Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 22.03.2012, Az. 1 C 5/11

1. Senat | REWIS RS 2012, 7867

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Gegenstand

Nachträgliche Befristung der Sperrwirkung der Abschiebung; Zuständigkeit der Ausländerbehörde; Verbandskompetenz der Länder


Leitsatz

1. Eine Annexzuständigkeit der eine Abschiebung anordnenden Ausländerbehörde für eine spätere Entscheidung über die Befristung ihrer Wirkungen nach § 11 Abs. 1 AufenthG (juris: AufenthG 2004) besteht nicht.

2. Für die Entscheidung über einen Antrag auf Befristung der Wirkungen einer Abschiebung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG sind grundsätzlich die Ausländerbehörden des Bundeslandes zuständig, in dem der Ausländer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder zuletzt hatte (entsprechende Anwendung der mit § 3 Abs. 1 Nr. 3a VwVfG des Bundes übereinstimmenden Regelungen in den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder). Die Zuständigkeit nach dem letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet besteht auch dann fort, wenn der Ausländer seinen gewöhnlichen Aufenthalt nunmehr im Ausland genommen hat.

Tatbestand

1

Die in der [X.] lebende Klägerin erstrebt die Befristung der Wirkungen ihrer Abschiebungen aus den Jahren 1988 und 2005, um anschließend ein Visum zum Familiennachzug zu ihrem in [X.] lebenden [X.] zu erlangen.

2

Die 1934 geborene Klägerin ist [X.] Staatsangehörige. Sie reiste im Oktober 1984 erstmals in die [X.] ein und beantragte Asyl. Im Rahmen des Asylverfahrens wurde sie im Januar 1985 der Stadt S. im [X.] ([X.]) zugewiesen und nahm dort ihren Wohnsitz. Nach Ablehnung ihres Asylantrags wurde sie zur Ausreise aufgefordert, befolgte die Aufforderung jedoch nicht. Daraufhin erhielt sie mehrfach verlängerte förmliche Duldungen. Am 30. April 1988 wurde sie auf Veranlassung des Landrats des beigeladenen [X.]es abgeschoben.

3

Die Klägerin reiste nach eigenen Angaben im Januar 2005 erneut nach [X.] ein und stellte einen weiteren Asylantrag. Am 22. Januar 2005 wurde gegen sie auf Antrag des Beigeladenen, in dessen Bezirk sie sich aufhielt, Abschiebungshaft angeordnet. Nachdem der [X.] der Klägerin abgelehnt worden war, wurde sie auf Betreiben des Landrats des [X.]es am 13. April 2005 erneut in die [X.] abgeschoben.

4

Im Februar 2006 beantragte die Klägerin beim Landrat des [X.]es, die Wirkung ihrer Abschiebungen von 1988 und 2005 mit sofortiger Wirkung zu befristen. Sie führte dazu aus, sie leide an altersbedingten Krankheiten und vertraue darauf, die notwendige Lebenshilfe bei ihrem in [X.] lebenden [X.] erlangen zu können. Mit der Aufhebung der Sperrwirkung solle eine der Voraussetzung dafür geschaffen werden, dass ein Visum zum Familiennachzug erwirkt werden könne.

5

Der Landrat des [X.]es befristete die Wirkung der Abschiebungen mit Bescheid vom 3. April 2006 auf den 30. April 2010. Der Widerspruch der Klägerin wurde zurückgewiesen. Die dagegen vor dem [X.] erhobene Klage wurde im April 2008 im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, der Landrat des [X.]es sei im Hinblick auf die begehrte Befristungsentscheidung nicht passiv legitimiert. Nach § 4 Abs. 1 des [X.] des Landes [X.] ([X.]) sei diejenige Ausländerbehörde örtlich zuständig, in deren Bezirk die zu schützenden Interessen verletzt oder gefährdet werden. Dies sei dort der Fall, wo der Ausländer sich aufhalte beziehungsweise aufhalten wolle. Im Fall der Klägerin sei daher das Land [X.] zuständig, da sie hinreichend konkret beabsichtige, ihren künftigen Aufenthalt bei ihrem [X.] in [X.] zu nehmen. Im Rahmen des Verfahrens auf Zulassung der Berufung wurde auf Vorschlag des [X.] der [X.] vom 3. April 2006 aufgehoben. Daraufhin erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. In dem Einstellungsbeschluss erlegte das Oberverwaltungsgericht der Klägerin die Kosten des Verfahrens auf und bezog sich zur Begründung u.a. auf seine Rechtsprechung, wonach für die Befristungsentscheidung die Ausländerbehörde örtlich zuständig sei, in deren Bezirk sich der Ausländer nach seiner Einreise begeben wolle (Beschluss vom 11. März 2008 - 18 [X.]/08 - [X.] 2008, 250).

6

Die Klägerin beantragte daraufhin im Dezember 2009 bei der Ausländerbehörde des beklagten Landes [X.], die Wirkungen der Abschiebungen von 1998 und 2005 mit sofortiger Wirkung zu befristen. Dabei gab sie an, dass sie beabsichtige, nach der Befristungsentscheidung ein Visum für den Nachzug zu ihrem in [X.] lebenden [X.] zu beantragen. Die Ausländerbehörde des Beklagten teilte der Klägerin mit, dass sie sich für die Bescheidung des [X.] als nicht zuständig ansehe und den Antrag daher an die zuständige Ausländerbehörde des [X.]es abgegeben habe. Der Landrat des [X.]es setzte die Ausländerbehörde des Beklagten im Februar 2010 darüber in Kenntnis, dass nach seiner Auffassung nicht er, sondern der Beklagte für die Befristungsentscheidung zuständig sei, und erteilte zugleich sein Einvernehmen mit einer Entscheidung des Beklagten.

7

Im März 2010 hat die Klägerin Untätigkeitsklage beim Verwaltungsgericht [X.] erhoben, mit der sie die Verpflichtung des Beklagten zur sofortigen Befristung der Wirkungen der Abschiebungen von 1988 und 2005 begehrt. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 27. Januar 2011 abgewiesen. Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Die Klägerin habe keinen Befristungsanspruch gegen den Beklagten, weil dieser nicht sachentscheidungsbefugt sei. Das Land [X.] dürfe Regelungen nur zur [X.] örtlichen Zuständigkeit treffen, nicht aber die Zuständigkeit der Behörde eines anderen [X.]eslandes anordnen. [X.] das [X.]esrecht, wie hier, keine ausdrückliche Regelung zu der Frage, welche Behörde in welchem [X.]esland zuständig sei, müsse diese Frage aus dem materiellen [X.]esrecht beantwortet werden. Aus den insofern maßgeblichen Regelungen des Aufenthaltsgesetzes ergebe sich, dass für die Entscheidung über die Befristung der Wirkungen einer Abschiebung regelmäßig - und so auch hier - allein diejenige Behörde sachentscheidungsbefugt sei, die die Abschiebung veranlasst habe. Denn diese habe durch die Veranlassung der Abschiebung die alleinige Regelungsbefugnis in Bezug auf die Wirkungen der Abschiebung erlangt. § 11 Abs. 1 [X.] regele als grundsätzliche Wirkung jeder Abschiebung, dass sie die Einreise des abgeschobenen Ausländers dauerhaft verhindere. Die Befristung stelle eine Beschränkung der Wirkungen der Abschiebung dar. Diese Beschränkung habe stets durch die Behörde zu erfolgen, die die Abschiebung veranlasst habe. Werde eine Beschränkung nachträglich verfügt, handele es sich materiell um eine teilweise Aufhebung (Rücknahme, Widerruf) der ursprünglichen [X.]. Für Rücknahme und Widerruf gelte der bundesrechtliche Grundsatz, dass sie nur diejenige Behörde verfügen dürfe, die die zurückzunehmende oder zu widerrufende Entscheidung erlassen habe. Dies sei nur anders, wenn [X.]esrecht ausdrücklich die Sachentscheidungskompetenz einer anderen Behörde zuweise, was im Falle der nachträglichen Befristung der Ausweisung nicht der Fall sei.

8

Das Verwaltungsgericht hat die Sprungrevision gegen sein Urteil zugelassen, die von der Klägerin mit Zustimmung des Beklagten eingelegt worden ist. Die Revision beruft sich darauf, dass der [X.] keine verbindliche Regelung der Zuständigkeit treffen könne. Eine hierfür früher bestehende Kompetenz sei durch das [X.] entfallen. Aus Regelungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes könne eine Zuständigkeit der die Abschiebung verfügenden Behörde ebenfalls nicht abgeleitet werden. Dass für die nachträgliche Befristung die Zuständigkeit einer anderen Behörde begründet sein könne, folge auch aus § 72 Abs. 3 Satz 1 [X.], wonach die Ausgangsbehörde bei einer Entscheidung der infolge [X.] nunmehr zuständigen Ausländerbehörde zu beteiligen sei. Eine Zuständigkeit des Beklagten ergebe sich aus dem für den Bereich der Gefahrenabwehr geltenden Grundsatz, dass die Behörde zuständig sei, in deren Bereich sich die dem Ausländer zugeschriebene Gefahr potentiell realisiere. Das sei im Fall der angestrebten Einreise aus dem Ausland das Land [X.], da die Klägerin dort ihren Wohnsitz nehmen wolle.

9

Der Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil. Im Übrigen vertritt er die Auffassung, dass sich die örtliche Zuständigkeit nach den in § 3 VwVfG festgelegten Grundsätzen bestimme. Danach sei gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 3a VwVfG der [X.] örtlich zuständig, weil die Klägerin in dessen Bezirk ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt gehabt habe. Der Vertreter des [X.]esinteresses beim [X.]esverwaltungsgericht hat sich an dem Verfahren beteiligt und schließt sich im Wesentlichen der Rechtsauffassung des Beklagten an.

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Klägerin, des Beigeladenen und des Vertreters des [X.] beim [X.] verhandeln und entscheiden, da diese in der Ladung darauf hingewiesen worden sind (§ 102 Abs. 2 VwGO).

Die Revision der Klägerin ist zulässig, aber nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die Klägerin ihren Anspruch auf die Befristung der Wirkungen der in den Jahren 1988 und 2005 verfügten Abschiebungen nicht gegenüber dem beklagten [X.] geltend machen kann, weil dieses für die Befristungsentscheidung nicht zuständig ist.

Maßgebend für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei aufenthaltsrechtlichen Verpflichtungsklagen grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder der Entscheidung in der Tatsacheninstanz (hier: 27. Januar 2011). Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind nach der Rechtsprechung des Senats allerdings zu beachten, wenn das [X.] - entschiede es anstelle des [X.]s - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. Urteil vom 11. Januar 2011 - BVerwG 1 [X.] 1.10 - BVerwGE 138, 371 Rn. 10 m.w.N.). Maßgebliche Rechtsgrundlage für die erstrebte Befristung der Wirkungen der Abschiebungen von 1988 und 2005 ist daher das [X.] in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 ([X.]), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. Dezember 2011 ([X.]). Damit sind insbesondere auch die Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der [X.] und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den [X.] vom 22. November 2011 ([X.]) - im Folgenden: Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 - zu beachten.

Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 [X.] haben die 1988 und 2005 durchgeführten Abschiebungen der Klägerin zur Folge, dass sie nicht erneut in das [X.] einreisen und sich hier aufhalten darf. Ihr darf nach Satz 2 der Vorschrift auch kein Aufenthaltstitel erteilt werden. Nach Satz 3 sind die Wirkungen der Abschiebungen aber auf Antrag, wie er hier gestellt wurde, zu befristen. Die Frist ist nach Satz 4 unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzusetzen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Da die Klägerin nicht aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen wurde und Anhaltspunkte für eine von der Klägerin ausgehende schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung weder vorgetragen noch ersichtlich sind, dürften nach dem mittlerweile erfolgten Ablauf der [X.] die materiellen Voraussetzungen für die Befristung der Wirkungen der Abschiebungen vorliegen. Allerdings ist das Verwaltungsgericht zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass die Entscheidung über das Befristungsbegehren nicht in der Kompetenz des beklagten [X.] liegt.

1. Dass der Beklagte für die erstrebte Befristung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 [X.] nicht zuständig ist, ergibt sich allerdings nicht aus dem vom Verwaltungsgericht angenommenen Grundsatz, dass die Behörde, die die Abschiebung verfügt hat, stets auch für die Befristung ihrer Wirkungen zuständig sei. Ein solcher Grundsatz lässt sich weder dem [X.] noch dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht entnehmen.

Das [X.] trifft in § 71 [X.] nur eine Regelung über die sachliche Zuständigkeit. Danach sind die Ausländerbehörden für aufenthaltsrechtliche Entscheidungen nach diesem Gesetz - und somit auch für die Befristung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 [X.] - zuständig. Anders als das [X.] 1965 regelt das [X.] jedoch - von wenigen Einzelfällen abgesehen (vgl. etwa § 51 Abs. 2 Satz 3 [X.]) - nicht die örtliche Zuständigkeit der zur Entscheidung berufenen Ausländerbehörde. Damit besteht für die nachträgliche Befristung der Wirkungen einer Ausweisung oder Abschiebung sowie deren nachträgliche Änderung auch nicht mehr die noch in § 15 Abs. 1 Satz 3 AuslG 1965 geregelte Annexkompetenz der Behörde, die den Ausländer ausgewiesen oder abgeschoben hat. Vielmehr berücksichtigt das [X.] - wie zuvor schon das [X.] 1990 - mit Rücksicht auf die Kompetenz der Länder zur eigenverantwortlichen Ausführung von [X.]gesetzen nach Art. 83 GG den Grundsatz, dass die Regelung der örtlichen Zuständigkeit der Ausländerbehörden grundsätzlich Sache der Länder ist (Art. 84 Abs. 1 Satz 1 GG; vgl. die Gesetzesbegründung zu § 63 AuslG 1990, der Vorläufervorschrift von § 71 [X.], in BTDrucks 11/6321 [X.]). Eine Annexkompetenz ist im [X.] aufgrund ausdrücklicher Regelung nur ausnahmsweise für die Zurückschiebungen an der Grenze durch die Grenzschutzbehörden vorgesehen (§ 71 Abs. 3 Nr. 1 [X.]).

Entgegen der Rechtsauffassung des [X.] ergibt sich eine Annexkompetenz der den Bescheid erlassenden Ausgangsbehörde für nachträgliche Befristungsentscheidungen auch nicht aus einem angeblich dem Verwaltungsverfahrensgesetz zu entnehmenden Grundsatz, demzufolge für nachträgliche Beschränkungen eines Verwaltungsaktes - wie etwa Rücknahme und Widerruf - grundsätzlich die Ausgangsbehörde zuständig bleibe. Zum einen ist für Rücknahme und Widerruf nach den Verwaltungsverfahrensgesetzen des [X.] und der Länder gerade nicht die Ausgangsbehörde, sondern die nach § 3 [X.] zu bestimmende Behörde zuständig, auch wenn der aufzuhebende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist (vgl. § 48 Abs. 5 und § 49 Abs. 5 [X.]). Zum anderen ist die Befristung der gesetzlichen Wirkungen einer Abschiebung gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 [X.] nicht mit der ([X.] eines Verwaltungsakts vergleichbar. Ebenso wenig kann sie, wie das Verwaltungsgericht meint, als Nebenbestimmung der Abschiebung angesehen und den Regeln des § 36 [X.] unterworfen werden. Schließlich spricht die Beteiligungsregelung des § 72 Abs. 3 [X.] gegen eine Annexkompetenz. Nach § 72 Abs. 3 Satz 1 [X.] dürfen u.a. Befristungen nach § 11 Abs. 1 Satz 3 [X.] von einer anderen Behörde nur im Einvernehmen mit der Behörde geändert oder aufgehoben werden, die die Maßnahme angeordnet hat. Diese Regelung bezieht sich nicht nur auf die Änderung einer bereits verfügten Befristung, sondern erfasst nach ihrem Sinn und Zweck auch die erstmalige Befristungsentscheidung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 [X.] (vgl. [X.], Ausländerrecht, Stand August 2008, § 72 [X.] Rn. 11; zur Vorgängervorschrift des § 64 Abs. 2 AuslG 1990 auch [X.], Urteil vom 28. Oktober 1996 - 12 UE 628/96 - DVBl 1997, 913). Das [X.] geht demzufolge davon aus, dass die Zuständigkeit für die Verfügung der Ausweisung oder Abschiebung und für die Befristung ihrer Wirkungen nach § 11 Abs. 1 Satz 3 [X.] auseinanderfallen kann, und sieht für diese Fälle ein Einvernehmenserfordernis vor.

2. Dass im vorliegenden Fall die Ausländerbehörde der Beklagten für die begehrte Befristungsentscheidung nicht zuständig ist, ergibt sich vielmehr aus folgenden Erwägungen. Die für das Befristungsbegehren zuständige Behörde ist in zwei Schritten zu bestimmen. In einem ersten Schritt ist festzustellen, welches [X.]land die [X.] zur Sachentscheidung besitzt. Diese Frage ist - wenn keine speziellen koordinierten landesrechtlichen Kompetenzregelungen vorliegen - durch entsprechende Anwendung der mit § 3 [X.] übereinstimmenden Regelungen über die örtliche Zuständigkeit in den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder zu beantworten. In einem zweiten Schritt ist auf der Grundlage des [X.]rechts des zur Sachentscheidung befugten [X.]landes zu ermitteln, welche Behörde innerhalb des [X.] örtlich zuständig ist.

§ 3 Abs. 1 [X.] regelt ebenso wie die gleichlautenden Bestimmungen in den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder die örtliche Zuständigkeit der Behörden, soweit diese im Bereich des öffentlichen Rechts zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben tätig werden (§ 1 [X.]). Während die örtliche Zuständigkeit die Frage betrifft, welche von mehreren sachlich zuständigen Behörden desselben [X.] ein Verfahren durchzuführen hat, dient die [X.] der Zuweisung von Aufgaben an einen bestimmten Verwaltungsträger sowie der Aufgabenabgrenzung zwischen verschiedenen selbstständigen [X.] und damit der Sicherung der Verwaltungshoheit des [X.], der Länder, der Kommunen sowie sonstiger juristischer Personen des öffentlichen Rechts (vgl. [X.]/[X.], [X.], 12. Aufl. 2011, § 3 Rn. 6; [X.]/Bachof/[X.]/[X.], [X.], 7. Aufl. 2010, § 82 Rn. 80 ff.; [X.], [X.], 873 ff.; zur [X.] im Ausländerecht vgl. im Übrigen auch Urteil vom 10. Dezember 1996 - BVerwG 1 [X.] 19.94 - [X.] 402.240 § 5 AuslG 1990 Nr. 1 S. 2 f.). Führen die Länder [X.]gesetze als eigene Angelegenheit aus, wie das beim Vollzug des [X.]es der Fall ist, so regeln sie gemäß Art. 84 Abs. 1 Satz 1 GG grundsätzlich die Einrichtung der Behörden, d.h. den Ländern in ihrer Gesamtheit obliegt die Bestimmung der [X.] und dem einzelnen [X.]land im Rahmen seiner Kompetenz die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit. Allerdings verlangt [X.]recht, dass durch eine koordinierte Regelung der Länder, hilfsweise durch eine Regelung des [X.], bestimmt ist, welches Land zur Ausführung der konkreten Aufgabe - hier: Befristung der Wirkungen einer Abschiebung - berechtigt und verpflichtet ist. Das gebietet zum einen das Rechtsstaatsprinzip, da der von einer gesetzlichen Regelung Betroffene seine Rechte nicht verfolgen kann, wenn nicht feststeht, an welche Behörde er sich hierfür zu wenden hat. Das erfordert aber auch die grundgesetzliche Verteilung der Verwaltungskompetenzen innerhalb des föderal gegliederten [X.] der [X.]republik [X.]. Danach sind die [X.]en der Länder nach dem Territorialprinzip voneinander abgegrenzt und die [X.] der einzelnen [X.]länder grundsätzlich auf das Gebiet innerhalb ihrer jeweiligen [X.]grenzen beschränkt (vgl. [X.], [X.], 873 <877 f.>). Zugleich ergibt sich aus Art. 84 Abs. 1 GG die Verpflichtung des [X.], dem die [X.] zur Ausführung eines [X.]gesetzes für einen bestimmten Personenkreis zugewiesen wurde, diese Aufgabe auch tatsächlich wahrzunehmen.

Fehlen - wie hier - spezielle koordinierte landesrechtliche Zuweisungsregelungen zur Verwaltungskompetenz, ergibt sich ein aufeinander abgestimmtes System im Wege der entsprechenden Anwendung der zur örtlichen Zuständigkeit getroffenen Regelungen in den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder, die insoweit inhaltsgleich sind und - sei es durch Verweisung auf das Verwaltungsverfahrensgesetz des [X.] (wie in § 1 Abs. 1 L[X.] [X.]), sei es durch gleichlautende Formulierungen jeweils in § 3 L[X.] bzw. § 31 L[X.] [X.] [X.] - mit § 3 [X.] übereinstimmen. Diese Regelungen finden daher entsprechende Anwendung, wenn das für die Ausführung einer bundesrechtlich begründeten Aufgabe zuständige Land auf andere Weise nicht zu ermitteln ist. Nicht maßgeblich für die Bestimmung der [X.] sind hingegen landesrechtliche Vorschriften, die der koordinierten Regelung aller Länder in Gestalt der genannten übereinstimmenden Bestimmungen zur örtlichen Zuständigkeit nicht entsprechen. Entgegen der Rechtsauffassung des [X.] Arnsberg in seinem gegen die Klägerin ergangenen Urteil vom 15. April 2008 und des [X.] in seinem Beschluss vom 11. März 2008 (18 [X.]/08 - [X.] 2008, 250) kann daher aus § 4 Abs. 1 [X.] [X.] eine länderübergreifende Zuständigkeitsregelung nicht abgeleitet werden. Für eine einseitige länderübergreifende abdrängende Zuständigkeitsregelung (hier: zu Lasten des [X.]) fehlt dem [X.] die [X.] (vgl. [X.], a.a.[X.] 878; zur Möglichkeit der Verletzung der [X.] durch Übergriff in einen fremden Zuständigkeitsbereich bei der Ausführung von [X.]gesetzen vgl. auch [X.], Urteil vom 3. Oktober 1978 - [X.] 1927/75 - NJW 1979, 1057, 1058).

Aus der entsprechenden Anwendung der mit § 3 Abs. 1 Nr. 3a [X.] des [X.] übereinstimmenden Regelungen in den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder ergibt sich, dass die Ausländerbehörden des [X.] [X.] für die Bescheidung des Befristungsbegehrens der Klägerin zuständig sind. Nach dieser Vorschrift ist in Angelegenheiten, die eine natürliche Person betreffen, die Behörde zuständig, in deren Bezirk die natürliche Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat oder zuletzt hatte. Die Klägerin, die derzeit in der [X.] lebt, hatte ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt in [X.] im Zuständigkeitsbereich des beigeladenen [X.] in [X.]. Sie hat dort vor ihrer Abschiebung im Jahr 1988 seit 1985 gewohnt und damit ihren gewöhnlichen Aufenthalt gehabt. Durch ihre rund dreimonatige Anwesenheit in [X.] im Jahr 2005 hat die Klägerin keinen erneuten gewöhnlichen Aufenthalt begründet, da sie diese Zeit überwiegend in Abschiebungshaft verbrachte. Durch die Abschiebungshaft wird aber kein gewöhnlicher Aufenthalt begründet, da diese nach Zweck und gesetzlicher Ausgestaltung vorübergehender Natur ist (vgl. [X.], Beschluss vom 13. Juli 2011 - 2 BvR 742/10 - NVwZ 2011, 1254 <1256>).

Der aus dem letzten gewöhnlichen Aufenthalt der Klägerin folgenden Zuständigkeit des [X.] [X.] steht nicht entgegen, dass die Klägerin inzwischen ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der [X.] hat. Denn der Rechtsgedanke, der der Regelung des § 3 Abs. 1 Nr. 3a [X.] mit der Anknüpfung der Zuständigkeit an den letzten gewöhnlichen Aufenthalt zugrunde liegt, kommt auch in diesen Fällen zum Tragen. Anders als bei der Verlagerung des gewöhnlichen Aufenthalts innerhalb des [X.]s führt die Verlagerung des gewöhnlichen Aufenthalts in das Ausland nicht zur Zuständigkeit einer anderen, nunmehr sachnäheren Ausländerbehörde. Es sind keine Gründe dafür ersichtlich, warum die Zuständigkeit der Behörde des letzten gewöhnlichen Aufenthalts nach § 3 Abs. 1 Nr. 3a [X.] mit der - möglicherweise nur schwer zu ermittelnden - Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts im Ausland entfallen sollte. Die Zuständigkeit nach dem letzten gewöhnlichen Aufenthalt (im [X.]) besteht daher auch dann fort, wenn der Ausländer seinen gewöhnlichen Aufenthalt nunmehr im Ausland genommen hat. Ein Rückgriff auf die Auffangzuständigkeit nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 [X.], der voraussetzt, dass sich die Zuständigkeit nicht aus den Nummern 1 bis 3 ergibt, kommt deshalb nur in Betracht, wenn der Ausländer über einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland weder derzeit verfügt noch in der Vergangenheit verfügt hat (so auch Dienelt, in: [X.], Ausländerrecht, 9. Aufl. 2011, § 71 [X.] Rn. 5; [X.]/[X.]/Sachs, [X.] 7. Aufl. 2008, § 3 Rn. 25; a.A. [X.]/[X.], [X.] 12. Aufl. 2011, § 3 Rn. 28). Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass sich in Fällen, in denen der Ausländer keinen gewöhnlichen Aufenthalt im [X.] hatte, die Zuständigkeit der die Abschiebung veranlassenden Behörde für die nachträgliche Befristung ihrer Wirkungen aus § 3 Abs. 1 Nr. 4 [X.] ergeben dürfte, da der Anlass für das Befristungsbegehren in der von dieser Behörde verfügten Abschiebung liegt.

Ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung der mit § 3 Abs. 1 Nr. 3a [X.] übereinstimmenden Regelungen in den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder, dass die Behörden des [X.] [X.] für die Bescheidung des Befristungsbegehrens der Klägerin zuständig sind, hat das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht eine Sachentscheidungsbefugnis der Ausländerbehörde des [X.] verneint.

Der Senat weist allerdings darauf hin, dass sich die Frage, welche Behörde innerhalb des [X.] [X.] für die Bescheidung des Befristungsbegehrens im vorliegenden Fall örtlich zuständig ist, allein nach dem Recht des [X.] [X.] bestimmt. Wenn keine landesrechtliche [X.] eingreift, wäre nach der in § 3 Abs. 1 Nr. 3a L[X.] [X.] (GV [X.] 1999, 602) getroffenen Regelung, die einer Auslegung durch das [X.] zugänglich ist (§ 137 Abs. 1 Nr. 2 VwGO), der Landrat des [X.] zuständig.

Meta

1 C 5/11

22.03.2012

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend VG Berlin, 27. Januar 2011, Az: 20 K 73.10, Urteil

§ 11 Abs 1 S 3 AufenthG 2004, § 71 Abs 1 AufenthG 2004, § 72 Abs 3 AufenthG 2004, § 15 Abs 1 S 3 AuslG, Art 83 GG, Art 84 Abs 1 GG, § 3 Abs 1 Nr 3 Buchst a VwVfG, § 3 Abs 1 Nr 4 VwVfG, § 36 VwVfG, § 48 Abs 5 VwVfG, § 49 Abs 5 VwVfG, § 4 Abs 1 OBG NW 1980

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 22.03.2012, Az. 1 C 5/11 (REWIS RS 2012, 7867)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 7867

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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