Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.06.2018, Az. XII ZB 489/17

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2018, 7465

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[X.]:[X.]:BGH:2018:200618BXII[X.]489.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII [X.] 489/17
vom
20. Juni 2018
in der [X.]
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
FamFG §§ 62, 319
a)
Nach §
319 Abs.
1 Satz
1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor einer Unterbringungsmaßnahme persönlich anzuhören und sich einen persönli-chen Eindruck von ihm zu verschaffen.
b)
Der Anspruch auf ein faires Verfahren gebietet es, einen anwaltlich nicht ver-tretenen Betroffenen eines zivilrechtlichen [X.]s im Fall der Erledigung der Hauptsache auf die Möglichkeit hinzuweisen, seinen [X.] auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der [X.] (im [X.] an [X.]sbeschluss vom 2.
September 2015

XII
[X.]
138/15

FamRZ 2015, 1959).
BGH, Beschluss vom 20. Juni 2018 -
XII [X.] 489/17 -
LG [X.]

[X.]

-
2
-

Der XII. Zivilsenat des [X.] hat am 20.
Juni 2018 durch
den Vorsitzenden [X.] Dose und die [X.] Schilling, Dr.
Nedden-Boeger, Dr.
Botur und Guhling
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des [X.] vom 23.
Mai 2017, soweit er die Genehmigung einer ärztlichen
Zwangsmaß-nahme zum Gegenstand hat, und der Beschluss der 9.
Zivilkam-mer des [X.] vom 7.
September 2017, soweit er die hiergegen gerichtete Beschwerde verworfen hat, die [X.] in ihren Rechten verletzt haben.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei. Die in der [X.] entstandenen außergerichtlichen Kosten der Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:
I.
Die Betroffene wendet sich gegen die durch Zeitablauf erledigte Geneh-migung ihrer zwangsweisen Heilbehandlung.
Das Amtsgericht
hat die Unterbringung der Betroffenen durch den [X.] bis längstens 24.
Mai 2018 und die Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Zwangsmaßnahme bis längstens 5.
Juli 2017 betreuungsgerichtlich
genehmigt.
Auf die hiergegen von der im Instanzverfahren anwaltlich nicht ver-1
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-
3
-

tretenen Betroffenen eingelegte Beschwerde hat das [X.] am 7.
Sep-tember 2017 die Höchstdauer der Unterbringung bis zum 11.
Mai 2018 verkürzt und im Übrigen den Beschluss des
Amtsgerichts aufrechterhalten.
Mit ihrer Rechtsbeschwerde begehrt die Betroffene die Feststellung, dass sie durch die Genehmigung der Einwilligung des Betreuers in die ärztliche
Zwangsmaßnahme
in ihren Rechten verletzt worden ist.

II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1. Zwar hat die Rechtsbeschwerde ihren Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der amtsgerichtlichen Genehmigung der ärztlichen Zwangs-maßnahme beschränkt. Der Antrag ist jedoch
dahin auszulegen, dass die Be-troffene die Feststellung der Rechtswidrigkeit all derjenigen Entscheidungen begehrt, die ihre zwangsweise Heilbehandlung in dem hier anhängigen Verfah-ren zum Gegenstand haben.
Danach ist auch die landgerichtliche Entscheidung Gegenstand des [X.] nach §
62 FamFG. Selbst wenn sich deren
Beschlussformel nicht zur Beschwerde der Betroffenen verhält, hat das [X.] diese der Sache nach verworfen.
Denn es hat in den Gründen seiner Entscheidung lediglich auf die Erledigung der Maßnahme verwiesen, ohne sich inhaltlich mit der
Beschwerde auseinanderzusetzen.
2. Bei der Genehmigung einer
ärztlichen
Zwangsmaßnahme handelt es sich nach §
312 Satz
1 Nr.
1 FamFG um eine [X.]. Die Statt-haftigkeit der Rechtsbeschwerde ergibt sich auch im Fall der hier aufgrund Zeit-3
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-
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ablaufs
eingetretenen Erledigung aus §
70 Abs.
3 Satz
1 Nr.
2 FamFG ([X.] vom 8.
Juli 2015

XII
[X.]
600/14

FamRZ 2015, 1706 Rn.
5 mwN).
3. Die Rechtsbeschwerde ist begründet, weil die Entscheidungen
des Amts-
und des [X.]s die Betroffene in ihren Rechten verletzt haben, §
62 Abs.
1 FamFG. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass die
Betroffene entgegen §
319 Abs.
1 Satz
1 FamFG vor der Genehmigung der Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme nicht persönlich angehört worden ist.
a) Nach §
319 Abs.
1 Satz
1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor einer Unterbringungsmaßnahme persönlich anzuhören und sich einen persönli-chen Eindruck von ihm zu verschaffen.
Diese Verfahrenshandlungen sollen gemäß §
319 Abs.
4 FamFG nicht im Wege der Rechtshilfe erfolgen. Der [X.] hat bereits entschieden, dass es der Wortlaut des §
319 Abs.
4 FamFG zwar nicht völlig ausschließt, die vor der Genehmigung einer Unterbringungsmaß-nahme zwingend gebotene Anhörung des Betroffenen im Wege der Rechtshilfe vorzunehmen. Die Ausgestaltung der Norm als Sollvorschrift bringt allerdings zum Ausdruck, dass der [X.], der über
eine Unterbringungsmaßnahme zu entscheiden hat, in der Regel den Betroffenen persönlich anzuhören und sich selbst einen persönlichen Eindruck von dessen Lebensumständen zu verschaf-fen hat. Wegen der zentralen Bedeutung der persönlichen Anhörung des Be-troffenen im [X.] ist seine Anhörung im Wege der Rechts-hilfe nur in eng begrenzten Ausnahmefällen möglich. Macht das Gericht von der Möglichkeit Gebrauch, die nach §
319 Abs.
1 FamFG notwendigen Verfahrens-handlungen im Wege der Rechtshilfe vornehmen zu lassen, muss es in seiner Entscheidung die Gründe hierfür in nachprüfbarer Weise darlegen ([X.]sbe-schluss vom 1.
Juni 2016

XII
[X.]
23/16

FamRZ 2016, 1354
Rn.
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f. mwN).
b) Gemessen hieran leidet das Verfahren unter einem schwerwiegenden
Mangel, weil es an einer ordnungsgemäßen Anhörung der
Betroffenen
fehlt.
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-

aa) Die Betroffene ist vor Erlass des angefochtenen Beschlusses im [X.] auf Genehmigung der Zwangsmedikation hierzu nicht angehört worden.
In den Gerichtsakten befindet sich zwar ein Protokoll über eine

im We-ge der Rechtshilfe

erfolgte Anhörung der Betroffenen vom 4.
Mai 2017. Diese bezieht sich indessen offensichtlich auf ein Verfahren zur vorläufigen
Unterbrin-gung der Betroffenen, die das Amtsgericht bereits mit Beschluss vom 18.
April 2017 bis zum 24.
Mai 2017 genehmigt hatte.
Ausweislich der zu dem angefochtenen Beschluss des Amtsgerichts er-gangenen Verfügung vom 23.
Mai 2017 ist die Akte an das [X.] zur Anhörung "zur durch diesen Beschluss erfolge-handlung"
übersandt worden. Demnach sollte die Anhörung der Betroffenen erst noch im Wege der Rechtshilfe erfolgen, was dann schließlich am 13.
Juni 2017 geschehen ist.
bb) Ungeachtet
des Umstands, dass das Gericht die Betroffenen gemäß §
319 Abs.
1 Satz
1 FamFG vor der Unterbringungsmaßnahme anzuhören hat
(vgl. dazu [X.] 2.
Aufl. §
319 Rn.
5 mwN), [X.] die nachträglich im Wege der Rechtshilfe durchgeführte Anhörung durch das [X.] den Verfahrensfehler auch im Übrigen nicht zu hei-len. Denn das Amtsgericht hat in seiner Entscheidung nicht dargelegt, warum ein eng begrenzter Ausnahmefall vorliegt, der ausnahmsweise eine Anhörung im Wege der Rechtshilfe rechtfertigen könnte.
cc) Die später vom [X.] durchgeführte persönliche Anhörung der Betroffenen vom 30.
August
2017 vermag den Verfahrensfehler nicht zu heilen, weil sich die ärztliche Zwangsmaßnahme zu diesem Zeitpunkt bereits erledigt hatte.
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4. Die Betroffene ist durch die mit den angegriffenen Entscheidungen er-teilte Genehmigung der ärztlichen
Zwangsmaßnahme in ihrer durch Art.
2 Abs.
2 Satz
1 GG grundrechtlich geschützten körperlichen Integrität und dem vom Schutz des Art.
2 Abs.
2 Satz
1 GG mitumfassten Recht auf Selbstbe-stimmung hinsichtlich ihrer körperlichen Integrität verletzt worden (vgl. [X.] vom 18.
Oktober 2017

XII
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FamRZ 2018, 121 Rn.
29).
a) Die Feststellung, dass ein Betroffener durch die angefochtenen Ent-scheidungen in seinen Rechten verletzt ist, kann grundsätzlich auch auf einer Verletzung des Verfahrensrechts beruhen. Dabei ist die Feststellung nach §
62 FamFG jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn der Verfahrensfehler so gravierend ist, dass die Entscheidung den Makel eines rechtswidrigen Eingriffs in die grundrechtlich geschützte körperliche Integrität und in das Recht auf Selbstbe-stimmung des Betroffenen hinsichtlich seiner körperlichen Integrität hat, der durch Nachholung der Maßnahme rückwirkend nicht mehr zu tilgen ist (vgl. Se-natsbeschluss vom 8.
Juli 2015

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[X.]
600/14

FamRZ 2015, 1706 Rn.
13 mwN).
Die persönliche Anhörung des Betroffenen nach §
319 FamFG gehört zu den grundlegenden Verfahrensprinzipien in [X.]n. Die Nicht-beachtung dieser Vorschrift bedeutet regelmäßig einen gravierenden [X.] im vorgenannten Sinne.
b) Einem Beruhen der landgerichtlichen Entscheidung auf dem [X.] steht nicht entgegen, dass die Erledigung durch Zeitablauf bereits im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung eingetreten
war, so dass die Betroffene schon im Beschwerdeverfahren einen Antrag nach §
62 Abs.
1 FamFG hätte stellen müssen.
Dass es an dem erforderlichen Feststellungsantrag in der zwei-ten Instanz fehlt, nimmt dem Zurückweisungsbeschluss des [X.]s hier nicht die Rechtswidrigkeit. Denn das [X.] hätte bei richtiger Sachbe-16
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7
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handlung die anwaltlich nicht vertretene Betroffene auf die Möglichkeit hinwei-sen müssen, ihren Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der [X.] umzustellen. Dies gebietet der Anspruch der Betroffenen auf ein faires Verfahren. Es ist davon auszugehen, dass sie bei einem [X.] Hinweis des Gerichts

wie nunmehr im Verfahren der Rechtsbe-schwerde

einen Antrag auf Rechtswidrigkeitsfeststellung gestellt hätte (Se-natsbeschluss vom 2.
September 2015

XII
[X.]
138/15

FamRZ 2015, 1959 Rn.
16 mwN).
c) Das nach §
62 Abs.
1 FamFG erforderliche berechtigte Interesse der Betroffenen daran, die Rechtswidrigkeit der

hier durch Zeitablauf erledigten

Genehmigung der Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme feststellen zu lassen, liegt vor. Die gerichtliche Genehmigung der Einwilligung in eine Zwangsbehandlung bedeutet stets einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff im Sinne des §
62 Abs.
2 Nr.
1
FamFG ([X.]sbeschluss vom 18.
Oktober 2017

XII
[X.]
195/17

FamRZ 2018, 121 Rn.
31 mwN).
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5. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Be-deutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§
74 Abs.
7 FamFG).

Dose

Schilling

Nedden-Boeger

Botur

Guhling
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 23.05.2017 -
707a XVII
1819 -

LG [X.], Entscheidung vom 07.09.2017 -
309 [X.]/17 -

21

Meta

XII ZB 489/17

20.06.2018

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.06.2018, Az. XII ZB 489/17 (REWIS RS 2018, 7465)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 7465

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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XII ZB 489/17

309 T 92/17

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