Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.01.2017, Az. 2 StR 188/16

2. Strafsenat | REWIS RS 2017, 16884

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:240117B2STR188.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 [X.]/16
vom
24. Januar
2017
in der Strafsache
gegen

wegen gefährlicher Körperverletzung

-
2
-
Der 2. Strafsenat des [X.] hat auf Antrag des Generalbundes-anwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers
am 24. Januar
2017
ge-mäß §
349 Abs.
4
StPO beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 15. Dezember 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine allgemeine [X.] des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverlet-zung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

I.
1. Nach den Feststellungen des [X.] trafen sich der Angeklagte und der gesondert Verfolgte S.

, die sich nur flüchtig kannten, in den Abendstunden des 20.
Dezember 2014 in einer Gaststätte in [X.]

, um Streitigkeiten wegen einer Frau auszuräumen. Nachdem sie dort reichlich 1
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Alkohol zu sich genommen hatten, begaben sie sich zum [X.] in eine weitere Gaststätte, aus der sie in den frühen Morgenstunden des 21.
Dezember 2014 wegen starker Alkoholisierung verwiesen wurden. Dies führte bei ihnen zu einer gereizten, aggressiven Stimmung. Auf einer Brücke nahmen sie die Ge-schädigten G.

und P.

wahr, die sich auf dem Heimweg von einer Weihnachtsfeier befanden. Der Angeklagte und der gesondert Verfolgte S.

entschlossen sich, ihre Aggressionen an den beiden Geschädigten abzureagie-ren, sie anzupöbeln und eine körperliche Auseinandersetzung zu provozieren. Sie liefen den Geschädigten hinterher, schlossen zu ihnen auf, verwickelten diese
in ein Gespräch und fragten, wo sie
hingehen wollten. Die Geschädigten, die sich sogleich unwohl fühlten, hofften beide
dadurch loszuwerden, dass sie erklärten, noch eine [X.] aufsuchen zu wollen. Der
Angeklagte und S.

erklärten
jedoch, dass man zusammen dorthin gehen und gemeinsam etwas trinken werde. Auf dem weiteren Weg lief der Angeklagte neben dem Geschädigten P.

her, während S.

den Geschädigten G.

mit einigen Metern Abstand begleitete. Zweck dieser Vorgehensweise war es, eine
Flucht der beiden Geschädigten zu verhindern. Auf dem Weg rempelten der Angeklagte und S.

die Geschädigten absichtlich mehrmals an, nachdem die Geschädigten zwischenzeitlich erklärt hatten, es sich anders überlegt zu haben und nun doch nicht in die [X.] gehen zu wollen. Der Ange-klagte versuchte, den P.

zu provozieren, indem er ihn fragte, ob er und G.

schwul seien, worauf dieser nicht reagierte.
Schließlich fragte der Ge-schädigte G.

den Angeklagten, was man von ihnen wolle und ob es um Geld oder die Handys gehe. Der Angeklagte erwiderte
Geschädigte P.

seine Wohnung erreicht hatte, stieg er die beiden zur Haustür führenden Stufen hinauf, öffnete aber nicht die Tür, da

wie er sah

der gesondert Verfolgte S.

mit dem Geschädigten G.

weiterlief.
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-
In diesem Augenblick schlug der Angeklagte dem Geschädigten P.

die Mütze vom Kopf, zog ihn am Jackenärmel
die Treppe hinunter und schob ihn um die Ecke des Wohnblocks. Es ließ sich nicht feststellen, ob dies in der Absicht geschah, den Geschädigten dort körperlich zu misshandeln oder ob der Angeklagte in Erwartung einer körperlichen Misshandlung des Geschädigten
G.

durch S.

eine mögliche Hilfeleistung durch P.

unterbinden wollte. Ebenfalls nicht feststellen ließ sich, ob der Angeklagte wusste oder damit rechnete, dass S.

versuchen würde, dem Geschädigten
G.

Wertgegenstände unter Einsatz von [X.] wegzunehmen. Die Ju-gendkammer gelangte jedoch zur Überzeugung, dass der Angeklagte davon ausging, nunmehr werde

wie von vornherein beabsichtigt

von der bloßen Provokation zum tätlichen Übergriff übergegangen.
Nachdem der Geschädigte G.

auf die Frage des S.

hatte, ergriff er die Flucht und rannte davon. S.

folgte ihm nicht, sondern kam zu dem Angeklagten und dem Geschädigten
P.

, die etwa zehn [X.] entfernt standen. S.

schlug P.

dann übergangslos mit der Faust ins Gesicht. Nachdem P.

zu Boden gegangen war,
stach S.

ihm mit einem mitgeführten Küchenmesser seitlich zwei Mal tief in den linken [X.]. Gleichzeitig lief der Angeklagte dem Geschädigten G.

hinterher, ohne ihn jedoch einholen zu können. Ob der Angeklagte im Zeitpunkt der [X.] noch beim Geschädigten P.

stand und diese wahrnahm oder ob er zu diesem Zeitpunkt bereits losgelaufen war, ließ sich nicht sicher feststellen. Ebenso wenig konnte festgestellt werden, dass der [X.] wusste, dass der gesondert
Verfolgte S.

ein
Messer bei sich führ-te und dies gegebenenfalls einzusetzen gedachte.

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2. Die [X.] hat angenommen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten im Zeitpunkt der Tatbegehung bei vorhandener Einsichtsfä-higkeit aufgrund des zuvor genossenen Alkohols erheblich vermindert war.
Den Einsatz des Messers durch den gesondert Verfolgten S.

hat das [X.] als für den Angeklagten nicht vorhersehbaren Exzess gewer-tet. Im Hinblick auf das Niederschlagen des Geschädigten P.

hat es eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperver-letzung gemäß §
224 Abs.
1 Nr.
4 StGB angenommen.

II.
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg.
1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlicher Körperverlet-zung gemäß §
224 Abs.
1 Nr.
4 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a)
Der gefährlichen Körperverletzung gemäß §
224 Abs.
1 Nr.
4 StGB macht sich schuldig, wer die Körperverletzung (§
223 Abs.
1 StGB) mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begeht. Dabei wird weder Eigenhändigkeit noch Mittäterschaft vorausgesetzt; ausreichend ist vielmehr schon das gemein-same Wirken eines Täters und eines Gehilfen bei der Begehung einer Körper-verletzung ([X.], Urteil vom 3. September 2002

5
StR 210/02, [X.]St 47, 383, 386).
Vorausgesetzt ist eine Beteiligung, durch die sich die Gefährlichkeit der konkreten Tatsituation erhöht [X.], StGB, 64. Aufl., § 224 Rn. 11a).
Daran gemessen belegen die Feststellungen nicht die vom [X.] angenommene Tatbeteiligung
des Angeklagten. Ob der Angeklagte im Zeit-punkt der vom gesondert Verfolgten S.

ausgeführten Körperverletzungs-5
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handlung noch beim Geschädigten P.

stand und diese wahrgenommen hat oder zu diesem Zeitpunkt bereits losgelaufen war, vermochte die [X.] nicht festzustellen (UA S.
5). Der Angeklagte war somit weder an der [X.] Tatausführung beteiligt noch leistete er einen die Tatbestandsver-wirklichung fördernden Mitwirkungsbeitrag.
b)
Soweit das [X.] die Annahme einer gemeinschaftlichen Bege-hung darauf stützt, dass eine ausdrücklich oder stillschweigend getroffene Übereinkunft des Angeklagten mit dem gesondert Verfolgten S.

bestanden habe,
die Geschädigten zu verletzen, begegnet dieser Schluss durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Zwar muss das Revisionsgericht die Überzeugung des Tatgerichts vom Vorliegen eines Sachverhalts grundsätzlich hinnehmen. Ebenso ist es ihm ver-wehrt, seine eigene Überzeugung an die Stelle der tatgerichtlichen Überzeu-gung zu setzen. Allerdings ist zu prüfen, ob die Überzeugung des Tatgerichts in den Feststellungen und der ihnen zugrunde liegenden Beweiswürdigung eine ausreichende Grundlage findet. Diese müssen den Schluss erlauben, dass das festgestellte Geschehen mit hoher
Wahrscheinlichkeit mit der Wirklichkeit über-einstimmt. Deshalb müssen die Urteilsgründe des Tatgerichts erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht und die vom Tatrichter gezogene Schlussfolgerung nicht nur eine bloße Vermutung darstellt (vgl. etwa [X.], Beschluss vom 22.
August 2013

1
StR 378/13, [X.], 387, 388).
Nach diesem Maßstab ist die Schlussfolgerung des [X.] nicht tragfähig begründet. Der von der [X.] aus dem Vortatgeschehen (ge-meinsames Hinterherlaufen, Getrennthalten der Geschädigten, gemeinsame Provokationen, Verbleiben bei den Geschädigten nach deren Äußerung, nicht in 11
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die [X.] zu gehen) gezogene Schluss auf eine ausdrücklich oder stillschweigend getroffene Übereinkunft des Angeklagten und des gesondert Verfolgten S.

, einen der Geschädigten körperlich zu misshandeln, stellt eine bloße Vermutung dar, die eine für die Verurteilung notwendige Überzeu-gung nicht zu begründen vermag. Die [X.] hat diese [X.] rechtsfehlerhaft im Ergebnis als die einzig mögliche gewertet und dabei die Möglichkeit der bloßen Provokation und nicht tätlichen Streitigkeit unberück-sichtigt gelassen, für die das Wegschlagen der Mütze vom Kopf des Geschä-digten sprechen könnte.
2. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen sind die Vorausset-zungen des §
224 Abs.
1 Nr.
4 StGB nicht erfüllt; der [X.] kann aber nicht ausschließen, dass

wie vom [X.] zutreffend ausgeführt

weitere, auch die Tatbestandsverwirklichung eines versuchten gemeinschaftli-chen Raubes oder einer versuchten Erpressung belegende

Feststellungen möglich sind und verweist die Sache insoweit zu umfassend neuer Verhandlung und Entscheidung zurück. Da infolge der Abtrennung des Verfahrens gegen 14
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den gesondert Verfolgten S.

die Voraussetzungen der besonderen [X.] der [X.] nicht mehr vorliegen, erfolgt die [X.] an eine allgemeine [X.] des [X.].
Vors.Ri[X.] Prof. Dr. Fischer

Appl

Eschelbach
ist wegen Krankheit an der
Unterschrift gehindert.

Appl

Zeng

Grube

Meta

2 StR 188/16

24.01.2017

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.01.2017, Az. 2 StR 188/16 (REWIS RS 2017, 16884)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 16884

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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2 StR 188/16

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