Bundesfinanzhof, Beschluss vom 22.12.2011, Az. III R 8/08

3. Senat | REWIS RS 2011, 98

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Gegenstand

Nicht erfüllte Unterhaltsansprüche sind kein Bezug - Unterhaltsleistungen von Eltern gegenüber verheirateten Kindern


Leitsatz

Erhält das verheiratete Kind eines Kindergeldberechtigten von seinem getrennt lebenden Ehegatten keine Unterhaltszahlungen, so darf der Unterhaltsanspruch nicht als Bezug i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG berücksichtigt werden (entgegen Abschn. 31.2.2. Abs. 6 Satz 3 DA-FamEStG 2010).

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Vater einer im Jahr 1982 geborenen [X.]ochter ([X.]), die seit August 2001 verheiratet war. Im August 2002 trennte sich [X.] von ihrem [X.]hemann ([X.]), im April 2005 wurde die [X.]he geschieden. [X.]rotz eines entsprechenden Urteils des [X.] vom 22. Juni 2004 leistete [X.] zunächst keinen Unterhalt an [X.]. [X.]rst im Zwangsvollstreckungsverfahren zahlte er [X.]nde des Jahres 2005 einen Betrag von 4.500 €.

2

[X.] befand sich bis September 2003 in einer Ausbildung zur Arzthelferin. Der Kläger bezog für sie Kindergeld. Durch Bescheid vom 28. Juni 2005 hob die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) die Festsetzung ab Januar 2003 auf. Sie war der Ansicht, die [X.]inkünfte und Bezüge von [X.] hätten unter Berücksichtigung des Unterhaltsanspruchs gegenüber [X.] die anteilige [X.]inkünfte- und Bezügegrenze nach § 32 Abs. 4 Satz 2 des [X.]inkommensteuergesetzes in der im Streitzeitraum geltenden Fassung ([X.]StG) überschritten.

3

Das Finanzgericht ([X.]) gab der nach erfolglosem [X.]inspruch erhobenen Klage statt und hob den Aufhebungsbescheid sowie die dazu ergangene [X.]inspruchsentscheidung auf ([X.]ntscheidungen der Finanzgerichte 2008, 628). [X.]s führte aus, der Unterhaltsanspruch von [X.] gegenüber [X.] sei nicht als Bezug anzusetzen. Die spätere Unterhaltszahlung des [X.] zum [X.]nde des Jahres 2005 habe auf den streitigen Zeitraum (Januar bis September 2003) keine Auswirkung.

4

Mit der Revision rügt die Familienkasse die Verletzung des § 32 Abs. 4 Satz 2 [X.]StG.

5

Sie beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

6

Der Kläger ist der Revision entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

7

II. Die [X.]ntscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung ([X.]O). Der [X.] hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

8

1. Das [X.] hat zutreffend entschieden, dass der zunächst nicht erfüllte Unterhaltsanspruch von [X.] gegenüber [X.] nicht für den streitigen Zeitraum (Januar bis September 2003) als Bezug i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 2 [X.]StG zu berücksichtigen ist und dass die nachträgliche, erst [X.]nde 2005 geleistete Unterhaltszahlung des [X.] für den Streitzeitraum nicht von Bedeutung ist.

9

2. Für ein volljähriges Kind, das einen der [X.]atbestände des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 [X.]StG erfüllt, wird gemäß § 63 Abs. 1 Sätze 1 und 2 [X.]StG Kindergeld gewährt, wenn seine [X.]inkünfte und Bezüge nach § 32 Abs. 4 Satz 2 [X.]StG einen Grenzbetrag nicht übersteigen, der sich im [X.] auf 7.188 € belief.

a) Zu den Bezügen eines verheirateten Kindes gehören auch die Unterhaltsleistungen des [X.]hegatten. Allerdings besteht nach der [X.]heschließung des Kindes grundsätzlich kein Kindergeldanspruch der [X.]ltern mehr, weil ab diesem Zeitpunkt in erster Linie der [X.]hepartner dem Kind zum Unterhalt verpflichtet ist (§ 1608 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB-- i.V.m. §§ 1360, 1360a BGB). Die [X.]ltern sind nur noch nachrangig unterhaltsverpflichtet. Ausnahmsweise müssen [X.]ltern gegenüber ihrem verheirateten Kind Unterhaltsleistungen erbringen, wenn das [X.]inkommen des [X.]hepartners so gering ist, dass er zum vollständigen Unterhalt nicht in der Lage ist --sog. [X.] (Urteil des [X.] --BFH-- vom 2. März 2000 [X.], BFH[X.] 191, 69, [X.], 522; [X.]surteile vom 19. April 2007 [X.]/06, BFH[X.] 218, 70, [X.], 756, und vom 4. August 2011 III R 48/08, [X.], 975). [X.]in Mangelfall ist bei kinderlosen [X.]hen anzunehmen, wenn die eigenen [X.]inkünfte und Bezüge des Kindes einschließlich der Unterhaltsleistungen des [X.]hepartners den Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 [X.]StG nicht überschreiten ([X.]surteil in BFH[X.] 218, 70, [X.], 756, m.w.N.).

b) Die Höhe der als Bezüge i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 2 [X.]StG anzusetzenden Unterhaltsleistungen lässt sich bei [X.]hegatten, die in einem gemeinsamen Haushalt leben, in der Regel nur rechnerisch ermitteln, da sich die tatsächlichen Zu- und Abflüsse von Geldmitteln oder von Gütern in Geldeswert (vgl. § 8 Abs. 1 [X.]StG) innerhalb einer bestehenden ehelichen Lebensgemeinschaft zumeist nicht nachvollziehen lassen. Die Unterhaltsleistungen des zum Unterhalt verpflichteten [X.]hepartners sind deshalb regelmäßig zu schätzen. Bei einer kinderlosen [X.]he, in der ein [X.]hepartner allein verdient und ein durchschnittliches Nettoeinkommen erzielt, entspricht es der Lebenserfahrung, dass dem nicht verdienenden [X.]hepartner in etwa die Hälfte des Nettoeinkommens in Form von Geld- und Sachleistungen als Unterhalt zufließt. Verfügt das Kind auch über eigene Mittel, so ist zu unterstellen, dass sich die [X.]heleute ihr verfügbares [X.]inkommen teilen. Unterhaltsleistungen sind daher in Höhe der Hälfte der Differenz zwischen den [X.]inkünften des unterhaltsverpflichteten [X.]hepartners und den geringeren eigenen Mitteln des Kindes anzunehmen ([X.]surteil in BFH[X.] 218, 70, [X.], 756, m.w.N.). Bei Prüfung der Frage, in welcher Höhe dem geringer verdienenden [X.]hegatten Unterhaltsleistungen seitens des höher Verdienenden als Bezüge zuzurechnen sind, ist somit in der Regel nicht auf den tatsächlichen Zufluss von Unterhaltsleistungen abzustellen.

c) Dagegen können bei getrennt lebenden [X.]hegatten die Unterhaltsleistungen des höher verdienenden [X.]hegatten dem Grunde und der Höhe nach bestimmt werden. In solchen Fällen ist entgegen Abschn. 63.4.2.5 Abs. 6 Satz 3 der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des [X.]inkommensteuergesetzes (DA-Fam[X.]StG), Stand 2004 (BStBl I 2004, 743; nunmehr Abschn. 31.2.2 Abs. 6 Satz 3 DA-Fam[X.]StG 2010, [X.], 1030, sowie [X.], 21) das Zuflussprinzip anzuwenden, das auch in anderen Fällen für Bezüge gilt (BFH-Urteil vom 16. April 2002 [X.], BFH[X.] 199, 116, [X.], 525, m.w.N.; [X.] in Frotscher, [X.]StG, [X.] 2011, 1998 ff., § 32 Rz 84). Unterhaltsleistungen eines getrennt lebenden [X.]hegatten sind demnach nur dann als Bezüge i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 2 [X.]StG anzusetzen, wenn sie dem unterhaltsberechtigten [X.]hegatten auch tatsächlich zugeflossen sind, sofern dieser nicht auf die Geltendmachung seines Unterhaltsanspruchs verzichtet hat (§ 32 Abs. 4 Satz 9 [X.]StG).

3. Im Streitfall erhielt [X.] die Unterhaltszahlung des von ihr getrennt lebenden [X.] erst [X.]nde des Jahres 2005 im Wege der Zwangsvollstreckung, nachdem sie sich zuvor um eine frühere [X.]rfüllung ihrer Ansprüche bemüht hatte. Diese Zahlung ist für die [X.]rmittlung der [X.]inkünfte und Bezüge, die auf den streitigen Zeitraum (Januar bis September 2003) entfallen, in dem sich [X.] in Berufsausbildung befand (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a [X.]StG), ohne Bedeutung. Nach den nicht mit Revisionsrügen angegriffenen Feststellungen des [X.] (§ 118 Abs. 2 [X.]O) belaufen sich die für diese Monate anzusetzenden [X.]inkünfte und Bezüge auf 4.733,36 € und liegen damit unter dem anteiligen Jahresgrenzbetrag von 5.391 €.

Meta

III R 8/08

22.12.2011

Bundesfinanzhof 3. Senat

Beschluss

vorgehend Hessisches Finanzgericht, 11. Dezember 2007, Az: 3 K 3174/05, Urteil

§ 1360 BGB, § 1360a BGB, § 1608 S 1 BGB, § 8 Abs 1 EStG 2002, § 32 Abs 4 S 1 EStG 2002, § 32 Abs 4 S 2 EStG 2002, § 63 Abs 1 S 1 EStG 2002, § 63 Abs 1 S 2 EStG 2002, § 11 Abs 1 EStG 2002

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 22.12.2011, Az. III R 8/08 (REWIS RS 2011, 98)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 98

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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