Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.05.2011, Az. IV ZR 191/09

IV. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 6310

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZR 191/09
vom

25. Mai 2011

in dem Rechtsstreit

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Der IV.
Zivilsenat des [X.] hat durch die
Vorsit-zende
Richterin
Dr. [X.], [X.], [X.], [X.] und die Richterin [X.]

am 25. Mai 2011

beschlossen:

Der Senat beabsichtigt, die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des [X.] vom 9. September 2009 gemäß § 552a ZPO zurückzuweisen.

Die Parteien erhalten Gelegenheit, hierzu binnen

eines Monats

Stellung zu nehmen.

Gründe:

[X.] Die Klägerin fordert als Bezugsberechtigte einer von ihrem [X.] im November 2003 für die Dauer von fünf Jahren abgeschlossenen Risikolebensversicherung die Todesfallleistung in Höhe von 100.000

Der Versicherungsnehmer starb am 21.
November 2007 an den Folgen eines metastasierenden Melanoms. Er hatte bei Antragstellung im Okto-ber 2003 die jeweils auf die letzten fünf Jahre vor Antragstellung zielen-1
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den Gesundheitsfragen Nr.
7 (nach Krankheiten, Störungen und Be-schwerden) und Nr.
8 (nach Untersuchungen, Beratungen, Behandlun-gen und Operationen) falsch beantwortet, indem er zwar einen -
auf lan-ge Sicht folgenlosen
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Fahrradsturz angegeben, sonstige Erkrankungen oder Behandlungen aber verneint und damit eine seit 1996 bestehende, dauerhaft mit Immunsuppressiva behandelte Erkrankung an Morbus [X.] verschwiegen hatte. Der Versicherungsnehmer hatte bei [X.] ferner nachfolgende "Schlusserklärung des Antragstellers und der zu versichernden Person" unterzeichnet:

[die Beklagte] zur Nachprüfung und [X.] der von [X.] über meine Gesundheitsverhältnisse ge-machten Angaben alle Ärzte, Krankenhäuser und sonstigen Krankenanstalten sowie Pflegeeinrichtungen, bei denen ich in Behandlung oder Pflege war oder sein werde, [...] über meine Gesundheitsverhältnisse bei Vertragsabschluss zu befragen. Dies gilt für die Zeit vor der Antragsannahme und die nächsten drei Jahre [...] nach der
Antragsannahme.
Die [Beklagte]
darf auch die Ärzte,
die die Todesursachen feststellen, die Ärzte die [X.] im letzten Jahr vor meinem Tode untersuchen oder be-handeln werden, sowie Behörden -
mit Ausnahme von Sozial-versicherungsträgern -
über die Todesursachen oder die Krankheiten, die zum Tode geführt haben, befragen. [...]"

Die Morbus-[X.]-Erkrankung hatte unstreitig nicht zum Tode ge-führt. Die Beklagte stieß erstmals darauf, nachdem
sie die zuletzt be-handelnde Ärztin mittels eines Vordrucks um ein "Ärztliches Zeugnis im Todesfall" ersucht und die Ärztin im Rahmen der darin verlangten "Aus-führlichen Anamnese" auch Erkenntnisse
über (im Vordruck ausdrücklich erfragte) frühere Krankheiten des Verstorbenen mitgeteilt hatte.

Mit Schreiben vom 19.
Februar 2008 erklärte die Beklagte die An-fechtung ihrer Vertragsannahme wegen arglistiger Täuschung und lehnte die beantragte Versicherungsleistung ab.
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Das Landgericht hat diese Anfechtung durchgreifen lassen und die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und
die Revision zugelassen, mit der die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt.

I[X.] Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision i.S.
von §
543 Abs.
2 Satz
1 ZPO liegen nicht vor.
Das Rechtsmittel hat auch [X.] auf Erfolg.

1. Soweit der Fall grundsätzliche Fragen zu den Rechtsfolgen [X.] ohne ausreichende Ermittlungsermächtigung und Schweigepflicht-entbindung gewonnenen Kenntnis des Personenversicherers über vom Versicherungsnehmer bei Vertragsschluss verschwiegene Vorerkrankun-gen berührt,
sind diese durch das Senatsurteil vom 28. Oktober 2009 ([X.]/08, [X.], 97) hinreichend geklärt.

a) [X.] geht es darum, ob der Versicherer infolge [X.] Datenerhebung ohne ausreichende Rechtsgrundlage nach §
242 BGB gehindert ist, sich auf die Ergebnisse seiner Ermittlungen zu beru-fen und insbesondere von dem Gestaltungsrecht der [X.] nach §
123 BGB Gebrauch zu machen (Senat [X.]O Rn.
19-21). Dafür spielt es keine Rolle, ob diese Ermittlungsergebnisse des Versicherers im Rechtsstreit noch streitig sind. Vielmehr ist -
auch im Falle unstreitig
verschwiegener Vorerkrankungen
-
allein zu klären, ob ihre Verwendung sich bei der Ausübung von Gestaltungsrechten wie Rücktritt oder Anfech-tung als unzulässige Rechtsausübung darstellt, wobei der Einwand aus §
242 BGB keine Einrede, sondern einen von Amts wegen zu beachten-4
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den Umstand darstellt (vgl. dazu [X.], Urteile vom 12.
Juli 1951 -
III ZR 168/50, [X.]Z 3, 94, 103, 104; 23. Mai 1962 -
V [X.], [X.]Z 37, 147, 152; [X.]/[X.], BGB 70.
Aufl. §
242 Rn.
15).

Dabei führt nicht jedes rechts-
oder pflichtwidrige Verhalten stets oder auch nur regelmäßig zur Unzulässigkeit der Ausübung der hier-durch erlangten Rechtsstellung. Insbesondere wenn sich ein zielgerichtet treuwidriges Verhalten
nicht feststellen
lässt, muss durch eine umfas-sende Abwägung der maßgeblichen Umstände des Einzelfalles entschie-den werden, ob und inwieweit einem Beteiligten die Ausübung einer Rechtsposition verwehrt sein soll. Dies muss umso mehr gelten, wenn beiden Seiten ein Rechtsverstoß zur Last fällt (vgl. Senat [X.]O m.w.N.).

b) Übertragen auf den hier gegebenen Fall bedeutet dies:

[X.]) Das Berufungsgericht hat die oben zitierte "Schlusserklärung" ohne Rechtsfehler
dahin ausgelegt, dass
ihr eine Befugnis des [X.], noch nach Ablauf des Monats Oktober 2006 Ärzte zu Erkrankungen des Versicherungsnehmers aus der [X.] ([X.] 2003) zu befragen, nicht entnommen werden kann und auch keine korrespondierende Schweigepflichtsentbindung vorlag. Spätere Befra-gungen durften nur noch auf todesursächliche Erkrankungen zielen. Der der zuletzt behandelnden Ärztin Anfang 2008 zugesandte Fragebogen für das "Ärztliche Zeugnis im Todesfall" steht mit dem Verlangen nach einer "ausführlichen Anamnese" dazu im Widerspruch. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Ärztin auf anderer Grundlage befragt worden wäre.

bb) Wenngleich demnach die zeitlich begrenzte Ermittlungser-mächtigung mit Schweigepflichtsentbindung für sich genommen nicht zu 8
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beanstanden wäre, stellt sie deshalb keine tragfähige Grundlage für die Ermittlungen des Versicherers
dar, weil die ihm gesetzten zeitlichen Grenzen hier überschritten wurden. Das wirft ebenso wie die Verwen-dung
einer zu weiten Ermittlungsermächtigung mit [X.] die vorgenannten materiell-rechtlichen Fragen auf. Sie sind ebenfalls nach den Maßstäben
der Senatsentscheidung vom 28.
Oktober 2009 ([X.]O) zu beantworten.

c) Dass das Verhalten der Beklagten hier darauf gerichtet war, die Voraussetzungen für die [X.], d.h.
das Wissen um eine verschwiegene Vorerkrankung des Versicherungsnehmers unter gezielter Umgehung der zeitlichen Beschränkungen der Schlusserklärung treuwid-rig zu erlangen, hat die Klägerin in den Vorinstanzen
nicht vorgetragen. Auch die Revision führt dazu nichts aus.

Es kommt hinzu, dass das Berufungsgericht zu Recht annimmt, die Schlusserklärung habe keinen bindenden Verzicht der Beklagten auf wei-tere Ermittlungen zu Vorerkrankungen des Versicherungsnehmers ent-halten. Die Beklagte hatte infolge des von ihr im Versicherungsvertrag übernommenen Risikos ein anerkennenswertes Interesse daran, risikore-levante Vorerkrankungen des Versicherungsnehmers offen gelegt zu be-kommen (Senatsurteil vom 28. Oktober 2009
[X.]O Rn.
24). Selbst wenn das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und die damit verbun-dene Befugnis, [X.] zu erklären, als höchst-persönliche Rechte nicht im Wege der [X.] auf die Erben übergehen (Senatsbeschluss vom 4.
Juli 1984 -
IVa [X.], [X.]Z 91, 392, 399) und die Beklagte damit nach dem Tode des [X.] keine Möglichkeit mehr hatte, weitergehende Schweigepflichts-entbindungen zu erlangen, hätte sie jedenfalls zu Lebzeiten des Versi-11
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cherungsnehmers das Wissen um die Morbus-[X.]-Erkrankung mittels einer weiteren Ermittlungsermächtigung und Schweigepflichtsentbindung noch rechtmäßig erlangen können. Mithin beschränkt sich ihr möglicher Rechtsverstoß darauf, ihr Wissen formell fehlerhaft erworben zu haben.

d) Demgegenüber hat der Versicherungsnehmer seinerseits die Beklagte nach den insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts über einen risikoerheblichen Umstand, die Er-krankung an Morbus [X.] und die damit einhergehende Medikation, arglistig getäuscht. Zwar beanstandet die Revision, das Berufungsgericht habe keine tragfähigen Feststellungen zur Täuschungsabsicht des Versi-cherungsnehmers getroffen. Insoweit versucht sie, die tatrichterliche Würdigung durch eine eigene, vermeintlich bessere zu ersetzen, ohne jedoch durchgreifende Rechtsfehler aufzuzeigen.

e) Der Umstand, dass der Versicherungsnehmer vor Abschluss der Lebensversicherung an Morbus [X.] erkrankt und deshalb behandelt worden war, ist bei der Entscheidung zu berücksichtigen. Stellt -
wie hier die Klägerin
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eine Partei im Rechtsstreit diejenigen Tatsachen von vorn herein unstreitig, auf die der Gegner seine [X.] stützt, in-dem sie sie selbst vorträgt, so lässt sich ein Verwertungsverbot
für diese Tatsachen regelmäßig nicht begründen. Auf die vom Berufungsgericht weiter erwogenen prozessualen Fragen kommt es im Übrigen nicht mehr an.

f) Insgesamt ergibt die Abwägung hier nicht, dass die Rechtsver-letzung der Beklagten diejenige des Versicherungsnehmers hinsichtlich des verletzten Rechtsguts oder der Eingriffsintensität derart überwiegt, 13
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dass Treu und Glauben es gebieten, ihr die [X.] als unzu-lässige Rechtsausübung zu versagen.

2. Das Vorbringen der Revisionsführerin zum Allgemeinen Gleich-stellungsgesetz ([X.]) deckt keinen entscheidungserheblichen Rechts-fehler und in Anbetracht der besonderen Fallumstände auch keinen [X.] i.S.
von §
543 Abs.
2 ZPO auf.

a) Zweifel an der Anwendbarkeit des [X.] ergeben sich
hier be-reits aus der Besonderheit, dass der Versicherungsfall, der ungeachtet der [X.] des Versicherers ohnehin zur Beendigung des Versicherungsverhältnisses geführt hatte, bereits vor dem 22.
Dezember 2007 eingetreten war, so dass eine Fortgeltung des [X.] nach §
33 Abs.
4 [X.] maßgeblichen Zeitpunkt hinaus nicht in Rede steht.

b) Es bedarf allerdings keiner Entscheidung, ob das [X.] hier An-wendung findet. Selbst wenn man dies unterstellt, wäre die Beklagte in ihrer von §
123 BGB geschützten
rechtsgeschäftlichen Entschlussfreiheit
durch die Täuschung des Versicherungsnehmers beeinträchtigt gewe-sen. Auch unter der Geltung des [X.] obliegt es weiterhin der Prüfung des Versicherers, wie er eine Behinderung des Versicherungsnehmers
bei Abschluss einer Personenversicherung mit Blick auf das Risiko be-wertet. Ihm bleiben verschiedene Möglichkeiten der Vertragsgestaltung. Insbesondere darf er
im Rahmen des §
20 Abs.
2 Satz
3 [X.] prüfen, ob nach anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation ein behinde-rungsbedingter Risikozuschlag erhoben oder der Vertragsschluss sogar ganz abgelehnt werden kann. Dieses
Recht, Vorerkrankungen auf ihre Risikoerheblichkeit hin zu bewerten, das dem Versicherer auch unter 16
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Geltung des [X.] eröffnet ist,
hatte
ihm die Täuschung des [X.] hier abgeschnitten.
Dem Berufungsgericht ist deshalb da-rin zuzustimmen, dass nicht die Behinderung des Versicherungsnehmers als solche, sondern vielmehr seine Täuschung über die Behinderung den Anfechtungsgrund darstellt. Der Argumentation der Revision wäre nur zu folgen, wenn die Beklagte hier infolge eines Kontrahierungszwanges
verpflichtet gewesen wäre, den Vertrag zu ganz bestimmten [X.] mit dem Antragsteller abzuschließen. Einen solchen Kontrahie-rungszwang begründet das
[X.] aber jedenfalls in den Fällen nicht, in denen der Versicherer
unterschiedliche Möglichkeiten hat, bei der [X.] auf die Behinderung zu reagieren.

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II[X.] Der Revisionszurückweisung steht nicht im Wege, dass die grundsätzliche Klärung entscheidungserheblicher Rechtsfragen
(vgl. oben [X.]
1.)
hier erst im Senatsurteil vom 28.
Oktober 2009 ([X.]O) und mithin nach Erlass des Berufungsurteils erfolgt ist (vgl. dazu [X.], [X.] vom 20.
Januar 2005 -
I [X.]/02,
NJW-RR 2005, 650 unter II 1).

Dr. [X.] [X.] [X.]

[X.] [X.]
Vorinstanzen:
LG S[X.]rbrücken, Entscheidung vom 22.12.2008 -
12 [X.]/08 -

OLG S[X.]rbrücken, Entscheidung vom 09.09.2009 -
5 U 26/09-9 -

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Meta

IV ZR 191/09

25.05.2011

Bundesgerichtshof IV. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.05.2011, Az. IV ZR 191/09 (REWIS RS 2011, 6310)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 6310

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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