Bundesgerichtshof, Urteil vom 04.12.2023, Az. VIa ZR 1067/22

6a. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 9120

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Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 5. Zivilsenats des [X.] vom 5. Juli 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufungsanträge zu 1, zu 3 und zu 4 zurückgewiesen worden sind.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Die Klägerin erwarb am 13. Februar 2015 für 30.000 € ein von der Beklagten hergestelltes, neues Kraftfahrzeug [X.] 318d, das mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der [X.] (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. Die [X.] erfolgt u.a. unter Verwendung eines Thermofensters.

3

Die Klägerin hat gestützt u.a. auf die Verwendung des Thermofensters die Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen und von [X.] jeweils Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten beantragt. Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt sie ihre Berufungsanträge mit Ausnahme des auf die Zahlung von [X.] gerichteten Antrags zu 2 weiter.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision der Klägerin hat Erfolg.

I.

5

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

6

Die Klägerin habe keinen Anspruch aus §§ 826, 31 BGB. Denn bei einer im gewöhnlichen Fahrbetrieb wie auch im Betrieb auf dem Prüfstand arbeitenden Einrichtung, wie etwa dem [X.], bedürfe es zur Begründung der Sittenwidrigkeit besonderer Umstände. Solche habe die darlegungspflichtige Klägerin nicht hinreichend vorgetragen. Für das Vorhandensein eines "hard cycle beating" fehle es an greifbaren Anhaltspunkten. Soweit die Klägerin ein Kaltstartaufheizen behaupte, stehe dem Vorhandensein dieser dem schnelleren Erwärmen eines NO  x  -Speicher-Katalysators dienenden Funktion entgegen, dass das Fahrzeug der Klägerin nicht über einen solchen Katalysator verfüge. Die behauptete Manipulation des [X.] habe schließlich keinen Einfluss auf die Emissionskontrolle.

7

Der Klägerin stehe auch kein Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV zu, weil in den genannten Bestimmungen keine Schutzgesetze lägen. Sie schützten nicht das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden.

II.

8

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

9

1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgeschlossen hat. Wie der [X.] nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des [X.] gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der [X.] zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur [X.] bestimmt in [X.]Z).

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen [X.]s zustehen kann (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso [X.], Urteile vom 20. Juli 2023  III ZR 267/20, [X.], 1839 Rn. 21 ff.; ­ [X.], juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023  [X.], juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

Das Berufungsurteil ist daher im tenorierten Umfang aufzuheben, § 562 ZPO, weil es sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO.

Insbesondere kann der [X.] entgegen den Einwänden der Revisionserwiderung auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen und nach Maßgabe des [X.] vom 26. Juni 2023 ([X.], Urteil vom 26. Juni 2023  [X.], NJW 2023, 2259 Rn. 59 ff.) ein Verschulden der Beklagten nicht ausschließen. Zwar müssen der objektive und der subjektive Tatbestand einer Pflichtverletzung zeitlich zusammenfallen (vgl. [X.], Urteil vom 5. Februar 2007 ­ II ZR 234/05, [X.]Z 171, 46 Rn. 8) und kommt es für die Frage, ob der Beklagten ein [X.] gemacht werden kann, insoweit nur zusätzlich noch auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses an ([X.], Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 61; Urteil vom 16. Oktober 2023  [X.] 1511/22, juris Rn. 12 f.). Dass zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs, wie die Revisionserwiderung geltend macht, keine Zweifel an der Zulässigkeit von [X.]n bestanden hätten, sondern erst durch die spätere Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] begründet worden seien, ließe  selbst wenn der Einwand der Revisionserwiderung zuträfe  das Verschulden indessen nicht entfallen. Dass sich ein Hersteller nicht ohne weiteres und gestützt auf eine zu einem bestimmten Zeitpunkt mehr oder weniger verbreitete Auffassung von der Zulässigkeit bestimmter Abschalteinrichtungen entlasten kann, hat der [X.] entschieden und näher dargelegt ([X.], Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 69; zu den Anforderungen an die Darlegung eines unvermeidbaren Verbotsirrtums außerdem [X.], Urteil vom 25. September 2023  [X.] 1/23, [X.] 2023, 2064 Rn. 13 ff.). Dass ein [X.] durch von der Klägerin gezogene Vorteile vollständig aufgezehrt sei, ergeben die Feststellungen des Berufungsgerichts nicht.

Die Sache ist daher im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit haben, einen [X.] darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des [X.]s vom 26. Juni 2023 ([X.], NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV zu treffen haben.

[X.]     

  

Möhring     

  

Götz

  

Rensen     

  

Vogt-Beheim     

  

Meta

VIa ZR 1067/22

04.12.2023

Bundesgerichtshof 6a. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Bamberg, 5. Juli 2022, Az: 5 U 111/21

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 04.12.2023, Az. VIa ZR 1067/22 (REWIS RS 2023, 9120)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 9120

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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II ZR 234/05

VII ZR 412/21

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