Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.08.2016, Az. 2 StR 135/16

2. Strafsenat | REWIS RS 2016, 6329

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:240816U2STR135.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM [X.] [X.]S VOLKES

URTEIL
2 StR 135/16
vom
24. August
2016
in der Strafsache
gegen

wegen Verdachts des sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger u.a.

-
2
-
Der 2.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 24.
August
2016, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender [X.] am [X.]
Prof. Dr. Fischer,

die [X.] am [X.]
Prof. Dr. [X.],
[X.],
die [X.]innen
am [X.]
Dr. [X.],
[X.],

Staatsanwalt beim [X.]

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwältin

als Verteidigerin,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
-
3
-
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 10. Dezember 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.] des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten -
nach Abtrennung des Verfahrens hinsichtlich der Fälle 1 und 2 der Anklageschrift
-
vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs eines Widerstandsunfähigen in Tateinheit mit sexuellem Miss-brauch eines Kindes zum Nachteil des Zeugen

D.

(Fall
3) und
vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs eines Widerstandsunfähigen (Fall
4) sowie einer Körperverletzung (Fall
5) zum Nachteil des Zeugen

V.

freigesprochen. Hiergegen richtet sich die Revision der Staatsanwalt-
schaft mit der Sachrüge. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1
-
4
-

I.
1. Die Anklageschrift legte dem Angeklagten zur Last, er habe an einem Abend zwischen dem 9. und 12. Mai 2008 in seiner Wohnung dem schlafenden Zeugen

S.

die Shorts heruntergezogen und sich nackt auf ihn
gelegt. Anschließend habe er sich bis zum Samenerguss am Körper des [X.] gerieben (Fall 1). Bei einer weiteren Übernachtung des Zeugen

S.

in der Wohnung des Angeklagten habe dieser in einer Nacht in der
[X.] zwischen dem 12. Oktober 2007 und dem 12.
Mai 2008 dem Schlafenden die Jogginghose heruntergezogen und sei mit seinem Penis in dessen Anus eingedrungen. Als der Zeuge aufgeschreckt sei, habe er diesen niedergedrückt, festgehalten und den analen Geschlechtsverkehr vollzogen (Fall 2). Ende 2009 habe der Angeklagte dem schlafenden 13-jährigen

D.

an den
Penis gefasst, diesen dort gestreichelt und versucht ihm die Shorts herunterzu-ziehen, bis der Zeuge ihn weggeschoben habe (Fall 3). Im [X.] 2012 habe sich
der Angeklagte auf den nach einer Feier in seiner Wohnung schlafenden Zeugen

V.
gelegt, um sich sexuell zu erregen. Als der Zeuge
aufgewacht sei, habe er ihn festgehalten und sich weiter an ihn gedrängt, bis es dem Zeugen gelungen sei, den Angeklagten wegzustoßen und aus dem Zim-mer zu drängen (Fall 4). Danach habe der Angeklagte [X.] erneut [X.], den Zeugen gegen die Wand gedrückt und ihm einen Schlag ins Gesicht versetzt (Fall 5).
2. Das [X.] hat das Verfahren zu den Fällen 1 und 2 der [X.] abgetrennt, um eine aussagepsychologische Begutachtung der Anga-ben des Zeugen S.

herbeizuführen. Von den übrigen Vorwürfen (Fälle
3
bis 5 der Anklageschrift) hat es den Angeklagten freigesprochen.
2
3
-
5
-
Das [X.] hat festgestellt, dass der Angeklagte seine spätere Ehe-frau

M.

im Jahr 2004 kennenlernte, ab April 2006 bei deren El-
tern wohnte und im März 2007 eine eigene Wohnung bezog. Dort erhielt er re-gelmäßig Besuch von dem damals 16-jährigen Zeugen

S.

, zu
dem er ein enges persönliches Verhältnis aufbaute. Im Januar 2008 zog er ge-meinsam mit

M.

in eine Wohnung. Gleichwohl setzte der Ange-
klagte die Beziehung zu

S.

fort und übernachtete oft zusammen
mit diesem Jugendlichen auf der Couch im Wohnzimmer, während

M.

im Schlafzimmer schlief. Im Juli 2008 zog der Angeklagte nach einem
Streit mit

M.

aus dieser Wohnung aus; zugleich endete sein Kon-
takt zu

S.

.
Am 22. November 2010 heirateten der Angeklagte und

M.

.
Jedoch kam es bald erneut zu Streitigkeiten und auch zu gerichtlichen Ausei-nandersetzungen, vor allem um das Sorgerecht für den am 13.
Mai 2008 gebo-renen [X.] J.

. In einem familiengerichtlichen Verfahren behauptete die
Ehefrau, sie habe den Angeklagten bei sexuellen Handlungen mit dem Kind angetroffen. Dafür berief sie sich auch auf

S.

als Zeugen. In ei-
nem Strafverfahren gegen den Angeklagten wegen des Vorwurfs des sexuellen Missbrauchs des Kindes J.

berichtete

M.

davon,

V.

habe ihr gesagt, dass der Angeklagte sich einmal auf ihn gelegt habe; er
habe sich wehren können und dem Angeklagten ein blaues Auge geschlagen. Ferner habe

S.

berichtet, dass der Angeklagte versucht habe,
auch ihn anzufassen. Die Zeugin Mo.

berichtete vom [X.] über
'entsprechende Angaben des [X.].

. Die [X.].

und D.

machten danach bei polizeilichen Vernehmungen Aussagen im Sinne der An-klagevorwürfe gegen den Angeklagten.

4
5
-
6
-
Zum Vorwurf einer Tat zum Nachteil des Zeugen D.

(Fall
3) hat das
[X.] jedoch nur festgestellt, dass dieser Zeuge in der fraglichen [X.] ein Praktikum bei dem Angeklagten absolvierte und in seiner Wohnung übernachte-te. Hinsichtlich der Vorwürfe von Taten zum Nachteil des [X.].

(Fälle
4 und 5) ist es davon ausgegangen, dass es zwischen dem Angeklagten und diesem Zeugen in der fraglichen Nacht zu einem Streit gekommen sei. Die eine Tatbegehung bestreitende Einlassung des Angeklagten sei aber nicht zu wider-legen. Der Zeuge V.

habe zwar bei einer polizeilichen Vernehmung und
zuletzt in der Hauptverhandlung im Sinne der Anklagevorwürfe ausgesagt. [X.] habe er aber dem Angeklagten und dessen Verteidigerin erklärt, dass seine Behauptungen unzutreffend seien. Auch in der Hauptverhandlung habe er dies zunächst erklärt, sei aber nach Vorhalten zu seiner ursprünglichen Zeugenaussage zurückgekehrt. Die Mutter des [X.].

, die ihren [X.]
am Morgen nach der Feier in der Wohnung des Angeklagten abgeholt habe, habe durchaus wahrgenommen, dass es Streit gegeben habe. Sie habe sich gehabt habe. Der Zeuge D.

habe im Sinne des [X.]s ausge-
sagt, er habe sich aber in Widersprüche verwickelt. Andere Zeugen, die eigene Wahrnehmung zum Tatgeschehen gemacht hätten, stünden nicht zur Verfü-gung. Die Zeugin

M.

habe ein erhebliches Motiv zur Falschbelas-
tung des Angeklagten. Es sei nicht auszuschließen, dass die jugendlichen [X.] V.

und D.

kritiklos falsche Angaben von ihr übernommen hätten.

[X.] Schuldspruch in dem Verfahh-teil des Zeugen S.

nichts für die anderen Anklagepunkte herleiten, so-

6
-
7
-
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet. Sie beanstandet zu Recht das Vorliegen von [X.] bei der Beweiswürdigung.
1. Das Revisionsgericht muss es grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts; die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob ihm Rechtsfehler unterlaufen sind, weil die Beweiswürdigung lückenhaft, in sich widersprüchlich oder unklar ist, gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit übertriebene Anforderungen gestellt worden sind (vgl. [X.], Urteil vom 12. Februar 2015 -
4 [X.], [X.], 148
f.). Insbesondere ist es weder im Hinblick auf den Zweifels-satz noch sonst geboten, zugunsten des Angeklagten von Annahmen auszuge-hen, für deren Vorliegen keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte vorhan-den sind. Unterstellungen zugunsten eines Angeklagten sind nur rechtsfehler-frei, wenn hierfür reale Anknüpfungspunkte bestehen (vgl.
[X.], Urteil vom 3.
Juni 2015 -
5 StR 55/15, NStZ-RR
2015, 255 f.). Ist eine Mehrzahl von [X.] zum Tatvorwurf vorhanden, so ist eine Gesamtwürdigung vorzu-nehmen. Erst diese entscheidet darüber, ob der [X.] die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten gewinnt. Auch wenn keine der Indiztatsachen al-lein zum Nachweis der Tatbegehung ausreichen würde, besteht die Möglichkeit, dass sie in ihrer Gesamtschau dem Tatrichter die entsprechende Überzeugung vermitteln. Beweisanzeichen können in einer Gesamtschau wegen ihrer Häu-fung und gegenseitigen Durchdringung die Überzeugung von der Richtigkeit eines Vorwurfs begründen (vgl. [X.], Urteil vom 2.
Dezember 2015 -
1
StR 292/15). Der genaue Beweiswert einzelner Indizien ergibt sich gegebenenfalls 7
8
-
8
-
erst aus einem Zusammenhang mit anderen Indizien, weshalb sie dann zuei-nander in Beziehung zu setzen sind.
2. Die Urteilsgründe lassen besorgen, dass das [X.] diese Grundsätze nicht ausreichend berücksichtigt hat.

e-gen der Vorwürfe von Taten zum Nachteil des Zeugen

S.

in dem
abgetrennten Verfahren zu den Fällen
1 und
2 der Anklageschrift nicht dazu ausreichen könnte, sich von der Richtigkeit der übrigen Vorwürfe zu überzeu-gen, greift zu kurz. Nicht auf einen möglichen Schuldspruch, sondern auf [X.] Tatsachen zu den Umständen vergleichbarer Taten zum Nachteil des Zeugen S.

und deren Nachweis würde es ankommen, wenn im Rahmen
einer Gesamtschau geprüft würde, ob der Angeklagte auch die ihm vorgewor-fenen Taten zum Nachteil der [X.].

und D.

begangen hat. In der
Gesamtschau aller Umstände wäre dann gegebenenfalls zu berücksichtigen, dass der Angeklagte nach dem [X.] in vergleichbarer Art und Weise sexuelle Übergriffe gegenüber drei männlichen Jugendlichen begangen haben soll. Dabei kann die Begehung von Taten zum Nachteil eines der Zeugen ein die anderen Zeugenaussagen ergänzendes Indiz für die Begehung von weite-ren Taten darstellen. Auch als Indiztatsache kann eine andere Tat allerdings nur dann zum Nachteil eines Angeklagten gewertet werden, wenn sie prozess-ordnungsgemäß festgestellt ist (vgl. Senat, Beschluss vom 21.
April 2016
-
2
StR 435/15). Umgekehrt kann ihre Bedeutsamkeit nicht pauschal für den gedachten Fall ihrer Feststellung ausgeschlossen werden, wenn nicht zugleich erläutert wird, dass kein sachlicher Zusammenhang zwischen verschiedenen Vorwürfen gegen den Angeklagten wegen vergleichbarer Delikte gegen unter-schiedliche Opfer besteht. Eine
solche Erläuterung hat das [X.] ver-9
10
-
9
-
säumt, obwohl nach den Feststellungen möglicherweise motivationale oder sonstige situative Zusammenhänge bestehen könnten.
Schließlich hat das [X.] nicht in einer Gesamtschau gewürdigt, dass sich die Aussagen der Zeugen zu verschiedenen Taten vergleichbarer Art, sowie die Angaben der gehörten Zeuginnen vom [X.] als -
wenngleich nur tendenzielle
-
Bestätigung in ihrer Indizbedeutung wechselseitig beeinflus-sen können. Seine Annahme, dass die angeblichen Tatopfer jeweils durch die Ehefrau des Angeklagten, die ein Motiv zur Falschbelastung gehabt haben mag, beeinflusst sein könnten, ist nicht durch konkrete Umstände belegt. [X.] ist die Annahme, die Jugendlichen könnten -
einzeln oder gemeinsam
-
falsche Angaben der inzwischen geschiedenen Ehefrau kritiklos übernommen haben, in dieser Allgemeinheit nicht nachzuvollziehen. Dies gilt auch deshalb, weil die Unrichtigkeit der Angaben der Ehefrau des Angeklagten im Ermitt-lungsverfahren wegen sexuellen Missbrauchs zum Nachteil des ehelichen Soh-nes J.

nicht festgestellt ist und konkrete Gründe für Zweifel an der Richtig-
keit dieser Angaben im Urteil nicht erörtert wurden. Die beweisrechtlich [X.] Frage der Eigenständigkeit oder gegenseitigen Abhängigkeit der Indizien (vgl. [X.], Urteil vom 25.
Januar 1995 -
5
StR 664/94), die sich aus den [X.] verschiedener Zeugen über jeweils zu ihrem Nachteil began-gene Taten des Angeklagten ergeben könnten, ist von der [X.] nicht erkennbar in
den Blick genommen worden. Die inzwischen geschiedene Ehe-frau hatte dem Angeklagten auch sexuelle Handlungen zum Nachteil des ge-meinsamen Kindes vorgeworfen. Selbst wenn das unzutreffend wäre, so ent-hielten ihre Behauptungen
-
bewusst oder unbewusst
-
noch keine falschen An-gaben zu sexuellen Handlungen zum Nachteil der Zeugen S.

,
V.

und
D.

. Eine gegebenenfalls falsche Behauptung der Ehefrau im Sorgerechts-
streit könnte dagegen nach einer Alternativhypothese ihrerseits durch zutref-fende Missbrauchsberichte der Zeugen motiviert gewesen sein. Vom Landge-11
-
10
-
richt wäre jedenfalls nicht alleine die Hypothese zu erwägen gewesen, dass ein falscher Bericht der Ehefrau über sexuellen Missbrauch des ehelichen Kindes auch die Zeugen jeweils zu falschen Vorwürfen sexueller Handlungen des [X.] zu ihrem Nachteil motiviert haben konnte.
Fischer [X.] Eschelbach

[X.]

Bartel

Meta

2 StR 135/16

24.08.2016

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.08.2016, Az. 2 StR 135/16 (REWIS RS 2016, 6329)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 6329

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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4 StR 420/14

5 StR 55/15

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