Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 13.09.2012, Az. 6 PB 10/12

6. Senat | REWIS RS 2012, 3196

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Gegenstand

Mitbestimmung beim Gesundheitsschutz und bei Hebung der Arbeitsleistung; Finalitätserfordernis


Leitsatz

1. Ob es sich um eine Maßnahme "zur" Verhütung von Dienst- oder Arbeitsunfällen oder sonstigen Gesundheitsschädigungen im Sinne des Mitbestimmungstatbestandes nach § 75 Abs. 3 Nr. 11 BPersVG handelt, beurteilt sich anhand einer objektiv-finalen Betrachtungsweise.

2. Die Grundsätze zur Finalität im Rahmen der Mitbestimmung bei Hebung der Arbeitsleistung nach § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 BPersVG sind nicht auf die Mitbestimmung beim Gesundheitsschutz zu übertragen.

Gründe

1

Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde durch das Oberverwaltungsgericht gemäß § 83 Abs. 2 [X.] i.V.m. § 92a Satz 1 ArbGG hat keinen Erfolg. Die allein erhobene Grundsatzrüge gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1, § 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG greift nicht durch.

2

1. Der Antragsteller will zunächst geklärt wissen, wie bei [X.], die eine Finalität oder zumindest eine Intentionalität der in Rede stehenden Maßnahme voraussetzen, die Frage nach der Zweckbestimmung der Maßnahme bei Ausübung eines [X.] zu beantworten ist.

3

a) [X.] ist die Frage nur für die Mitbestimmung beim [X.] nach § 75 Abs. 3 Nr. 11 [X.]. Allein darauf ist, wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, das streitige Begehren gerichtet. In die [X.] hat der Antragsteller nämlich ausdrücklich das Einigungsstellenverfahren einbezogen und auf § 69 Abs. 3 und 4 [X.] Bezug genommen. Damit wird ausschließlich ein volles Mitbestimmungsrecht geltend gemacht (vgl. § 70 Abs. 1 [X.]). Die Verfolgung eines eingeschränkten Mitbestimmungsrechts nach § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 [X.] bei Hebung der Arbeitsleistung scheidet aus. Selbst wenn man einen darauf gestützten Initiativantrag des Personalrats für möglich hält (vgl. Beschluss vom 9. Januar 2008 - BVerwG 6 PB 15.07 - [X.] 251.2 § 85 [X.] Nr. 14 Rn. 7 f.), so entscheidet darüber - ohne vorhergehendes Einigungsstellenverfahren - die oberste Dienstbehörde endgültig (§ 70 Abs. 2 [X.]). Folgerichtig bestätigt der Antragsteller in der Beschwerdebegründung (S. 2) ausdrücklich, dass [X.] die im Wege des [X.] verfolgte Mitbestimmung nach § 75 Abs. 3 Nr. 11 [X.] ist.

4

b) Die vom Antragsteller aufgeworfene Frage ist bezogen auf die Mitbestimmung beim [X.] eindeutig im Sinne des [X.] zu beantworten, so dass es ihrer Klärung im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht bedarf.

5

Das Mitbestimmungsrecht des Personalrats nach § 75 Abs. 3 Nr. 11 [X.] bezieht sich auf Maßnahmen zur Verhütung von Dienst- und Arbeitsunfällen und sonstigen Gesundheitsschädigungen. Nach ständiger Senatsrechtsprechung muss die vorgesehene Maßnahme darauf abzielen, das Risiko von Gesundheitsschädigungen oder Unfällen innerhalb der Dienststelle zu mindern oder einen effektiven Arbeits- und [X.] zu gewährleisten. Damit unterliegen Maßnahmen, die in erster Linie andere Zwecke verfolgen und sich nur mittelbar auf den Arbeits- und [X.] der Beschäftigten auswirken, nicht dem Mitbestimmungsrecht des Personalrats (vgl. Beschlüsse vom 23. Januar 1986 - BVerwG 6 P 8.83 - [X.] 238.35 § 61 HePersVG Nr. 3 S. 7 f., vom 17. Februar 1986 - BVerwG 6 P 21.84 - BVerwGE 74, 28 <30> = [X.] 238.31 § 79 BaWüPersVG Nr. 6 S. 27 f., vom 25. August 1986 - BVerwG 6 P 16.84 - [X.] 238.3 A § 75 [X.] Nr. 46 S. 53, vom 18. Mai 1994 - BVerwG 6 P 27.92 - [X.] 251.0 § 79 BaWüPersVG Nr. 16 S. 4, vom 8. Januar 2001 - BVerwG 6 P 6.00 - [X.] 250 § 75 [X.] Nr. 102 S. 23 und vom 19. Mai 2003 - BVerwG 6 P 16.02 - [X.] 250 § 78 [X.] Nr. 19 S. 8).

6

Das den Personalrat in § 70 [X.] eingeräumte Initiativrecht erlaubt ihm die Wahrnehmung des Mitbestimmungsrechts in aktiver Form. Der Personalrat ist nicht darauf verwiesen, den Erlass einer mitbestimmungspflichtigen Maßnahme durch den Dienststellenleiter abzuwarten. Er kann vielmehr durch die Beantragung der Maßnahme zugunsten der von ihm repräsentierten Beschäftigten selbst die Initiative ergreifen. Durch die Wahrnehmung des Mitbestimmungsrechts in aktiver Form wird dessen Inhalt nicht erweitert. Dem Initiativrecht kommt keine eigenständige, vom Inhalt und Zweck des Mitbestimmungsrechts losgelöste Bedeutung zu. Das Initiativrecht des Personalrats wird durch den Inhalt seines jeweiligen Mitbestimmungsrechts und dessen Sinn und Zweck begrenzt. Initiativrecht und die übliche Form der Mitbestimmung, bei der der Personalrat auf Vorhaben des [X.] reagiert, sind demnach in inhaltlicher Hinsicht symmetrisch. Die auf ein bestimmtes Mitbestimmungsrecht gestützte Initiative des Personalrats muss sich daher auf dieselben Zwecke beziehen, welche vom Personalrat nach dem nämlichen Mitbestimmungstatbestand zulässigerweise in Anspruch genommen werden können, wenn dieser vom Dienststellenleiter um Zustimmung zu einer mitbestimmungspflichtigen Maßnahme gebeten wird (vgl. Beschlüsse vom 29. September 2004 - BVerwG 6 P 4.04 - [X.] 251.5 § 69 HePersVG Nr. 1 S. 2 f., vom 9. Januar 2008 a.a.[X.] Rn. 8 und vom 5. März 2012 - BVerwG 6 PB 25.11 - juris Rn. 4 m.w.N.).

7

Aus der Zusammenschau der zitierten Senatsrechtsprechung zur Mitbestimmung beim [X.] einerseits und zum Initiativrecht andererseits ergibt sich, dass der Personalrat die Mitbestimmung nicht schon dadurch in seinem Sinne einseitig steuern kann, dass er in einem Initiativantrag Gründe des [X.]es geltend macht. Ließe man dieses zu, dann hätte es der Personalrat in der Hand, durch die Formulierung seiner Initiativanträge eine Mitbestimmung geltend machen und durchsetzen zu können, die ihm bei vergleichbaren Maßnahmen des [X.] nicht zustünde. Der Grundsatz der Symmetrie aktiver und reaktiver Mitbestimmung wäre damit in Frage gestellt. Daraus folgt, dass bei der Anwendung des Mitbestimmungstatbestandes nach § 75 Abs. 3 Nr. 11 [X.] eine objektiv-finale Betrachtungsweise zugrunde zu legen ist. Die Frage, ob die vorgesehene Maßnahme auf die Verhütung von Dienst- oder Arbeitsunfällen oder von sonstigen Gesundheitsschädigungen abzielt oder ob sie auf die Erreichung anderer Zwecke gerichtet ist, ist daher nach dem objektiven Inhalt der Maßnahme und den in diesem Zusammenhang relevanten Umständen zu beurteilen. Motive und Erklärungen desjenigen, der die Maßnahme initiiert, sind nicht maßgeblich. Dass dies für Dienststellenleiter und Personalrat gleichermaßen gilt, macht der Antragsteller in der Beschwerdebegründung zu Recht geltend.

8

2. Ferner will der Antragsteller geklärt wissen, ob die Senatsrechtsprechung zur Finalität im Sinne des Mitbestimmungstatbestandes nach § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 [X.] auf die Betrachtung des Finalitätserfordernisses in § 75 Abs. 3 Nr. 11 [X.] übertragen werden kann. Diese Frage ist anhand der Senatsrechtsprechung zu beiden [X.] eindeutig zu verneinen, so dass auch sie nicht klärungsbedürftig ist.

9

Für die Mitbestimmung bei Maßnahmen zur Hebung der Arbeitsleistung kommt es in der Regel auf die Zielgerichtetheit der Maßnahme an. [X.] die Dienststelle eine Hebung der Arbeitsleistung, so ist es unerheblich, ob die Beschäftigten ihre erhöhte Inanspruchnahme in einem Teilbereich der Arbeit durch eine Minderarbeit in einem anderen Bereich kompensieren können. Eine Maßnahme zielt nicht nur dann erklärtermaßen und unmittelbar auf eine Hebung der Arbeitsleistung ab, wenn die Dienststelle solches unzweideutig erklärt, sondern auch dann, wenn sie dies sinngemäß unter Einbeziehung aller Umstände zum Ausdruck bringt (vgl. Beschlüsse vom 18. Mai 2004 - BVerwG 6 P 13.03 - BVerwGE 121, 38 <44> = [X.] 251.0 § 79 BaWüPersVG Nr. 17 S. 3 f. und vom 14. Juni 2011 - BVerwG 6 P 10.10 - [X.] 251.2 § 85 [X.] Nr. 17 Rn. 27 und 60).

Nur ausnahmsweise erfasst die Mitbestimmung auch an sich nicht auf Hebung der Arbeitsleistung abzielende Maßnahmen, d.h. solche, bei denen eine derartige Zielrichtung mangels entsprechender Absichtserklärung nicht ohne Weiteres feststellbar ist. Der Mitbestimmungstatbestand liegt auch dann vor, wenn unbeschadet sonstiger Absichten die Hebung zwangsläufig und für die Betroffenen unausweichlich (mittelbar) damit verbunden ist, das Arbeitsergebnis zu erhöhen. Von einer solchen Unausweichlichkeit ist dann nicht auszugehen, wenn eine Kompensation an anderer Stelle etwa in der Weise in Betracht kommt, dass eine Verringerung anderer Tätigkeiten oder eine Verminderung der [X.] anheimgestellt wird. Dies kann - abhängig von den [X.] - auch stillschweigend geschehen, insbesondere dann, wenn den betroffenen Beschäftigten eine eigenverantwortliche Arbeitsgestaltung zugestanden ist. Somit kommt es nur und ausschließlich in derartigen Ausnahmefällen darauf an, ob den Beschäftigten eine Kompensation bei anderen Verrichtungen anheim gestellt ist (vgl. Beschlüsse vom 18. Mai 2004 a.a.[X.] S. 45, insoweit bei [X.] nicht abgedruckt, und vom 14. Juni 2011 a.a.[X.] Rn. 28 und 60).

Nach der zitierten Senatsrechtsprechung schützt die Mitbestimmung nach § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 [X.] vor erhöhter Inanspruchnahme. Sie soll die Beschäftigten vor unnötiger oder unzumutbarer Belastung bewahren. Dem Mitbestimmungstatbestand ist die Frage nach einer Kompensation immanent. Hat der Dienststellenleiter ausdrücklich oder sinngemäß erklärt, dass es ihm auf die Hebung der Arbeitsleistung ankommt, so wird unwiderlegbar vermutet, dass eine Kompensation nicht stattfindet. Damit wird die Mitbestimmung effektiviert, weil ihr Eingreifen von zeitraubenden und komplexen Feststellungen unabhängig gemacht wird. Dies ist nicht gerechtfertigt, wenn es an entsprechenden Erklärungen des [X.] fehlt. In einem solchen Fall greift die Mitbestimmung nur ein, wenn feststeht, dass die Mehrbelastung nicht ausgeglichen wird und damit unausweichlich ist.

Derartige Kompensationsüberlegungen, welche auf die speziellen Gegebenheiten der Mitbestimmung bei Hebung der Arbeitsleistung zugeschnitten sind, stehen im Rahmen der Mitbestimmung beim [X.] nicht im Vordergrund. Für diese gilt nach der eingangs zitierten Senatsrechtsprechung uneingeschränkt, dass sie bei Maßnahmen ausgeschlossen ist, die in erster Linie andere Zwecke verfolgen und sich nur mittelbar auf den Arbeits- und [X.] auswirken. Ob Letzteres nur möglich oder unausweichlich ist, ist daher für die Beurteilung nach § 75 Abs. 3 Nr. 11 [X.] unerheblich. Käme es auch hier auf den Gesichtspunkt der Unausweichlichkeit an, so wäre die einschränkende, die Mitbestimmung beim [X.] begrenzende Aussage in der einschlägigen Senatsrechtsprechung vollständig entwertet.

Meta

6 PB 10/12

13.09.2012

Bundesverwaltungsgericht 6. Senat

Beschluss

Sachgebiet: PB

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 23. Mai 2012, Az: 20 A 875/11.PVB, Beschluss

§ 75 Abs 3 Nr 11 BPersVG, § 76 Abs 2 S 1 Nr 5 BPersVG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 13.09.2012, Az. 6 PB 10/12 (REWIS RS 2012, 3196)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3196

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Wird zitiert von

AN 7 P 22.00822

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