Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.01.2020, Az. 2 StR 355/19

2. Strafsenat | REWIS RS 2020, 1337

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Gegenstand

Beweiswürdigung im Strafverfahren: Verurteilung aufgrund der Angaben eines Mittäters wegen eines Betäubungsmitteldelikts; mittelbare Einführung der belastenden Angaben über eine Vernehmungsperson


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 5. April 2019 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit er verurteilt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie sichergestelltes [X.]rihuana eingezogen. Von dem Vorwurf des bandenmäßigen Handeltreibens in vier weiteren Fällen hat es ihn „aus tatsächlichen Gründen“ freigesprochen. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet, hat auf die Sachrüge hin Erfolg.

I.

2

Nach den Feststellungen war der Angeklagte mit den bereits rechtskräftig verurteilten [X.] [X.]und [X.].    befreundet.

3

Anfang 2018 machte der Angeklagte, ein Hauptfeldwebel der [X.], M.    mit dem in seiner [X.]einheit tätigen, gesondert verfolgten    [X.], einem Mitglied der sog. „[X.] Connection“ bekannt, um die Möglichkeit gemeinsamer [X.] auszuloten. Am 14. Februar 2018 übernahm die gesondert verfolgte      [X.]r.   im Auftrag des M.    von einer unbekannten Person 1 kg [X.]rihuana, das später von [X.].     abgeholt wurde (Fall 1).

4

Am 15. April 2018 fuhren die gesondert verfolgten     [X.]r.    und         [X.]       im Auftrag des [X.]  nach [X.], wo sie 6.000 Euro für die vorangegangene Lieferung vom 14. Februar 2018 überbrachten und gleichzeitig weiter 10 kg [X.]rihuana von einer unbekannten Person, die sie mit „[X.] (dem Namen des Angeklagten) ansprach, übernahmen. In der Folgezeit wurden die bei [X.]r.    gelagerten Betäubungsmittel von [X.]und dem Angeklagten teilweise entnommen und weitergegeben. Am 18. Juni 2018 wurden auf dem allgemein zugänglichen Grundstück der Mutter des Angeklagten bei einer Durchsuchung 934,26 Gramm [X.]rihuana mit einem THC-Anteil von 133 Gramm sichergestellt. Bei der Durchsuchung bei den gesondert verfolgten [X.]r.   und [X.]      am 21. Juni 2018 wurden 4.070 Gramm [X.]rihuana, 120,8 Gramm Amphetamin sowie Arzneimittel und Muskelaufbaupräparate sichergestellt (Fall 2).

5

Bereits am 21. April 2018 hatte      [X.]r.   im Auftrag M.    s 1 kg [X.]rihuana für 3.600 Euro, 1 kg Amphetamin und eine unbekannte Menge eines Testosteronpräparates von einem [X.] Lieferanten übernommen. Dabei hatte der Angeklagte      [X.]r.   per [X.] zu dem Übergabeort, einer Aral-Tankstelle, navigiert (Fall 3).

6

Am 4. [X.]i 2018 übernahm       [X.]     in [X.] 10 kg [X.]rihuana, die für [X.]bestimmt waren. Dieses Geschäft hatte der Angeklagte am 2. [X.]i 2018 mit dem gesondert verfolgten     [X.] „angeschoben“, bevor er noch am selben Tage für zweieinhalb Wochen zu einer [X.]übung nach [X.] verreiste. Am 17. Juni 2018 fuhr der Angeklagte im Auftrag des M.    in Begleitung des [X.].    zu     [X.] und übergab diesem einen Briefumschlag mit 3.600 Euro als Bezahlung für die Lieferung vom 4. [X.]i 2018 (Fall 4).

II.

7

Die Verurteilung des die Tatvorwürfe bestreitenden Angeklagten hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Beweiswürdigung ist rechtsfehlerhaft.

8

1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsgerichtliche Überprüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist etwa der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschluss vom 4. Dezember 2019 – 2 [X.]/19).

9

2. So liegt es hier; die Beweiswürdigung ist lückenhaft.

a) Das [X.] stützt seine Überzeugungsbildung von der Beteiligung des Angeklagten auf belastende Angaben der beiden Haupttäter M.     und [X.].    in der gegen diese geführten Hauptverhandlung. Während [X.]und [X.].    auf der Grundlage einer Verständigung gemäß § 257c StPO verurteilt wurden, war das Verfahren gegen den Angeklagten, der jegliche Tatbeteiligung bestritten hatte, abgetrennt worden. Weil die beiden Haupttäter ebenso wie weitere Zeugen, deren Bekundungen ebenfalls nicht wiedergegeben werden, in der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten nunmehr von ihren früheren, diesen belastende Angaben abgerückt sind, hat die [X.] den Berichterstatter des vorangegangenen Strafverfahrens als Zeugen vernommen.

Hängt – wie hier – die Überzeugung von der Täterschaft eines bestreitenden Angeklagten entscheidend von der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben eines Mittäters ab, muss der Tatrichter die für die Richtigkeit der Angaben der Belastungszeugen sprechenden Gesichtspunkte umfassend prüfen, würdigen und diese im Urteil deutlich machen. Dabei sind erhöhte Anforderungen an die Sorgfältigkeit und Vollständigkeit der vorzunehmenden Gesamtwürdigung zu stellen, wenn die belastenden Angaben – wie hier – nur mittelbar über eine Vernehmungsperson in die Hauptverhandlung eingeführt werden (vgl. Senat, Beschlüsse vom 22. September 2011 – 2 [X.], [X.], 52, 53; vom 11. November 1987 – 2 [X.], [X.]R StPO § 261 Zeuge 2).

Diesen Anforderungen genügen die knappen Ausführungen des [X.]s nicht. Es fehlt bereits an einer ausreichenden Darstellung der durch die Vernehmung des Berichterstatters in die Hauptverhandlung eingeführten Aussagen der bereits Verurteilten [X.]und [X.].   . Hier wäre es aber – insbesondere vor dem Hintergrund des § 31 BtMG und einer in der früheren Hauptverhandlung gemäß § 257c StPO getroffenen Verständigung – erforderlich gewesen, den näheren Inhalt der den Angeklagten belastenden Aussagen und die Umstände ihrer Entstehung darzustellen (vgl. [X.], Beschluss vom 17. September 2009 – 4 [X.], [X.], 228).

b) Auch im Übrigen ist die Beweiswürdigung des [X.]s aus den Gründen der Zuschrift des [X.] unter mehreren Gesichtspunkten lückenhaft.

So wird nicht erörtert und beweiswürdigend belegt, durch welchen konkreten Tatbeitrag der Angeklagte in den Fällen 1 und 2 der Urteilsgründe die jeweiligen [X.] gefördert hat. Im Fall 4 bleibt offen, auf welcher Grundlage sich die [X.] die Überzeugung gebildet hat, der Angeklagte habe am 2. [X.]i 2018 das Geschäft mit     [X.] „angeschoben“. Soweit die [X.] davon ausgeht, der Angeklagte habe am 17. Juni 2018 durch Übergabe eines Briefumschlages mit 3.600 Euro die Lieferung der 10 kg [X.]rihuana vom 4. [X.]i 2018 bezahlen wollen, hätte dies angesichts eines Grammpreises von dann nur 36 Cent näherer Erklärung bedurft.

c) Schließlich wäre zu erläutern gewesen, warum das [X.] den Angeklagten auf der Grundlage früherer Einlassungen der Haupttäter M.     und [X.].    in vier Fällen verurteilt, in vier weiteren gleichgelagerten Fällen aber aus „tatsächlichen Gründen“ freigesprochen hat.

Dem Angeklagten waren mit der zugelassenen Anklage vier weitere Betäubungsmittelstraftaten im Zusammenwirken mit M.    und [X.].    vorgeworfen worden. Das [X.] hätte in dieser Konstellation erörtern müssen, welche Umstände zum Freispruch aus tatsächlichen Gründen geführt haben. Dass die [X.] insoweit nicht zur Verurteilung gelangt ist, legt es nahe, dass sie den belastenden Angaben der beiden Haupttäter in dem früheren Verfahren hinsichtlich der Freispruchsfälle nicht gefolgt ist. Daraus könnten sich jedoch auch Zweifel an der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben hinsichtlich der zur Verurteilung gelangten Fälle ergeben.

III.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat für den Fall, dass der neue Tatrichter wieder eine Beteiligung des Angeklagten an den [X.]n feststellen sollte, darauf hin, dass – weil für den Schuldumfang und damit für die Strafzumessung bedeutsam – Feststellungen zum Mindestwirkstoffgehalt der gehandelten Betäubungsmittel zu treffen sein werden. Soweit die Betäubungsmittel teilweise nicht sichergestellt wurden und deshalb für eine Untersuchung nicht zur Verfügung stehen, muss das Tatgericht unter Berücksichtigung hinreichend sicher festgestellter Tatumstände (z. B. Herkunft, Preis, Beurteilung durch die Tatbeteiligten) und des Grundsatzes „in dubio pro reo“ die für den Angeklagten günstigste Wirkstoffkonzentration und Betäubungsmittelqualität durch eine „Schätzung“ bestimmen (vgl. [X.], Beschluss vom 12. [X.]i 2016 – 1 StR 43/16, [X.], 247, 248).

Gegebenenfalls wird der neue Tatrichter auch zu bedenken haben, dass die Bezahlung von zuvor „auf [X.]“ gelieferten Betäubungsmitteln bei gleichzeitiger Entgegennahme einer neuen Lieferung die beiden [X.] zu einer Tat im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit verbindet ([X.], Beschluss vom 10. Juli 2017 – [X.], [X.]St 63, 1 ff.).

[X.]     

      

Appl     

      

Zeng   

      

Grube     

      

Schmidt     

      

Meta

2 StR 355/19

09.01.2020

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Neubrandenburg, 5. April 2019, Az: 22 KLs 16/18

§ 257c StPO, § 261 StPO, § 267 StPO, § 31 BtMG, § 25 Abs 2 StGB, § 27 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.01.2020, Az. 2 StR 355/19 (REWIS RS 2020, 1337)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 1337

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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