Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.01.2024, Az. IV ZR 404/22

4. Zivilsenat | REWIS RS 2024, 2007

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Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Revisionen der Kläger gegen das Urteil des Kammergerichts - 19. Zivilsenat - vom 24. November 2022 gemäß § 552a Satz 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Parteien erhalten Gelegenheit, hierzu binnen

eines Monats

Stellung zu nehmen.

Gründe

1

    [X.] Die [X.]en streiten über die Wirksamkeit der Übertragung von Kommanditanteilen und in diesem Zusammenhang um die Rechtsnachfolge nach dem Erblasser. Dieser hatte ein zuletzt als Kommanditgesellschaft geführtes Unternehmen (im Folgenden: [X.]) gegründet, an dem seine Ehefrau zunächst als Komplementärin und seit 1973 als Kommanditistin beteiligt war. Aus der Ehe waren drei Söhne - der 1953 geborene Älteste, der 1956 geborene Beklagte zu 2 und der 1965 geborene Vater der Kläger - hervorgegangen.

2

    [X.] und seine Ehefrau unterzeichneten am 29. Januar 1972 die folgende handschriftliche Verfügung:

"Hiermit erklären wir unseren letzten Willen wie folgt:

Sollte uns beiden auf der jetzt bevorstehenden Reise, oder der [X.] danach bis zum 30. Mai 1972, gemeinsam, oder in der Weise etwas zustoßen, daß einer von uns nach dem anderen stirbt, setzen wir zu gemeinschaftlichen [X.] unseres Nachlasses ein: […]"

3

    Am 20. Juli 1972 wurde darunter der folgende handschriftliche Zusatz vom Erblasser und seiner Ehefrau unterzeichnet:

"Die vorstehende Regelung gilt auch weiterhin bis zur Abfassung eines neuen [X.]."

4

    Unter dem 28. März 1972 verfasste der Erblasser ein handschriftliches Testament folgenden Inhalts:

"Meine Söhne […] erben nur wenn sie einen ordentlichen abgeschlossenen Beruf erlernt haben. Sich durch Fleiß und Arbeit auszeichnen. Meine Frau […] wird bis zu diesem [X.]punkt das Vermögen der Kinder verwalten u den Nutznies haben."

5

    Unter dem 21. Oktober 1972 unterzeichnete der Erblasser die folgende handschriftliche Verfügung:

"Testament […]

Für den Fall, daß uns Eheleuten […] etwas zustößt ordne ich folgendes an.

1) Bei gleichzeitigem Tode von uns werden wir von unseren 3 Kindern zu je 1/3 beerbt.

Hinsichtlich der [X.] und [X.] der 3 Kinder wird [X.]vollstreckung angeordnet.

[…]

Die [X.]vollstrecker haben die Firma […] soweit unsere 3 Kinder Mitinhaber derselben sind oder werden für diese zu führen, d.h. die Geschäfte für diese zu führen und sie in dieser Hinsicht zu vertreten.

[…]

Wenn wir beide durch Tod fortgefallen sind ist die Firma […] allein von den [X.] für die 3 Kinder zu führen.

Es ist anzustreben, daß unser ältester [X.] sein Abiturium macht und dann eine Lehre und Ausbildung als Lebensmittelkaufmann durchläuft.

Auch die beiden anderen Kinder sollen bei Neigung und Fähigkeiten eine Ausbildung als Lebensmittelkaufmann durchlaufen. Die drei Kinder haben Anspruch darauf, im Geschäft der Firma […] nach abgeschlossener Ausbildung in einem fremden Betrieb nach ihrer Ausbildung und Fähigkeit eine entsprechende Stellung zu bekleiden. Nur bei wichtigem Grund können die [X.]vollstrecker dies verweigern.

Nach mindestens einjähriger Angestelltentätigkeit im väterlichen Betrieb/nach vorheriger abgeschlossener Lehre als Lebensmittelkaufmann in einem fremden Betrieb, und nach vollendetem 25. Lebensjahr hat das betreffende Kind das Recht eine Stellung als Komplementär bzw. Mitkomplementär in der Firma zu beanspruchen und damit endet für daß betreffende Kind die [X.]vollstreckung. Die Kinder, soweit sie nicht eine Ausbildung als Lebensmittelkaufmann durchgemacht haben, oder in die väterliche Firma nicht eintreten können oder wollen, können nach vollendetem 25. Lebensjahr über ihr Kommanditanteil an der Firma frei verfügen und damit endet für die Kinder die [X.]vollstreckung.

[…]

Die Großeltern […] sollen in oder können in unser Haus […] ziehen und für die Kinder soweit es in ihren Kräften steht sorgen.

[…]"

6

    [X.] starb am 4. Dezember 1972. Auf Antrag seiner Witwe erteilte das Nachlassgericht einen Erbschein vom 27. Januar 1973, wonach diese zu ¼ [X.] und zu ¾ Vorerbin war, die drei Söhne Nacherben waren und die Nacherbfolge mit dem Tod der Vorerbin oder in Bezug auf jeden der Nacherben, sobald er einen Beruf erlernt hat, eintreten sollte.

7

    [X.] starb 2003, ohne eine Berufsausbildung abgeschlossen zu haben. [X.], die zwischenzeitlich den Vater des Beklagten zu 1 geheiratet hatte, übertrug mit notariellem Vertrag vom 26. August 2005 - dort als "Erschienene zu 1" bezeichnet - einen Kommanditanteil an der [X.] in Höhe von 150.000 [X.] an den Beklagten zu 2 gegen Bestellung eines lebenslangen Nießbrauchrechts an diesem Anteil. In dem Vertrag hieß es insoweit:

"Der Kommanditanteil der Erschienenen zu 1) unterliegt i.H.v. [X.] 75.000,00 der Nacherbschaft, insoweit ist die Erschienene zu 1) Vorerbin und [der Vater der Kläger] bzw. seine Nachkömmlinge Nacherben. Ein Kommanditanteil in Höhe von [X.] 75.000,00 unterliegt keiner Nacherbenbeschränkung und steht im uneingeschränkten Eigentum der Erschienenen zu 1).

Die Erschienene zu 1) überträgt dem [Beklagten zu 2] den ihr gehörenden Kommanditanteil von [X.] 150.000,00 gegen Bestellung eines lebenslänglichen Nießbrauchrechts zu ihren Gunsten und zu Gunsten ihres Ehemannes […] als Gesamtberechtigten, an diesen übertragenen Kommanditanteil. Die Erschienene zu 1) tritt den Kommanditanteil an den [Beklagten zu 2] ab, der die Abtretung annimmt.

[…]"

8

    [X.] und der Beklagte zu 2 beantragten 2007 erfolglos die Erteilung eines Erbscheins, der die Witwe nach dem Tod ihres jüngsten [X.]es als [X.] des Erblassers zur Hälfte ausgewiesen hätte. Unter dem 27. November 2009 schlossen sie einen weiteren notariellen Vertrag, in dem sie vereinbarten, dass unter bestimmten Voraussetzungen der Beklagte zu 2 als Gegenleistung für die Übertragung des [X.] anstelle des Nießbrauchs eine lebenslange monatliche Zahlung an die Witwe des Erblassers, nach ihrem Tod lebenslang an ihren Ehemann, erbringen sollte.

9

    [X.] starb 2011 und wurde von ihrem Ehemann, dem früheren Beklagten zu 1, als Vorerben beerbt, der Nacherbfall zugunsten der Beklagten sollte bei dessen Tod eintreten. Er starb 2016 während dieses Rechtsstreits und wurde von den Beklagten beerbt. Das Nachlassgericht erteilte außerdem am 13. November 2021 einen Erbschein, der die Beklagten als Erben der Witwe des Erblassers auswies. Die Kläger sind in einem Erbschein vom 5. Mai 2014 als Erben des Erblassers zu je 1/16 bezeichnet.

    Soweit für die Revision noch von Interesse, haben die Kläger mit ihren Klagen die Feststellung begehrt, dass die Verträge vom 27. November 2009 und vom 26. August 2005, soweit diese die Übertragung von Geschäftsanteilen in Höhe von 75.000 [X.] an der [X.] betreffen, die der Witwe des Erblassers als Vorerbin zustanden, unwirksam sind. Der Beklagte zu 2 hat widerklagend die Feststellung verlangt, dass die vier Abkömmlinge des [X.] der Kläger nicht Nacherben des Erblassers geworden sind. Das [X.] hat die Klagen und die Widerklage abgewiesen. Das [X.] hat die dagegen gerichteten Berufungen der Kläger - mit einem angekündigten Hilfsantrag der Klägerinnen zu 3 und 4 auf Feststellung der Unwirksamkeit der Geschäftsanteilübertragungen durch die genannten Verträge - zurückgewiesen und auf die Berufung des Beklagten zu 2 festgestellt, dass die vier Abkömmlinge des [X.] der Kläger nicht Nacherben des Erblassers geworden sind.

    Mit den Revisionen verfolgen die Kläger ihr Klagebegehren sowie die Abweisung der Widerklage weiter.

    I[X.] Nach Ansicht des Berufungsgerichts fehle es an einem rechtlichen Interesse der Kläger an der Feststellung, dass die Geschäftsanteilsübertragungen unwirksam seien, weil sie nicht Erben nach dem Erblasser geworden seien. Der Nacherbfall habe unter der aufschiebenden Bedingung einer abgeschlossenen Berufsausbildung gestanden. Vorliegend sei nicht zweifelsfrei feststellbar, dass ein unterstellter Wille des Erblassers, die [X.] auch unter die Bedingung des Vorerbentods zu stellen, in der letztwilligen Verfügung vom 28. März 1972 wenigstens angedeutet sei. Die Reisetestamente vom 29. Januar 1972 mit Ergänzung vom 20. Juli 1972 und vom 21. Oktober 1972 seien für die geforderte Andeutung des Erblasserwillens nicht heranzuziehen, sondern sie seien für verschiedene Fälle vorgesehen. Sie hätten greifen sollen, wenn beide Eheleute zeitgleich versterben. Das Anwartschaftsrecht auf die Nacherbschaft sei mit dem Tod des [X.] der Kläger untergegangen, da dieser die allein seine Person betreffende Bedingung nicht erfüllt gehabt habe. Hänge die Nacherbschaft von einer aufschiebenden Bedingung ab, so sei die Anwartschaft gemäß § 2108 Abs. 2 Satz 2, § 2074 BGB in der Regel nicht vererblich, wenn der Bedachte vor [X.] sterbe. Der Umstand, dass die Beklagten bzw. deren Rechtsvorgänger die letztwillige Verfügung über Jahrzehnte hinweg übereinstimmend dahingehend ausgelegt hätten, dass der Nacherbfall auch mit dem Tod der Vorerbin eintreten solle, führe nicht zu einer Verwirkung ihrer Rechte. Die Widerklage sei begründet, da die Kläger nicht Nacherben des Erblassers geworden seien.

    II[X.] Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision im Sinne von § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO liegen nicht vor und die Rechtsmittel haben auch keine Aussicht auf Erfolg (§ 552a Satz 1 ZPO).

    1. Die Zulassung der Revision ist weder wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) noch zur Fortbildung des Rechts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 ZPO) oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) erforderlich. Insbesondere der vom Berufungsgericht genannte Zulassungsgrund des [X.] ist nicht gegeben. [X.] hat die Revision mit der Begründung zugelassen, dass es im Hinblick auf die Vorschrift des § 2108 Abs. 2 Satz 2 BGB für die rechtliche Beurteilung typischer oder verallgemeinerungsfähiger Lebenssachverhalte an einer richtungsweisenden Orientierungshilfe fehle. Eine klärungsbedürftige Rechtsfrage ergibt sich daraus nicht. Eine solche Frage kann sich hier auch nicht stellen, da diese Vorschrift - wie im Folgenden aufgezeigt wird - im Streitfall nicht entscheidungserheblich ist.

    2. Die Revisionen haben auch keine Aussicht auf Erfolg. [X.] hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise angenommen, dass die Kläger nicht Nacherben nach dem Erblasser geworden sind, was daher auf die Widerklage hin festzustellen gewesen ist und ihren Klagen das Feststellungsinteresse genommen hat. Die Übertragung von Geschäftsanteilen an der [X.] betraf daher kein Recht der Kläger.

    a) [X.] hat rechtsfehlerfrei entschieden, dass sich die Voraussetzungen des [X.] nach dem Testament vom 28. März 1972 richten und dieser nur bei Abschluss einer Berufsausbildung durch den Nacherben eintreten sollte. Es hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass der Erblasser einen - unterstellten - Willen, den Nacherbfall auch mit dem Tod der Vorerbin eintreten zu lassen, nicht [X.] erklärt hat.

    [X.]) Bei der [X.]auslegung ist vor allem der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks festzuhalten. Dieser Aufgabe kann der [X.] nur dann voll gerecht werden, wenn er sich nicht auf eine Analyse des Wortlauts beschränkt. Der Wortsinn der benutzten Ausdrücke muss gewissermaßen "hinterfragt" werden, wenn dem wirklichen Willen des Erblassers Rechnung getragen werden soll. Dafür muss der [X.] auch alle ihm aus dem Inbegriff der mündlichen Verhandlung zugänglichen Umstände außerhalb der [X.] heranziehen (Senatsbeschluss vom 14. September 2022 - [X.] 34/21, NJW 2022, 3436 Rn. 20 m.w.[X.]). Die Auslegung obliegt in erster Linie dem Tatrichter. Seine Auslegung kann nur angegriffen werden, soweit sie gegen gesetzliche Auslegungsregeln, allgemeine Denk- und Erfahrungsgrundsätze oder Verfahrensvorschriften verstößt (Senatsbeschluss vom 14. September 2022 [X.]O m.w.[X.]). Unter anderem ist eine [X.]auslegung dann rechtsfehlerhaft, wenn in Betracht kommende andere Auslegungsmöglichkeiten nicht in Erwägung gezogen worden sind (Senatsbeschluss vom 14. September 2022 [X.]O m.w.[X.]). Wenn der Wortlaut eines [X.] mehrere Deutungen zulässt, aber der (mögliche) Wille des Erblassers in dem Testament auch nicht andeutungsweise oder versteckt zum Ausdruck gekommen ist, ist der unterstellte, aber nicht formgerecht erklärte Wille des Erblassers unbeachtlich (Senatsbeschluss vom 14. September 2022 [X.]O m.w.[X.]).

    [X.]) Nach diesem Maßstab sind dem Berufungsgericht keine Rechtsfehler unterlaufen. Ohne Erfolg machen die Revisionen geltend, die letztwilligen Verfügungen des Erblassers müssten dahingehend ausgelegt werden, dass der Nacherbfall auch mit dem Tod der Vorerbin eintritt.

    (1) [X.] hat sich am eindeutigen Wortlaut des [X.] vom 28. März 1972 orientiert und daraus entnommen, dass die Söhne nur dann erben sollen, wenn sie einen Beruf erlernt haben. Eine alternative Bedingung für den Eintritt des [X.], insbesondere den Tod der Vorerbin, konnte es der Urkunde nicht entnehmen. Mit der Bedeutung der weiteren Anordnung, dass "bis zu diesem [X.]punkt" - des Erlernens eines Berufs - die Ehefrau des Erblassers "das Vermögen der Kinder verwalten" sollte, hat sich das Berufungsgericht auseinandergesetzt und festgestellt, dass damit die Vorerbenstellung der Ehefrau beschrieben, aber nicht zugleich angeordnet ist, dass die Söhne den Nachlass auf jeden Fall erhalten sollten. Soweit die Revisionen geltend machen, die Formulierung, dass die Ehefrau "das Vermögen der Kinder verwalten" solle, gebe dem Willen des Erblassers Ausdruck, dass die Söhne in jedem Fall und ohne von ihnen zu erfüllende Bedingung erben sollten, ist dies nur der Versuch, dieser Würdigung des Wortlauts ihre eigene, vermeintlich bessere Würdigung entgegenzusetzen. Die Bezeichnung eines Nachlasses als Vermögen der Nacherben muss nicht als Aussage zu den Voraussetzungen des [X.] verstanden werden. Entgegen der Ansicht der Revision der Klägerinnen zu 3 und 4 verstößt es auch nicht gegen Denkgesetze, wenn das Berufungsgericht in seinen Urteilsgründen anstelle des Begriffs "verwalten" aus dem Testament auch einmal die Formulierung wählt, dass die Witwe des Erblassers das Vermögen "erhalten und verwalten" sollte, und dies erkennbar als Synonym ansieht.

    (2) Auch die Annahme des Berufungsgerichts, dass sich an dem Auslegungsergebnis durch die weiteren letztwilligen Verfügungen des Erblassers nichts ändert, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

    Die Anforderung, bei der Auslegung den gesamten Text der Verfügung (vgl. Senatsurteil vom 10. Juli 2013 - IV ZR 224/12, [X.], 32 Rn. 11 m.w.[X.]) - und daher auch aller Verfügungen - zu berücksichtigen, hat das Berufungsgericht entgegen der Ansicht der Revisionen erfüllt. Dabei ist es in nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass das Testament vom 28. März 1972 durch die späteren Verfügungen nicht aufgehoben worden ist. Es hat keine Anhaltspunkte dafür festgestellt, dass die späteren Verfügungen im Sinne von § 2258 Abs. 1 BGB im Widerspruch dazu stehen, d.h. die getroffenen Anordnungen miteinander sachlich unvereinbar sind oder die kumulative Geltung den in einem späteren Testament zum Ausdruck kommenden Absichten des Erblassers zuwiderläuft (vgl. Senatsurteil vom 10. Dezember 1986 - [X.], NJW 1987, 901 [juris Rn. 27] m.w.[X.]). Danach enthalten diese keine Anordnung, durch die die Bedingungen des [X.] aus dem früheren Testament für den Regelfall des nicht gleichzeitig eintretenden Todes beider Eheleute aufgehoben oder abgeändert worden wären.

    [X.] hat vielmehr anhand sämtlicher Testamente festgestellt, dass diese nebeneinander gelten, aber unterschiedliche Anwendungsbereiche haben. Es entnimmt dem Testament vom 21. Oktober 1972 eine Verfügung für den Sonderfall des "gleichzeitigen Todes", wenn den Eheleuten "etwas zustößt". Es versteht diesen Wortlaut rechtsfehlerfrei in der Weise, damit sei nur der Fall gemeint, dass die Eheleute gleichzeitig sterben. Soweit die Revisionen den "gleichzeitigen Tod" auch auf den Fall erstrecken wollen, dass der Erblasser und seine Ehefrau in zeitlichem Abstand versterben, weil sie auch dann am Ende "gleichzeitig tot" seien, setzen sie nur ihre eigene Auslegung an die Stelle derjenigen des Berufungsgerichts, ohne revisionsrechtlich relevante Fehler aufzuzeigen. Auch die im weiteren Text dieses [X.] verwendete Formulierung "wenn wir beide durch Tod fortgefallen sind" musste das Berufungsgericht nicht von seiner Feststellung a[X.]ringen, dass sich die Verfügung allein auf den der Verfügung vorangestellten "gleichzeitigen Tod" bezieht. [X.] stellt in den Testamenten vom 28. März 1972 und vom 21. Oktober 1972 daher Anordnungen für verschiedene Situationen fest, die nebeneinander Bestand haben sollen, da sich ihr Anwendungsbereich nicht überschneidet. Die Regelung für den Fall des gleichzeitigen Todes beider Eheleute, die die Voraussetzungen des [X.] nicht erwähnt, gilt nicht für den Erbfall unter den regelmäßigen Umständen des Nacheinanderversterbens. Das Fehlen der Erklärung, dass der Nacherbfall vom Abschluss einer Berufungsausbildung abhängen solle, in dem späteren Testament enthält danach keine Andeutung eines entsprechenden Erblasserwillens für den in dem früheren Testament geregelten Fall.

    (3) Im Ergebnis zu Recht ist das Berufungsgericht auch davon ausgegangen, dass es bei seiner [X.]auslegung nicht an die Entscheidungen in den vorangegangenen Erbscheinsverfahren gebunden war. Dabei kommt es nicht darauf an, dass es sich hier entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht um einen Erbprätendentenstreit handelt, in dem einem Erbschein von vornherein keine Bindungswirkung zukäme (Senatsurteil vom 14. April 2010 - [X.], [X.], 1068 Rn. 12 m.w.[X.]). Zwar haben die Beklagten während dieses Rechtsstreits die Witwe des Erblassers beerbt, so dass ihnen auch der dem Vater der Kläger zugedachte Erbteil nach dem Erblasser zugefallen sein könnte, aber Gegenstand dieses Rechtsstreits ist nicht die Feststellung des berechtigten Erbens unter mehreren [X.]en, die konkurrierende Erbrechte geltend machen. Daher kam dem Erbschein vom 5. Mai 2014, der die Kläger als Miterben auswies, in diesem Zivilprozess mit einem [X.] gemäß § 2365 BGB eine Vermutungswirkung entsprechend § 292 ZPO zu (vgl. Senatsbeschluss vom 2. Dezember 2014 - [X.], [X.] 2015, 197 Rn. 8). Diese Vermutung ist aber widerlegbar und hier nach den Feststellungen des Berufungsgerichts auch widerlegt worden.

    [X.] vom 27. Januar 1973, der die Witwe des Erblassers als Vorerbin ausweist, hat dagegen für die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Nacherbfall eintritt, schon keine Vermutungswirkung. Der für einen Vorerben ausgestellte Erbschein weist nur diesen als Erben aus; die in einem solchen Erbschein enthaltenen Angaben, dass Nacherbfolge angeordnet ist, unter welchen Voraussetzungen sie eintritt und wer Nacherbe ist, sind nur hinsichtlich der Verfügungsbefugnis des Vorerben von Bedeutung (vgl. [X.], Beschluss vom 26. Mai 1982 - [X.], [X.]Z 84, 196, 199 f. [juris Rn. 9]). Vor Eintritt des [X.] ist eine angeordnete Nacherbschaft der Bezeugung in einem Erbschein nicht fähig. Die Angaben über die Nacherbfolge in dem dem Vorerben erteilten Erbschein sind nur für die Verfügungsbefugnis des Vorerben von Bedeutung und daher zur bindenden Feststellung des Nacherben nicht geeignet (vgl. [X.], Beschluss vom 17. September 2020 - [X.], NJW 2021, 858 Rn. 14 m.w.[X.]).

    Auf die Frage, ob die Entscheidung des [X.] als ein Indiz bei der [X.]auslegung berücksichtigt werden kann, wenn diese Entscheidung unmittelbar nach dem Erbfall und in nahem zeitlichem Zusammenhang mit der Errichtung des [X.] ergangen ist (vgl. BayObLG FamRZ 1997, 1365 [juris Rn. 49] für das Erbscheinseinziehungsverfahren), kommt es entgegen der Ansicht der Revisionen nicht an. Dem Erbschein vom 5. Mai 2014 fehlt es bereits an der zeitlichen Nähe zum Erbfall und zur [X.]errichtung. Aber auch dem - ohne Begründung ergangenen - Erbschein vom 27. Januar 1973 sind keine Anhaltspunkte für die hier entscheidende Frage zu entnehmen, welcher Erblasserwille im Wortlaut der letztwilligen Verfügungen formgerecht zum Ausdruck gekommen ist. Da das Berufungsgericht den von den Klägern behaupteten Erblasserwillen, den Nacherbfall auch beim Tod der Vorerbin eintreten zu lassen, als wahr unterstellt hat, kommt es entgegen der Ansicht der Revisionen für die Entscheidung nicht darauf an, ob das Nachlassgericht einen solchen Erblasserwillen festgestellt hat oder ob sich dieser aus den Erklärungen der Witwe des Erblassers im Erbscheinsverfahren ergeben könnte.

    b) Auf Grundlage dieser [X.]auslegung ist das Berufungsgericht im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die Kläger mit dem Tod ihres [X.] nicht an dessen Stelle Nacherben des Erblassers geworden sind. Daher muss nicht entschieden werden, ob eine stillschweigende Ersatznacherbeneinsetzung der Kläger als Abkömmlinge ihres [X.] gemäß § 2069 BGB anzunehmen gewesen sein könnte oder ob das Nacherbenanwartschaftsrecht ihres [X.] entgegen der Auslegungsregel des § 2108 Abs. 2 Satz 2 BGB in Verbindung mit § 2074 BGB vererblich gewesen wäre und auf dessen Erben hätte übergehen können. Die [X.] ist gemäß § 2109 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam geworden. Nach der nicht zu beanstandenden [X.]auslegung des Berufungsgerichts war die Nacherbfolge unter der Bedingung angeordnet, dass in der Person des Nacherben ein bestimmtes Ereignis, der Abschluss einer Berufsausbildung, eintritt. Die damit für den Vater der Kläger als Nacherben bestehende Ausnahme des § 2109 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB von der [X.] ab dem Erbfall, nach deren Ablauf eine [X.] nach § 2109 Abs. 1 Satz 1 BGB grundsätzlich unwirksam wird, gilt nicht für die Kläger als potentielle Nacherben, in deren Person das genannte Ereignis nunmehr eintreten müsste, um den Nacherbfall auszulösen. § 2109 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB setzt voraus, dass der Nacherbe, in dessen Person das Ereignis eintreten muss, zur [X.] des Erbfalls, hier am 4. Dezember 1972, lebte; das war bei den Klägern laut den Geburtsdaten im Erbschein vom 5. Mai 2014 nicht der Fall.

    c) Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass es den Beklagten auch nicht unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben verwehrt ist, sich auf die fehlende Erbenstellung der Kläger zu berufen. [X.] ist widersprüchliches Verhalten dann, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand entstanden ist oder besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen. Eine Rechtsausübung kann etwa dann unzulässig sein, wenn sich objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick darauf vorrangig schutzwürdig erscheinen (vgl. [X.], Urteil vom 14. Juli 2015 - VI ZR 326/14, NJW 2015, 2965 Rn. 26 m.w.[X.]). So liegt der Fall hier jedoch nicht.

    [X.]) Das Verhalten der Beklagten ist nicht deshalb rechtsmissbräuchlich, weil es im Widerspruch zum Verhalten der Witwe des Erblassers nach dem Erbfall stehen könnte. Deren Verhalten kann den Beklagten nicht deswegen entgegengehalten werden, weil sie diese während des Rechtsstreits beerbt haben. Dieser Umstand berührt nicht das streitgegenständliche Rechtsverhältnis. Dieses wurde durch die beiden Verträge zur Übertragung eines Geschäftsanteils an der [X.] begründet. Die daraus folgenden Rechtspositionen als [X.] dieser Verträge bzw. als Rechtsnachfolger des früheren Beklagten zu 1, der daraus Rechte herleiten konnte, sind auf sie nicht als Erben der Witwe des Erblassers übergegangen. Deren Verhalten ist ihnen daher auch nicht allein deshalb zuzurechnen, weil sie deren Erben geworden sind (vgl. [X.], Urteil vom 17. Mai 1990 - [X.], NJW-RR 1990, 1499 [juris Rn. 9]).

    [X.]) Auf Grund ihres eigenen Verhaltens ist es ebenfalls nicht rechtsmissbräuchlich, dass sich die Beklagten auf die fehlende Erbenstellung der Kläger berufen. Die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben aus § 242 BGB setzt das Bestehen einer besonderen rechtlichen Beziehung voraus (vgl. [X.], Urteil vom 5. Juni 1985 - I ZR 53/83, [X.]Z 95, 274, 279 [juris Rn. 34]).

    Dem Beklagten zu 1 und seinem Rechtsvorgänger fehlte es im Zusammenhang mit der Erbfolge nach dem Erblasser an jedweder rechtlichen Beziehung zu den Klägern oder ihrem Vater. Aber auch der Beklagte zu 2 stand in keiner Sonderbeziehung zu den im Testament neben ihm eingesetzten Nacherben. Mehrere Nacherben sind vor dem Nacherbfall keine Miterben, da sie diese Stellung erst mit Erhalt der Erbschaft erlangen; zwischen Nacherben besteht vor dem Nacherbfall keine Erbengemeinschaft (vgl. Senatsurteil vom 10. Februar 1993 - IV ZR 274/91, NJW 1993, 1582 [juris Rn. 17]). Soweit sich die Kläger dagegen nach dem Tod der Vorerbin als Miterben des Beklagten zu 2 sahen und einen entsprechenden Erbschein erwirkten, verhielt sich der Beklagte zu 2 nicht widersprüchlich. Vielmehr hatte er bereits 2007 mit der Witwe des Erblassers einen Erbschein, der diese als [X.] zu ½ nach dem Erblasser ausgewiesen hätte, beantragt und dies auf die Rechtsansicht gestützt, dass der Nacherbfall nur nach Abschluss einer Berufsausbildung eintreten solle. Es begründet kein schutzwürdiges Vertrauen der Kläger, dass er nach dem Misserfolg dieses Antrags zunächst von einer Miterbenstellung der Kläger ausgehen musste.

    d) Entgegen der Ansicht der Revision der Klägerinnen zu 3 und 4 ist die Widerklage auch nicht unzulässig, soweit sie sich auf die Feststellung richtet, dass "[X.]        " nicht Nacherbin des Erblassers geworden ist. Klageanträge unterliegen - wie auch sonstige Prozesserklärungen - der Auslegung. Die Auslegung des Klageantrags darf - wie allgemein im Prozessrecht - nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften, sondern hat den wirklichen Willen der [X.] zu erforschen (vgl. [X.], Beschluss vom 22. März 2023 - [X.], NJW-RR 2023, 718 Rn. 22). Danach ergibt sich aus dem [X.], dass die Feststellung bezüglich der "vier Abkömmlinge" des [X.] der Kläger begehrt wird. Da es sich bei den Klägern unstreitig um dessen (allein vorhandene) vier Abkömmlinge handelt, ist aus dieser Antragsformulierung erkennbar, dass mit den dort aufgeführten Namen die vier Kläger bezeichnet werden sollten und die Klägerin zu 3, deren Name fehlt, mit der erwähnten Falschbezeichnung gemeint ist. Auch insoweit besteht daher ein Feststellungsinteresse für die Widerklage.

Prof. Dr. Karczewski     

  

Dr. Brockmöller     

  

Dr. Bußmann

  

Dr. Götz     

  

Piontek     

  

Hinweis: Das Revisionsverfahren ist durch Rücknahme der Revision erledigt worden.

Meta

IV ZR 404/22

24.01.2024

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend KG Berlin, 24. November 2022, Az: 19 U 39/21

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.01.2024, Az. IV ZR 404/22 (REWIS RS 2024, 2007)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 2007

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V ZR 128/22

VI ZR 326/14

V ZB 8/20

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IV ZR 135/08

IV ZR 224/12

IV ZB 34/21

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