Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.09.2023, Az. 6 StR 388/23

6. Strafsenat | REWIS RS 2023, 6441

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Gegenstand

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt: Gefährlichkeitsprognose im Sachverständigengutachten auf der Grundlage des Prognoseinstruments "OGRS"


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 12. April 2023 im [X.] aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Zudem hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und den [X.] eines Teils der Freiheitsstrafe bestimmt. Die auf die [X.] der Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

Während die Prüfung des Schuld- und Strafausspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat, begegnet der [X.] durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

3

1. Nach den Feststellungen tötete der Angeklagte seine Ehefrau aus einem von ihm beanspruchten unbeschränkten [X.] über sie und einer damit einhergehenden maßlosen, jedoch – wie er wusste – in tatsächlicher Hinsicht unbegründeten Eifersucht. Zur Tatzeit war seine Steuerungsfähigkeit aufgrund einer drogen- und alkoholbedingten Mischintoxikation nicht ausschließbar im Sinne von § 21 StGB erheblich eingeschränkt. Die sachverständig beratene [X.] hat die Voraussetzungen des § 64 StGB als erfüllt angesehen. Zur hangbedingten Gefährlichkeit hat sie ausgeführt, dass es aufgrund der Substanzkonsumstörung zu Störungen der partnerschaftlichen Beziehung und zu [X.]m Fehlverhalten gekommen sei. Es gebe kaum stützende [X.] Faktoren, aber eine Reihe von Konfliktbereichen und Stressoren. Der Angeklagte verfüge noch über keine gefestigten alternativen Verhaltensstrategien. Statistisch gesehen bestehe bei ihm ein mittleres bis hohes Rückfallrisiko.

4

2. a) [X.] im Sinne des § 64 Satz 1 StGB setzt die aufgrund einer umfassenden Gesamtabwägung zu beurteilende, „begründete“ beziehungsweise „naheliegende“ Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer erheblicher [X.] Straftaten voraus (vgl. [X.], Beschluss vom 16. Januar 2020 – 1 [X.]/19 mwN). Wenn sich das Tatgericht bei seiner Überzeugungsbildung auf das Gutachten eines Sachverständigen stützt, hat es im Urteil dessen wesentliche Anknüpfungstatsachen und Ausführungen so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen der Logik, den [X.] des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschluss vom 22. Februar 2022 – 6 [X.]). Dem werden die Urteilsgründe nicht gerecht.

5

b) Die bestehenden „Konfliktbereiche“ und „Stressoren“ werden nicht anhand von Anknüpfungstatsachen dargestellt. Zudem lässt sich den Schilderungen der Zeugen nicht ausreichend entnehmen, dass gerade die Substanzkonsumstörung im Vorfeld der Tat zu „Störungen in der partnerschaftlichen Beziehung“ und zu „[X.]m Fehlverhalten“ geführt hat, zumal eine Zeugin von einer „Besserung der Problematik“ in den letzten eineinhalb Jahren berichtet hat.

6

Das statistische Rückfallrisiko ist ebenfalls nur unzureichend belegt (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 16. Dezember 2015 – 2 [X.]). Denn zur Auswertung des [X.] „[X.]“ durch den Sachverständigen werden die der errechneten Rückfallwahrscheinlichkeit zugrundeliegenden Tatsachen nicht mitgeteilt. Auch die Herkunft und Bedeutung von Angaben aufgrund der „größten [X.] Untersuchung“ zur Rückfallwahrscheinlichkeit sind unklar und ermöglichen keine revisionsgerichtliche Nachprüfung. Bei der hier anlassgebenden Beziehungstat versteht sich die hangbedingte Wahrscheinlichkeit weiterer erheblicher Straftaten schließlich auch nicht von selbst.

7

c) Die Aufhebung der [X.] entzieht der Entscheidung nach § 67 Abs. 2 StGB die Grundlage.

Feilcke     

  

Wenske     

  

Fritsche

  

von Schmettau     

  

Resch     

  

Meta

6 StR 388/23

19.09.2023

Bundesgerichtshof 6. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Stralsund, 12. April 2023, Az: 21 Ks 1/23

§ 261 StPO, § 267 StPO, § 349 Abs 4 StPO, § 64 S 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.09.2023, Az. 6 StR 388/23 (REWIS RS 2023, 6441)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 6441

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2 StR 469/15

1 StR 490/19

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