Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.05.2012, Az. 1 StR 208/12

1. Strafsenat | REWIS RS 2012, 6139

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1
StR 208/12

vom
23. Mai
2012
in der Strafsache
gegen

wegen Steuerhinterziehung

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Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 23. Mai
2012
beschlossen:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 17. Januar 2012 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tra-gen.

Gründe:
Der Angeklagte wurde nach Verständigung (§ 257c StPO) wegen Steu-erhinterziehung in acht Fällen (unberechtigter Vorsteuerabzug von fast
1,3 Mio.

Jahren und drei Monaten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt.

Seine Revision ist unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

Zusammenfassend und ergänzend zu den zutreffenden, auch von der Erwiderung der Revision nicht entkräfteten Ausführungen des Generalbundes-anwalts bemerkt der Senat:

1. Die Revision meint, die Bewertung des Geständnisses des Angeklag-ten als glaubhaft beruhe auf unzureichender Grundlage. Die maßgeblichen Vernehmungen des Angeklagten und von Zeugen hätten, wie sich aus der [X.] jeweiligen Dauer der einzelnen [X.] ergibt, insge-samt nur 83 Minuten gedauert, abzüglich noch der für zugleich durchgeführte formale Vorgänge benötigten Zeit.

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Das Vorbringen versagt.

Die Revision erwähnt in diesem Zusammenhang schon nicht, dass die Feststellungen auch auf ein umfangreiches Selbstleseverfahren gestützt sind. Auch unabhängig davon ist der Senat nicht der Auffassung, schon der [X.] zeitliche Rahmen ergäbe, dass Feststellungen zu einem Geständnis hinsicht-lich eines -
zumal für eine Wirtschaftsstrafkammer -
leicht erfassbaren [X.] und zu dessen Überprüfung nicht Ergebnis der Hauptverhandlung (§
261 StPO) sein könnten. Sollte die Revision dahin zu verstehen sein, der Senat möge den Ablauf der Hauptverhandlung im Detail überprüfen, um so festzustellen, dass speziell vorliegend keine ordnungsgemäße Beweiserhebung vorliegen könne, wäre verkannt, dass das [X.] und Inhalt der Beweisaufnahme nicht rekonstruiert (vgl. schon [X.], Urteil vom 7. Oktober 1966 -
1 [X.], [X.]St 21, 149, 151 mwN). Sollte darüber hinaus zum Ausdruck gebracht sein, ein im Rahmen einer Verständigung (§ 257c StPO) abgelegtes Geständnis
sei schon im Ansatz intensiver zu überprüfen als ein nicht im Rahmen einer Verständigung abgelegtes Geständnis, wäre dem eben-falls nicht zu folgen. Die Beweiswürdigung hat stets
auch
solche Gesichtspunk-te erkennbar
zu erwägen, die auf Grund der Urteilsfeststellungen nahe liegen und die gegen das gefundene Ergebnis sprechen können.

Es gibt keine forensische Erfahrung, wonach bei einem Geständnis stets oder jedenfalls dann, wenn es im Rahmen einer Verständigung abgelegt wurde, ohne weiteres regelmäßig mit einer wahrheitswidrigen Selbstbelastung zu rechnen sei. Dies gilt auch dann, wenn -
wie nach Auffassung der Revision möglicherweise hier -
der Angeklagte durch ein unwahres Geständnis [X.] und/oder Lebensgefährtin vor einer Bestrafung schützen würde. Allein die ge-setzlichen Wertungen in § 52 StPO, § 35 Abs. 1 Satz 1 StGB und § 258 Abs. 6 5
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StGB können die für eine solche Annahme erforderlichen konkreten Anhalts-punkte nicht ersetzen. Derartige konkrete Anhaltspunkte sind hier weder vorge-tragen noch ersichtlich. Allein die (theoretische) Denkbarkeit eines Gesche-hensablaufs führt nicht dazu, dass er zu erörtern wäre (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteil vom 20. September 2011 -
1 [X.], [X.], 72, 73 mwN).

Soweit die Revision zugleich auch § 244 Abs. 2 StPO für verletzt hält, ist entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO weder mitgeteilt, welcher Beweismittel sich die [X.] noch hätte bedienen sollen, noch mitgeteilt, welche konkreten Erkenntnisse davon zu erwarten gewesen wären.

2. Die Revision macht geltend, das angeordnete Selbstleseverfahren sei nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden. Innerhalb von vier Tagen, darunter ein Wochenende, hätte das Gericht insgesamt 674 Seiten (vielfach mit wenigen Zeilen beschriebene Rechnungen) nicht ordnungsgemäß zur Kenntnis nehmen können.

Eine Entscheidung gemäß § 238 Abs. 2 StPO (vgl. allgemein zu [X.] der Herbeiführung eines Gerichtsbeschlusses als Zulässigkeitsvo-raussetzung einer ein Selbstleseverfahren betreffenden Verfahrensrüge [X.], Beschluss vom 14. Dezember 2010
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1 [X.], [X.], 300, 301)
ist nicht herbeigeführt worden.

Die Revision ist der Auffassung, § 238 Abs. 2 StPO sei hier deshalb un-anwendbar, weil es nur um die Frage gehe, ob die Mitglieder der [X.], insbesondere die Schöffen, die Urkunden in der gebotenen Intensität zur Kenntnis genommen hätten. Darüber hinaus sei die sog. Widerspruchslösung 8
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hier schon im Ansatz unanwendbar, da dem Verfahren eine Verständigung zu Grunde liege.

Beides ist unzutreffend.

a) Ist, wie hier, eine ordnungsgemäße Durchführung des Selbstlesever-fahrens durch das [X.] belegt, kann erfolgreiches [X.] nicht auf Überlegungen zu einer -
jedenfalls objektiv -
fehlen-en richterlichen Erklärungen ge-stützt werden (zum umgekehrten Fall, dass das [X.] die
gebotene Kenntnisnahme durch die [X.] nicht belegt vgl. [X.], Beschluss vom 15. März 2011 -
1 [X.], [X.], 462, 463).

b) Es ist auch nicht ersichtlich, warum eine vorangegangene Verständi-gung eine sonst für eine Verfahrensrüge notwendige Voraussetzung entfallen lassen könnte. Auch die Revision nennt keine Gründe, die nach ihrer [X.] die von ihr aufgestellte gegenteilige Behauptung
stützen könnten.

ein Glasermeister, der an Werktagen in aller Regel arbeitet, von dem ihm zum Selbstleseverfahren Kenntnis genommen hätte, jeglicher Grundlage.

3. Auch unter Berücksichtigung des gesamten Revisionsvorbringens, wonach es gegen Verfassungs-
und Menschenrecht verstoße, dass die [X.] eine Strafe verhängt habe, die zwar innerhalb des im Rahmen der Verständigung genannten Strafrahmens liege, nicht aber dessen Untergrenze (drei Jahre) bilde, sieht der Senat keine Veranlassung, von der -
von der Revi-12
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sion angeführten -
gegenteiligen Rechtsprechung des [X.] ab-zuweichen. Ein im Rahmen einer Verständigung abgelegtes Geständnis ist die Voraussetzung dafür, dass die Strafe nur dem zuvor genannten Strafrahmen zu entnehmen ist; es führt aber nicht dazu, dass eine andere als eine die Unter-grenze des Strafrahmens überschreitende Strafe nicht mehr verhängt werden dürfte. Einen entsprechenden Vertrauenstatbestand hat das Gericht nicht ge-schaffen (vgl. [X.], Beschluss vom 27. Juli 2010 -
1 [X.]).

[X.]Wahl Hebenstreit

Jäger [X.]

Meta

1 StR 208/12

23.05.2012

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.05.2012, Az. 1 StR 208/12 (REWIS RS 2012, 6139)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 6139

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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