Bundesgerichtshof, Urteil vom 13.11.2023, Az. VIa ZR 717/22

6a. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 8804

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Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des 10. Zivilsenats des [X.] vom 9. Mai 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Berufungsantrag zu I in Höhe von 20.998,57 € nebst Zinsen hieraus Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs sowie der Berufungsantrag zu [X.] zurückgewiesen worden sind.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Der Kläger kaufte am 9. Mai 2014 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten [X.] B 200 CDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe [X.] ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung unter Einsatz eines sogenannten "Thermofensters" temperaturabhängig gesteuert. Das Fahrzeug verfügt über eine [X.] ([X.]). Es ist nicht von einem vom [X.] veranlassten Rückruf wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen.

3

Der Kläger hat zuletzt die Erstattung des Kaufpreises nebst Verzugszinsen (Berufungsantrag zu I) sowie die Zahlung von [X.] (Berufungsantrag zu II) jeweils Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu [X.]) sowie die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten (Berufungsantrag zu IV) begehrt.

4

Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des [X.] ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger den Berufungsantrag zu I in Höhe von 20.998,57 € nebst Zinsen hieraus sowie den Berufungsantrag zu [X.] weiter.

Entscheidungsgründe

5

Die Revision des [X.] hat Erfolg.

I.

6

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:

7

Dem Kläger stünden keine deliktsrechtlichen Ansprüche gegen die Beklagte zu. Er habe die Voraussetzungen für eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung im Sinne des § 826 BGB nicht schlüssig dargelegt. Sein Vorbringen biete keine hinreichend fassbaren tatsächlichen Anhaltspunkte für ein [X.] Verhalten der Beklagten. Zu seinen Gunsten könne unterstellt werden, dass es sich bei dem in das Fahrzeug eingebauten [X.] und der implementierten [X.] um unzulässige Abschalteinrichtungen handele. Da deren Funktionsweise auf dem Prüfstand und im realen Fahrbetrieb unter denselben Bedingungen im Grundsatz gleich sei, sei jedoch nicht ohne Weiteres von einem verwerflichen Verhalten der für die Beklagte verantwortlich handelnden Personen auszugehen. Eine möglicherweise fahrlässige Verkennung, dass das [X.] oder die [X.] als unzulässige Abschalteinrichtungen zu qualifizieren sei, genüge hierfür nicht.

8

Aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.] ergebe sich ebenfalls kein Anspruch des [X.]. Die Vorschriften der [X.] dienten nicht dem Schutz des Interesses eines [X.], nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden. Jedenfalls scheitere ein Anspruch am fehlenden Verschulden der Beklagten. Da der [X.] durchweg den Schutzgesetzcharakter der einschlägigen unionsrechtlichen Normen verneint habe, könne der Beklagten wegen eines insoweit unvermeidbaren Verbotsirrtums im Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs durch den Kläger ein [X.] nicht gemacht werden.

II.

9

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat, weil es tatsächliche Anhaltspunkte für ein [X.] Verhalten der Beklagten nicht festgestellt hat. Die von der Revision erhobene Verfahrensrüge, das Berufungsgericht habe das Vorbringen des [X.] zur Prüfstandsbezogenheit der im Fahrzeug verbauten [X.] unberücksichtigt gelassen, hat der [X.] geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.] abgelehnt hat. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein solcher Schadensersatzanspruch des [X.] nicht verneint werden.

a) Wie der [X.] nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.] Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des [X.] gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der [X.] zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur [X.] bestimmt in [X.]Z).

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des [X.] auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.] ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen [X.]s zustehen kann (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso [X.], Urteile vom 20. Juli 2023 - [X.], [X.], 1839 Rn. 21 ff.; - [X.], juris Rn. 16 f.).

b) Ebenfalls von Rechtsfehlern beeinflusst ist die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte treffe unter dem Gesichtspunkt eines unvermeidbaren Verbotsirrtums kein Verschulden, weil zur Zeit des Fahrzeugerwerbs durch den Kläger die höchstrichterliche Rechtsprechung den Schutzgesetzcharakter der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.] verneint habe. Das Berufungsgericht hat schon nicht festgestellt, dass sämtliche verfassungsmäßig berufenen Vertreter der Beklagten einem Rechtsirrtum erlegen sind (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], NJW 2023, 2259 Rn. 63; Urteil vom 25. September 2023 - [X.], juris Rn. 14). Unabhängig davon hat es übersehen, dass sich das nach § 823 Abs. 2 Satz 2 BGB erforderliche Verschulden allein auf die Verletzung des Schutzgesetzes beziehen muss (vgl. [X.], Urteil vom 20. März 1961 - [X.], [X.]Z 34, 375, 381; Urteil vom 2. Februar 1988 - [X.], [X.]Z 103, 197, 200; vgl. auch [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], NJW 2023, 2259 Rn. 38). Im Hinblick auf einen Verstoß gegen die Vorschriften der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.] hat es das Berufungsgericht indessen für möglich gehalten, dass die Beklagte die - unterstellte - Unzulässigkeit des [X.]s und der [X.] fahrlässig verkannt hat.

III.

Das angefochtene Urteil ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil es sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der [X.] kann im Umfang der Aufhebung des Berufungsurteils nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen [X.] darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des [X.]s vom 26. Juni 2023 ([X.], NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.] zu treffen haben.

[X.]     

      

Götz     

      

Rensen

      

Wille     

      

Vogt-Beheim     

      

Meta

VIa ZR 717/22

13.11.2023

Bundesgerichtshof 6a. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend BGH, 8. August 2023, Az: VIa ZR 717/22, Beschluss

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 13.11.2023, Az. VIa ZR 717/22 (REWIS RS 2023, 8804)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 8804

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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III ZR 303/20

III ZR 267/20

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