Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.05.2012, Az. VIII ZR 238/11

VIII. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 6629

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen


BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
VIII ZR 238/11
Verkündet am:

9. Mai 2012

Ermel,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
[X.] § 573 Abs. 1 Satz 1
a)
Der generalklauselartige Kündigungstatbestand in §
573 Abs.
1 Satz
1 [X.] ist gleichgewichtig mit den in §
573 Abs. 2 [X.] genannten Kündigungsgründen (im [X.] an [X.], NJW 1992, 105, 106 zu §
564a [X.]; [X.], Urteile vom 23.
Mai 2007 -
VIII
ZR 122/06, NJW-RR
2007, 1460 Rn.
13 und VIII
ZR 113/06, [X.], 459 Rn.
13).
b)
§
573 Abs.
1 Satz
1 [X.] verwehrt es dem Vermieter nicht, auch Umstände aus dem Interessenbereich dritter Personen insoweit zu berücksichtigen, als sich aus ihnen aufgrund eines familiären, wirtschaftlichen oder rechtlichen Zusammen-hangs auch ein eigenes Interesse des Vermieters an der Beendigung des [X.] ergibt.
c)
Auch bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts kann ein dem Kündi-gungsgrund des §
573 Abs.
2 Nr.
2 [X.] "artverwandtes" Interesse vorhanden sein.
[X.], Urteil vom 9. Mai 2012 -
VIII ZR 238/11 -
LG Düsseldorf

[X.]

-
2
-
Der VIII. Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom
9. Mai 2012 durch den Vorsitzenden [X.], die Richterin Dr.
Milger
und [X.] Achilles, [X.] und Dr. Bünger

für Recht erkannt:
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil der 21. Zivilkammer des [X.] vom 9. Juni 2011 wird [X.].
Der Beklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:
Der Beklagte hatte vom
ursprünglichen Kläger, dem [X.] [X.]

, im Jahr
1999 eine in einem Mehrfamilienhaus gelegene Zwei-Zimmer-Wohnung in [X.]

angemietet. Im Verlauf des Rechtsstreits ist der Gesamtverband mit Wirkung zum 31. Mai 2010 aufgehoben worden;
an dessen Stelle ist der nunmehrige Kläger, der [X.] Kirchenkreis [X.]

,
getreten.
Mit Schreiben vom 23. Januar 2009 kündigte der Rechtsvorgänger des [X.] das Mietverhältnis ordentlich. Dabei machte er geltend, das gesamte Anwesen, einschließlich der vom Beklagten genutzten Wohnung,
für die Unter-bringung der von der Diakonie in [X.]

e.V. betriebenen Beratungsstelle 1
2
-
3
-
für Erziehungs-, Ehe-, und Lebensfragen zu benötigen.
Der Beklagte hat das Vorliegen eines berechtigten Interesses im Sinne des § 573 Abs.
1 [X.] bestrit-ten.
Das Amtsgericht hat der Räumungsklage des Rechtsvorgängers des [X.] stattgegeben.
Das [X.] hat die Berufung des Beklagten
zurück-gewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Klagabweisungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe:
Die Revision hat keinen Erfolg.

I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse,
ausgeführt:
Das [X.] vom 23. Januar 2009 genüge den formellen Anforderungen des § 573 Abs. 3 [X.]. Die Kündigung sei auch berechtigt. Denn der Kläger
benötige den Wohnraum zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben und habe daher ein berechtigtes Interesse (§ 573 Abs. 1 [X.]) an der [X.]. Beim Kläger handele es sich um eine öffentlich-rechtliche Körperschaft, zu deren Aufgaben die Durchsetzung der mit der Kün-digung verfolgten Ziele gehöre.
Die vom Kläger beabsichtigte Nutzung der Räumlichkeiten für eine Beratungsstelle für Erziehungs-, Ehe-
und Lebensfra-gen
in der [X.] überwiege das Interesse des Beklagten am Fortbestand des Mietverhältnisses. Es sei gerichtsbekannt, dass in diesem Stadtteil wegen der 3
4
5
6
-
4
-
zum Teil problematischen Sozialstruktur Bedarf für ein entsprechendes
Bera-tungszentrum bestehe.
Dem berechtigten Interesse des [X.] an der Beendigung des [X.] stehe auch nicht entgegen, dass er die
geplante Beratungsstelle nicht selbst unterhalten werde, sondern das Gebäude der Diakonie [X.]

e.V. zum Betrieb der Beratungsstelle überlassen wolle. Die Diakonie [X.]

e. V. sei nämlich in die [X.] Kirche im R.

eingegliedert,
zu der auch der Kläger als Dachverband der 24 Kirchengemeinden [X.]

gehö-re. Damit sei die rechtliche Situation mit der in § 573 Abs.
2 [X.] eigens [X.] Eigenbedarfskündigung vergleichbar. Die genannte Vorschrift belege, dass ein berechtigtes Interesse an der Kündigung auch darin liegen könnte, dass die Mietwohnung von einer dem Vermieter nahestehenden Person
benö-tigt werde. Diese Wertung lasse sich auch auf den vorliegenden Fall übertra-gen, in der die Umsetzung des verfolgten öffentlichen Interesses durch eine dem Vermieter "nahestehende"
juristische Person erfolgen solle.
Es könne letztlich keinen Unterschied machen, ob das
beabsichtigte kirchliche Bera-tungszentrum
vom Kläger selbst oder von einer anderen juristischen Person betrieben werde, die ebenfalls zum Gesamtkomplex der [X.]n Kirche im R.

gehöre.
Jedes andere Verständnis würde dazu führen, dass die Einrichtung einer -
gewichtige öffentliche Interessen erfüllenden
-
Beratungs-stelle vereitelt
würde.

II.
Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält rechtlicher Nachprüfung stand; die Revision des Beklagten ist daher zurückzuweisen.
Der Kläger hat nach § 546 Abs. 1 [X.] Anspruch auf Räumung der vom Beklagten angemiete-7
8
-
5
-
ten Wohnung, denn das zwischen den Parteien bestehende Mietverhältnis ist durch die Kündigung vom 23. Januar 2009 beendet worden.
1. Nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen genügt das [X.] vom 23. Januar 2009 den Begründungserfordernis-sen des § 573 Abs. 3 Satz 1 [X.]. Dies stellt auch die Revision nicht in Frage.
2. Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht
nicht das Vorliegen eines Kündigungsgrunds nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 [X.] ("[X.]") bejaht, sondern die Berechtigung des [X.] (bzw. seines Rechtsvor-gängers) zur ordentlichen Kündigung ausschließlich am Maßstab des § 573 Abs. 1 Satz 1 [X.] geprüft. Dabei hat es rechtsfehlerfrei ein -
von dieser Be-stimmung vorausgesetztes
-
berechtigtes Interesse des [X.] an der
[X.] mit dem Beklagten bejaht.
Die Beantwortung der Frage, ob ein berechtigtes Interesse im Sinne dieser Vorschrift gegeben ist, erfordert eine umfassende Würdigung der Umstände des Einzelfalls. Sie obliegt in erster Linie dem
Tatrichter und kann vom Revisionsgericht nur darauf über-prüft werden, ob sie auf einer rechtsfehlerfrei gewonnenen Tatsachengrundlage beruht, alle maßgeblichen Gesichtspunkte berücksichtigt worden sind und der Tatrichter den zutreffenden rechtlichen Maßstab angewandt hat (Senatsurteile vom 23. Mai 2007 -
VIII
ZR 122/06, NJW-RR 2007, 1460 Rn. 11 und VIII
ZR 113/06, [X.], 459 Rn. 11,
jeweils mwN). Die Ausführungen des [X.] halten einer Prüfung anhand dieses Maßstabs stand.
a) Nach den vom
Berufungsgericht getroffenen, von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen ist der Kläger -
wie auch sein Rechtsvorgänger
-
als Dachverband der [X.]

Kirchengemeinden eine Körperschaft des öf-fentlichen Rechts. Die Revision zieht auch nicht in Zweifel, dass ein berechtig-tes Interesse des [X.] an der Auflösung des Mietvertrags anzuerkennen 9
10
11
-
6
-
wäre, wenn er selbst Träger der diakonischen Beratungsstelle wäre, für deren Unterbringung die Räumlichkeiten benötigt werden. Sie meint aber, ein solches Interesse sei ausgeschlossen, wenn -
wie hier
-
die Beratungsstelle nicht vom Kläger selbst, sondern von einer rechtlich selbständigen juristischen Person wie der Diakonie [X.]

e.V. betrieben werde. Der Kläger könne sich nicht auf den [X.] dieses
Dritten berufen.
b) Diese Ansicht teilt der Senat nicht. Es ist seit langem anerkannt, dass ein berechtigtes Interesse an der Beendigung eines Mietverhältnisses vorliegen
kann, wenn eine öffentlich-rechtliche Körperschaft (vor allem eine Gemeinde) die von ihr vermietete Wohnung zur Umsetzung
von Aufgaben benötigt, an de-ren Erfüllung
ein gewichtiges öffentliches Interesse besteht (vgl. [X.], NJW 1981, 580, 582
ff.; [X.], NJW 1981, 1277 f. mwN; [X.], NJW-RR 1991, 649 mwN; [X.], [X.], 711; [X.], Mietrecht, 10. Aufl., § 573 [X.] Rn. 202). Teilweise wird [X.] verlangt, dass die juristische Person des öffentlichen Rechts die von ihr vermietete Wohnung zur Erfüllung eigener öffentlich-rechtlicher Aufgaben oder jedenfalls zur Wahrung
solcher öffentlich-rechtlicher [X.] benötigt, zu deren Durchsetzung sie rechtlich verpflichtet ist (so [X.], [X.], 129 f.; [X.], [X.], 13. Aufl., § 573 Rn. 14; [X.]/[X.], [X.], [X.]. September 2010, § 573 Rn. 195).
Diese Sichtweise, die [X.] nur bei einer rechtlichen Verpflich-tung des Vermieters zu deren Wahrnehmung berücksichtigen will,
verengt den Anwendungsbereich des § 573 Abs. 1 Satz 1 [X.] unangemessen. Sie lässt außer [X.], dass der generalklauselartige Kündigungstatbestand in §
573 Abs.
1 Satz 1 [X.] gleichgewichtig ist mit den in § 573 Abs. 2 [X.] genannten Kündigungsgründen (vgl. [X.], NJW 1992, 105, 106 zu § 564a [X.]; Se-natsurteile vom 23.
Mai 2007 -
VIII
ZR 122/06, und [X.], jeweils aaO 12
13
-
7
-
Rn.
13). Für die Frage, ob ein Interesse als berechtigt nach §
573 Abs.
1 Satz
1 [X.] anzusehen ist, kommt es allein darauf an, ob es ebenso schwer wiegt wie die in § 573 Abs. 2 [X.] beispielhaft aufgeführten Kündigungsgründe ([X.], aaO,
S. 582 mwN zu §
564b [X.]). Wie der Tatbestand
des §
573 Abs. 2 Nr. 2 [X.] belegt, kann sich ein berechtigtes Interesse des [X.] an der Auflösung des Mietverhältnisses
aber nicht nur aus rechtlichen Beziehungen zu anderen Personen, sondern auch aus familiären oder wirt-schaftlichen
Beziehungen ergeben.
In dieser Regelung wird der Wohnbedarf von Familienangehörigen oder Haushaltsangehörigen des Vermieters dem Bedarf des Vermieters gleichge-setzt. Es ist kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, bei §
573 Abs.
1 Satz
1 [X.] einen strengeren Maßstab anzulegen
und [X.] nur dann dem Vermieter als eigenes Interesse zuzuordnen, wenn dieser rechtlich verpflichtet ist, auch solche Fremdinteressen zu wahren.
Die
genannte
Vorschrift
verwehrt es dem Vermieter daher
nicht, auch Umstände aus dem Interessenbereich drit-ter Personen insoweit zu berücksichtigen, als sich aus ihnen aufgrund eines familiären, wirtschaftlichen oder rechtlichen Zusammenhangs auch ein eigenes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses ergibt ([X.], aaO). Diese Grundsätze gelten -
anders als das [X.] Kiel (aaO) meint, das die vom [X.] angestellten Erwägungen missverstanden hat
-
nicht nur für private Vermieter, sondern auch für juristische Personen des öffentlichen Rechts. Auch bei diesen kann ein dem
Kündigungsgrund des § 573 Abs. 2 Nr. 2 [X.] "artverwandtes"
Interesse vor-handen sein ([X.], [X.] 1979, 122 f. mwN; vgl. auch [X.], aaO).
c) Gemessen an diesen
Maßstäben dient die ausgesprochene [X.] mit dem Beklagten nicht nur der Verwirklichung 14
15
-
8
-
fremder Interessen, sondern auch der Durchsetzung eigener Interessen des [X.].
Entscheidend ist, dass sowohl der Kläger als auch
die Betreiberin der Beratungsstelle, die Diakonie [X.]

e.V.,
zum Gesamtkomplex der [X.] im R.

gehören und im gleichen örtlichen [X.], nämlich in [X.]

, kirchliche Aufgaben wahrnehmen. Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts führt die Diakonie [X.]

e.V. für die [X.]

Kirchengemeinden diakonische Aufgaben -
darunter auch die Unterhaltung von Beratungsstellen
-
durch. Es handelt sich damit bei ihr um eine juristische Person, die -
wie das Berufungs-gericht zutreffend ausgeführt hat
-
dem Kläger "nahesteht".
Diese
Zusammen-hänge begründen nicht nur ein -
im Rahmen des § 573 Abs. 1 Satz
1 [X.] un-beachtliches
-
Drittinteresse an der Erlangung geeigneter Räumlichkeiten für
eine Beratungsstelle in der [X.]

[X.], sondern vielmehr ein eigenes berechtigtes Interesse des [X.] an der Beendigung des Mietverhältnisses.
[X.]
Dr. Milger
[X.]

[X.]
Dr. Bünger

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 21.04.2010 -
35 C 14555/09 -

LG Düsseldorf, Entscheidung vom 09.06.2011 -
21 [X.]/10 -

Meta

VIII ZR 238/11

09.05.2012

Bundesgerichtshof VIII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.05.2012, Az. VIII ZR 238/11 (REWIS RS 2012, 6629)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 6629

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VIII ZR 238/11 (Bundesgerichtshof)

Ordentliche Kündigung eines Mietvertrages über Wohnraum: Berechtigtes Drittinteresse einer juristischen Person des öffentlichen Rechts


VIII ZR 330/11 (Bundesgerichtshof)


VIII ZR 292/15 (Bundesgerichtshof)


VIII ZR 330/11 (Bundesgerichtshof)

Wohnraummietvertrag: Berechtigtes Interesse des in demselben Haus wohnenden Vermieters an einer Kündigung wegen beabsichtigter Nutzung …


VIII ZR 284/13 (Bundesgerichtshof)

Wohnraummiete: Inhaltliche Anforderungen an eine Eigenbedarfskündigung


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

VIII ZR 238/11

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.