Bundesgerichtshof, Urteil vom 16.10.2023, Az. VIa ZR 604/21

6a. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 7642

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Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird der Beschluss des 16. Zivilsenats des [X.] vom 27. Oktober 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung der Klägerin betreffend ihre deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des in ihrem Berufungsantrag zu 1 näher bezeichneten Fahrzeugs zurückgewiesen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Die Klägerin erwarb am 29. April 2014 von der Beklagten als Verkäuferin einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten [X.] CDI BE, der mit einem Motor der Baureihe [X.] ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug ist ein [X.] verbaut, das die Abgasrückführung bei Unterschreitung einer bestimmten Schwellentemperatur reduziert.

3

Die Klägerin macht geltend, das Fahrzeug verfüge über mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen. Sie hat zuletzt die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten und Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen begehrt. Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Schlussanträge aus der Berufungsinstanz weiter, soweit sie diese auf ihre deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs gestützt hat.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision der Klägerin hat Erfolg.

A.

5

Die Berufung der Klägerin war, was der [X.] als Prozessfortsetzungsbedingung von Amts wegen zu berücksichtigen hat (vgl. [X.], Urteil vom 19. November 2020 - [X.]/19, IHR 2023, 85 Rn. 12 mwN; Urteil vom 7. November 2022 - VIa ZR 737/21, juris Rn. 6), entgegen der von der [X.] in der mündlichen Revisionsverhandlung geäußerten Auffassung zulässig. Insbesondere ist das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Berufungsbegründung den Mindestanforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO genügt, weil sie als Verfahrensmangel des erstinstanzlichen Verfahrens rügt, dass das [X.] den Vortrag der Klägerin zu einer [X.] mit Schriftsatz vom 5. Januar 2021, den die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] übergeben hat, nicht zur Kenntnis genommen habe (vgl. [X.], Beschluss vom 24. Juli 2023 - [X.], juris Rn. 8 ff. mwN).

B.

6

Der angefochtene Beschluss ist in der Sache von Rechtsfehlern beeinflusst.

I.

7

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:

8

Die Klägerin habe gegen die Beklagte keinen Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB, denn es könne nicht festgestellt werden, dass die Beklagte der Klägerin vorsätzlich in sittenwidriger Weise einen Schaden zugefügt habe. Hinsichtlich des in ihrem Fahrzeug verbauten Thermofensters trage die Klägerin nicht hinreichend dazu vor, dass die Beklagte planmäßig eine Software eingesetzt habe, die gerade nur unter Prüfbedingungen den Schadstoffausstoß mit dem Ziel der Einhaltung von Grenzwerten beeinflusse. Soweit die Klägerin in der Berufungsinstanz zu einer [X.] vortrage, handele es sich um neues Vorbringen, für das kein Zulassungsgrund im Sinne von § 531 Abs. 2 ZPO vorliege. Das Vorbringen sei im Berufungsverfahren neu, weil das [X.] im Verhandlungstermin die Bezugnahme auf den Schriftsatz vom 5. Januar 2021 gemäß § 137 Abs. 3 ZPO zurecht für unzulässig erklärt habe. Zudem fehle es an greifbaren Anhaltspunkten für ein Vorhandensein dieser Einrichtung gerade in dem Fahrzeug der Klägerin.

II.

9

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der [X.] aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der [X.] nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV wegen der Verwendung des Thermofensters aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der [X.] nach Erlass der Berufungsentscheidung entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des [X.] gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der [X.] zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur [X.] bestimmt in [X.]Z).

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen [X.]s zustehen kann (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso [X.], Urteile vom 20. Juli 2023 - [X.], ZIP 2023, 1903 Rn. 21 ff.; - [X.], juris Rn. 16 f.). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der [X.] wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

Die angefochtene Entscheidung ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 ZPO, weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Das Berufungsgericht hat keine tragfähigen Feststellungen getroffen, auf deren Grundlage eine deliktische Haftung der [X.] wegen einer jedenfalls fahrlässigen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verneint werden könnte. Der [X.] kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit haben, einen [X.] darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des [X.]s vom 26. Juni 2023 ([X.], NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der [X.] nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV zu treffen haben.

[X.]     

      

Möhring     

      

Krüger

      

Liepin     

      

Vogt-Beheim     

      

Meta

VIa ZR 604/21

16.10.2023

Bundesgerichtshof 6a. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Köln, 27. Oktober 2021, Az: 16 U 27/21

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 16.10.2023, Az. VIa ZR 604/21 (REWIS RS 2023, 7642)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 7642

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