Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.04.2017, Az. XII ZB 3/16

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 11958

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:260417BXIIZB3.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 3/16
vom
26. April
2017
in der Familiensache
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
ja
[X.]R:
ja
FamFG §§ 64 Abs. 2 Satz 2, 114 Abs. 1 und Abs. 4, 137
Ehegatten müssen sich auch bei der Einlegung einer isolierten Beschwerde in einer Folgesache der freiwilligen Gerichtsbarkeit durch einen Rechtsanwalt ver-treten lassen.
[X.], Beschluss vom 26. April 2017 -
XII ZB 3/16 -
[X.] am Main

[X.]

-
2
-

Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat am 26.
April 2017
durch [X.] und [X.], Dr.
Nedden-Boeger, Dr.
Botur
und Guhling
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin
wird der
Beschluss des 1.
Senats
für
Familiensachen
des [X.]s Frankfurt
am Main vom 12.
November
2015
aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung

auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde

an das Oberlan-desgericht zurückverwiesen.
[X.]: 2.433

Gründe:
I.
Die
1961
geborene Antragstellerin
(im Folgenden: Ehefrau) und der
1955
geborene Antragsgegner (im Folgenden: Ehemann) heirateten am 7.
Juli 1983.
Das Amtsgericht hat die Ehe auf den am 26.
Januar 2008
zugestellten Schei-dungsantrag durch
Beschluss vom 23.
Oktober
2013
geschieden und den [X.] geregelt. Dabei hat es im Wege der internen
Teilung zulas-ten
des Anrechts der Ehefrau bei der Beteiligten zu
3 ([X.]) zugunsten des Ehemanns
ein auf ein
Ehezeitende am 31.
Juli 2007 bezogenes Anrecht von 5,1355 Entgeltpunkten übertragen. In gegenläufiger Ausgleichsrichtung hat 1
-
3
-

es im Wege der externen
Teilung zulasten der beamtenrechtlichen Versor-gungsanwartschaften des Ehemanns bei dem Beteiligten zu
1 ([X.]) zugunsten der Ehefrau auf ihrem Versicherungskonto in der gesetzlichen Ren-tenversicherung ein auf das Ende der Ehezeit am 31.
Dezember
2007 bezoge-nes und in Entgeltpunkte umzurechnendes Anrecht von monatlich 816,89

e-gründet. Darüber hinaus hat das Amtsgericht angeordnet, dass der [X.] hinsichtlich verschiedener Versorgungsanrechte der privaten Altersvorsorge wegen Geringfügigkeit nicht stattfindet.
Die Entscheidung des Amtsgerichts ist dem erstinstanzlichen [X.] am 25.
November 2013 zugestellt [X.]. Durch
ein bei dem Amtsgericht am 19.
Dezember 2013 eingegangenes Schreiben hat der in der Beschwerdeinstanz nicht mehr anwaltlich vertretene Ehemann persönlich Beschwerde eingelegt, diese auf die Entscheidung zur externen
Teilung seines beamtenrechtlichen Anrechts beschränkt
und insoweit beanstandet, dass das Amtsgericht bei der Wertermittlung die auf einem
nach-ehezeitlichen Dienstunfall beruhende
Erhöhung des für ihn maßgeblichen Ru-hegehaltsatzes nicht habe berücksichtigen dürfen. Die [X.] hat sich der Beschwerde des Ehemanns angeschlossen und im Hinblick auf zwischenzeitli-che Gesetzesänderungen betreffend die verbesserte Berücksichtigung von [X.] eine aktualisierte Versorgungsauskunft zu den von der Ehefrau erworbenen gesetzlichen Rentenanwartschaften erteilt.
Das [X.] hat die angefochtene Entscheidung auf die Be-schwerde des Ehemanns und die Anschlussbeschwerde der [X.] abge-ändert. Es hat
den Ausgleichswert
für das von dem Ehemann erworbene [X.] Anrecht von 816,89

gesetzt
und den [X.] für das von der Ehefrau erworbene gesetzliche Rentenanrecht von 5,1355 Entgeltpunkten auf 5,7240 Entgeltpunkte heraufgesetzt.
2
3
-
4
-

Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Ehefrau, welche die von dem Ehemann persönlich eingelegte Erstbeschwerde für unzu-lässig hält.

II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefoch-tenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.].
1. Das Beschwerdegericht
hat die Erstbeschwerde des Ehemanns für zu-lässig gehalten und dazu ausgeführt, dass sich die Beteiligten vor dem Ober-landesgericht in Ehesachen und Folgesachen zwar durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen müssten. Nach §
114 Abs.
4 Nr.
6 FamFG
bedürfe es einer Vertretung durch einen Rechtsanwalt aufgrund der dort enthaltenen [X.] auf §
78 Abs.
3 ZPO aber nicht für solche Verfahrenshandlungen, die in Ehesachen, Folgesachen und Familienstreitsachen vor dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle
vorgenommen werden könnten. Bei der Einlegung der Be-schwerde handele es sich gemäß §
64 Abs.
2 Satz
1 FamFG um eine solche Verfahrenshandlung, denn §
64 Abs.
2 Satz
2
FamFG schließe die Einlegung einer Beschwerde nur für Ehesachen und Familienstreitsachen
aus, zu denen [X.] nicht gehörten. Angesichts des klaren Geset-zeswortlauts könne es nicht Sache der rechtsprechenden Gewalt sein, den hierdurch eröffneten Zugang zur Beschwerdeinstanz zu beschränken.
2. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Die als Folgesachen gemäß §
137 Abs.
2 Nr.
1 FamFG in den [X.] einbezogenen [X.] sind Familiensa-4
5
6
7
8
-
5
-

chen der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Gemäß
§
114 Abs.
1 FamFG müssen sich "die Ehegatten in Ehesachen und Folgesachen sowie die Beteiligten in selb-ständigen Familienstreitsachen"
vor dem Familiengericht und dem [X.] durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen. Einer Vertretung durch ei-nen Rechtsanwalt bedarf es nach
§
114 Abs.
4 Nr.
6 FamFG
allerdings nicht in den Fällen des §
78 Abs.
3 ZPO und somit nicht für Verfahrenshandlungen, die vor dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vorgenommen werden können. In Familiensachen wird die Beschwerde gemäß §§
1, 64 Abs.
2 Satz
1 FamFG durch Einreichung einer Beschwerdeschrift oder zur Niederschrift der Ge-schäftsstelle eingelegt. Nach §
64 Abs.
2 Satz
2 FamFG ist die Einlegung der Beschwerde zur Niederschrift der Geschäftsstelle "in Ehesachen und Familien-streitsachen" ausgeschlossen.
b) Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist es in
Rechtsprechung und Lite-ratur umstritten, ob für die
isolierte Beschwerde gegen eine
im Scheidungsver-bund getroffene Regelung in einer Folgesache
auch dann Anwaltszwang [X.],
wenn diese Folgesache keine Familienstreitsache, sondern

wie beim
Versorgungsausgleich

eine Familiensache der
freiwilligen Gerichtsbarkeit be-trifft.
aa) Teilweise wird

mit dem Beschwerdegericht

die Ansicht vertreten, dass der Wortlaut von
§
64 Abs.
2 Satz
2 FamFG eindeutig und die Einlegung der Beschwerde zur Niederschrift der Geschäftsstelle ausdrücklich nur in [X.] (§
121
FamFG) und Familienstreitsachen (§
112 FamFG) ausgeschlos-sen sei.
Damit seien die Ehegatten gemäß §
114 Abs.
4 Nr.
6 FamFG in [X.] mit §
78 Abs.
3 ZPO für die Einlegung einer Beschwerde in Folgesa-chen der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom Anwaltszwang befreit. Selbst wenn bei der Fassung
von
§
64 Abs.
2 Satz
2 FamFG ein Redaktionsversehen unterlau-fen sein
und der
Gesetzgeber tatsächlich beabsichtigt haben sollte, auch die 9
10
-
6
-

Einlegung einer Beschwerde in Folgesachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit dem Anwaltszwang zu unterstellen, habe diese Absicht jedenfalls im Geset-zeswortlaut keinen Ausdruck gefunden und sei deshalb bei der Auslegung nicht zu berücksichtigen (OLG
Brandenburg [4.
Senat für Familiensachen] FamRZ 2014, 1933
f.; [X.] [4.
Senat für Familiensachen] FamRZ 2014, 681; [X.]/Feskorn ZPO 31.
Aufl. §
64 FamFG Rn.
5; MünchKommFamFG/[X.] 2.
Aufl. §
64 Rn.
30; [X.] FamFG/Nickel [Stand: 1.
Dezember 2016] §
114 Rn.
1b; [X.] Das Rechtsmittelrecht nach dem FamFG S.
69; [X.] 2014, 111
f.; [X.] NZFam 2014, 710; [X.] FamRZ 2011, 1093
f.; [X.], 1021, 1022
f.; vgl. auch [X.] in Heilmann
Praxiskom-mentar Kindschaftsrecht §
64 FamFG Rn.
5
f.).
bb) Nach der Gegenansicht soll
für die Einlegung einer Beschwerde in einer Folgesache der freiwilligen Gerichtsbarkeit Anwaltszwang bestehen. Es sei Absicht des Gesetzgebers gewesen, im Beschwerdeverfahren einen bereits im erstinstanzlichen Verfahren geltenden Anwaltszwang fortbestehen zu lassen. Die Umsetzung dieses Ziels sei dem Gesetzgeber mit
dem Wortlaut von §
64 Abs.
2 Satz
2 FamFG zwar nicht uneingeschränkt gelungen. Dieses [X.] könne aber durch eine weite Auslegung des §
64 Abs.
2 Satz
2 FamFG behoben werden, welche die bestehende Widersprüchlichkeit zu §
114 Abs.
1 FamFG beseitige ([X.] [2.
Senat für Familiensachen] FamRZ 2016, 1802, 1803; [X.] FamRZ 2014, 2018
f.; OLG Bremen FamRZ
2014, 596
f.; [X.] [2.
Senat für Familiensachen] MDR
2014, 1209, 1210; [X.] FamRZ 2013, 1604; [X.], 57, 58; [X.]/Lorenz ZPO 31.
Aufl. §
114 FamFG Rn.
1; [X.]/[X.] FamFG 19.
Aufl. §
114 Rn.
21a;
Prütting/[X.] FamFG 3.
Aufl. §
114 Rn.
36; [X.]/[X.]/[X.] Familienrecht 6.
Aufl. §
64 FamFG Rn.
4; [X.] FamFG/[X.] [Stand: 1.
Dezember 2016] §
64 Rn.
8; Hk-ZPO/[X.] 7.
Aufl. §
64 FamFG Rn.
4; [X.]/[X.] in [X.]/[X.] FamFG 11
-
7
-

5.
Aufl. §
114 Rn.
5; [X.]/[X.][X.] FamFG 5.
Aufl. §
114 Rn.
20; [X.] 2016, 502; [X.] 2014, 464, 465; [X.] 2012, 21, 24
f.).
c) Die letztgenannte Auffassung trifft zu.
aa) Richtig ist der Ausgangspunkt des [X.]. Nach dem Wortlaut von §
64 Abs.
2 Satz
1 und 2 FamFG wäre
es nicht ausgeschlossen, dass Ehegatten in Folgesachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit eine Beschwer-de zur Niederschrift der Geschäftsstelle einlegen, so dass sie sich folgerichtig
gemäß §
114 Abs.
4 Nr.
6 FamFG in Verbindung
mit §
78 Abs.
3 ZPO bei der Einlegung der Beschwerde auch nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten [X.] müssten. Indessen zieht der Wortlaut des Gesetzes im Regelfall keine star-re Auslegungsgrenze. Selbst eine Auslegung gegen den Wortlaut einer Norm ist
nicht ausgeschlossen, wenn andere Indizien deutlich belegen, dass ihr Sinn im Gesetzestext unzureichend Ausdruck gefunden hat (vgl. [X.] Beschluss vom 25.
April 2016

1
BvR
1147/12

juris Rn.
7
mwN; [X.] NJW 1998, 1478, 1479). Obwohl im Verfahrensrecht grundsätzlich Erwägungen
des
Ver-trauensschutzes für eine weitgehend
am Gesetzeswortlaut angelehnte Ausle-gung sprechen, ist nach der Rechtsprechung des [X.] auch bei der Auslegung von Verfahrensrecht
durchaus
Raum für eine an teleo-logischen Gesichtspunkten ausgerichtete Norminterpretation (vgl. [X.] NJW 2007, 2977 Rn.
121).
Auch bei Vorschriften, welche die Notwendigkeit anwaltlicher Vertretung im Verfahren regeln, ist es deshalb keineswegs von vornherein ausgeschlos-sen, dass der zu enge Wortsinn einer Norm durch die Rechtsprechung

me-thodisch etwa im Wege der Analogie oder der teleologischen Extension

ge-mäß ihrem Zweck berichtigt und die Regelung damit auf einen Sachverhalt er-streckt wird, den sie nach ihrem möglichen Wortsinn nicht erfasst. Zwar stellen 12
13
14
-
8
-

die
den Anwaltszwang betreffenden
Verfahrensvorschriften sogenannte formale Ordnungsregeln dar, die zwingend und strikt festlegen, wann und in welcher Weise sich die Verfahrensbeteiligten durch Bevollmächtigte vertreten lassen müssen
(vgl. [X.] Beschlüsse vom 22.
April 2008

X
ZB
18/07
NJW-RR 2008, 1290 Rn.
9 und vom 20.
Juni 2000

X
ZB
11/00

NJW 2000, 3356, 3357). Aber auch der Charakter einer formalen Ordnungsregel steht teleologi-schen Erwägungen bei der Bestimmung der Reichweite des [X.] nicht grundsätzlich entgegen ([X.] ZPO/Piekenbrock [Stand: 1.
März 2017] §
78 Rn.
4; vgl. auch [X.]Z 194, 68 =
NJW 2012, 2810 Rn.
24
f.).
bb)
Freilich setzt
jede Art der richterlichen Rechtsfortbildung eine Geset-zeslücke im
Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus. Hat der Gesetzgeber eine eindeutige Entscheidung getroffen, dürfen die Ge-richte diese nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern oder durch eine judikative Lösung ersetzen ([X.] FamRZ 1995, 1052, 1056 mwN). Ob eine Gesetzeslücke vorliegt, ist danach zu beurteilen, ob die vom Regelungsprogramm des Gesetzgebers erfassten Fälle in den gesetzlichen Vorschriften tatsächlich Berücksichtigung gefunden haben. Sie ist zu bejahen, wenn festzustellen ist, dass der Wortlaut der Vorschrift nicht alle Fälle erfasst, die nach dem Sinn und Zweck der Regelung erfasst sein sollten (vgl. [X.], 2457
Rn.
22 und NJW 2014, 1256 Rn.
27).
Unter den obwaltenden Umständen
lässt sich diese Feststellung für §
64 Abs.
2 Satz
2 FamFG zur Überzeugung des Senats mit Blick auf
die
Gesetzessystematik, die
Entste-hungsgeschichte des Gesetzes und die
in den Gesetzesmaterialien zum Aus-druck gekommenen Intentionen des Gesetzgebers treffen.
(1)
Der
Wortlaut des §
114 Abs.
1 FamFG, der in Anlehnung an §
78 ZPO den Anwaltszwang in Familiensachen regelt, entspricht der ursprünglichen Fassung aus dem Regierungsentwurf eines
Gesetzes zur Reform des 15
16
-
9
-

Verfahrens
in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichts-barkeit
vom 7.
September 2007. Nach der Entwurfsbegründung stimme
die Regelung
des §
114 Abs.
1 FamFG "für Ehesachen und Folgesachen sowie für isolierte Familiensachen, deren Verfahren sich ausschließlich nach dem FamFG
richtet (bisherige [X.]-Familiensachen)"
mit dem bisherigen Rechtszu-stand überein
(BT-Drucks. 16/6308 S.
223). Nach dem
von der [X.] in Bezug genommenen "bisherigen Rechtszustand"
erstreckte sich der Anwaltszwang in Folgesachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit

insbeson-dere also auch in [X.]

auf das gesamte Beschwer-deverfahren
einschließlich der Einlegung der Beschwerde (vgl. bereits [X.] Beschlüsse vom 17.
Januar 1979

IV
ZB
111/78

FamRZ 1979, 232 und vom 23.
November 1979

IV
ZB
54/79

VersR 1980, 262).
(2) Die Regelung des §
64 Abs.
2 Satz
2 FamFG in ihrer aktuell gültigen
Fassung war im
ursprünglichen
Regierungsentwurf zum reformierten Familien-verfahrensrecht vom 7.
September 2007 noch nicht enthalten. Vielmehr sah die

an
§
21 Abs.
2 [X.] angelehnte
Vorschrift des §
64 Abs.
2 FamFG
in der Entwurfsfassung uneingeschränkt die Möglichkeit vor, eine Beschwerde in [X.] zur Niederschrift der Geschäftsstelle einlegen zu können.
In die-sem Zusammenhang wurde schon
vor dem Inkrafttreten des reformierten [X.] zum
1.
September 2009 darauf hingewiesen, der [X.] habe dadurch vermutlich unabsichtlich erreicht, dass
ein Beteiligter in Familiensachen wegen der in §
114 Abs.
4 Nr.
6 FamFG enthaltenen Verwei-sung auf §
78 Abs.
3 ZPO auch dann persönlich Beschwerde einreichen kann, wenn das Verfahren für ihn ansonsten dem Anwaltszwang unterliegt (vgl. [X.] 2009, 24, 26; Stellungnahme der [X.] 2007/50
zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Ver-fahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Ge-richtsbarkeit
S.
4, veröffentlicht auf www.brak.de).
17
-
10
-

(3) §
64 Abs.
2 Satz
2 FamFG in seiner
aktuellen Fassung wurde durch Art.
8 des Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und [X.] Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwalt-schaft und zur Änderung sonstiger Vorschriften
vom 30.
Juli 2009 (BGBl.
I S.
2449) in das Gesetz eingefügt. Diese Novellierung ging
auf eine Beschluss-empfehlung des Rechtsausschusses vom 22.
April 2009 zurück. Zur [X.] ist dabei das Folgende ausgeführt (BT-Drucks. 16/12717 S.
59):
"Der eingefügte Satz
2 bestimmt, dass die Einlegung der Be-schwerde zur Niederschrift der Geschäftsstelle ausgeschlossen ist, wenn sich die Beschwerde gegen eine Endentscheidung in einer
Ehesache oder einer Familienstreitsache richtet. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass die in §
114 Abs.
4 Nr.
6 FamFG in Verbindung mit §
78 Abs.
3 ZPO statuierte Ausnahme vom Anwaltszwang
in Familiensachen nicht dazu führt, dass die Betei-ligten in Verfahren, die dem Anwaltszwang unterliegen, ohne Rechtsanwalt Beschwerde einlegen können."
Aus diesen Ausführungen erschließt
sich mit hinreichender Deutlichkeit, dass
die Einlegung einer Beschwerde zur Niederschrift der Geschäftsstelle nach den Intentionen des Gesetzgebers in allen Fällen ausgeschlossen sein
soll, in denen das Verfahren schon in erster Instanz als Anwaltsverfahren zu führen war. Damit sollten ersichtlich
die inhaltlichen Widersprüche zwischen §
114 Abs.
1 FamFG einerseits und §
114 Abs.
4 Nr.
6 FamFG in Verbindung mit §
78 Abs.
3 ZPO und §
64 Abs.
2 Satz
1 FamFG andererseits beseitigt
wer-den. Die Umsetzung dieses Ziels ist dem Gesetzgeber bei der redaktionellen Fassung
des §
64 Abs.
2 Satz
2 FamFG allerdings

in doppelter Hinsicht

misslungen: Einerseits greift der Wortlaut des §
64 Abs.
2 Satz
2 FamFG zu kurz, weil die Vertretung durch Rechtsanwälte im erstinstanzlichen Verfahren auch bei der Vertretung von Ehegatten in Folgesachen der freiwilligen Ge-richtsbarkeit
vorgeschrieben ist. Andererseits greift der Wortlaut auch zu weit, weil sich ausschließlich
die Ehegatten in Ehesachen durch einen Rechtsanwalt 18
19
-
11
-

vertreten lassen müssen und mit den zuständigen
Behörden in Eheaufhe-bungsverfahren (vgl. §
129 FamFG) auch solche Dritte an "Ehesachen"
beteiligt sein können, für die ein
Anwaltszwang unzweifelhaft nicht gilt (§
114 Abs.
3 FamFG).
cc) Sinn und Zweck des in §
114 Abs.
1 FamFG normierten
Anwalts-zwanges gebieten es
ebenfalls, diesen für die Ehegatten auch auf die [X.] einer Beschwerde in Folgesachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu er-strecken. Der Anwaltszwang in Familiensachen dient einerseits dem öffentli-chen Interesse an einer geordneten Rechtspflege, andererseits aber

mit Blick auf die erheblichen Auswirkungen und die häufig existentielle Bedeutung fami-liengerichtlicher Verfahren

vor allem dem Schutz der Beteiligten durch eine sachgerechte Rechtsberatung
(vgl. Senatsbeschlüsse
vom 8.
Oktober 1986

IVb
ZB
85/86

FamRZ 1987, 57, 58 und vom 21.
Mai 1980

IVb
ZB
628/80

FamRZ 1980, 990, 991; vgl. im Einzelnen [X.]/[X.] 5.
Aufl. §
78 Rn.
2).
(1) Soweit
hiernach
der Anwaltszwang eine Warn-
und Beratungsfunktion
für den rechtsunkundigen Beteiligten erfüllen soll, spricht dies dafür,
dass die Einlegung der Beschwerde in Folgesachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom Anwaltszwang erfasst wird. Mit Recht wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass eine ohne vorherige anwaltliche Beratung eingelegte Be-schwerde unter Umständen die unerwünschte
und vom Beschwerdeführer [X.] nicht hinreichend bedachte Folge haben
kann, dass sich andere
Betei-ligte zu
einer verfahrensübergreifenden
Anfechtung anderer Folgesachen im Wege der Anschließung (vgl. §
145 Abs.
1 FamFG) veranlasst sehen könnten (zutreffend [X.] FamRZ 2014, 2018, 2019). Im Übrigen ist es zwar
richtig, dass das Beschwerdegericht im Rahmen seiner Amtsermittlungs-pflicht (§
26 FamFG) den Tatsachenvortrag des anwaltlich nicht vertretenen 20
21
-
12
-

Beteiligten im vollen Umfang zur Kenntnis nehmen muss
(vgl. auch [X.] FamRZ 1992, 1151
f.
zu §
12 [X.]). Indessen dient die
notwendige Einschal-tung eines Rechtsanwalts gerade dazu, den maßgeblichen Verfahrensstoff zu filtern
und rechtlich relevanten
Tatsachenvortrag herauszuarbeiten, um dem Beschwerdegericht eine bessere inhaltliche Befassung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu ermöglichen. Dies ist insbesondere in den sogenannten echten Streitsachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit
von Bedeutung, in denen das Gericht ohne Verletzung seiner Amtsermittlungspflicht davon ausgehen kann, dass die Beteiligten die ihnen vorteilhaften Umstände von sich aus vor-tragen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11.
Mai 2016

XII
ZB
480/13

FamRZ 2016, 1343 Rn.
19 und vom 23.
März 1988

IVb
ZB
51/87

FamRZ 1988, 709, 710
zu [X.] im Versorgungsausgleich).
(2) Könnte
ein
Ehegatte das
Beschwerdeverfahren
in einer Folgesache der freiwilligen Gerichtsbarkeit ohne Rechtsanwalt einleiten, würde
dies in ge-wissem Umfang auch zu verfahrensrechtlichen
Friktionen führen. Denn aus dem Umstand, dass der
verfahrenseinleitende Antrag zur Niederschrift der Ge-schäftsstelle erklärt werden kann, lässt sich regelmäßig nicht die [X.] ziehen,
dass nunmehr für das gesamte Verfahren das Erfordernis anwaltli-cher Vertretung entfiele
(vgl. [X.]Z 194, 68
=
NJW 2012, 2810 Rn.
12
ff. zur Beitrittserklärung des Nebenintervenienten zum selbständigen Beweisverfah-ren). Dafür streiten bereits
systematische Erwägungen, denn in Fällen, in denen
der Gesetzgeber nicht nur den verfahrenseinleitenden Antrag, sondern auch sonstige Anträge, Erklärungen oder Verfahrenshandlungen vom Anwaltszwang ausnehmen
will, ordnet
er dies ausdrücklich an
(vgl. für Rechtsmittelverfahren etwa §§
569 Abs.
3, 571 Abs.
4 ZPO; §§
43 Abs.
2 Satz
1, 45 Abs.
2 Satz
1 AUG). Der nicht durch einen Rechtsanwalt vertretene Ehegatte kann daher im Beschwerdeverfahren insbesondere keine Sachanträge stellen, so dass er nach Einlegung der Beschwerde
zumindest
in Ehewohnungs-
und Haushaltssachen 22
-
13
-

ohne anwaltliche Vertretung weitgehend handlungsunfähig wäre (vgl. [X.], 1021, 1024). Darüber hinaus müsste sich der Ehegatte für die teilweise oder vollständige Rücknahme der Beschwerde

67 FamFG) sowie für den Abschluss eines gerichtlichen
Vergleichs

beispielsweise im Rahmen einer Vereinbarung über den Versorgungsausgleich (§§
6
ff. [X.])

zwingend durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen. Ist
der Ehegatte daher für eine sachgerechte Durchführung des Beschwerdeverfahrens in Folgesachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit in sehr vielen Fällen ohnehin auf eine anwaltli-che Vertretung
angewiesen, sprechen
auch Gesichtspunkte der Praktikabilität
dafür, dass
bereits die Einlegung der Beschwerde
vom Anwaltszwang erfasst wird.
dd) Hiergegen lassen sich auch keine durchgreifenden verfassungsrecht-lichen Bedenken erheben.
Allerdings muss der Gesetzgeber für die Rechtsmittel, die er bereitstellt, die Voraussetzungen ihrer Zulässigkeit in einer dem Grundsatz der Rechtsmit-telklarheit entsprechenden Weise bestimmen. Dieser Grundsatz verbietet es, den Rechtsuchenden mit einem unübersehbaren Risiko der Behandlung
seines Rechtsmittels als (un-)zulässig und dessen Kostenfolgen zu belasten.
Darüber hinaus dürfen die Rechtsmittelgerichte ein von der jeweiligen [X.] eröffnetes Rechtsmittel nicht durch die Art und Weise, in der sie die ge-setzlichen Voraussetzungen für den Zugang zu einer Sachentscheidung ausle-gen und anwenden, ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer leerlaufen lassen (vgl. [X.] Beschlüsse
vom 27.
Oktober 2015

2
BvR
3071/14

juris Rn.
12 mwN und vom 11.
April 2008

2
BvR
866/06

juris Rn.
16 mwN).
Die
dargestellten
Grundsätze
werden
aber nicht schon dadurch berührt, dass eine den Anwaltszwang im Rechtsmittelverfahren regelnde Vorschrift aus teleologischen Gründen über ihren möglichen Wortsinn hinaus ausgelegt bzw.
23
24
25
-
14
-

entsprechend angewendet wird. Ein Rechtsuchender, der sich in einem [X.] Irrtum über die Erforderlichkeit anwaltlicher Vertretung für ein von ihm eingelegtes Rechtsmittel befindet, ist bereits
durch die einschlägigen [X.] über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinreichend davor geschützt, dadurch den Zugang zu einer ihm eröffneten
Rechtsmittelinstanz zu verlieren.
3. Die angefochtene Entscheidung kann daher keinen Bestand haben. Der Sache ist noch nicht im Sinne von §
74 Abs.
6 Satz
1 FamFG zur Endent-scheidung reif. Zwar ist die Frist für die Einlegung einer (formgerechten) Be-schwerde gegen die amtsgerichtliche Entscheidung mittlerweile abgelaufen. Es
kommt aber in Betracht, dem Ehemann insoweit eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
a) Durch die unzutreffende Rechtsbehelfsbelehrung
ist ein Vertrauens-tatbestand geschaffen worden, weil sie bei dem Ehemann einen entschuldba-ren Rechtsirrtum über das Erfordernis anwaltlicher Vertretung bei der isolierten Anfechtung der im Scheidungsverbund getroffenen Entscheidung zum [X.]
hervorgerufen hat (§
17 Abs.
2 FamFG). Der Ehemann muss sich auch kein Verschulden seines erstinstanzlichen Verfahrensbevoll-mächtigten zurechnen lassen. Auch ein Rechtsanwalt kann grundsätzlich auf die Richtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung vertrauen, wenn diese nicht [X.] falsch gewesen ist und deshalb

ausgehend von dem bei einem Rechtsanwalt vorauszusetzenden Kenntnisstand über die Grundzüge des Ver-fahrensrechts und des Rechtsmittelsystems

nicht einmal den Anschein der Richtigkeit zu erwecken vermochte (Senatsbeschluss
vom 13.
Juni 2012

XII
ZB
592/11

FamRZ 2012, 1287 Rn.
9; [X.] Beschluss vom 12.
Oktober 2016

V
ZB
178/15

NJW 2017, 1112 Rn.
12). Von einer solcherart "offenkun-dig falschen"
Rechtsbehelfsbelehrung wird unter den hier obwaltenden Um-26
27
-
15
-

ständen
nicht auszugehen sein. Denn ein Rechtsirrtum über das Erfordernis anwaltlicher Vertretung in der Rechtsmittelinstanz gereicht dem Rechtsanwalt generell nicht zum Verschulden, wenn die diesbezügliche Rechtsfrage

wie hier bei den
Folgesachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit

zweifelhaft und höchst-richterlich noch nicht geklärt ist (vgl. [X.] Beschlüsse vom 23.
November 1979

IV
ZB
54/79

VersR 1980, 262
f. und vom 20.
April 1979

IV
ZB
160/78

FamRZ
1979, 908
f.).
b) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde
ist das
auf diesem Rechtsirrtum beruhende Hindernis nicht dadurch entfallen, dass die zweitin-stanzliche Verfahrensbevollmächtigte der Ehefrau [X.] die Unzuläs-sigkeit der Beschwerde gerügt hat. Denn der Ehemann konnte weiterhin auf die

den Beteiligten auch in der [X.] vom 13.
Mai 2014 nochmals zur Kenntnis gebrachte

Rechtsauffassung des [X.] vertrauen, dass er sich im Beschwerdeverfahren nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen müsse. Aus dem gleichen Grund steht
auch die Ausschlussfrist des §
18 Abs.
4 FamFG der nachträglichen Stellung eines
Wiedereinsetzungsantrages
nicht entgegen (vgl. Senatsurteil
vom 15.
Dezember 2010

XII
ZR
27/09

FamRZ
2011, 362 Rn.
37; [X.] Beschluss vom 21.
Januar 2016

IX
ZA
24/15

FamRZ 2016, 632 Rn.
8; [X.] NJW 2004, 2112, 2114).
28
-
16
-

c) Die Frist des §
18 Abs.
1 FamFG wird
für den Ehemann daher erst mit der Kenntnisnahme vom Inhalt dieser Senatsentscheidung in Lauf gesetzt. Ab diesem Zeitpunkt kann er
innerhalb dann beginnenden Frist von zwei Wochen eine formgerechte Beschwerde durch einen
Rechtsanwalt einlegen (§
18 Abs.
3 Satz
2 FamFG).

Dose

Schilling

Nedden-Boeger

Botur

Guhling
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 23.10.2013 -
61 F 1376/07 S -

[X.] am Main, Entscheidung vom 12.11.2015 -
1 UF 6/14 -

29

Meta

XII ZB 3/16

26.04.2017

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.04.2017, Az. XII ZB 3/16 (REWIS RS 2017, 11958)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 11958

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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XII ZB 3/16

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