Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.10.2016, Az. V ZB 29/15

5. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 4143

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Gegenstand

Beschränkung des Aufenthalts eines Ausländers auf den Transitbereich eines Flughafens: Geltung des Beschleunigungsgebots


Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 29. Zivilkammer des [X.] vom 27. Februar 2015 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 5.000 €.

Gründe

I.

1

Die Betroffene ist [X.] Staatsangehörige und wandte sich am 9. Dezember 2014 im Transitbereich des [X.] an einen Beamten der beteiligten Behörde. Am 11. Dezember 2014 fand eine ergänzende Befragung der Betroffenen durch die beteiligte Behörde statt, wobei ein Asylbegehren festgestellt wurde. Die Betroffene wurde an die zuständige Außenstelle des [X.] ([X.]) zur Asylantragstellung übergeben. Am 18. Dezember 2014 wurde die Betroffene gemäß § 18a AsylVfG angehört und von ihr ein Asylantrag gestellt. Diesen lehnte das [X.] mit Bescheid vom 22. Dezember 2014 als offensichtlich unbegründet ab. Zugleich wurde die Betroffene aufgefordert, die [X.] innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Ein hiergegen gestellter Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz wurde vom Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 5. Januar 2015 abgelehnt. Am 6. Januar 2015 ordnete das Amtsgericht den vorläufigen Aufenthalt der Betroffenen im Transitbereich bis zum 27. Januar 2015 an.

2

Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 15. Januar 2015 die Anordnung des Aufenthalts der Betroffenen in der Asylunterkunft auf dem Gelände des [X.] bis zum 25. März 2015 verlängert. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat das [X.] zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde will die Betroffene, die am 5. März 2015 nach [X.] überstellt worden ist, die Feststellung der Verletzung ihrer Rechte erreichen.

II.

3

Das Beschwerdegericht meint, die Voraussetzungen für die Anordnung der [X.] nach § 15 Abs. 6 i.V.m. Abs. 5 AufenthG lägen vor. Im Besonderen sei das Beschleunigungsgebot in Haftsachen beachtet worden. Dass zwischen der Protokollierung des Asylantrages und der Befragung der Betroffenen durch das [X.] eine Woche gelegen habe, sei angesichts des dazwischenliegenden Wochenendes und des diesbezüglichen organisatorischen Aufwandes noch nicht unverhältnismäßig. Auch nach diesem Zeitpunkt liege ein Verstoß gegen den [X.] nicht vor.

III.

4

Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG mit dem Feststellungsantrag nach § 62 FamFG statthafte und auch im Übrigen (§ 71 FamFG) zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Auf der Grundlage der Feststellungen des [X.] kann eine Verletzung des Beschleunigungsgebots nicht verneint werden.

5

1. Das in Haftsachen zu beachtende Beschleunigungsgebot gilt auch für die den Aufenthalt des Ausländers auf den Transitbereich des [X.]s beschränkende Anordnung nach § 15 Abs. 6 AufenthG. Auch wenn der Transitaufenthalt wegen der Möglichkeit, auf dem Luftweg abzureisen, keine Freiheitsentziehung im Sinne des Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 5 Abs. 1 [X.] darstellt, steht das Festhalten des Ausländers auf dem [X.] nach einer gewissen Dauer und wegen der damit verbundenen Eingriffsintensität einer Freiheitsentziehung gleich. Der den über 30 Tage hinausgehenden Transitaufenthalt des Ausländers anordnende Haftrichter hat daher von Amts wegen zu prüfen, ob die Grenzbehörde die Zurückweisung ernstlich und gemäß dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit mit der größtmöglichen Beschleunigung betreibt Das Beschleunigungsgebot gebietet, dass der Betroffene unverzüglich nach seinem Einreiseversuch - und nicht ohne nachvollziehbare Gründe erst nach mehreren Tagen - befragt wird und dass die für die Zurückweisung erforderlichen Maßnahmen unverzüglich in die Wege geleitet werden ([X.], Beschluss vom 30. Juni 2011 - [X.], [X.] 2011, 315, Rn. 23 f. mwN).

6

2. Der pauschale Hinweis des [X.] darauf, dass der Zeitraum von einer Woche zwischen der Protokollierung des [X.] am 11. Dezember 2014 und der Befragung der Betroffenen durch das [X.] mit dem diesbezüglichen organisatorischen Aufwand und dem dazwischen liegenden Wochenende zu erklären sei, trägt die Annahme, dem Beschleunigungsgebot sei Rechnung getragen worden, nicht. Den Feststellungen des [X.] lässt sich nicht entnehmen, welche organisatorischen Schritte zwischen dem 11. und dem 18. Dezember 2014 vorgenommen worden sind. Insbesondere bleibt offen, wann die Betroffene an das [X.] übergeben worden ist. Mit der von der Rechtsbeschwerde in Bezug genommenen Stellungnahme der beteiligten Behörde im Rahmen des Beschwerdeverfahrens, wonach das [X.] erklärt habe, dass ein Dolmetscher für [X.] nicht früher zur Verfügung gestanden habe und grundsätzlich nicht auf den Sprachmittler zurückgegriffen werde, der bereits bei der [X.] eingesetzt worden sei, hat sich das [X.] nicht befasst.

IV.

7

1. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben (§ 74 Abs. 5  FamFG). Der [X.] kann nicht in der Sache selbst entscheiden, da weitere Sachverhaltsermittlungen erforderlich sind, die der [X.] als Rechtsbeschwerdegericht nicht selbst treffen kann (§ 74 Abs. 3 Satz 3 FamFG i.V.m. § 559 ZPO). Die Sache ist daher an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG). Sollte sich erweisen, dass der Zeitraum vom 11. bis 18. Dezember 2014 erforderlich war, um einen weiteren Sprachmittler für [X.] heranzuziehen, wird zu prüfen sein, ob es sachgerechte Gründe dafür gab, nicht auf den Sprachmittler zurückzugreifen, der von der beteiligten Behörde eingesetzt worden war.

8

2. Der Zurückverweisung steht nicht entgegen, dass die Betroffene zwischenzeitlich nach [X.] rückgeführt wurde. Die gebotene Gewährung rechtlichen Gehörs zu den von dem Beschwerdegericht noch zu treffenden Feststellungen kann hier dadurch erfolgen, dass dem Verfahrensbevollmächtigten der Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt wird. Einer persönlichen Anhörung der Betroffenen (vgl. hierzu [X.], Beschluss vom 17. März 2016 - [X.], juris Rn. 10; Beschluss vom 6. Dezember 2012 - [X.], [X.] 2013, 154, Rn. 16) zu dieser Frage bedarf es nicht.

V.

9

Die Festsetzung des [X.] folgt aus § 36 Abs. 3 GNotKG.

Stresemann                           Schmidt-Räntsch                               Kazele

                         [X.]                                         [X.]

Meta

V ZB 29/15

12.10.2016

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Frankfurt, 27. Februar 2015, Az: 2-29 T 17/15

Art 104 Abs 2 S 1 GG, Art 5 Abs 1 MRK, § 15 Abs 6 AufenthG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.10.2016, Az. V ZB 29/15 (REWIS RS 2016, 4143)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 4143

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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