Bundesfinanzhof, Urteil vom 08.04.2014, Az. IX R 33/13

9. Senat | REWIS RS 2014, 6460

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Gegenstand

Außerordentliche Einkünfte beim Wechsel von unselbständiger zu selbständiger Tätigkeit


Leitsatz

NV: Es liegen keine außerordentliche Einkünfte im Sinne des § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG vor, wenn der Steuerpflichtige im Streitjahr unter Einbeziehung der Entschädigung lediglich Beträge erhält, die er bei ungestörtem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ohnehin erhalten hätte. Dies gilt auch dann, wenn er nach Beendigung seines Angestelltenverhältnisses eine selbständige Tätigkeit ausübt.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war bis zum 31. Januar des [X.] als Angestellter der A (Arbeitgeber) [X.] tätig. [X.] erhielt er einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von 129.687 €, im Jahr 2007 in Höhe von 146.247 € und im [X.] in Höhe von 139.834 €. Daneben erzielte der Kläger als Rechtsanwalt Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von ./. 1.935 € im Jahr 2006, in Höhe von 3.310 € im Jahr 2007 sowie in Höhe von ./. 20.195 € im [X.]. Für Januar 2009 erhielt er vom Arbeitgeber ein Gehalt in Höhe von 10.787 €.

2

Das Arbeitsverhältnis wurde durch Aufhebungsvertrag zwischen dem Arbeitgeber und dem Kläger zum 31. Januar 2009 beendet. Wegen der Beendigung und zum Ausgleich für den Verlust des [X.] Besitzstandes zahlte der Arbeitgeber dem Kläger im Streitjahr eine Abfindung in Höhe von 43.000 €. Ab Februar 2009 übte der Kläger in vollem Umfang eine selbständige Rechtsanwaltstätigkeit aus und erzielte im Streitjahr hieraus Einkünfte in Höhe von 5.100 €. Daneben erhielt er von der [X.] einen steuerfreien Gründungszuschuss für den Zeitraum vom 1. Februar 2009 bis 31. Oktober 2009 in Höhe von 2.094 € monatlich sowie für den Zeitraum vom 1. November 2009 bis 30. April 2010 in Höhe von 300 € monatlich.

3

Dem Antrag des [X.], die Abfindung tarifermäßigt zu besteuern, folgte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) nicht.

4

Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht ([X.]) führte in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 43 veröffentlichten Urteil aus, für die Anwendung der Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf die vom Kläger bezogene Abfindung fehle es an der erforderlichen Zusammenballung von Einkünften im Streitjahr.

5

Der Kläger rügt mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts. Die Abfindung, mit der der bis zum Jahresende entgehende Arbeitslohn kompensiert werde, sei nach § 34 EStG tarifermäßigt zu besteuern. Werde im [X.] an eine abhängige Beschäftigung eine selbständige Tätigkeit aufgenommen, liege ein Sonderfall vor, der für die Anwendung der Tarifermäßigung keine Zusammenballung von Einkünften erfordere. In diesem Fall sei nicht davon auszugehen, dass die Verhältnisse des Vorjahres auch diejenigen des Folgejahres abbildeten. Darüber hinaus sei eine Zusammenballung von Einkünften gegeben, wenn eine Prognose für das Streitjahr aus den Einkünften der Vorjahre unter Einbeziehung der gezahlten Entschädigung aufgestellt und diese mit den Einkünften der Vorjahre verglichen werde:

6

"Jahr 

Selbst.
Arbeit

Unselbst. Arbeit

Abfindung

Prognose 2009

2008   

20.195 €

+ 139.834 €

+ 43.000 €

= 182.834 €

2007   

3.310 €

+ 146.247 €

+ 43.000 €

= 192.557 €

2006   

./. 1.935 €

+ 129.687 €

+ 43.000 €

= 170.752 €".

7

Der Kläger beantragt,
das Urteil des [X.] und die Einspruchsentscheidung des [X.] vom 16. März 2011 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 2009 vom 21. Oktober 2010 dahingehend abzuändern, dass die Einkommensteuer mit 0 € festgesetzt wird.

8

Das [X.] beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

II. Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zurückzuweisen. Zutreffend hat das [X.] die Voraussetzungen einer als außerordentliche Einkünfte begünstigt zu besteuernden Entschädigung nach § 24 Nr. 1 Buchst. a i.V.m. § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG verneint.

1. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 EStG ist die auf außerordentliche Einkünfte entfallende Einkommensteuer nach § 34 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 EStG (Fünftelregelung) zu berechnen. Als außerordentliche Einkünfte kommen nur die in § 34 Abs. 2 EStG aufgeführten Einkünfte in Betracht. Das bedeutet aber nicht, die --hier im Streitjahr vereinnahmte-- Entschädigung (§ 24 Nr. 1 EStG) sei ohne weiteres ermäßigt zu besteuern. Vielmehr ist der Wortlaut des § 34 Abs. 2 EStG entsprechend dem Normzweck, die Auswirkungen des progressiven Tarifs abzuschwächen, auf solche Einkünfte zu beschränken, die "[X.]" zufließen (ständige Rechtsprechung des [X.] --[X.]--; vgl. Urteile vom 25. August 2009 IX R 3/09, [X.], 261, [X.], 1030; vom 27. Januar 2010 IX R 31/09, [X.], 90, [X.], 28). Davon ist auszugehen, wenn der Steuerpflichtige infolge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in dem jeweiligen Veranlagungszeitraum einschließlich der Entschädigung insgesamt mehr erhält, als er bei ungestörter Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, also bei normalem Ablauf der Dinge erhalten hätte (ständige Rechtsprechung, vgl. [X.]-Urteile vom 9. Oktober 2008 IX R 85/07, [X.], 558; in [X.], 90, [X.], 28, m.w.N.).

a) Die dafür notwendige, hypothetische und prognostische Betrachtung orientiert sich grundsätzlich an den Verhältnissen des Vorjahres, das dem Veranlagungszeitraum, in dem die Entschädigung zufließt, am nächsten liegt. Sie gilt für den Normalfall, in dem die Verhältnisse des Vorjahres --z.B. im Zuge einer normalen Gehaltsentwicklung-- auch diejenigen des Folgejahres mit großer Wahrscheinlichkeit abbilden. Sie gilt aber dann nicht, wenn die Einnahmesituation des Vorjahres durch außergewöhnliche Ereignisse geprägt ist und sich daraus keine Vorhersagen für den (unterstellten) normalen Verlauf bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ableiten lassen. So beanstandet es der [X.] insbesondere bei variablen Gehaltskomponenten nicht, wenn im Wege einer Prognoseentscheidung (auch) auf die Vorjahre zurückgegriffen wird (vgl. [X.]-Urteile vom 4. März 1998 XI R 46/97, [X.]E 185, 429, [X.] 1998, 787; in [X.], 558; in [X.], 90, [X.], 28).

b) Im Rahmen der Vergleichsberechnung sind zwei Größen einander gegenüberzustellen: die "[X.]", also das, was der Steuerpflichtige in dem betreffenden Veranlagungszeitraum (Streitjahr) einschließlich der Entschädigung insgesamt erhält, und die "Soll-Größe", nämlich die Einkünfte, die der Steuerpflichtige bei ungestörter Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses (bei normalem Ablauf der Dinge) erhalten hätte ([X.]-Beschluss vom 9. März 2011 IX R 9/10, [X.]/NV 2011, 1320). Übersteigt die anlässlich der Beendigung eines Dienstverhältnisses gezahlte Entschädigung die bis zum Ende des Veranlagungszeitraums entgehenden Einnahmen nicht, ist das Merkmal der Zusammenballung von Einkünften nur erfüllt, wenn der Steuerpflichtige weitere Einnahmen bezieht, die er bei Fortsetzung des Dienstverhältnisses nicht bezogen hätte (vgl. [X.]-Urteil in [X.]E 185, 429, [X.] 1998, 787; gl.A. Schreiben des [X.] --BMF-- vom 1. November 2013, [X.], 1326, Rz 10).

c) Nach dem oben beschriebenen Normzweck ist im Rahmen der Vergleichsberechnung zur Ermittlung der [X.] --entgegen der Auffassung des [X.] nicht die Art der Tätigkeit des Steuerpflichtigen nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder die Art der vereinnahmten Einkünfte im Streitjahr maßgebend, sondern die potenziell progressionssteigernde Wirkung der tatsächlich bezogenen Einkünfte (vgl. [X.]-Urteile vom 17. Dezember 1982 III R 136/79, [X.]E 137, 345, [X.] 1983, 221; vom 21. März 1996 XI R 51/95, [X.]E 180, 152, [X.] 1996, 416; in [X.]E 185, 429, [X.] 1998, 787, m.w.N.; [X.]/Wacker, EStG, 33. Aufl., § 34 Rz 15; [X.], [X.], 1377, 1379; BMF-Schreiben in [X.], 1326 Rz 11 Satz 3).

2. Nach diesen Maßstäben hat das [X.] zu Recht die vom Kläger vereinnahmte Abfindung nicht als außerordentliche Einkünfte gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG der ermäßigten Besteuerung nach § 34 Abs. 1 EStG unterworfen. Beim Vergleich der Einkünfte aus dem Vorjahr mit den infolge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erzielten Einkünften des [X.] hat der Kläger im Streitjahr unter Einbeziehung der Entschädigung lediglich Beträge erhalten, die er bei ungestörtem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ohnehin erhalten hätte (vgl. [X.]-Urteil in [X.]E 185, 429, [X.] 1998, 787, m.w.N.). Ein steuerlicher Nachteil, der durch die Anwendung des § 34 Abs. 1 EStG hätte ausgeglichen werden müssen, war nicht gegeben. Zutreffend hat es das [X.] für die Erfüllung des [X.] als unerheblich angesehen, dass der Kläger nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine selbständige Tätigkeit ausgeübt hat.

3. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

IX R 33/13

08.04.2014

Bundesfinanzhof 9. Senat

Urteil

vorgehend FG Köln, 11. April 2013, Az: 6 K 1129/11, Urteil

§ 24 Nr 1 Buchst a EStG 2009, § 34 Abs 1 EStG 2009, § 34 Abs 2 Nr 2 EStG 2009, EStG VZ 2009

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 08.04.2014, Az. IX R 33/13 (REWIS RS 2014, 6460)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 6460

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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