Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 28.11.2019, Az. 7 C 9/18

7. Senat | REWIS RS 2019, 1031

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Tatbestand

1

Die Klägerin, ein Entsorgungsunternehmen, wendet sich gegen die Untersagung der gewerblichen Sammlung von Altpapier.

2

Mit Bescheid vom 14. Januar 2013 untersagte der Beklagte der Klägerin die weitere Durchführung der seit 2008 betriebenen gewerblichen Sammlung von Altpapier im Holsystem ab dem 1. September 2013. Der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger beabsichtige, sämtlichen [X.] im [X.] flächendeckend ein Holsystem mit blauen Tonnen zur Verfügung zu stellen. Das diesbezügliche Vergabeverfahren habe aufgrund der durch die gewerbliche Sammlung verursachten [X.] zwischenzeitlich ruhend gestellt werden müssen. Insoweit sei die Planungssicherheit und Organisationsverantwortung des Beigeladenen beeinträchtigt.

3

Die gegen die Untersagungsverfügung gerichtete Klage hatte vor dem Verwaltungsgericht Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof hat das Urteil geändert und die Klage abgewiesen.

4

Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt: Es liege eine wesentliche Beeinträchtigung der Planungssicherheit und Organisationsverantwortung des öffentlich-rechtlichen [X.] im Sinne des § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 des Kreislaufwirtschaftsgesetzes ([X.]) vor, weil durch die Fortsetzung der gewerblichen Sammlung die Vergabe der Entsorgungsleistung des öffentlich-rechtlichen [X.] an ein drittes Unternehmen erheblich erschwert würde. Bei Fortsetzung der klägerischen Sammlung stünden sich zwei flächendeckende Sammlungen im Holsystem im gesamten [X.] gegenüber. Eine Sammlung von Altpapier im Holsystem mittels Papiertonne bedinge bei lebensnaher Betrachtungsweise, dass dem Verbraucher pro Haushalt lediglich eine Tonne zur Verfügung gestellt werde. Hieraus folge, dass ohne die Untersagung der gewerblichen Sammlung der Klägerin die Ausschreibung und Vergabe der Sammlung nicht möglich sei und damit wesentlich erschwert werde. Der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger könne die von einem privaten Sammler gesammelte [X.] grundsätzlich an sich ziehen und über die öffentliche Ausschreibung und Vergabe den privaten Wettbewerbern am Markt zugänglich machen.

5

Mit der vom Verwaltungsgerichtshof wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision rügt die Klägerin, die Voraussetzungen des § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 [X.] lägen nicht vor. Die Annahme des Berufungsgerichts, ein Holsystem bedinge, nur eine Tonne pro Haushalt zur Verfügung zu stellen, sei falsch. Die Sammlungen der Klägerin fänden unter Beachtung der geltenden marktwirtschaftlichen Regeln statt. Die Untersagungsverfügung finde auch in § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 [X.] keine Grundlage. Die Bestandssammlung der Klägerin könne keinen negativen Einfluss auf die Funktionsfähigkeit der Sammlung des öffentlich-rechtlichen [X.] haben, weil sie nicht neu hinzutrete und sich dessen System hierauf bereits eingestellt habe. Dem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger könne nicht mittels Untersagungsverfügung der zuständigen Abfallbehörde ein Monopol geschaffen werden.

6

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des [X.] vom 12. Oktober 2017 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 16. Oktober 2014 zurückzuweisen.

7

Der Beklagte und der Beigeladene beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

8

Sie verteidigen das angefochtene Urteil. Die Sammlung der Klägerin könne auch nach § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 bzw. 2 [X.] untersagt werden. Der Beigeladene halte durch 21 Wertstoffhöfe ein hochwertiges Bringsystem vor. Die Sammlung der Klägerin gefährde auch die Stabilität der Abfallgebühren. Dem Beigeladenen würden Verwertungserlöse in Höhe von mehreren 100 000 € entzogen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision ist begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Die Untersagung der gewerblichen Sammlung der Klägerin kann sich nicht auf eine wesentliche Beeinträchtigung der Planungssicherheit und Organisationsverantwortung des öffentlich-rechtlichen [X.] nach § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 [X.] stützen.

1. a) Nach § 18 Abs. 5 Satz 2 [X.] hat die zuständige Behörde eine gewerbliche Sammlung zu untersagen, wenn die Einhaltung der in § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 [X.] genannten Voraussetzungen anders nicht zu gewährleisten ist. Nach dieser Vorschrift besteht, entgegen der Grundregel des § 17 Abs. 1 [X.], die Überlassungspflicht nicht für Abfälle, die durch gewerbliche Sammlung einer ordnungsgemäßen und schadlosen Verwertung zugeführt werden, soweit überwiegende öffentliche Interessen dieser Sammlung nicht entgegenstehen. Nach § 17 Abs. 3 Satz 1 [X.] stehen einer gewerblichen Sammlung überwiegende öffentliche Interessen entgegen, wenn die Sammlung in ihrer konkreten Ausgestaltung die Funktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen [X.], des von diesem beauftragten [X.] oder des aufgrund einer Rechtsverordnung nach § 25 [X.] eingerichteten Rücknahmesystems gefährdet. Eine Gefährdung der Funktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen [X.] oder des von diesem beauftragten [X.] ist nach § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 [X.] anzunehmen, wenn durch die gewerbliche Sammlung die diskriminierungsfreie und transparente Vergabe von [X.] im Wettbewerb erheblich erschwert oder unterlaufen wird.

Nach der Formulierung in der Begründung des Gesetzentwurfes zur Neuordnung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallrechts soll § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 [X.] verhindern, dass durch die gewerbliche Sammlung eine "diskriminierungsfreie und transparente Vergabe von [X.] im Wettbewerb im konkreten Fall von vornherein erheblich erschwert oder nach Erteilung des [X.] an einen Wettbewerber gar unterlaufen wird" ([X.]. 17/7505 [X.]). Damit wird vom Gesetzgeber zum einen klargestellt, dass sich das Tatbestandsmerkmal der erheblichen Erschwerung auf Sachverhalte vor einer Vergabeentscheidung und das Tatbestandsmerkmal des Unterlaufens auf Sachverhalte nach erfolgter Vergabe bezieht. Zum anderen wird deutlich, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 [X.] nur aufgrund einer einzelfallbezogenen Prüfung bejaht werden können. Hieraus folgt zugleich, dass die bloße Existenz einer gewerblichen Bestandssammlung als solche nicht genügt, um deren Untersagung mit Rücksicht auf ein Vergabeverfahren nach § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 [X.] zu rechtfertigen. Aus dem systematischen Zusammenhang des § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 mit § 17 Abs. 3 Satz 1 und 2 [X.] ergibt sich vielmehr, dass eine Untersagung nur in Betracht kommt, um die Funktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen [X.] in Gestalt der die Funktionsfähigkeit prägenden Merkmale Planungssicherheit und Organisationsverantwortung sicherzustellen (in diesem Sinne auch [X.], Urteil vom 26. Januar 2016 - 20 A 319/14 - juris Rn. 231).

Anders als bei neu hinzutretenden gewerblichen Sammlungen hat sich der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger auf [X.] eingestellt, so dass dessen Planungssicherheit und Organisationsverantwortung durch die Fortsetzung einer Bestandssammlung im bisherigen Umfang nicht wesentlich beeinträchtigt werden kann. Die Vergabe von [X.] wird durch die bloße Fortsetzung einer Bestandssammlung mithin weder im Vorfeld der Vergabeentscheidung erheblich erschwert noch nach der Erteilung des [X.] an einen [X.] im Sinne des § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 [X.] unterlaufen. Im Kontext von § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 und 2 [X.] hat der [X.] bereits entschieden, dass für die Frage nach einer wesentlichen Beeinträchtigung der Planungssicherheit und Organisationsverantwortung maßgeblich auf die Veränderung des Sammelsystems des öffentlich-rechtlichen [X.] durch den Marktzutritt weiterer privater Sammler abzustellen ist. Dabei kommt es nicht darauf an, welche Mengen zustande gekommen wären, wenn die bislang durchgeführten gewerblichen Sammlungen nicht stattgefunden hätten. Da die tatsächlich erzielte [X.] des öffentlich-rechtlichen [X.] die Grundlage für seine Organisationsstruktur bildet, kann eine Bestandssammlung keinen negativen Einfluss auf die Funktionsfähigkeit der Sammlung des öffentlich-rechtlichen [X.] haben (vgl. [X.], Urteil vom 23. Februar 2018 - 7 [X.] 9.16 - [X.] 451.224 § 17 [X.] Nr. 2 Rn. 36 m.w.[X.]). Diese Überlegungen gelten auch im Rahmen des § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 [X.].

Eine diskriminierungsfreie und transparente Vergabe von [X.] im Wettbewerb im Sinne des § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 [X.] setzt nicht voraus, dass die in einem [X.] anfallende Gesamtmenge einer Abfallfraktion zur Grundlage der Ausschreibung gemacht wird. Vielmehr kommt auch eine Ausschreibung von Teilmengen einer Abfallfraktion in Betracht (in diesem Sinne auch - bezogen auf Alttextilien - [X.], Urteil vom 19. Juni 2018 - 10 S 1449/17 - juris Rn. 52 unter Bezugnahme auf [X.], Urteil vom 27. April 2017 - 14 K 361/15 - juris Rn. 89). Zur Vorbereitung einer Vergabeentscheidung über Teilmengen einer Abfallfraktion ist es dem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger zuzumuten, im Wege der Marktanalyse (z.B. durch Haushaltsbefragungen) vor der Durchführung des Vergabeverfahrens zu ermitteln, mit welchen [X.]n mit Rücksicht auf eine konkurrierende Bestandssammlung gerechnet werden kann (vgl. [X.], Urteil vom 12. Januar 2017 - 2 A 147/15 - juris Rn. 67). In diesem Sinne hat der [X.] bereits entschieden, dass eine Vergabe nicht wesentlich erschwert wird, wenn sie unter der vergaberechtlich zulässigen Vereinbarung eines Korridors an [X.]n und von [X.] erfolgreich abgeschlossen werden kann. § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 [X.] vermittelt keinen Konkurrenzschutz dahingehend, dass der vom Entsorgungsträger im Zuge der Vergabeentscheidung beauftragte Dritte eine monopolartige Stellung erlangt ([X.], Urteil vom 23. Februar 2018 - 7 [X.] 9.16 - [X.] 451.224 § 17 [X.] Nr. 2 Rn. 39 m.w.[X.]).

Ebenfalls kein Regelungszweck des § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 [X.] ist es, den originären Wettbewerb im Abfallentsorgungsmarkt durch einen Wettbewerb um einen Markt für Drittbeauftragte eines monopolistisch tätigen öffentlich-rechtlichen [X.] im Sinne eines "Systemwechsels" zu ersetzen. Auch ein natürliches Monopol darf nach § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 [X.] nicht durch ein anderes Monopol ersetzt werden. Eine gewerbliche Abfallsammlung darf deshalb nicht zu dem Zweck untersagt werden, dem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger den Zugriff auf diese Abfallmengen allein mit Blick auf eine beabsichtigte Vergabe zu erlauben.

Unionsrecht bestätigt diese Auslegung. Die [X.] stellt, auch bezogen auf sortenreine Abfallfraktionen, eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse dar (vgl. [X.], Urteil vom 30. Juni 2016 - 7 [X.] 4.15 - [X.]E 155, 336 Rn. 38 ff. m.w.[X.]). Nach dem für derartige Dienstleistungen geltenden Art. 106 Abs. 2 A[X.]V setzen sowohl Einschränkungen der [X.] als auch andere wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen eine besondere Rechtfertigung voraus und sind auf dasjenige Maß zu beschränken, das erforderlich ist, um eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung zu verhindern (vgl. [X.], a.a.[X.], Rn. 48 m.w.[X.]). Eine solche Gefährdung besteht - anders, als dies bei neu hinzutretenden gewerblichen Sammlungen der Fall sein kann - bei [X.], auf die sich der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger eingestellt hat, nicht.

b) Diesen Maßstäben wird das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs nicht gerecht.

Mit Bundesrecht nicht vereinbar ist bereits die fehlende Würdigung des konkreten Einzelfalles bei der Anwendung des § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 [X.] durch das Berufungsgericht, das maßgeblich darauf abstellt, dass schon allein die bisherige Durchführung einer Altpapiersammlung durch einen gewerblichen Unternehmer im Holsystem zu einer erheblichen Erschwerung der Vergabe im Sinne des § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 [X.] führt.

Als nicht mit § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 [X.] vereinbar stellt sich auch die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs dar, dass die Konkurrenz mehrerer Sammler um das haushaltsnah zu erfassende Altpapieraufkommen in einem [X.] schon im Ansatz nicht in Betracht komme. Das Berufungsgericht hat diese Ansicht weder auf konkrete tatsächliche Feststellungen gestützt noch hinreichend begründet. Zudem steht die nicht empirisch fundierte Annahme des Verwaltungsgerichtshofs im Widerspruch zu tatsächlichen Feststellungen anderer Gerichte zu von öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern durchgeführten Vergabeverfahren, die eine bereits bestehende gewerbliche Sammeltätigkeit im jeweiligen [X.] vorgefunden und sich hierauf bei der Ausschreibung eingestellt haben (vgl. hinsichtlich Sperrmüll [X.], Urteil vom 26. Januar 2016 - 20 A 319/14 - juris Rn. 232; hinsichtlich Alttextilien vgl. [X.], Urteil vom 27. April 2017 - 14 K 361/15 - juris Rn. 89).

Auch die in diesem Zusammenhang vom Verwaltungsgerichtshof geäußerten Zweifel an der Praktikabilität eines etwaigen Nebeneinanders mehrerer Tonnen unterschiedlicher Entsorger für einen Haushalt greifen nicht durch. Hinsichtlich der sich hieraus ergebenden Unsicherheit, für welche von mehreren angebotenen Sammelgefäßen sich die Haushalte im [X.] jeweils entscheiden, ist darauf zu verweisen, dass es - wie dargelegt - Sache des öffentlich-rechtlichen [X.] ist, gegebenenfalls vor der Durchführung eines Vergabeverfahrens im Wege der Marktanalyse (z.B. durch Haushaltsbefragungen) zu ermitteln, mit welchen [X.]n mit Rücksicht auf eine konkurrierende Bestandssammlung gerechnet werden kann. Einem konkurrierenden Angebot unterschiedlicher [X.] innerhalb eines [X.]es steht auch der vom Verwaltungsgerichtshof herangezogene Gesichtspunkt der gemeinwohlorientierten Servicegerechtigkeit der angebotenen Entsorgungsleistung nicht entgegen (vgl. § 17 Abs. 3 Satz 5 [X.] sowie Protokoll Nr. 26, Art. 1, 1. Spiegelstrich zu Art. 14 A[X.]V über Dienste von allgemeinem Interesse in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. Juni 2016, [X.]. [X.] 202 S. 307). Schon im Hinblick auf die bestehende Wahlfreiheit der privaten Haushalte zwischen rechtmäßigen gewerblichen und gemeinnützigen Angeboten der Altpapiersammlung einerseits und dem Sammelangebot des öffentlich-rechtlichen [X.] andererseits sind Defizite hinsichtlich der Servicegerechtigkeit nicht ersichtlich. Dessen ungeachtet erscheint aus der Sicht der privaten Haushalte auch die parallele Inanspruchnahme von [X.]n mehrerer Sammler - beispielsweise bei hohem Altpapieranfall - nicht von vornherein als unpraktikabel.

2. Das Urteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Der Untersagungsbescheid des Beklagten findet weder in § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 und 2 noch in § 17 Abs. 3 Satz 2 Alt. 1 [X.] eine rechtliche Grundlage.

a) Nach § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 [X.] ist eine wesentliche Beeinträchtigung der Planungssicherheit und Organisationsverantwortung des öffentlich-rechtlichen [X.] anzunehmen, wenn durch die gewerbliche Sammlung Abfälle erfasst werden, für die der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger oder der von diesem beauftragte Dritte eine haushaltsnahe oder sonstige hochwertige getrennte Erfassung und Verwertung der Abfälle durchführt.

Diese widerlegliche Vermutung (vgl. [X.], Urteil vom 30. Juni 2016 - 7 [X.] 4.15 - [X.]E 155, 336 Rn. 50) greift zulasten gewerblicher Sammlungen, die - wie vorliegend - die bestehenden Entsorgungsstrukturen (mit-)geprägt haben und auf deren Sammeltätigkeit sich der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger deshalb eingestellt hat, nicht ein (vgl. [X.], Urteil vom 23. Februar 2018 - 7 [X.] 9.16 - [X.] 451.224 § 17 [X.] Nr. 2 Rn. 36 m.w.[X.]).

Entgegen der Auffassung des Beklagten ergibt sich aus den [X.]surteilen vom 11. Juli 2017 - 7 [X.] 35.15 - ([X.] 451.224 § 3 [X.] Nr. 2) und - 7 [X.] 36.15 - ([X.] 2018, 69) nichts anderes. Diese Entscheidungen beziehen sich auf gewerbliche Sammlungen von Alttextilien, die nach erfolgter Anzeige in ganz erheblichem Umfang erweitert werden sollten. Letzteres ist der maßgebliche Anknüpfungspunkt für die Anwendung von § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 [X.]. Abweichendes folgt auch nicht aus § 17 Abs. 3 Satz 4 [X.]. Aus dieser Regelung ergibt sich zwar, dass im Rahmen des Leistungsvergleichs zwischen gewerblichem Anbieter und öffentlich-rechtlichem Entsorgungsträger auch etwaige konkret geplante Leistungsverbesserungen mit in den Blick zu nehmen sind. Dies ändert aber nichts daran, dass eine den status quo (mit-)prägende Bestandssammlung die Regelvermutung nach § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 [X.] schon tatbestandlich nicht begründet. Eine Bestandssammlung kann auch grundsätzlich nicht zu einer Gefährdung der Gebührenstabilität führen, so dass die Untersagung der Sammlung der Klägerin nicht auf § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 [X.] gestützt werden kann (vgl. [X.], Urteil vom 23. Februar 2018 - 7 [X.] 9.16 - [X.] 451.224 § 17 [X.] Nr. 2 Rn. 36 m.w.[X.]).

b) Die Untersagung der Sammlung der Klägerin kann sich auch nicht auf § 17 Abs. 3 Satz 2 Alt. 1 [X.] stützen. Die Sammlung verhindert nicht die Erfüllung der Entsorgungsaufgabe des öffentlich-rechtlichen [X.] zu wirtschaftlich ausgewogenen Bedingungen.

Was wirtschaftlich ausgewogene Bedingungen im Sinne des § 17 Abs. 3 Satz 2 Alt. 1 [X.] sind, regelt das Gesetz selbst nicht. Ausweislich der Gesetzesbegründung folgt die Regelung der vom [X.] ([X.]) in ständiger Rechtsprechung konkretisierten Grenzziehung des Art. 106 Abs. 2 A[X.]V ([X.]. 17/6052 S. 87 f.). Die insoweit vom Gesetzgeber ausdrücklich in Bezug genommene Rechtsprechung des [X.] (Urteile vom 17. Mai 2001 - [X.]-340/99 [E[X.]LI:[X.]:[X.]:2001:281], [X.] - Rn. 54 und vom 15. November 2007 - [X.]-162/06 [E[X.]LI:[X.]:[X.]:2007:681], [X.] - Rn. 34), ist jedoch zur weiteren Begriffsklärung ebenfalls nicht ergiebig.

Bei der Auslegung des § 17 Abs. 3 Satz 2 Alt. 1 [X.] ist von maßgeblicher Bedeutung, dass öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger berechtigt sind, für die von ihnen erbrachten [X.] kostendeckende Gebühren zu erheben. Zum Erhalt der Funktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen [X.] sind demnach Erlöse aus der Verwertung einzelner Abfallfraktionen nicht erforderlich, um eine Aufgabenwahrnehmung zu wirtschaftlich ausgewogenen Bedingungen zu ermöglichen (vgl. [X.], in: [X.][X.], Umweltrecht, Stand Juni 2019, [X.] § 17 Rn. 121 ff. m.w.[X.]). Die mittels der Altpapiersammlung durch den Beigeladenen erstrebte Gewinnerzielung gehört daher nicht zu den wirtschaftlich ausgewogenen Bedingungen im Sinne des § 17 Abs. 3 Satz 2 Alt. 1 [X.] (vgl. Klement, in: [X.]/Klement, GK-[X.], 2. Aufl. 2019, § 17 [X.] Rn. 156).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 3 sowie § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO.

Meta

7 C 9/18

28.11.2019

Bundesverwaltungsgericht 7. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 12. Oktober 2017, Az: 20 B 17.283, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 28.11.2019, Az. 7 C 9/18 (REWIS RS 2019, 1031)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 1031

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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