Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.09.2016, Az. 4 StR 391/16

4. Strafsenat | REWIS RS 2016, 4888

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:270916B4STR391.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 391/16

vom
27. September
2016
in der Strafsache
gegen

wegen versuchten Totschlags u.a.

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des [X.] und der
Beschwerdeführerin
am 27.
September
2016
gemäß §
349 Abs.
2 und 4 StPO beschlossen:

1.
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts Bielefeld vom 8.
April 2016
a)
im Schuldspruch dahin geändert, dass die tateinheitliche Verurteilung wegen Aussetzung entfällt,
b)
im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Straf-kammer des [X.] zurückverwiesen.
3.
Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat die Angeklagte wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit Aussetzung und gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheits-strafe von vier Jahren verurteilt. Die Revision der Angeklagten, mit der sie [X.] die Verletzung sachlichen Rechts beanstandet, hat den aus der [X.]
-
3
-
schlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbe-gründet im Sinne des §
349 Abs.
2 StPO.
I.
Das [X.] hat folgende
Feststellungen und Wertungen getroffen:
1.
Im Oktober 2014 wurde die Angeklagte ungewollt schwanger. [X.] es ihr in der Folgezeit gelungen war, dies vor ihrer Umgebung zu [X.], brachte sie am 14.
Juni 2015, einem Sonntag, in einem abgelegenen Roh-bau in G.

aufrecht stehend und ohne jeden Beistand ihren [X.] zur
Welt, der an ihrem Bein entlang mit dem Kopf voran auf den Boden rutschte und sich dadurch eine dislozierte Schädelfraktur zuzog. Obwohl die Angeklagte erkannte, dass ihr [X.] lebte, versorgte sie ihn nicht weiter, sondern verstaute ihn unbekleidet in einer Einkaufs-Tragetasche. Diese legte sie auf einem schlecht einsehbaren Beet nahe dem für Kraftfahrzeuge abgesperrten Parkplatz eines Marktes für Elektronikartikel ab. Dabei sah sie als sicher voraus, dass der Säugling durch dieses Vorgehen in eine lebensgefährliche Lage versetzt und angesichts der örtlichen und zeitlichen Gegebenheiten nicht überleben würde. Das noch lebende Kind wurde von Passanten in den frühen Abendstunden ent-deckt und stark dehydriert sowie unterkühlt ins Krankenhaus gebracht. Ange-sichts der vorherrschenden Außentemperaturen hätte es die Nacht nicht über-lebt. Erst am Abend des folgenden Tages kehrte die Angeklagte zum Ablageort zurück, wo sie die Tüte mit ihrem Kind nicht mehr vorfand, aber nichts weiter unternahm.
2.
Das [X.] hat angenommen, die Angeklagte, die sich zum [X.] nicht ausschließbar im Zustand erheblich verminderter Steuerungs-2
3
4
-
4
-
fähigkeit befunden habe, habe sich

mit direktem Vorsatz
handelnd

des ver-suchten Totschlags schuldig gemacht. Zugleich habe sie ihren [X.] durch die Ablage in der Tragetasche in eine hilflose Lage im Sinne von §
221 Abs.
1 StGB gebracht. Ihr Vorgehen stelle ferner eine ebenfalls tateinheitlich begange-ne gefährliche Körperverletzung in Form einer das Leben gefährdenden Be-handlung im Sinne des §
224 Abs.
1 Nr.
5 StGB dar, da ihr Kind die Nacht im Freien ohne die rechtzeitige Entdeckung nicht überlebt hätte.
Die verhängte Freiheitsstrafe hat das [X.] dem
gemäß §§
22, 23 sowie §
21, jeweils [X.]. §
49 Abs.
1 StGB, doppelt gemilderten Strafrahmen des §
212 StGB entnommen. Die Annahme eines minder schweren Falles komme auch unter Berücksichtigung des Vorliegens beider vertypter Milde-rungsgründe nicht in Betracht. Dagegen spreche neben dem [X.] auch der Umstand, dass die Angeklagte tateinheitlich drei gravierende Delikte begangen habe.
II.
1.
Soweit das [X.] die Angeklagte des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen hat, hält das angefochtene Urteil rechtlicher Nachprüfung stand. Die (weitere) tateinheitliche Verurteilung wegen Aussetzung (§
221 Abs.
1, 2 Nr.
1 StGB) begegnet jedoch im vorliegenden Fall durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
a)
Der
Bundesgerichtshof hat bereits zu §
221 StGB
aF entschieden, dass, wer den äußeren Tatbestand der Aussetzung mit wenn auch nur beding-tem Tötungsvorsatz verwirklicht, nur wegen vollendeter oder versuchter Tötung bestraft werden kann, nicht aber wegen Aussetzung ([X.], Urteil vom 27.
März 5
6
7
-
5
-
1953

1
StR
689/52, [X.]St 4, 113, 116). Zur Begründung hat er darauf abge-stellt, dass dem Aussetzungsvorsatz des Gefährdungsdelikts neben dem zu-gleich gegebenen Tötungsvorsatz des [X.] strafrechtlich keine eigen-ständige Bedeutung zukomme ([X.] aaO; vgl. auch [X.], Urteil vom 24.
Okto-ber 1995

1
StR
465/95, [X.]R StGB §
221 Konkurrenzen
1; Beschluss vom 19.
Oktober 2011

1
StR
233/11, [X.]St 57, 28, 31; ebenso [X.]/
[X.], 2.
Aufl., §
221 Rn.
17; [X.], StGB, 63.
Aufl., §
221 Rn.
28; [X.] in [X.]/[X.], StGB, 29.
Aufl., §
221 Rn.
18; insbes. zu §
221 Abs.
2 Nr.
1 StGB differenzierend MüKo-StGB/Hardtung, 2.
Aufl., §
221 Rn.
50).
b)
Der Senat braucht aus Anlass des vorliegenden Falles nicht zu [X.], ob der Auffassung, zwischen einem versuchten Tötungsdelikt und dem Tatbestand der Aussetzung bestehe [X.], in dieser Allge-meinheit zu folgen ist. Jedenfalls in Fällen, in denen

wie hier

die

mit direk-tem Vorsatz ausgeführte

versuchte Tötungshandlung gerade im Verbringen des [X.] in eine hilflose Lage im Sinne des §
221 StGB besteht, ist an dieser Rechtsprechung festzuhalten.
2.
Der Schuldspruch war demgemäß dahin zu ändern, dass die [X.] wegen Aussetzung entfällt. Die Änderung des Schuldspruchs macht die Aufhebung des Strafausspruchs erforderlich. Das [X.] hat der Ange-klagten die tateinheitliche Begehung von drei Delikten straferschwerend ange-lastet. Auch angesichts des Vorliegens von zwei vertypten [X.]
8
9
-
6
-
kann der Senat daher nicht mit der erforderlichen Sicherheit gänzlich aus-schließen, dass die verhängte Freiheitsstrafe niedriger ausgefallen wäre.
Sost-Scheible
Roggenbuck
Franke

Bender
Paul

Meta

4 StR 391/16

27.09.2016

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.09.2016, Az. 4 StR 391/16 (REWIS RS 2016, 4888)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 4888

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