Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.02.2024, Az. 4 StR 487/22

4. Strafsenat | REWIS RS 2024, 1226

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten [X.]wird das Urteil des [X.] vom 23. Juni 2022, soweit es ihn betrifft,

a) dahin ergänzt, dass hinsichtlich der verhängten Gesamtstrafe als Kompensation für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung ein Monat als vollstreckt gilt;

b) aufgehoben, soweit eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes und wegen Raubes, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung einer Geldstrafe aus einem früheren Urteil zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2

Der Schuldspruch weist keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf. Auch die Verurteilung des Angeklagten im Fall II.2 der Urteilsgründe wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gemäß § 249 Abs. 1, § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB kann im Ergebnis bestehen bleiben.

3

1. Nach den hierzu getroffenen Feststellungen beschlossen der Angeklagte und der nicht revidierende Mitangeklagte [X.], dem Geschädigten [X.]Drogen, Geld und Wertsachen – notfalls unter Anwendung von Gewalt oder Drohungen – aus dessen Wohnung zu entwenden. Nachdem sie von dem Geschädigten, dem sie zuvor vorgespiegelt hatten, Drogen kaufen zu wollen, in die Wohnung eingelassen worden waren, benachrichtigte der Angeklagte den Zeugen [X.], der – wie der Angeklagte wusste – auf den Geschädigten eifersüchtig war und ihm deshalb gedroht hatte. Nachdem der Zeuge [X.]      vor Ort erschienen war, verließ der Angeklagte die Wohnung des Geschädigten, öffnete die Haustür und ließ den Zeugen in den Hausflur ein.

4

Der Angeklagte hoffte dabei darauf, dass der Zeuge [X.]den Geschädigten „außer Gefecht setzen würde“ und er in der Folge ungestört dessen Wohnung nach Drogen, Geld und Wertgegenständen durchsuchen könnte. Eine solche Absicht des Angeklagten hielt der Zeuge jedenfalls für möglich. Nachdem der Geschädigte seine Wohnungstür geöffnet hatte, um den Angeklagten wieder einzulassen, versetzte ihm der Zeuge [X.]unvermittelt einen Kopfstoß und schlug ein- oder zweimal mit der Faust auf ihn ein. Der Angeklagte durchsuchte unterdessen das Schlafzimmer des Geschädigten und entwendete jedenfalls 50 Euro Bargeld. Der Zeuge nahm dies wahr; ihm war bewusst, dass seine Gewalthandlungen gegen den Geschädigten der Ermöglichung einer Wegnahme dienten und billigte dies.

5

Das [X.] hat das Geschehen in Bezug auf den Angeklagten als Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gemäß § 249 Abs. 1, § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB gewertet. Die Gewalthandlungen des Zeugen [X.]seien ihm gemäß § 25 Abs. 2 StGB zuzurechnen, weil der Zeuge als sukzessiver Mittäter gehandelt habe.

6

2. Die Annahme des [X.]s, der Angeklagte habe sich eines Raubes gemäß § 249 Abs. 1 StGB schuldig gemacht, wird von den Feststellungen getragen. Zwar liegt keine (sukzessive) Mittäterschaft des Zeugen [X.]vor, denn ein (mit-)täterschaftlicher Raub setzt stets eigene Selbst- oder Drittzueignungsabsicht voraus. Ein bedingter Vorsatz – wie hier festgestellt – genügt insoweit nicht (vgl. [X.], Beschluss vom 26. April 2019 – 1 StR 37/19 Rn. 6 mwN). Die Gewalthandlungen des Zeugen [X.] sind dem Angeklagten aber gleichwohl zuzurechnen, denn er hat den Zeugen zielgerichtet zur Wohnung des Geschädigten bestellt und ihm dort Zutritt verschafft, damit er Gewalt gegen den Geschädigten ausüben kann. Der Angeklagte war während der Gewaltausübung durchgängig in unmittelbarer Nähe zur Tatausführung anwesend und wollte diese als eigene Handlung, da sie ihm ‒ wie vom Zeugen erkannt und gebilligt – die Wegnahme von Wertgegenständen ermöglichen sollte. Mit der Zurechnung der Gewaltausübung des Zeugen [X.]und der eigenhändigen Wegnahme des Bargeldes in [X.] erfüllte der Angeklagte damit ‒ tateinheitlich neben dem Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung (§ 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) – im Ergebnis auch den Tatbestand des Raubes (vgl. [X.], Beschluss vom 24. September 1990 – 4 StR 384/90, [X.] 1991, 349 [zu einem Fall des § 252 StGB]).

II.

7

Der Strafausspruch weist keinen Rechtsfehler auf. Allerdings war zur Kompensation einer während des Revisionsverfahrens vor dem [X.] eingetretenen Verfahrensverzögerung von einem halben Jahr anzuordnen, dass ein Monat der gegen den nicht inhaftierten Angeklagten verhängten Gesamtfreiheitsstrafe als vollstreckt gilt.

III.

8

Das Urteil ist aufzuheben, soweit die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) unterblieben ist. Das [X.] hat sich nicht mit dieser Frage auseinandergesetzt, obwohl hierzu Anlass bestand.

9

1. Nach den Feststellungen rauchte der Angeklagte im Alter von zwölf Jahren zum [X.] und trank im Alter von dreizehn Jahren am Wochenende öfter Alkohol. [X.] konsumierte er annähernd jeden Abend, teilweise auch morgens Marihuana oder Alkohol sowie „Speed“. In diesem Jahr verschaffte sich der Angeklagte nach dem [X.] von Betäubungsmitteln und Alkohol Zugang zum Haus eines anderen Geschädigten, um unter Anwendung von Gewalt Betäubungsmittel und Geld für den Erwerb weiterer Drogen zu erbeuten. Die dafür verhängte Strafe verbüßte der Angeklagte bis März 2019. Nachdem er zunächst [X.] gelebt hatte, konsumierte der Angeklagte ab Juli 2020 in steigendem Maße Alkohol und Marihuana. Da seine Leistungen als Produktionshelfer darunter litten, wurde sein Arbeitsverhältnis durch einen Aufhebungsvertrag vom Oktober 2020 beendet und wegen fehlender Zahlungen der Mietvertrag für seine Wohnung gekündigt. Die beiden verfahrensgegenständlichen Taten beging der Angeklagte, um seinen eigenen Drogenkonsum sicherzustellen bzw. zu ermöglichen.

2. Danach hätte sich das [X.] zu einer näheren Erörterung der Frage gedrängt sehen müssen, ob die Voraussetzungen des § 64 StGB vorliegen. Das gilt auch mit Blick auf die am 1. Oktober 2023 in [X.] getretene und nach § 2 Abs. 6 StGB, § 354a StPO für Altfälle maßgebliche Neufassung des § 64 StGB ([X.], [X.]). Zwar stellt der neu gefasste § 64 StGB nunmehr strengere Anforderungen an die Annahme sowohl eines Hangs, als auch eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen diesem und einer [X.] sowie an die Erfolgsprognose (vgl. [X.], Urteil vom 12. Oktober 2023 – 4 StR 136/23 Rn. 14). Die bisher getroffenen Feststellungen lassen es aber nicht ausgeschlossen erscheinen, dass diese Voraussetzungen vorliegend gegeben sind.

Das für die Annahme eines Hangs gemäß § 64 Satz 1 StGB erforderliche Merkmal einer „Substanzkonsumstörung“ im Sinne einer substanzbezogenen Abhängigkeitserkrankung (vgl. [X.] bis [X.], Erweiterung 2: „[X.]“) oder eines Substanzmissbrauchs, dessen Schweregrad unmittelbar unterhalb einer Abhängigkeit einzuordnen ist (vgl. BT-Drucks. 20/5913 S. 44 f., 69), könnte in der Person des Angeklagten mit Blick auf seinen langjährigen polyvalenten [X.] gegeben sein. Auch erscheint es nach den bisher getroffenen Feststellungen nicht ausgeschlossen, dass es bei ihm deshalb zu schwerwiegenden und dauernden störungsbedingten Beeinträchtigungen der Lebensgestaltung, der Gesundheit, der Arbeitsfähigkeit oder der Leistungsfähigkeit gekommen ist (vgl. dazu [X.], Urteil vom 15. November 2023 6 StR 327/23, [X.], 50 mwN).

Dabei erscheint es nicht fernliegend, dass die Tatbegehung – wie vom Gesetzgeber nunmehr gefordert ‒ „überwiegend“ auf den möglicherweise gegebenen Hang zurückzuführen ist (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 2. November 2023 – 6 StR 316/23 Rn. 8; Beschluss vom 25. Oktober 2023 – 5 [X.] Rn. 3; BT-Drucks. 20/5913 S. 69). Hiervon wäre auszugehen, wenn der festzustellende Hang für die [X.] mehr als andere Umstände ausschlaggebend war (vgl. [X.], Beschluss vom 4. Dezember 2023 – 5 StR 412/23, Rn. 3; Beschluss vom 20. November 2023 – 5 [X.], Rn. 3).

Da auch die weiteren Voraussetzungen des § 64 StGB gegeben sein können, bedarf die Sache insoweit unter Heranziehung eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 Satz 2 StPO) neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, steht dem nicht entgegen (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; vgl. [X.], Beschluss vom 16. Juni 2021 – 3 [X.] Rn. 5). Der Beschwerdeführer hat die [X.] der Maßregel auch nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen. Der [X.] kann ausschließen, dass die Strafen, deren Bemessung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufweist, bei Anordnung einer Maßregel milder hätten ausfallen können.

[X.]     

      

[X.]     

      

Ri[X.] [X.] ist aus
dem Richterdienst
ausgeschieden und daher
an einer Unterschriftsleistung
gehindert.

                                   

[X.]

      

Scheuß     

      

Momsen-Pflanz     

      

Meta

4 StR 487/22

14.02.2024

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bochum, 23. Juni 2022, Az: II-8 KLs 21/21

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.02.2024, Az. 4 StR 487/22 (REWIS RS 2024, 1226)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 1226

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 StR 170/20 (Bundesgerichtshof)

Schwerer Raub: Finaler Zusammenhang zwischen Nötigungsmittel und Wegnahme im Fall unmittelbar vorangegangener zahlreicher Gewalteinwirkungen; körperliche …


3 StR 411/23 (Bundesgerichtshof)


1 StR 214/23 (Bundesgerichtshof)

Anforderungen an die Feststellungen zur Annahme einer "überwiegenden" Ursächlichkeit eines Hangs zum übermäßigen Rauschmittelkonsum und …


2 StR 202/15 (Bundesgerichtshof)

Raub: Finale Verknüpfung zwischen zwischen Gewaltanwendung und Wegnahmehandlung


3 StR 429/23 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

5 StR 407/23

5 StR 412/23

5 StR 246/23

6 StR 316/23

6 StR 327/23

4 StR 136/23

1 StR 37/19

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.