Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.10.2013, Az. XII ZB 482/13

12. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 1573

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Gegenstand

Unterbringungssache: Beauftragung des behandelnden Arztes mit der Erstattung des über die Notwendigkeit einer ärztlichen Zwangsmaßnahme einzuholenden Gutachtens; Begründungspflicht


Leitsatz

1. In Verfahren zur Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme kann der behandelnde Arzt nur in eng begrenzten Ausnahmefällen mit der Erstattung des vor der Entscheidung einzuholenden Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme beauftragt werden.

2. Die Gründe für eine Abweichung von der Regelung des § 321 Abs. 1 Satz 5 FamFG sind in der Genehmigungsentscheidung darzulegen.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des [X.] vom 2. September 2013 zu Ziffer 2) und 3) der [X.] aufgehoben.

Insoweit wird das Verfahren zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen.

Die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit des Beschlusses des [X.] vom 16. August 2013 wird aufgehoben.

Wert: 5.000 €

Gründe

I.

1

Die Betroffene wendet sich gegen die [X.]e Genehmigung ihrer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und ihrer zwangsweisen Heilbehandlung.

2

Die Betroffene, die an einer paranoiden Schizophrenie leidet, steht unter Betreuung. Auf Antrag ihres Betreuers hat das Amtsgericht zunächst im Wege einer einstweiligen Anordnung die Unterbringung der Betroffenen in einem psychiatrischen Krankenhaus [X.] genehmigt. Nach Einholung einer "fachärztlichen Stellungnahme zu § 1906 BGB und zur Zwangsmedikation" durch den Oberarzt der Klinik, in der die Betroffene untergebracht war, und der Anhörung der Betroffenen hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 16. August 2013 die Unterbringung für einen Zeitraum von weiteren zwölf Wochen genehmigt und die sofortige Wirksamkeit dieser Entscheidung ausgesprochen. Zugleich wurde die Genehmigung zur zwangsweisen Behandlung der Betroffenen mit in dem amtsgerichtlichen Beschluss konkret bezeichneten Medikamenten für die Dauer von sechs Wochen erteilt. Insoweit hat das Amtsgericht von einer Anordnung der sofortigen Wirksamkeit seiner Entscheidung abgesehen.

3

Im Beschwerdeverfahren hat das [X.] die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeordnet und den behandelnden Arzt zum Gutachter bestellt. In dem durch den Berichterstatter als beauftragten [X.] durchgeführten Anhörungstermin hat der Sachverständige in Anwesenheit der Betroffenen, ihres Betreuers, des Verfahrenspflegers und ihres Vaters als Bevollmächtigtem mündlich ein Gutachten zur Erforderlichkeit der Unterbringung und der zwangsweisen Heilbehandlung der Betroffenen erstattet.

4

Das [X.] hat die Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen und die sofortige Wirksamkeit der amtsgerichtlichen Entscheidung auch hinsichtlich der [X.]en Genehmigung zur zwangsweisen Behandlung der Betroffenen angeordnet. Hiergegen wendet sich die Betroffene mit ihrer Rechtsbeschwerde.

II.

5

Die gemäß § 70 Abs. 3 Nr. 2 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.].

6

1. Die Genehmigung der Unterbringung und der zwangsweisen Heilbehandlung der Betroffenen ist verfahrensfehlerhaft erfolgt, weil die Einholung des Sachverständigengutachtens nicht den Anforderungen des § 321 Abs. 1 FamFG genügt.

7

a) Nach § 321 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat vor einer Unterbringungsmaßnahme eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme stattzufinden. Gemäß § 30 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 FamFG ist diese entsprechend der Zivilprozessordnung durchzuführen. Danach bedarf es zwar nicht zwingend eines förmlichen [X.] (vgl. § 358 ZPO). Jedoch ist die Ernennung des Sachverständigen dem Betroffenen wenn nicht förmlich zuzustellen, so doch zumindest formlos mitzuteilen, damit dieser gegebenenfalls von seinem Ablehnungsrecht nach § 30 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 406 ZPO Gebrauch machen kann. Ferner hat der Sachverständige den Betroffenen gemäß § 321 Abs. 1 Satz 2 FamFG vor Erstattung des Gutachtens persönlich zu untersuchen oder zu befragen. Dabei muss er schon vor der Untersuchung des Betroffenen zum Sachverständigen bestellt worden sein und ihm den Zweck der Untersuchung eröffnen. Andernfalls kann der Betroffene sein Recht, an der Beweisaufnahme teilzunehmen, nicht sinnvoll ausüben. Schließlich muss das Sachverständigengutachten zwar nicht zwingend schriftlich erstattet werden, wenn auch eine schriftliche Begutachtung vielfach in Anbetracht des schwerwiegenden Grundrechtseingriffs angezeigt erscheint. Jedenfalls aber muss das Gutachten namentlich Art und Ausmaß der Erkrankung im Einzelnen anhand der Vorgeschichte, der durchgeführten Untersuchung und der sonstigen Erkenntnisse darstellen und wissenschaftlich begründen (Senatsbeschluss vom 15. September 2010 - [X.] 383/10 - FamRZ 2010, 1726 Rn. 18 ff. [X.]). Dem wird das durch das Beschwerdegericht eingeholte Sachverständigengutachten nicht gerecht.

8

b) Soweit es die Genehmigung der Unterbringung der Betroffenen betrifft, ist es zwar nicht zu beanstanden, dass das Beschwerdegericht den behandelnden Arzt zum Sachverständigen bestellt hat. Nach § 329 Abs. 2 Satz 2 FamFG soll das Gericht nur bei einer Unterbringung mit einer Gesamtdauer von mehr als vier Jahren keinen Sachverständigen bestellen, der den Betroffenen bisher behandelt hat. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass bei einer kürzeren Unterbringungsdauer der behandelnde Arzt zum Sachverständigen bestellt werden kann (Senatsbeschluss vom 15. September 2010 - [X.] 383/10 - FamRZ 2010, 1726 Rn. 9).

9

Anders verhält es sich jedoch hinsichtlich der Genehmigung der zwangsweisen Heilbehandlung der Betroffenen. In Verfahren zur Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme oder bei deren Anordnung soll nach § 321 Abs. 1 Satz 5 FamFG der zwangsbehandelnde Arzt nicht zum Sachverständigen bestellt werden. Mit dieser durch das Gesetz zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme vom 18. Februar 2013 ([X.]) mit Wirkung vom 26. Februar 2013 eingeführten Vorschrift wollte der Gesetzgeber gewährleisten, dass der gerichtlichen Entscheidung über die Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme oder bei deren Anordnung eine unvoreingenommene ärztliche Begutachtung durch einen Sachverständigen vorausgeht, der nicht mit der Behandlung des Betroffenen befasst ist (vgl. BT-Drucks. 17/12086 S. 11). Die gegenüber §§ 280 Abs. 1, 321 Abs. 1 Satz 1, 4 FamFG erhöhten Anforderungen an die Qualifikation des Sachverständigen und die Einführung eines "Vier-Augen-Prinzips" (so [X.] NJW 2013, 1265, 1270) tragen dabei dem Umstand Rechnung, dass die Genehmigung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme oder deren Anordnung bei dem Betroffenen zu einem zusätzlichen schweren Grundrechtseingriff führt, der über die mit der Unterbringung verbundenen Beschränkungen des Betroffenen hinausgeht (Grotkopp in Bahrenfuss FamFG 2. Aufl. § 321 Rn. 14). Dass § 321 Abs. 1 Satz 5 FamFG trotzdem nur als "Soll"-Vorschrift ausgestaltet ist, beruht darauf, dass der Gesetzgeber eine fachlich fundierte Begutachtung erreichen, gleichzeitig aber durch die abgestuften Anforderungen den unterschiedlichen Verfahren und den Bedürfnissen der Praxis bei der Auswahl geeigneter Sachverständiger Rechnung tragen wollte (BT-Drucks. 17/12086 S. 11). Im Hinblick auf den genannten Schutzzweck der Vorschrift und die besondere Grundrechtsrelevanz einer medizinischen Zwangsbehandlung ist vor der Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme oder bei deren Anordnung regelmäßig die Begutachtung des Betroffenen durch einen neutralen Sachverständigen geboten. Nur in eng begrenzten Ausnahmefällen - etwa bei besonderer Eilbedürftigkeit - kann das Gericht hiervon abweichen und im Einzelfall auch den behandelnden Arzt zum Gutachter bestellen (Grotkopp in Bahrenfuss FamFG 2. Aufl. § 321 Rn. 14; Jurgeleit/[X.] Betreuungsrecht 3. Aufl. § 321 FamFG Rn. 4; [X.] FamFG/[X.] [Stand: [X.]] § 321 Rn. 10). In diesem Fall hat das Gericht jedoch in dem Genehmigungsbeschluss nachvollziehbar zu begründen, weshalb es von § 321 Abs. 1 Satz 5 BGB abgewichen ist (Prütting/[X.]/[X.] FamFG 3. Aufl. § 321 Rn. 4; [X.] FamFG/[X.] [Stand: [X.]] § 321 Rn. 10; vgl. auch BT-Drucks. 17/12086 S. 11).

Diesen Anforderungen genügt die angegriffene Entscheidung nicht. Der vom Beschwerdegericht mit der Erstattung des Gutachtens beauftragte Sachverständige ist Oberarzt in der Einrichtung, in der die Betroffene untergebracht ist, und gleichzeitig ihr behandelnder Arzt. Das [X.] hat in den Gründen der Genehmigungsentscheidung nicht ausreichend dargelegt, aus welchen Gründen es von der Regelung des § 321 Abs. 1 Satz 5 FamFG abgewichen ist. Es sind auch keine Umstände ersichtlich, die im vorliegenden Fall ausnahmsweise eine Abweichung von dem in der Vorschrift enthaltenen "Vier-Augen-Prinzip" rechtfertigen könnten.

c) Auch soweit es die Genehmigung der Unterbringung der Betroffenen betrifft, ist das eingeholte Gutachten keine taugliche Grundlage für die Entscheidung des Beschwerdegerichts.

Es fehlte an einer Untersuchung der Betroffenen nach Bestellung des Arztes zum Sachverständigen und vor Erstattung des Gutachtens. Die vom Gericht verwerteten Erkenntnisse, die der Sachverständige über die Betroffene gewonnen hatte, beruhen ausschließlich auf seiner Tätigkeit als behandelnder Arzt in der Klinik und nicht auf einer Untersuchung als Sachverständiger. Deshalb konnte die Betroffene keine Kenntnis davon haben, dass die durchgeführten Untersuchungen einer späteren Begutachtung dienen sollten. Zudem genügen die Äußerungen des Sachverständigen in der Anhörung nicht den an ein Gutachten im Sinne des § 321 FamFG zu stellenden Anforderungen. Es mangelt schon an einer Darstellung der von ihm durchgeführten Untersuchungen.

2. Der angefochtene Beschluss kann danach keinen Bestand haben. Der Senat ist nicht in der Lage, in der Sache abschließend zu entscheiden, da es hierzu weiterer Feststellungen, insbesondere der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens zur Frage der Unterbringung und der Notwendigkeit der zwangsweisen Heilbehandlung der Betroffenen bedarf. Die Sache ist deshalb an das [X.] zurückzuverweisen.

3. Der in entsprechender Anwendung von § 64 Abs. 3 FamFG statthafte Antrag, auch die sofortige Wirksamkeit der Genehmigung der Unterbringung einstweilen außer Vollzug zu setzen (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Juli 2012 - [X.] 661/11 - FamRZ 2012, 1556 Rn. 25), ist begründet.

Das Rechtsbeschwerdegericht hat über den vorgenannten Antrag nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Dabei sind die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels und die drohenden Nachteile für den Betroffenen gegeneinander abzuwägen (Senatsbeschluss vom 18. Juli 2012 - [X.] 661/11 - FamRZ 2012, 1556 Rn. 26; vgl. auch [X.] Beschluss vom 21. Januar 2010 - [X.] - [X.] 2010, 97 Rn. 5).

Diese Abwägung führt zu dem Ergebnis, dass die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit der amtsgerichtlichen Entscheidung aufzuheben ist. Nachdem die Rechtsbeschwerde Erfolg hat, weil die bisherigen Feststellungen die Genehmigung der Unterbringung und der ärztlichen Zwangsbehandlung nicht rechtfertigen, kann auch die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit der Unterbringungsgenehmigung keinen Bestand haben.

Dose                    Weber-Monecke                       [X.]

            Botur                                    Guhling

Meta

XII ZB 482/13

30.10.2013

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Ravensburg, 2. September 2013, Az: 4 T 49/13

§ 321 Abs 1 S 5 FamFG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.10.2013, Az. XII ZB 482/13 (REWIS RS 2013, 1573)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 1573

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