Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.05.2021, Az. 6 StR 152/21

6. Strafsenat | REWIS RS 2021, 6172

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Gegenstand

Sicherungsverfahren: Verfahrenseröffnung auf Basis einer Anklageschrift ohne entsprechende Antragsschrift


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 16. Dezember 2020 wird das Verfahren in Bezug auf die unter [X.] 4 der Urteilsgründe festgestellte Tat vom 3. September 2019 eingestellt. Im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschuldigten der Staatskasse zur Last.

Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Dessen hiergegen gerichtete Revision führt mit der Sachrüge in dem aus der [X.] ersichtlichen Umfang zur Einstellung des Verfahrens (§ 349 Abs. 4 [X.]). Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 [X.].

2

1. Folgendes Verfahrensgeschehen liegt zugrunde:

3

Die Staatsanwaltschaft beantragte mit einer Antrags- und einer Anklageschrift, jeweils vom 22. Juli 2020, die Eröffnung des Sicherungs- sowie des Strafverfahrens gegen den Beschuldigten. Diesem wurden in der Anklageschrift eine am 17. September 2018 begangene Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung ([X.] der Urteilsgründe) und am 3. September 2019 begangene versuchte Nötigungen in Tateinheit mit Beleidigungen ([X.] der Urteilsgründe) zur Last gelegt. Die Antragsschrift betraf sieben weitere Delikte, darunter Widerstand und tätlicher Angriff gegen Vollstreckungsbeamte in mehreren Fällen und mehrere vorsätzliche Körperverletzungen.

4

Das [X.] hat die Antragsschrift unverändert zur Hauptverhandlung im Sicherungsverfahren zugelassen. Die Anklage hat es nur bezüglich des Vorwurfs betreffend die Tat vom 17. September 2018 zur Hauptverhandlung im Strafverfahren zugelassen. Betreffend den Vorwurf der Tat vom 3. September 2019 hat es die Hauptverhandlung im Sicherungsverfahren eröffnet.

5

Durch Verfügung des Vorsitzenden wurden die Akten erneut der Staatsanwaltschaft zugeleitet, verbunden mit dem Hinweis: „Es ist eine neue Antrags- und Anklageschrift entsprechend dem Eröffnungsbeschluss einzureichen“. Die Staatsanwaltschaft übersandte danach eine „an den Verfahrensstand angepasste Antrags- und Anklageschrift“ unter dem Datum vom 22. Juli 2020. Die Anklageschrift enthielt nur noch den Vorwurf betreffend die Tat vom 17. September 2018, während der Vorwurf betreffend die Tat vom 3. September 2019 Bestandteil der Antragsschrift war. Von dem [X.] ist der Beschuldigte aufgrund auch insoweit nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit freigesprochen worden.

6

2. Das Verfahren war hinsichtlich des Vorwurfs betreffend die Tat       vom 3. September 2019 gemäß § 354 Abs. 1, § 206a [X.] einzustellen, weil es insoweit an der Verfahrensvoraussetzung einer Antragsschrift nach § 414  Abs. 2 [X.] und eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses im Sinne von    § 207 [X.] fehlt.

7

Das [X.] durfte das Sicherungsverfahren in Bezug auf die genannte Tat mangels diesbezüglichen Antrags der Staatsanwaltschaft nicht eröffnen. Im Sicherungsverfahren tritt an die Stelle einer Anklageschrift die Antragsschrift nach § 414 Abs. 2 [X.]. Sie ist Prozessvoraussetzung, die nicht durch eine Anklageschrift ersetzt werden kann (vgl. [X.], Urteil vom 6. Juni 2001      - 2 [X.], [X.]St 47, 52, 53 mwN; Beschluss vom 21. Juni 2016 - 5 StR 266/16, [X.], 693; [X.]/[X.], [X.], 63. Aufl., § 414 Rn. 3). Auf eine die Durchführung des Strafverfahrens bezweckende Anklageschrift darf das Hauptverfahren im Sicherungsverfahren nicht eröffnet werden, weil das Eröffnungsgericht damit in unzulässiger Weise in das hinsichtlich der Durchführung des selbständigen [X.] bestehende Ermessen der Staatsanwaltschaft eingreift (vgl. [X.], 143; [X.], Urteil vom 6. Juni 2001             - 2 [X.], aaO).

8

Die Eröffnung des [X.] durch das [X.] war  mangels eines dahingehenden Antrags der Staatsanwaltschaft damit unwirksam (vgl. [X.], Urteil vom 6. Juni 2001 - 2 [X.], NJW 2001, 3560, 3561 [insoweit in [X.]St 47, 52 nicht abgedruckt]), woran die an den Eröffnungsbeschluss „angepasste“ Antragsschrift nichts zu ändern vermag. Diese ist überdies im Wege der als zwingend angesehenen deklaratorischen Antragsschrift nach § 207 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 414 Abs. 1 [X.] erfolgt und hat den Eingriff in das Ermessen der Staatsanwaltschaft demzufolge nicht beseitigt.

9

3. [X.] hat gleichwohl Bestand. Das [X.] hat die Unterbringung des Beschuldigten im psychiatrischen Krankenhaus   (§ 63 StGB) ohne Rechtsfehler maßgebend auf von diesem begangene und künftig mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartende erhebliche Körperverletzungstaten auch zum Nachteil unbeteiligter Dritter gestützt. Den vom Beschuldigten ferner begangenen zahlreichen geringer wiegenden Straftaten wie Beleidigungen und Bedrohungen hat es dabei nur untergeordnete Bedeutung beigemessen ([X.]).

Sander     

        

Schneider     

        

König 

        

Fritsche     

        

von [X.]     

        

Meta

6 StR 152/21

05.05.2021

Bundesgerichtshof 6. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Regensburg, 16. Dezember 2020, Az: 5 KLs 110 Js 29444/18

§ 206a Abs 1 StPO, § 207 Abs 3 S 1 StPO, § 354 Abs 1 StPO, § 414 Abs 1 StPO, § 414 Abs 2 StPO, § 20 StGB, § 21 StGB, § 63 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.05.2021, Az. 6 StR 152/21 (REWIS RS 2021, 6172)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 6172

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Referenzen
Wird zitiert von

5 StR 247/21

Zitiert

5 StR 266/16

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