Bundesfinanzhof, Urteil vom 23.09.2020, Az. XI R 6/20 (XI R 19/15), XI R 6/20, XI R 19/15

11. Senat | REWIS RS 2020, 3402

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Gegenstand

(Zur umsatzsteuerrechtlichen Behandlung medizinischer Telefonberatung (Nachfolgeentscheidung zum EuGH-Urteil X-GmbH vom 05.03.2020 - C-48/19))


Leitsatz

1. Auch telefonische Beratungen im Rahmen eines sog. Gesundheitstelefons können einen therapeutischen Zweck verfolgen und unter den Begriff "Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" fallen.

2. Telefonische Beratungen im Rahmen von Patientenbegleitprogrammen können Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin sein, wenn diese als Patientenschulungen im Rahmen der ergänzenden Leistungen zur Rehabilitation nachgewiesen einen therapeutischen Zweck erfüllen.

3. Für die nicht unter einen der Katalogberufe des § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG fallenden Unternehmer kann sich die erforderliche Berufsqualifikation entweder aus einer berufsrechtlichen Regelung oder daraus ergeben, dass die betreffenden heilberuflichen Leistungen in der Regel von den Sozialversicherungsträgern finanziert werden.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 14.08.2015 - 1 K 1570/14 U aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

1

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, verfolgt den Gesellschaftszweck, im Auftrag von Anbietern von Gesundheitsdienstleistungen (insbesondere Krankenkassen und -versicherungen) Versorgungsleistungen aktiv zu unterstützen und somit einen qualitativ hochwertigen Beitrag zur Gesunderhaltung der Bevölkerung zu leisten, was auch den Handel mit elektronischen Endgeräten, Literatur sowie EDV-Systemen einschließt.

2

Sie betrieb im Besteuerungszeitraum 2014 (Streitjahr) im Auftrag von gesetzlichen Krankenkassen ein sog. [X.], bei dem Versicherte in medizinischer Hinsicht beraten wurden, und führte im Auftrag von gesetzlichen Krankenkassen --und auch von Pharmaunternehmen, was die Klägerin im Revisionsverfahren nicht mehr weiterverfolgt-- [X.] für an chronischen oder lang andauernden Krankheiten leidende Patienten durch.

3

Die telefonischen Beratungsleistungen wurden durch Krankenschwestern und medizinische Fachangestellte (Arzthelfer) erbracht, die größtenteils auch als Gesundheitscoach ausgebildet waren. In mehr als einem Drittel der Fälle wurde zudem ein Arzt, regelmäßig ein Facharzt, hinzugezogen, der die Beratung übernahm bzw. bei Rückfragen Anweisungen oder eine "zweite Meinung" erteilte.

4

Im Rahmen des [X.] richtete die Klägerin [X.] ein, unter denen Mitarbeiter für die Versicherten regelmäßig rund um die Uhr an jedem Tag erreichbar waren. Die Mitarbeiter der Klägerin meldeten sich unter dem Namen der jeweiligen Krankenkasse. Soweit eine medizinische Beratung gewünscht wurde, erfolgte eine softwaregestützte Befunderhebung, d.h. eine Kontexteinstufung mit gezielten Fragen zur Thematik, und darauf folgend eine Beratung zu der vom Anrufer angegebenen therapeutischen Versorgungssituation. Dabei wurden Diagnosen und mögliche Therapien erklärt und Ratschläge zu Verhaltens- und Behandlungsänderungen erteilt. Die abgeschlossenen Fälle wurden dem ärztlichen Leiter stichprobenartig eingespielt und insbesondere auf die medizinisch-fachliche Nachvollziehbarkeit der dokumentierten Angaben überprüft.

5

Die Teilnehmer der [X.] wurden auf der Basis von Abrechnungsdaten und Krankheitsbildern von den Krankenkassen ermittelt, von diesen angeschrieben und auf Wunsch in das Programm eingeschrieben. Die Teilnehmer, die von Mitarbeitern der Klägerin über einen Zeitraum von drei bis zwölf Monaten angerufen wurden, konnten bei Fragen jederzeit die medizinische Hotline erreichen und rund um die Uhr situationsbezogene Informationen zu ihrem Krankheitsbild erhalten. Schwerpunkt der [X.] war, das Verständnis der Teilnehmer und ihrer Angehörigen für ihre Krankheit und die regel- und vorschriftsmäßige Einnahme der Medikamente oder die Teilnahme an anderen Therapien zu verbessern, Fehlmedikationen zu vermeiden und eine adäquate Reaktion auf Symptomzunahme und [X.] Isolation herbeizuführen. Ziel dessen war es, die Kosten bei Versicherten mit chronischen oder psychischen Erkrankungen besser zu managen und insbesondere die Zahl erneuter stationärer Aufnahmen der Teilnehmer deutlich zu verringern bzw. bei ambulanter Verdachtsdiagnose in Zusammenhang mit dem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom oder der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung die Eltern zu unterstützen und zur Verringerung von [X.] zu entlasten.

6

Die Klägerin stufte ihre Umsätze aus dem Betrieb des [X.] --soweit der Anruf von ihren Mitarbeitern als therapeutischer Anruf erfasst wurde-- und der [X.] als Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin ein und meldete für den --vormals allein [X.] Voranmeldungszeitraum Februar 2014 insoweit steuerfreie Umsätze an.

7

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) beurteilte die betreffenden Umsätze als steuerpflichtig und setzte mit Bescheid vom 08.05.2014 die Umsatzsteuervorauszahlung für Februar 2014 abweichend von der Voranmeldung fest.

8

Das Finanzgericht ([X.]) Düsseldorf wies mit Urteil vom 14.08.2015 - 1 K 1570/14 U (Entscheidungen der Finanzgerichte 2015, 2232) die Klage ab. Es führte aus, die telefonischen Beratungsleistungen der Klägerin seien nicht als ärztliche Heilbehandlungen von der Umsatzsteuer befreit. Die im Rahmen des [X.] erteilten Informationen beruhten nicht auf medizinischen Feststellungen, die von entsprechendem Fachpersonal getroffen worden seien, sondern allein auf den Angaben des [X.] zu dem Krankheitsbild, zu dem dieser sich habe weiter informieren wollen, sei es zur Art der Diagnose, der Behandlungsmöglichkeiten oder der Präventionsmaßnahmen. Dementsprechend hätten auch die Krankenkassen in ihren [X.] ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein medizinisches Informationsgespräch den Besuch beim Arzt nicht ersetzen könne bzw. dass diese Informationen nicht den Haus- oder Facharzt und auch nicht den Apotheker ersetzten; es würden keine Ferndiagnosen gestellt, sondern lediglich weitergehende Informationen über eine Erkrankung oder Auskünfte zu Diagnosen erteilt. Auch den Beratungsleistungen des [X.]s fehle es am erforderlichen therapeutischen Zweck. Die Leistungen seien weder ärztlich verordnet noch seien sie im Rahmen einer individuellen Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahme durchgeführt worden.

9

Mit der Revision macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, ihre vorbeugenden Beratungsleistungen unterfielen der Steuerbefreiung, da sie einen unmittelbaren Krankheitsbezug hätten und dazu dienten, spätere höhere Kosten durch ärztliche Heilbehandlungen zu vermeiden. Ebenso wie bei Erst- oder Notfallberatung sei eine vorherige von medizinischem Fachpersonal gestellte Diagnose nicht Voraussetzung. Auch ein (erstmaliger) telefonischer Arzt-Patienten-Kontakt sei Teil einer steuerbefreiten ärztlichen Leistung. Im Übrigen käme telemedizinischen Leistungen zunehmende Bedeutung zu.

Das [X.] verteidigt die Vorentscheidung und führt aus, dass --selbst wenn der individuelle Gesundheitsfall des [X.] Anlass des Telefonats gewesen [X.] aufgrund der fehlenden Krankenunterlagen nur die Bandbreite der allgemein denkbaren medizinischen Möglichkeiten habe dargestellt werden können. Das Telefonat habe neben einer allgemeinen medizinischen Information nur eine Entscheidungshilfe geben können, ob der Anrufer z.B. einen (weiteren) Arzt aufsucht oder die von seinem Arzt vorgeschlagene Therapie bzw. Behandlung fortführt.

Mit Beschluss vom 18.09.2018 - XI R 19/15 ([X.], 561, [X.], 178) hat der erkennende Senat das Revisionsverfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union ([X.]) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

        

"1. Liegt unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, in denen ein Steuerpflichtiger im Auftrag von Krankenkassen Versicherte zu verschiedenen Gesundheits- und Krankheitsthemen telefonisch berät, eine Tätigkeit vor, die dem Anwendungsbereich des Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/[X.] vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem [MwStSystRL] unterfällt?

            
        

2. Reicht es unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens in Bezug auf die in Frage 1 genannten Leistungen sowie für Umsätze im Rahmen von '[X.]n' für den erforderlichen beruflichen Befähigungsnachweis aus, dass die telefonischen Beratungen von 'Gesundheitscoaches' (medizinischen Fachangestellten, Krankenschwestern) durchgeführt werden und in circa einem Drittel der Fälle ein Arzt hinzugezogen wird?"

Der [X.] hat mit seinem Urteil X-GmbH vom 05.03.2020 - [X.]/19 ([X.]:C:2020:169) wie folgt geantwortet:

        

"1. Art. 132 Abs. 1 Buchst. c [MwStSystRL] ist dahin auszulegen, dass telefonisch erbrachte Beratungsleistungen in Bezug auf Gesundheit und Krankheiten unter die in dieser Vorschrift vorgesehene Mehrwertsteuerbefreiung fallen können, sofern sie eine therapeutische Zielsetzung verfolgen; dies zu prüfen ist Sache des vorlegenden Gerichts.

          
        

2. Art. 132 Abs. 1 Buchst. c [MwStSystRL] ist dahin auszulegen, dass er nicht verlangt, dass Krankenpfleger und medizinische Fachangestellte, die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin erbringen, aufgrund der Tatsache, dass diese Leistungen telefonisch erbracht werden, zusätzlichen Anforderungen an die berufliche Qualifikation genügen, damit diese Leistungen in den Genuss der in dieser Vorschrift vorgesehenen Steuerbefreiung kommen können, sofern davon ausgegangen werden kann, dass sie ein vergleichbares Qualitätsniveau aufweisen wie die von anderen Anbietern auf diese Weise erbrachten Leistungen; dies zu prüfen ist Sache des vorlegenden Gerichts."

Die Klägerin sieht sich durch das [X.]-Urteil in ihrer Rechtsauffassung bestätigt.

Das [X.] leitet hingegen aus dem [X.]-Urteil ab, dass im Gegensatz zu den [X.]n, die sich jeweils auf ein bestimmtes Krankheitsbild eines bestimmten Patienten beschränkten, beim [X.] nicht in gleicher Weise naheliegend sei, dass auch hier durchgehend ein im weiteren Sinne therapeutischer Zweck erfüllt werde. Jedenfalls fehle es insgesamt an den notwendigen gesetzlichen Regelungen, die die an die Mitarbeiter/innen zu stellenden Qualifikationsanforderungen festlegen. Insbesondere sei ungeklärt, in welchem Umfang auch Krankenpfleger und medizinische Fachangestellte Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin erbringen können.

Nach Wiederaufnahme des Revisionsverfahrens hat das [X.] am 09.06.2020 für das Streitjahr einen Umsatzsteuerbescheid erlassen und diesen mit Bescheid vom 16.09.2020 gemäß § 129 der Abgabenordnung berichtigt.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, unter Aufhebung des [X.] und Änderung des Umsatzsteuerbescheides für 2014 vom 16.09.2020 die Umsatzsteuer auf … € festzusetzen.

Das [X.] beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen,

hilfsweise unter Aufhebung der Vorentscheidung die Sache an das [X.] zurückzuverweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

Zu Unrecht hat das [X.] den von der Klägerin mit dem Betrieb des [X.] und der Durchführung von [X.]n erbrachten Leistungen die Qualität von Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin (§ 4 Nr. 14 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2009 vom 19.12.2008, [X.], 2794 --UStG--, Art. 132 Abs. 1 Buchst. [X.]) bereits dem Grunde nach abgesprochen. Die tatsächlichen Feststellungen des [X.] reichen nicht aus, um den Streitfall abschließend zu entscheiden.

1. Das Urteil des [X.] ist schon aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben. Da dem [X.]-Urteil ein nicht mehr existierender Verwaltungsakt zugrunde liegt, kann es keinen Bestand haben (vgl. z.B. Urteile des [X.] --BFH-- vom 24.04.2013 - XI R 3/11, [X.], 410, [X.], 86, Rz 25; vom 03.07.2014 - V R 32/13, [X.], 264, [X.], 666, Rz 10; [X.] vom 12.09.2018 - I R 77/16, [X.], 296, Rz 9).

Der im Revisionsverfahren zuletzt ergangene [X.] für 2014 vom 16.09.2020 hat den [X.] für Februar 2014, der Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens war, i.S. der §§ 68 Satz 1, 121 Satz 1 [X.]O ersetzt. Wird der angefochtene Verwaltungsakt nach Klageerhebung durch einen anderen Verwaltungsakt geändert oder ersetzt, so wird gemäß der auch im Revisionsverfahren (§ 121 Satz 1 [X.]O) geltenden Vorschrift des § 68 [X.]O der neue Verwaltungsakt zum Gegenstand des Verfahrens. Das gilt auch für einen [X.] im Verhältnis zum [X.] (vgl. z.B. BFH-Urteil in [X.], 410, [X.], 86, Rz 26, m.w.N.). Gegenstand der revisionsrechtlichen Prüfung ist deshalb nunmehr die Rechtmäßigkeit des [X.]es für 2014 vom 16.09.2020.

2. § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG befreit die "Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit durchgeführt werden". [X.] beruht dies auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. [X.]. Danach sind "Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe durchgeführt werden", steuerfrei.

Die Vorschrift des § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG ist im Lichte des Art. 132 Abs. 1 Buchst. [X.] unionsrechtskonform auszulegen (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 11.10.2017 - XI R 23/15, [X.], 567, [X.], 109, Rz 24 f., m.w.N.), wozu auch weiterhin die Rechtsprechung des [X.] zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der [X.]/EWG des Rates vom 17.05.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern herangezogen werden kann (vgl. [X.]-Urteile Future Health Technologies vom 10.06.2010 - [X.], [X.]:C:2010:334, Rz 27; [X.] vom 18.09.2019 - [X.]/17, [X.]:[X.], Rz 18).

a) Art. 132 Abs. 1 Buchst. [X.] betrifft Leistungen, die außerhalb von Krankenhäusern, sei es in den Praxisräumen des Behandelnden, in der Wohnung des Patienten oder an einem anderen Ort, erbracht werden (vgl. z.B. [X.]-Urteile [X.], [X.]:[X.], Rz 21; X-GmbH, [X.]:C:2020:169, Rz 20). Auch telefonisch erbrachte Heilbehandlungen können unter die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. [X.] vorgesehene Steuerbefreiung fallen, wenn sie alle Voraussetzungen für die Anwendung dieser Befreiung erfüllen (vgl. [X.]-Urteil X-GmbH, [X.]:C:2020:169, Rz 21, 23).

b) Der autonome unionsrechtliche Begriff "Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" (vgl. [X.]-Urteile Unterpertinger vom 20.11.2003 - [X.]/01, [X.]:C:2003:625, Rz 35; [X.] und [X.] vom 20.11.2003 - C-307/01, [X.]:[X.], Rz 53) erfasst Leistungen, die der Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienen (vgl. z.B. [X.]-Urteile [X.], [X.]:[X.], Rz 20; X-GmbH, [X.]:C:2020:169, Rz 28). Daraus folgt jedoch nicht zwangsläufig, dass die therapeutische Zielsetzung einer Leistung in einem besonders engen Sinne zu verstehen ist; so fallen medizinische Leistungen, die zum Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit erbracht werden, unter die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. [X.] vorgesehene Steuerbefreiung (vgl. z.B. [X.]-Urteile Future Health Technologies, [X.]:C:2010:334, Rz 41 f.; [X.] vom 21.03.2013 - [X.]/12, [X.]:C:2013:198, Rz 27; X-GmbH, [X.]:C:2020:169, Rz 29).

Das Fehlen einer ärztlichen Verschreibung vor der telefonischen Beratung oder einer konkreten ärztlichen Behandlung im [X.] daran genügt nicht zur Klärung der Frage, ob eine solche Beratung unter den Begriff "Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" i.S. von Art. 132 Abs. 1 Buchst. [X.] fällt ([X.]-Urteil X-GmbH, [X.]:C:2020:169, Rz 30).

c) Zum Streitfall hat der [X.] mit Urteil X-GmbH ([X.]:C:2020:169) entschieden:

    

"31 Im vorliegenden Fall ermöglichen Beratungen, die darin bestehen, die in Betracht kommenden Diagnosen und Therapien zu erläutern sowie Änderungen der durchgeführten Behandlungen vorzuschlagen, es der betroffenen Person, ihre medizinische Situation zu verstehen und gegebenenfalls entsprechend tätig zu werden, insbesondere indem sie ein bestimmtes Arzneimittel einnimmt oder nicht einnimmt; sie können daher einen therapeutischen Zweck verfolgen und somit unter den Begriff 'Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin' im Sinne von Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie fallen.

   

32 Dagegen fallen Leistungen, die in der Erteilung von Auskünften über Erkrankungen oder Therapien bestehen, aber aufgrund ihres allgemeinen Charakters nicht geeignet sind, zum Schutz, zur Aufrechterhaltung oder zur Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit beizutragen, nicht unter diesen Begriff.

   

33 Ebenso können Leistungen, die in der Erteilung von Auskünften administrativer Art, wie der Kontaktdaten eines Arztes oder einer Schlichtungsstelle, bestehen, den unter die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie vorgesehene Steuerbefreiung fallenden Leistungen nicht gleichgestellt werden."

d) Das [X.] hat seiner Entscheidung andere Rechtsgrundsätze zugrunde gelegt. Sein Urteil kann auch deshalb keinen Bestand haben.

Dem [X.] obliegt es, Feststellungen (§ 118 Abs. 2 [X.]O) zu den von der Klägerin mit dem Betrieb des [X.] erbrachten Leistungen zu treffen und diese gemäß den Rechtsgrundsätzen des [X.]-Urteils X-GmbH ([X.]:C:2020:169, Rz 31 bis 33) rechtlich einzuordnen.

e) Für die Leistungen der Klägerin im Rahmen der [X.] ist der sachliche Anwendungsbereich der Steuerbefreiung des § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG, Art. 132 Abs. 1 Buchst. [X.] dem Grunde nach eröffnet. Es handelt sich um Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, da diese als Patientenschulungen im Rahmen der ergänzenden Leistungen zur Rehabilitation (§ 43 Abs. 1 Nr. 2 des [X.]) nur gegenüber Teilnehmern mit von ärztlichem Fachpersonal diagnostizierter chronischer Krankheit erbracht werden und damit nachgewiesen einen therapeutischen Zweck erfüllen (vgl. Senatsbeschluss in [X.], 561, [X.], 178, Rz 28).

f) [X.] ist nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. [X.] allerdings nur dann steuerfrei, wenn sie im Rahmen der Ausübung ärztlicher und arztähnlicher Berufe erbracht wird (vgl. [X.]-Urteil X-GmbH, [X.]:C:2020:169, Rz 17). Nicht notwendig ist jedoch, dass jeder Aspekt einer therapeutischen Behandlung von medizinischem Personal durchgeführt wird (vgl. [X.]-Urteil [X.] vom 18.11.2010 - [X.]/09, [X.]:[X.], Rz 28).

aa) Die Definition der ärztlichen oder arztähnlichen Berufe obliegt nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. [X.] den Mitgliedstaaten, die über ein Ermessen bei der Bestimmung der Berufe, in deren Rahmen die Erbringung von Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin von der Mehrwertsteuer befreit ist, und insbesondere bei der Festlegung der Qualifikationen, die für die Ausübung dieser Berufe erforderlich sind, verfügen (vgl. [X.]-Urteile Solleveld u.a. vom [X.] und [X.]/04, [X.]:[X.], Rz 29 f., 32; X-GmbH, [X.]:C:2020:169, Rz 40).

bb) Dementsprechend regelt § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG, dass Leistungen im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit erfasst werden.

cc) Für die nicht unter einen der genannten Katalogberufe fallenden Unternehmer kann sich die erforderliche Berufsqualifikation nach der nationalen Rechtsprechung aus einer berufsrechtlichen Regelung ergeben. Außerdem kann --entsprechend dem Zweck der Regelung, die Sozialversicherungsträger von der Umsatzsteuer zu entlasten-- grundsätzlich vom Vorliegen des [X.] ausgegangen werden, wenn die Leistungen des Unternehmers durch heilberufliche Tätigkeit in der Regel von den Sozialversicherungsträgern finanziert werden (vgl. BFH-Urteile vom 12.08.2004 - V R 18/02, [X.], 381, [X.], 227, unter [X.], Rz 43; vom 11.11.2004 - V R 34/02, [X.], 65, [X.], 316, unter [X.], Rz 21). Eine Kostentragung durch gesetzliche Krankenkassen ist dabei dann von Bedeutung, wenn sie den Charakter eines [X.] hat. Dies kann sich im Einzelfall aus den Beziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern nach den nationalen Regelungen im Vierten Kapitel des [X.] und damit aus den §§ 69 ff. [X.] ergeben. So ist z.B. die Aufnahme der betreffenden Leistungen in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen nach § 92 [X.], der Abschluss eines Versorgungsvertrags nach § 111 [X.] oder die Zulassung nach § 124 [X.] als Indiz für das Vorliegen der erforderlichen Berufsqualifikation anzusehen (vgl. [X.] vom 14.10.2010 - V B 152/09, [X.], 326, Rz 4, m.w.N.). Auch aus der Kostentragung nach § 43 [X.] i.V.m. einer Gesamtvereinbarung kann sich der erforderliche Qualifikationsnachweis ergeben (vgl. BFH-Urteil vom [X.], [X.], 248, [X.], 679, unter [X.], Rz 24).

dd) Im vorliegenden Fall waren Krankenschwestern und medizinische Fachangestellte (Arzthelfer), die größtenteils auch als Gesundheitscoach ausgebildet waren, tätig. Bei gegebener Relevanz wurden diese in mehr als einem Drittel der Fälle von Fachärzten unterstützt. Die betreffenden Kosten wurden vollständig von gesetzlichen Krankenkassen getragen, woraus --wie [X.] grundsätzlich auf die für die erbrachten Leistungen erforderliche Qualifikation des von der Klägerin eingesetzten Personals geschlossen werden kann. Allerdings erfolgte dies möglicherweise auf einzelvertraglicher Grundlage außerhalb des Leistungskatalogs und nicht aufgrund eines unter [X.] genannten Vertrags.

Hierzu weitere Feststellungen zu treffen, die Feststellungen tatsächlich zu würdigen und nach den Vorgaben des [X.]-Urteils X-GmbH ([X.]:C:2020:169) rechtlich einzuordnen, obliegt dem [X.].

(1) Art. 132 Abs. 1 Buchst. [X.] verlangt nicht, dass Krankenpfleger und medizinische Fachangestellte, die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin erbringen, aufgrund der Tatsache, dass diese Leistungen telefonisch erbracht werden, zusätzlichen Anforderungen an die berufliche Qualifikation genügen, damit diese Leistungen in den Genuss der in dieser Vorschrift vorgesehenen Steuerbefreiung kommen können, sofern davon ausgegangen werden kann, dass sie ein vergleichbares Qualitätsniveau aufweisen wie die von anderen Anbietern auf diese Weise erbrachten Leistungen (vgl. [X.]-Urteil X-GmbH, [X.]:C:2020:169, Leitsatz 2, Rz 47).

(2) Zwar können die Mitgliedstaaten im Rahmen ihres Ermessens ggf. verlangen, dass die Anbieter berufliche Qualifikationen erwerben, die über diejenigen hinausgehen, die für die in anderer Weise als telefonisch erbrachten Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin erforderlich sind ([X.]-Urteil X-GmbH, [X.]:C:2020:169, Rz 44). Solche verbindlichen Festlegungen über die fachlichen Anforderungen an das Erbringen von telefonischen medizinischen Beratungsleistungen bestehen in der [X.] indes nicht (vgl. Senatsbeschluss in [X.], 561, [X.], 178, Rz 34).

Aus dem Einwand des [X.], dass für die [X.] und die Gesundheits-Hotline der Klägerin gesetzliche Regelungen fehlen, die die Qualifikationsanforderungen der Mitarbeiter/innen festlegen, folgt damit nicht, dass in Fällen wie dem vorliegenden die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG, Art. 132 Abs. 1 Buchst. [X.] ausgeschlossen wäre. Vielmehr gelten die unter [X.] dieses Urteils dargestellten Rechtsgrundsätze.

g) Gründe, die Veranlassung gäben, die streitbefangenen Umsätze der Klägerin im Hinblick auf gleichartige und deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Dienstleistungen Dritter aus Gründen der steuerrechtlichen Neutralität der Umsatzsteuer zu unterwerfen, hat das [X.] nicht festgestellt. Sie sind bisher auch nicht ersichtlich.

3. Durch die Zurückverweisung erhält das [X.] zugleich Gelegenheit, Feststellungen zu der Höhe der Vorsteuern und deren Aufteilung sowie ggf. zu § 14c Abs. 1 Satz 1 UStG zu treffen.

4. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das [X.] beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

5. Der Senat erkennt gemäß § 90 Abs. 2 i.V.m. § 121 Satz 1 [X.]O mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung.

Meta

XI R 6/20 (XI R 19/15), XI R 6/20, XI R 19/15

23.09.2020

Bundesfinanzhof 11. Senat

Urteil

vorgehend FG Düsseldorf, 14. August 2015, Az: 1 K 1570/14 U, Urteil

§ 4 Nr 14 Buchst a S 1 UStG 2005 vom 19.12.2008, Art 132 Abs 1 Buchst c EGRL 112/2006, § 43 Abs 1 Nr 2 SGB 5

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 23.09.2020, Az. XI R 6/20 (XI R 19/15), XI R 6/20, XI R 19/15 (REWIS RS 2020, 3402)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 3402

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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