiver Auseinandersetzung mit Umständen, die gegen eine wirkli-che Gewaltbereitschaft des Beschuldigten sprechen könnten (vgl. [X.], [X.] vom 5. November 1993 - 5 [X.]). Zum einen hat die Kammer hier keinerlei Feststellungen dazu getroffen, weshalb der Beschuldigte, der sich im Übrigen während des gesamten in seiner Wohnung stattfindenden Vorfalls passiv verhalten hat, keine Anstalten gemacht hat, seine Waffe bei der festge-stellten [X.] einzusetzen, obwohl er sich zu diesem [X.]punkt in einer Si-tuation befunden hat, in der nach den Ausführungen der Sachverständigen de-ren Einsatz zur Verteidigung zu erwarten gewesen wäre. Zum anderen hat sich die Kammer ersichtlich nicht mit dem Umstand auseinandergesetzt, dass der Beschuldigte wegen Gewaltdelikten gegenüber außenstehenden Personen [X.] nicht auffällig geworden ist, es lediglich einen schon mehr als fünf Jahre zurückliegenden Vorfall gibt, in dem der Beschuldigte seinen Vater mit einer Lampe geschlagen haben soll. Nähere Feststellungen zu Anlass, Entwicklung und Ausmaß dieses familiären Konflikts hat die Kammer nicht getroffen, so dass sich nicht absehen lässt, ob und inwieweit dieser Vorfall generelle Rück-11 - 8 - schlüsse auf das künftige Verhalten des Beschuldigten gegenüber Familienmit-gliedern und dritten Personen zulässt. Soweit der Beschuldigte im Übrigen [X.] geblieben ist, hätte dies die Kammer nicht unerörtert lassen dürfen. Der Beschuldigte leidet zumindest seit dem Jahre 2005 an der festgestellten para-noid [X.], hat sich in der Vergangenheit mehrfach Waf-fen wie Messer oder Stahlruten besorgt, ohne diese jemals gegen Personen eingesetzt zu haben. Eine progrediente Entwicklung der Erkrankung ist nicht festgestellt, so dass etwa auch im [X.]raum zwischen der [X.] im Dezem-ber 2009 und der späteren vorläufigen Unterbringung im Mai 2010 offenbar kein auf die Gefährlichkeit des Beschuldigten hinweisender Vorfall feststellbar gewe-sen ist, obwohl die Erkrankung des Beschuldigten zwischenzeitlich nicht be-handelt worden ist (vgl. [X.]). b) Vor diesem Hintergrund hätten auch die Bekundungen des Beschul-digten gegenüber Dritten, er werde zu seiner Verteidigung auch Waffen einset-zen, nicht ohne Weiteres zur Annahme erhöhter Gefährlichkeit führen dürfen, sondern einer eingehenden Würdigung unterzogen werden müssen. Dabei [X.] es nahe gelegen, sich nicht auf die bloße aktenmäßige Verwertung früherer Angaben zu beschränken, sondern hierzu die Sachverständigen, denen gegen-über entsprechende Äußerungen des Beschuldigten gefallen sein sollen, [X.] anzuhören. Sie hätten nicht nur nähere Angaben zu Einzelheiten des [X.], insbesondere, wie und in welchem Zusammenhang es zu den [X.] des Beschuldigten gekommen sei, machen können. Sie hätten vor allem auch Auskünfte zum Anlass ihres Tätigwerdens und damit zur Krankheit des Beschuldigten und ihren Auswirkungen geben können. Aus den Urteilsfeststel-lungen ergibt sich, dass der Beschuldigte in der Vergangenheit mehrfach zwangsweise untergebracht war. Warum dies jeweils geschehen ist, welche Auffälligkeiten zur Unterbringung geführt haben und welche Maßnahmen im Rahmen der Unterbringung - mit oder ohne Erfolg - ergriffen worden sind, lässt 12 - 9 - sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Diese Umstände zur Krankheitsge-schichte des Beschuldigten, aus der sich wesentliche Hinweise auf die Ernst-haftigkeit der Bekundungen des Beschuldigten und allgemein auf die von ihm ausgehenden Gefahren ergeben könnten, hätte die Kammer bei der [X.] Würdigung berücksichtigen müssen, ob den Angaben des Beschuldigten mehr als die bloße Möglichkeit eines Waffeneinsatzes zu entnehmen ist (vgl. insoweit [X.], Beschluss vom 7. Dezember 1999 - 4 StR 485/99). Dies gilt trotz des Umstands, dass der Beschuldigte auch gegenüber der im Verfahren gehör-ten Sachverständigen Dr. R. einen möglichen Waffeneinsatz in der Schule eingeräumt haben soll (vgl. [X.]). Zum einen bleibt zumindest unklar, ob dies tatsächlich der Fall gewesen ist. Den mitgeteilten Angaben ist lediglich zu entnehmen, der Beschuldigte habe erklärt, beabsichtigt zu haben, in die Schule hineinzugehen und nachzusehen. Von einer Gewaltanwendung oder einer Ver-wendung eines der Messer ist nicht die Rede. Zum anderen wäre auch insoweit zu würdigen gewesen, dass der Beschuldigte jedenfalls bis zum Eintreffen der Polizei keinerlei Anstalten getroffen hatte, in die Schule hineinzugehen, auch gegenüber den Polizeibeamten das Messer nicht eingesetzt hatte, sich vielmehr bei Feststellung der angeblichen "Auffälligkeiten" im Schulgebäude darauf be-schränkt hatte, die Polizei zu verständigen bzw. einen Schüler hierauf aufmerk-sam zu machen. 3. Die aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung der angefochte-nen Entscheidung. Der [X.] kann nicht ausschließen, dass das [X.] 13 - 10 - bei umfassender Würdigung zu einer für den Beschuldigten günstigeren Ent-scheidung gelangt wäre. Die Frage der Notwendigkeit der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus bedarf daher neuer [X.]. Fischer [X.] [X.] [X.]

Meta

2 StR 550/10

02.03.2011

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.03.2011, Az. 2 StR 550/10 (REWIS RS 2011, 8957)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 8957

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