Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.10.2012, Az. 5 StR 472/12

5. Strafsenat | REWIS RS 2012, 2022

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Gegenstand

Minder schwerer Fall des Totschlags: Vorrangige Prüfung der Provokationsalternative


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 8. Juni 2012 gemäß § 349 Abs. 4 StPO im Strafausspruch aufgehoben; die zugrundeliegenden Feststellungen bleiben aufrechterhalten.

Die weitergehende Revision des Angeklagten wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.

2

Nach den Feststellungen des [X.]s kam es zwischen dem Angeklagten und seiner deutlich jüngeren Ehefrau zu einer Auseinandersetzung, der Provokationen seitens der Ehefrau vorausgingen. In deren Verlauf bedrohte sie ihn, beleidigte ihn „in allen Lebensbereichen als Versager“ und sagte ihm nach Konfrontation mit ihrer wieder aufgenommenen Tätigkeit als Prostituierte, dass „es mit ihm im Bett keinen Spaß mache“ ([X.] f.). Der 59-jährige, nicht vorbestrafte Angeklagte fühlte sich hierdurch zutiefst gedemütigt und ausgenutzt. Im Rahmen einer nun auch körperlich ausgetragenen Auseinandersetzung erstickte er seine Ehefrau. Das sachverständig beratene Schwurgericht konnte nicht ausschließen, dass der Angeklagte „im Verlaufe der Auseinandersetzung mit seiner Ehefrau in eine hochgradige Erregung versetzt worden und dadurch in seiner Hemmungs- und Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt war“ ([X.] 9).

3

Im Rahmen der Strafzumessung hat das [X.] einen minder schweren Fall nach § 213 StGB bejaht, ohne sich mit dessen erster Alternative auseinanderzusetzen. Die Urteilsgründe lassen vielmehr erkennen, dass das [X.] aufgrund des Geständnisses des Angeklagten, der verminderten Steuerungsfähigkeit sowie weiterer strafmildernder Faktoren ([X.]) einen sonstigen minder schweren Fall im Sinne der zweiten Alternative des § 213 StGB angenommen hat. Sodann hat es erwogen, dass unter Außerachtlassung des fakultativen Strafmilderungsgrundes nach § 21 StGB eine weitere Milderung des Strafrahmens nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB im Hinblick auf die „enge Verknüpfung der durch die Geschädigte ausgesprochenen Kränkungen und dem affektiven, die Schuldfähigkeit erheblich beeinträchtigenden Erregungszustand des Angeklagten“ nicht in Betracht komme ([X.]).

4

Diese Strafrahmenbestimmung hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

5

Das [X.] hätte die erste Alternative des § 213 StGB ausdrücklich erörtern müssen, weil es aufgrund des konkret festgestellten Geschehensablaufs nicht fernliegend war, dass der Angeklagte durch eine vom späteren Opfer verübte schwere Beleidigung provoziert worden war (vgl. dazu [X.], 59. Aufl., § 213 StGB, Rn. 5 f. mwN). Diese vorrangige Prüfung war deshalb geboten, weil der sich daraus ergebende Strafrahmen – ohne Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot (vgl. [X.], Urteil vom 17. März 2011 – 5 StR 4/11, [X.], 24, 25 mwN) – eine weitere Milderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB ermöglicht hätte. Zwar hätte das Tatgericht insofern im Rahmen der damit verbundenen Ermessensausübung berücksichtigen dürfen, dass zwischen den ausgesprochenen Kränkungen und dem hochgradigen affektiven Erregungszustand eine enge Verbindung bestand und sie auf dieselbe Wurzel zurückzuführen waren ([X.], Urteil vom 13. August 1985 – 1 [X.], [X.], 71; Beschlüsse vom 7. Dezember 1995 – 4 [X.], [X.], 204, 205, und vom 21. Dezember 2010 – 3 [X.], [X.], 339, 340). Eine solche sich – an die Annahme der Provokationsalternative – anschließende Ermessensentscheidung, in der alle Umstände berücksichtigt werden, welche die Tat unter dem Gesichtspunkt der Schuld als mehr oder minder leicht oder schwer erscheinen lassen (vgl. [X.], Beschluss vom 2. März 1993 – 1 StR 26/93, [X.]R StGB § 213 Alt. 1 Beleidigung 7 mwN), hat das Tatgericht indes nicht vorgenommen.

6

Der Senat kann nicht ausschließen, dass das [X.] bei Annahme der ersten Alternative des § 213 StGB den Strafrahmen des § 213 StGB nochmals nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemildert und daraus eine mildere Strafe verhängt hätte. Jedenfalls liegt es aber hier nicht fern, dass das Tatgericht auch bei Ablehnung einer weiteren Strafrahmenverschiebung innerhalb dieses Sonderstrafrahmens die übrigen mildernden Faktoren, die nicht für die Annahme eines minder schweren Falls hätten herangezogen werden müssen, stärker gewichtet hätte (vgl. [X.], Beschluss vom 11. Dezember 2006 – 5 [X.]; vgl. auch [X.], Urteil vom 17. März 2011 – 5 StR 4/11 aaO).

7

Die Strafzumessung bedarf daher neuer tatgerichtlicher Würdigung. Da es sich um einen Wertungsfehler handelt, können die getroffenen Feststellungen bestehen bleiben. Das neue Tatgericht kann aber weitere, ihnen nicht widersprechende Feststellungen treffen.

Raum                       Schaal                      Schneider

                Dölp                        [X.]

Meta

5 StR 472/12

24.10.2012

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Berlin, 8. Juni 2012, Az: (532) 234 Js 5255/11 Ks (6/12)

§ 21 StGB, § 49 Abs 1 StGB, § 213 StGB, § 264 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.10.2012, Az. 5 StR 472/12 (REWIS RS 2012, 2022)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 2022

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